Der Uhrenladen im Twistviertel ist verwüstet – die Fensterscheiben zerbrochen, die Tür aus den Angeln gerissen, die Straße menschenleer. Mir wird eiskalt vor Angst.
Ich will gerade eintreten, als jemand herauskommt. Oder etwas. Es hat die Form eines Mannes, ist aber kreidebleich. Das Wesen steht nackt vor mir, sein Körper ist voller verschlungener, seilartiger Muskeln und mit mir unbekannten Symbolen tätowiert. In jeder Hand hält es ein blutbeschmiertes Messer. In seinem weißen Haar, das ihm über den Rücken fällt, sind Blutspritzer, genau wie auf seinen Armen und in seinem bleichen Gesicht. Seine Augen sind ausdruckslos. Ich erinnere mich an diese Wesen – sie haben uns bei unserer Flucht aus Casimirs Festung vor einem halben Jahr auf Schiffen verfolgt. Außerdem habe ich sie in Lidaris Erinnerung gesehen, bevor er von der Klippe stürzte.
Jetzt tritt Casimir aus dem Laden, Blut an den Stiefeln.
»Du«, sagt er und zeigt mit einem langen beringten Finger auf mich. »Du solltest inzwischen mir gehören. Wo ist dein Bruder?«
Ich verschwinde und lande direkt vor Liddys Laden. Ohne mich anzukündigen, gehe ich nach hinten durch. Liddy ist allein. Das Zimmer riecht nach Kaffee und Brot. Eine eigenartige Oase in einer Stadt kurz vor der Explosion. Ihre Augen leuchten auf, als die Tür aufgeht, dann trübt sich ihre Miene wieder etwas, als wäre sie enttäuscht, mich zu sehen.
»Julia, ist alles in Ordnung?«
»Nein, ist es nicht. Vielleicht hast du es bereits vermutet, aber ich habe Theo in Ragg Rock versteckt. Und jetzt hat Casimir etwas von meinem Blut und hat versucht, es einzusetzen, um dorthin zu kommen. Silber Moya ist tot. Ich habe Theo nicht gesehen, also hoffe ich, dass sie sich geweigert hat, ihm zu helfen. Ich muss nach Ragg Rock, um sie zu warnen. Ich muss eine andere Silber Moya finden, bevor er es tut.«
»Es gibt ein paar«, sagt sie schnell. »Eine davon an der Küste. Casimir würde eine Weile brauchen, um dorthin zu gelangen. Sie ist raffiniert, aber ich bin nicht sicher, ob sie dir helfen würde. Da du schnell vorankommst, würde ich dir raten, an einen Ort außerhalb seiner Reichweite zu reisen, zu Leuten, denen ich vertraue.«
Ich frage nicht, woher sie weiß, wie schnell ich vorankomme. Sie holt eine Karte heraus und zeigt mit ihrem runzeligen Finger darauf.
»Brillimar, in Ingle. Geh zu dieser Adresse.« Sie kritzelt etwas für mich auf die Rückseite der Karte. »Frag nach Ellis und sag ihm, Liddy aus Spira hätte dich geschickt. Er wird sich an mich erinnern und dich zur inglesischen Silber Moya bringen.«
Ich trete mit der Landkarte auf die Straße hinaus und verschwinde. Weiter und weiter. Spira neigt sich unter mir. Ich richte meinen Blick auf den nördlichen Horizont und kehre keuchend auf einem Berg in meinen Körper zurück. Eine erschrockene Ziege springt zur Seite. Dann steige ich wieder auf und ziehe mich zurück, fixiere den nächsten Horizont und dann wieder den nächsten. Ein Kuhstall, dichter Wald, Felsen und Moor und dann die Küste, der graue aufgewühlte Kanal zwischen Frayne und Ingle.
Mit zitternden Händen hole ich Liddys Karte heraus und überprüfe meine Route, während mich ein Schwarm Möwen misstrauisch beäugt. Ich verschwinde und steige hoch genug, dass ich die Form der inglesischen Küste erkennen kann. Als ich auf den weißen Klippen lande, sehe ich zitternd und schwitzend wieder auf die Karte und verlasse dann erneut meinen Körper, springe hinaus und über die Welt.