Kapitel 3
Arina Perges
Im Treppenhaus klimperte ein Schlüsselbund und veranlasste Arina, von ihrer Cosmopolitan aufzublicken, während im Fernseher Madonna über die Bühne flimmerte. Gleich drauf ging die Tür, jemand betrat die Altbauwohnung und eine Tasche glitt auf den Boden.
»Ey Schatz! Bin da, du auch?«
»Im Wohnzimmer.« Arina wandte sich wieder ihrer Zeitschrift und dem Artikel Die heißesten Fantasien dieses Sommers
zu. Aus dem Flur drangen Schritte, anschließend aus der Küche ein leises Klappern und Klirren und wenig später vernahm sie ein lautes, ebenso bekanntes Plopp
. Boris erschien mit einem Glas Bier im Türrahmen. Lässig lehnte er sich an das weiß lackierte Holz, während er Arina musterte, die auf dem dunkelblauen Stoffsofa lümmelte, das deutliche Gebrauchsspuren zeigte.
Ein gut gebauter, frisch eingeölter Handwerker tritt ein, erkennt mit einem einzigen Blick, wo es bei der Spülmaschine und bei meiner Libido hakt, reißt sich mit fließenden Bewegungen den Blaumann vom durchtrainierten Körper, präsentiert mir sein immer einsatzbereites Werkzeug zur sachkundigen Verwendung, und das Wort
Intensiv-Spülung erhält eine völlig neue Bedeutung.
Arina blickte kurz von ihrer Lektüre auf und nickte Boris knapp zu, bevor sie weiterlas.
Er grummelte. »Bekommt man nicht mal mehr einen Begrüßungskuss? Ist dieser Weiberkram schon wichtiger?« Er trottete zum Sofa und ließ sich neben Arina in das Polster plumpsen. Dabei brachte er das Kunststück fertig, keinen einzigen Tropfen Bier zu verschütten. »Was liest du überhaupt so Interessantes?«
»Ach nichts Besonderes – nur Pflegetipps für die Beine nach der Enthaarung.« Arina schenkte Boris ein unschuldiges Lächeln, klappte die Zeitschrift zu und warf sie auf den Wohnzimmertisch, bevor er einen Blick hineinwerfen konnte. Gleichzeitig drückte sie ihm einen kurzen Schmatz auf die kratzige Wange. »Wie war die Arbeit heute, Hase?«
Boris nahm einen tiefen Schluck und stellte seufzend das Glas auf die Cosmopolitan. Ein kreisrunder Fleck zeichnete sich sofort auf dem Titelblatt ab und wellte das glänzende Papier. »Wie immer. Nichts Besonderes.«
Arina runzelte die Stirn und musterte ihren Freund. »Als du das letzte Mal ›Wie immer, nichts Besonderes‹ gesagt hast, wollte man deinen Arbeitsplatz wegen der Auftragslage streichen! Was bitte war heute los? Sonst erzählst du doch auch immer jede noch so unwichtige Schlagzeile. Was ist passiert? Ist euer Zeitungsverlag abgebrannt?«
Boris schüttelte den Kopf. »Nichts ist passiert.«
Arina wartete, ob er sich noch erklären würde, aber er nahm nur sein Bier zur Hand.
»Ach komm!«, stieß sie hervor. »Lüg mich doch nicht so billig an! Jeder würde dir anmerken, dass was passiert ist! Also raus damit, Boris!« Ihre Stimme hatte einen bedrohlichen Tonfall angenommen und ihr Zeigefinger war warnend ausgestreckt.
Boris nahm einen mächtigen Zug und stellte das fast leere Glas zurück auf den Tisch. Schweigend starrte er einige Sekunden lang den Rest der goldenen Flüssigkeit an, dann seufzte er. »Schon gut. Es gab gestern Nacht einen Mord. Eine junge Frau wurde … na, sagen wir … abgeschlachtet. Unser Informant hat uns Bilder gezeigt. Ich schwör, es war kein schöner Anblick.«
Arinas Ärger verflog sofort. »Hier bei uns in der Stadt? Gestern Nacht? Wer? Kennen wir sie? Was ist mit dem Täter? Wisst ihr schon Genaueres? Du kriegst doch sonst auch alles von euren Informanten gesteckt! Boris! Was ist passiert?«
Boris schwieg und leerte sein Bier mit einem weiteren Zug. Sein Blick ging ins Leere und er rülpste leise. Nach schier endlosen Sekunden drehte er sich zu seiner Freundin um und blickte sie mit traurigen Augen an.
»Sandra Meerer wurde ermordet.«
Arina blieb der Mund offen stehen. »Sandra Meerer«, wiederholte sie langsam. »Die Freundin von Carsten? Die geile Schlampe mit den riesen Titten?«
Boris nickte.
»Aber warum? Und weshalb?« Das war einfach unglaublich.
Boris seufzte. »Wir wissen auch noch nicht alles. Unser Informant hat nur paar Infos aufgeschnappt. Klar scheint, dass sie brutal niedergestochen wurde. Regelrecht zerschnitten. Einfach nur abartig. Aber was interessiert es dich? Ich dachte, du kannst sie eh nicht ab?«
»Das hat doch überhaupt nichts damit zu tun! Ja, sie ist« – Arina schluckte – »sie war eine verdammte Schlampe! Aber deswegen würde ich ihr doch nie den Tod wünschen oder so was. Mein Gott – der arme Carsten!«
Boris schüttelte den Kopf und stand auf. Schweigend verschwand er in der Küche, und ein weiteres Plopp
war zu hören.
Derweil gingen Arina tausend Gedanken durch den Kopf: Ein Mord. Hier bei uns. Das gibt’s doch gar nicht. Und dann Sandra Meerer! Die hatte doch in letzter Zeit was mit Camo gehabt, oder nicht? Hatte Rebecca erzählt
.
Boris kam mit einem frischen Bier zurück. Er musterte Arina kurz, dann ließ er sich wieder neben ihr nieder. Sein Blick glitt an die gegenüberliegende Wand, während er schweigend an seinem Getränk nuckelte.
Arina runzelte abermals die Stirn und beobachtete Boris genauer. Wie immer war ihr Freund gepflegt. Er trug ein dunkelgraues Hemd, das seine breiten Schultern betonte. Nur der Ansatz eines Bierbauches wölbte oberhalb der Taille das Hemd etwas aus. Dazu trug er eine modische stoned washed
Jeans. Seine Haare waren relativ kurz geschnitten und nach oben gestylt. Auf den Wangen und am Kinn zeigte sich bereits der dunkle Schatten des Barts, den er jeden Morgen akkurat rasierte. Eigentlich sah er wie immer aus, aber irgendetwas stimmte nicht. Eine Kleinigkeit, die nicht so recht passte. Hatte er doch noch nicht alles verraten? Verheimlichte er ihr irgendetwas?
»Sag mal Schatz, gibt’s da noch mehr zu erzählen? Du wirkst so angespannt.«
»Nein, Arina, das war alles.« Seine Mundwinkel zuckten.
»Das ist wieder eine Lüge, nicht? Das zweite Mal in zehn Minuten! Sag mal, was ist los mit dir? Verdammt, Boris!« Beleidigt gab sie ihm einen Schlag auf die Schulter und drehte ihm den Rücken zu.
Er seufzte. »Also gut, also gut! Ich wollte es dir eigentlich nicht erzählen, aber bevor du jetzt den ganzen Abend beleidigt bist.«
»Ja, ich wäre beleidigt! Also raus mit der Sprache!«
»Herrgott noch mal!« Das Geräusch eines weiteren großen Schlucks drang an ihre Ohren. Dann: »Sandra wurde in der Sankt-Martin-Straße gefunden – vor Carlos Tür.«
Abrupt drehte sich Arina wieder zu Boris um. Bevor sie etwas erwidern konnte, fuhr er. fort.
»Besser gesagt, er hat von ihrem Handy aus die Polizei gerufen und man fand sie dort zusammen vor der Haustür. Er saß in Boxershorts und T-Shirt in ihrem Blut, hielt sie in seinen Armen und war dem Zusammenbruch nahe. Sie muss kurz vor dem Mord noch bei ihm gewesen sein. Was genau passiert ist, wusste aber unser Informant auch nicht.«
»C-C-Camo?!« Arias Stimme wurde heiser. »Ist … ist er der Mörder?«
Boris leerte sein zweites Bier mit einem gewaltigen Schluck. »Vermutlich nicht. Man hat ihn auch nicht festgenommen. Die Polizei geht davon aus, dass er sie nur gefunden hat. Blutige Fußspuren führten vom Tatort weg. Mehr weiß ich aber wirklich nicht. Es gab noch nichts Offizielles.«
Arina nickte stumm und stand wie ferngesteuert auf. Langsam begann sie im Zimmer auf und ab zu laufen. Nervös rieb sie dabei ihre zittrigen Finger aneinander. Sie waren eiskalt.
Nach einigen Sekunden blieb sie stehen und meinte entschlossen: »Ich ruf ihn an. Vielleicht braucht er Hilfe.«
Boris fuhr noch. »Du wirst ihn ganz sicher nicht anrufen! Verdammt, Arina! Er wird schon zurechtkommen, und wenn nicht, ist es nicht dein Problem. Was kümmert es dich überhaupt?«
Arina funkelte Boris grimmig an. »Er ist vielleicht ganz zufällig mein Exfreund, und deswegen kümmert es mich. Nur weil du ihn nicht ausstehen kannst, muss ich ihn nicht in einer solchen Situation im Stich lassen! Vielleicht braucht er jemanden zum Reden!«
»Eher zum Ficken … « Die Worte brummte Boris nur. Wesentlich lauter und schärfer sagte er: »Ich habe auch genügend Gründe, ihn zu hassen! Er hat dich belogen und betrogen. Später dann, als wir schon zusammen waren, hat er versucht, uns auseinanderzubringen, falls dir das entgangen ist! Ihr habt ja auch nur miteinander gevögelt,
obwohl wir schon zusammen waren! Verdammt, Arina! Ich hab wahrlich genügend Gründe, ihn zu hassen. Und deswegen wirst du ihn nicht anrufen! VERSTANDEN!«
Arina schwieg. Vielleicht hatte Boris recht. Camo gab ihm wirklich genügend Gründe, ihn zu hassen, und trotzdem – er war ihr Ex. Seufzend trat sie zu ihrem Freund und strich ihm sanft über die Wange. »Ach Hase. Ich habe es nicht so gemeint. Du weißt doch, dass ich dich liebe und dass ich mit ihm abgeschlossen habe. Aber –«
»Kein aber, Arina. Lass es einfach. Er wird schon selbst klarkommen. Du bist nicht seine Mutter.«
Arina nickte stumm und ließ ihren Blick durch die Balkontür in die Ferne schweifen.
Davor zeichnete sich ihre Spiegelung in der Scheibe ab. Schlank und mittelgroß war sie. Ihre Kurven steckten in einer eng anliegenden Hüftjeans von Miss Sixty
, die ihre Beine und den Hintern hervorhob. Dazu trug sie ein schwarzes Shirt, das einen flüchtigen Einblick in ihr Dekolleté ermöglichte und neugierig auf mehr machte. Ihre Frisur war gepflegt, die braunen Haare mittellang geschnitten und mit blonden Strähnen aufgepeppt. Der Pony fiel ihr asymmetrisch in die Stirn.
Boris deutete ihren Blick auf den Balkon als Aufforderung. Er zog eine zerdrückte Schachtel L&M aus der Hosentasche und steckte sich eine Kippe in den Mundwinkel. Die Packung reichte er weiter.
Arina nickte dankbar. Sie hatte eine Zigarette bitter nötig. Hinter Boris trat sie auf den Balkon ihrer gemeinsamen Altbauwohnung. Zwei Plastikstühle, ein alter Holztisch und ein großer Glasaschenbecher schmückten die knapp drei Quadratmeter.
»Seit wann rauchst du eigentlich L&M?«, fragte sie, die Zigarette in der Hand. »Ich dachte, die brennen dir im Hals?«
Boris zuckte mit den Schultern. »Seit der Automat nur noch diese und deine grässlichen roten Gauloises hat.«
»Bei den Gauloises weißt du wenigstens, wo der Tabak herkommt.«
»Deswegen schmeckt dein Franzosenkraut auch nicht besser.«
Er fummelte an seinem Feuerzeug herum, bis eine Flamme spross, und reichte es dann Arina.
Mehr gab es nicht zu sagen.
Sie wandte sich von ihrem Freund ab und lehnte sich mit den Händen aufs Balkongeländer.
Blauer Dunst stieg in den lauen Sommerabend. Die Sonne war bereits hinter den Häuserdächern versunken, und Arina ließ ihren Blick über die Straßen und Dächer schweifen. Vom Balkon hatten sie einen prächtigen Ausblick über die Stadt, die gerade im Sonnenuntergang herrlich wirkte. Der Himmel nahm violette Töne an, und in den Straßen begannen die Lampen und Schaufenster zu leuchten. Die Geräusche der Straße drangen nur gedämpft bis zu ihnen in das vierte Stockwerk empor. Hier auf ihrem Balkon genossen sie am Ende von stressigen Tagen etwas Ruhe.
Doch wie erwartet glitten ihre Gedanken zu Camo. Unmerklich schüttelte sie den Kopf. Warum traf es eigentlich immer ihn mit irgendeiner Scheiße? Das hatte er nicht verdient. Eigentlich war er ein netter, intelligenter Kerl, der hilfsbereit und humorvoll war. Aber irgendwie zog er das Pech magisch an. Mord! Unglaublich! Was Schlimmeres hätte dir nicht mehr passieren können.
Seufzend blies sie eine weitere Rauchwolke in die Abendluft.
Eine Hand legte sich um ihre Hüfte und glitt zwischen ihre Schenkel. Boris war schweigend hinter sie getreten und schmiegte sich an sie. Seine Hand drückte gezielt auf ihr Dreieck. Leise hauchte er ihr ans Ohrläppchen: »Ach mein Engel! Ich wollte dich vorhin nicht so anschnauzen. Ich habe dich heute den ganzen Tag vermisst! Es war wie immer schrecklich ohne dich!«
Arina schnippte den abgebrannten Stummel über das Geländer. Sie spürte seine Erektion an ihrem Hintern, und sein Atem kitzelte sie im Nacken. Nur der herbe Geruch nach Bier war unangenehm, aber daran hatte sie sich in den letzten Monaten gewöhnt.
Trotzdem wollte sie jetzt keinen Sex, nicht mit Camo im Kopf, wie er vor einer ermordeten Sandra Meerer kniete. Und das sagte sie auch.
Boris drängte sich trotzdem gegen sie und hauchte ihr ans andere Ohr: »Ich möchte aber jetzt! Später gehe ich mit Achim ins Moon
. Das ist schon seit Tagen ausgemacht – du kannst ja mitkommen, wenn du willst. Aber erst mal würde ich gerne –«
Arina seufzte, drehte sich um und schob Boris einen Schritt von sich weg. Sie hatte keine Lust auf eine Diskussion und schon gar nicht auf stundenlanges Nerven. Also glitten ihre Hände zu seiner Hose. Während sie seinen Gürtel öffnete, meinte sie mit sanfter Stimme: »Du weißt ganz genau, dass ich nicht mit euch ins Moon
gehe. Seit zwei Jahren gehst du mit Achim dorthin und wie oft war ich dabei? Eure feuchtfröhlichen Männerabende mit Herrengedeck könnt ihr getrost ohne mich abhalten.« Sie lächelte dünn und zog seine Jeans samt Unterhose bis an die Knie herunter. Sein Penis kam zum Vorschein. Ohne weitere Worte bugsierte sie ihren Freund auf einen der Plastikstühle und ließ sich vor ihm auf die Knie sinken.
Boris schien zufrieden zu sein und schloss die Augen.
»Es wird heute auch sicher nicht so spät wie das letzte Mal.« Er stöhnte leise und zuckte zusammen. »Hey! Warum beißt du –«
Arina hatte ihn aus dem Mund genommen. »Das letzte Mal war es vier und du warst stockbetrunken. Ich sag’s dir gleich: Wenn es heute wieder so ausgeht, schläfst du auf der Couch! Ich muss morgen früh auf die Arbeit. Verstanden?«
Bevor Boris etwas erwidern konnte, hatte Arina sein bestes Stück wieder im Mund und massierte mit einer Hand seine Hoden. Sie wusste, wie sie ihn schnellstmöglich auf die Spitze trieb. Männer waren so einfach und schnell zu befriedigen.
Wie um ihre Gedanken zu unterstreichen, stöhnte Boris lauter als zuvor und ließ seinen Kopf gegen das Fenster in seinem Rücken sinken. Das Plastik des Stuhls knarrte.
Während Arina die nötigen Register zog, und Boris sich immer mehr versteifte, dachte sie wieder an die schrecklichen Neuigkeiten und an ihren Exfreund.