Kapitel 6
Carlos »Camo« Morales
Einige Tage später.
Der Abendhimmel über der Stadt färbte sich sturmgrau. Im Westen türmten sich dunkle Wolken zu bizarren Gebilden zusammen und es roch bereits nach Regen, auch wenn sich kein Lüftchen regte. Bald würde das Gewitter losbrechen.
Trotzdem waren die Terrassen der Kneipen und Bars bis zum Bersten gefüllt. Lachen, Witze und ausgelassene Unterhaltungen hallten durch die Straßen.
Camos Blick glitt von den bedrohlichen Luftschlössern zurück auf sein Handy. Das Display zeigte bereits kurz nach neun an. Er schüttelte den Kopf und zog an seiner Zigarette. Sie hatte schon eine halbe Stunde Verspätung. Was, wenn sie ihn versetzte? Sollte er dann nach Hause gehen und lernen? Nein, zu Hause dachte er nur an Sandra und wie sie es zuletzt in der Küche getrieben hatten. Da wollte er nicht sein, zumindest nicht allein.
Und schon beim Gedanken an Sandra hörte er ihre Worte in seinen Ohren: Ich an deiner Stelle würde aber mal anfangen zu lernen.
Ihr letzter ernst gemeinter Rat an ihn, bevor sie gestorben war. Er hatte daraufhin tatsächlich in den letzten Tagen gepaukt. Irgendwie musste ja wieder Normalität in sein Leben einkehren. Er hatte versucht, in den Alltag zurückzufinden und den Albtraum zu vergessen. Er hatte sogar mit einem Kommilitonen telefoniert, um sich auf den aktuellen Stand des Semesters bringen zu lassen, aber was er am Telefon erfahren hatte, war nicht erbaulich. Er lag im Stoff so weit zurück, dass es fast unmöglich war, für dieses Semester das Ruder noch herumzureißen. Aber nur fast
. Wenn er sich auf seinen Arsch setzte und diszipliniert lernte, könnte es durchaus noch etwas werden. Sicher nicht mit glänzenden Leistungen, aber das Semester könnte er noch schaffen. Ein erster Schritt in die richtige Richtung. Sandra hatte ja so recht gehabt. Er musste selbst aktiv werden und handeln. Niemand konnte für ihn Datenmodellierung und Datenstrukturen pauken und seine Klausur bestehen. Er hatte bisher irgendwie geglaubt, dass alles von selbst gut werden würde. Einfach so. Simsalabim, Abrakadabra! Studium geschafft. Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass.
Ein schwarzer Wagen kam langsam die Straße entlang. Ein Stück entfernt hielt er am gegenüberliegenden Gehsteig. Eine junge Frau stieg auf der Beifahrerseite aus und unterhielt sich kurz mit dem Fahrer, der hinter den spiegelnden Scheiben nicht zu erkennen war. Camo blieb ruhig auf seiner Bank sitzen und musterte das schlanke Mädchen interessiert. Sie war etwa einen Meter siebzig groß, sportliche Figur. Ging regelmäßig ins Fitnessstudio und achtete sorgfältig auf ihre Linie. Dunkles, fast schwarzes Haar fiel ihr glatt auf die Schultern und glänzte im Licht der Straßenlaternen. Sie trug eine eng anliegende Bluse und eine dunkelblaue Jeans. Er kannte die junge Frau bisher nur von Schnappschüssen auf Facebook. Ein Blind Date sozusagen. Aber sie konnte sich durchaus sehen lassen. Er schnalzte mit der Zunge. Nicht von schlechten Eltern.
Camo schnippte den Kippenstummel auf das Pflaster und verhielt sich weiterhin still, genau so, wie sie es ihm im Chat eingebläut hatte. Bei dem Gedanken musste er lächeln. Sie wollte nicht, dass ihr Vater etwas von dem Treffen mitbekam, deshalb hatte sie ihn vorher genauestens instruiert. Er würde sich erst bemerkbar machen, wenn das Auto außer Sichtweite war — was nicht lange dauerte.
Sein Blind Date namens Meike kam mit federnden Schritten über die Straße. Sie lächelte von Weitem. »Hallo Camo! Schön dich zu sehen!«
Sie umarmten sich zur Begrüßung.
»Das Vergnügen ist ganz meinerseits.« Er schenkte ihr ein Sonntagslächeln und deutete auf die hell erleuchtete Bar, die im ersten Stock über ihnen thronte. »Wollen wir?«
Sie nickte erwartungsvoll und gemeinsam schritten sie die Stufen zur angesagtesten Szene-Bar der ganzen Stadt empor. Das Bamboo
öffnete für sie die goldenen Pforten und angenehme, gedämpfte Beleuchtung umfing sie. Die Wände waren in venezianischer Spachteltechnik gestaltet und mit modernen Designerlampen geschmückt. Aus den Lautsprechern gab Katy Perry ihre intimen Erfahrungen in I Kissed A Girl
zum Besten.
Dass Meike gerade das Bamboo
für ein Treffen vorgeschlagen hatte, wunderte Camo nicht. Alle wollten dorthin. Sicher, es war eine schnieke Kneipe mit tollem Ambiente, doch die Preise waren maßlos überteuert und es war immer hoffnungslos überfüllt. Aber es ging den Leuten ja nicht ums Geld, sondern um die Meinung der anderen. Man wollte sehen und gesehen werden. Deswegen fand sich hier jeden Abend die Schickeria ein und versuchte, sich gegenseitig mit glitzernden Designerklamotten, Modeschmuck und Bling-Bling zu übertrumpfen. Bussi-Bussi hier, Bussi-Bussi da. Camo hasste diese aufgeplusterten Goldhamster. Zumindest konnte Meike am Montag in der Schule prahlen, dass sie im Bamboo
gewesen war. Und das sogar mit einem älteren Typen. Ihre Freundinnen würden mit großen Augen an ihren Lippen hängen und sie für einige Stunden bewundern und beneiden. Aus seiner Schulzeit kannte Camo das alles noch zu gut von den kichernden Mitschülerinnen. Wie er dieses Ich-war-da-und-ihr-nicht-älla-bätsch-Gehabe verabscheute, doch heute wollte er sich einfach nur von den grausigen Dingen der letzten Tage ablenken und einen schönen Abend mit dieser netten, jungen Dame verbringen.
Zielstrebig lenkte er seine Schritte zur ausladenden Bar und auf einen hageren Kellner mit harten Gesichtszügen zu, der gerade Gläser auf ein Tablett bugsierte und ihm nur einen abfälligen Blick zuwarf. Gerade wollte der Mann davoneilen, als ihn Camo am Arm zurückhielt. »Wir haben reserviert. Für zwei Personen auf Morales.«
Der Kellner nickte, ergriff zwei Getränkekarten und geleitete sie in die hinterste Ecke des Bamboo
, wo auf einem winzigen Tisch für zwei Personen eine Reserviert
-Karte stand. Gleich daneben lag der Eingang zu den Toiletten in einer Nische verborgen. Wahrscheinlich der hässlichste Platz des gesamten Lokals
, dachte Camo. Doch die Ecke war ruhig und die Musik dröhnt nicht so laut aus den Boxen, eigentlich der ideale Ort für einen gesprächigen Abend.
Zufrieden schob er Meike den Stuhl heran und nahm ihr gegenüber Platz. Der unfreundliche Kellner klatschte ihnen die Karten auf den Tisch und verschwand zwischen den Gästen.
»Was für ein unfreundlicher Typ!«, empörte sich Meike und griff nach der Getränkekarte.
Camo zuckte mit den Schultern. »Sie können es sich erlauben. Weißt du schon, was du trinkst? Die Cocktails sind hier ausgezeichnet.« Nur kurz studierte er die rotzfrechen Preise.
»Ich weiß nicht. Die sind hier alle so teuer«, antwortete sie.
Ja, eine Unverschämtheit und eine noch viel größere Dummheit, hier zu sitzen.
Camo winkte ab und gestikulierte nach einem anderen Kellner. »Lass die Preise Preise sein, ich lad dich ein. Such dir ruhig was aus.« Er zwinkerte und schloss seine Karte. Sie würde gleich irgendetwas Alkoholisches bestellen, um nicht dumm vor dem Kellner dazustehen, der bereits an den Tisch trat, oder sie konnte sich nicht entscheiden und er würde eine Empfehlung aussprechen. Egal wie, es lief auf Alkohol hinaus und das war gut so.
»Na, ihr zwei, was darf’s sein?«. Wenigstens war die Bedienung freundlich.
Camo deutete galant auf Meike, die unschlüssig hin und her blätterte. »Ähh … ich kriege … hmmm … ähh … «
»Wie wäre es mit einem Caipirinha?«, schlug Camo vor. »Der ist bei diesem warmen Wetter genau das richtige – erfrischend und fruchtig.« Und er zieht gut rein.
Meike nickte und schloss sichtlich erleichtert die ellenlange Getränkekarte, während der Kellner die Bestellung in sein mobiles Kassensystem eintippte.
Erster Streich!
Camo lächelte zufrieden und bestellte für sich selbst einen Cuba Libre. Dann wandte er sich an Meike: »Und wie war dein Tag? Frisch und erholt von der Schulwoche?«
Meike zuckte mit den Schultern. »Na ja, Samstag halt. Ich konnte endlich ausschlafen und dann musste ich lernen. Eigentlich habe ich nicht viel gemacht. Man kann ja nicht immer arbeiten.« Sie strich sich eine schwarze Strähne aus dem Gesicht. »Aber lassen wir bitte das Thema Schule. Das höre ich die ganze Woche schon von meinem Vater.«
Camo lachte herzhaft. »Das denk ich mir. Mir reicht mein Studium unter der Woche auch und da will ich am Wochenende nicht noch mehr damit zu tun haben. Sorry, dass ich danach gefragt habe.«
»Schon gut.« Sie lächelte und lächelte und lächelte noch mehr, als der Kellner die Cocktails brachte. Beide waren mit Limettenscheiben und Minze verziert und sahen fantastisch aus.
Als sie probiert hatten, nickte Meike zufrieden. »Wunderbar! Genau mein Ding! Danke für die Einladung.«
»Nichts zu danken. Was machen eigentlich deine beiden Katzen? Du hast letzthin etwas von ihnen geschrieben.«
Mit diesem Thema landete Camo einen Treffer. Meikes Augen begannen zu leuchten und sie wurde sichtlich entspannter. Mit freudiger Miene begann sie zu erzählen, während sie nebenbei an ihrem Caipirinha nuckelte. »Princess und Sugar geht es super. Die beiden sind ja so süß! Mein Dad hat sie mir vor ein paar Tagen geschenkt. Du müsstest sie sehen!« Sie schwärmte und klimperte mit den Wimpern.
»Hattest du Geburtstag, von dem ich – zu meiner Schande – nichts wusste? Oder war etwas Besonderes?«
»Nein, nein, ich hatte keinen Geburtstag.« Sie kicherte. »Dad hat zurzeit nur viel Stress auf der Arbeit und ist selten zu Hause. Als kleine Entschädigung hat er sie mir mitgebracht. Das macht er öfters, also Entschädigungen, nicht Katzenbabys. Er fühlt sich wohl schlecht, weil er mich angeblich vernachlässigt.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich bin neunzehn und komm selbst zurecht. Wegen seiner Arbeit waren wir auch zu spät dran. Er musste noch mal ins Büro.«
Camo nickte mitfühlend und nippte an seinem Getränk. Einen viel beschäftigten Vater kannte er nur zu gut. Seiner hatte auch nie Zeit für ihn gehabt, aber Meikes Vater besaß im Gegensatz zu seinem richtig Schotter. Zumindest sah es danach aus. Dickes Auto und zwei Kätzchen mal zwischendurch.
»Weil wir gerade bei deinem Dad sind, hast du dich mit ihm einigen können?«
Meike rollte mit den Augen. »Ja, zum Glück. Aber es war ein harter Kampf. Er wollte mich erst hier wieder abholen wegen dieser Mordgeschichte, aber ich konnte mich zum Glück durchsetzen. Ich lass mich doch nicht nachts vor dem Bamboo
abholen! Es war schon schlimm genug, dass er mich hergefahren hat. Mit neunzehn! Ich bin erwachsen.«
Camo lächelte dünn und nahm einen kräftigen Zug von seinem Cuba Libre. Der Geschmack von Rum, Limette und Cola tanzte fade über seine Zunge. Bitte nicht dieses Thema.
Er wollte heute Abend den Mord vergessen, nicht umsonst hatte er Meike auserkoren, da sie absolut keine Ähnlichkeit mit Sandra besaß. Eine Erinnerung an Sandra und die schreckliche Nacht war das Letzte, was er sich in diesem Moment wünschte.
Zum Glück tat Meike ihm den Gefallen und kam nicht mehr auf den Schlitzer und die Bluttat zu sprechen. Sie erzählte stattdessen von ihrem Pferd, dass sie im Spätherbst mit ihrem Vater nach San Francisco in den Urlaub fliegen würde und von belanglosen Teenieproblemen. Camo lauschte aufmerksam, nickte hin und wieder, fragte gezielt nach und schenkte ihr ab und an ein Lächeln. Die Uhrzeiger drehten sich und die Getränke neigten sich dem Ende zu. Carlos winkte den freundlicheren Kellner erneut heran. Bevor Meike etwas bestellen konnte, nahm er ihr die Entscheidung ab.
»Bringen Sie uns bitte noch zwei von diesen Litschischnäpsen.«
Der Kellner nickte freundlich und verschwand wieder.
»Litschischnaps? Hab ich ja noch nie getrunken. Schmeckt der?«
Camo legte einen geheimnisvollen Gesichtsausdruck auf. »Lass dich überraschen! Zumindest ist der momentan total in und du wirst ihn sicher deinen Freundinnen empfehlen!«
Meike machte große Augen, und Camo unterdrückte einen Schauder. Wie naiv sie auch im echten Leben war. Wenn er ihr erzählte, dass das Mittelmeer ein Süßwassermeer sei, würde sie es ihm hundertprozentig abnehmen. Aber er saß ja nicht wegen ihres Intellekts hier, sondern wegen körperlicher Vorzüge, und was er sah, war vielversprechend. Sie hatte ihre Bluse um einen Knopf geöffnet und ermöglichte ihm somit einen besseren Einblick in ihr Dekolleté. Ihre festen Brüste zeichneten sich schön unter dem Stoff ab und Camo spürte eine süße Erregung in sich aufkeimen. Ihre zarten Wangen glühten bereits, was ihn noch mehr reizte. Ja, der Alkohol, der Alkohol, der liebe Alkohol!
Camo entschied, dass ein Themenwechsel angebracht war. Er lehnte sich in ihre Richtung und senkte etwas die Stimme. »Wir sind ja leider in unserer Unterhaltung letzthin unterbrochen worden. Du wolltest mir noch etwas über Sex erzählen, wenn ich mich recht erinnere.« Er erinnerte sich nicht nur daran, er hatte die Unterhaltung noch mal nachgelesen. Eine gute Vorbereitung war die halbe Miete.
Sie senkte den Blick, beugte sich ihm aber entgegen. »Können wir gern. Was möchtest du denn wissen?« Ihre Finger spielten mit einer ihrer Haarsträhnen.
»Na ja, wir waren damals bei wild
und spontan
.«
Ihr Gesicht wurde einen Tick dunkler. »Ja, also, hmmm … ich … ich bin mal so, mal so … Kommt immer auf den Tag an.«
Meike hob den Blick, und die Bedienung brachte die Litschischnäpse. Camo schob einen ihr hin und hielt seinen zum Anstoßen parat, während er ihr beiläufig die Hand auf den anderen Arm legte. Sie zuckte bei der Berührung zusammen, blickte ihm aber anhimmelnd in die Augen.
»Auf den schönen Abend und weitere Stunden!«, flötete er.
»Ja, auf einen … aufregenden Abend.« Sie kippte den Hochprozentigen in einem Zug hinunter.
Carlos nippte nur an seinem Glas und lächelte in sich hinein. Zweiter Streich!
Er wollte gerade die Unterhaltung wiederaufnehmen, als Meike ihn überraschte und sagte: »Aber darüber reden ist doch doof. Ich könnte dir ja zeigen, wie wild
und spontan
ich sein kann. Wollen wir vielleicht noch zu dir?« Aufregung brachte ihre Stimme ins Zittern.
Camo überwand seine Überraschung und raunte ihr ein sinnliches »Gerne« über den Tisch.
Ein leichtes Beben durchfuhr ihren Körper.
Auch nicht schlecht. Das erspart mir viele Worte, eine zweite Runde Schnaps und mindestens eine weitere Stunde in dieser überteuerten Schickimickibar.
Camo winkte nach dem hageren Kellner, der kurz darauf mit grimmiger Miene am Tisch erschien. »Zahlen bitte. Alles zusammen.«
Mit einem Nicken verschwand der Mann und kam wenig später mit der Rechnung zurück. Carlos zählte den Betrag auf den Cent genau ab und reichte ihm die Münzen mit seinem freundlichsten Lächeln und honigsüßer Stimme. »Stimmt so. Der Rest ist für Sie.« Ohne weitere Worte ergriff er Meike zärtlich am Arm und ließ den verdutzten Hageren stehen. Der überrumpelte Gesichtsausdruck entschädigte Camo für die Unfreundlichkeit.
Als sie gerade durch den Ausgang traten, winkte ihm jemand von einem der Tische zu. Camo erwiderte den Gruß mit Freude und trat dann hinter Meike in die Nacht hinaus.
»Wer war das denn?«, fragte sie neugierig, als sie die Stufen vom Bamboo
Arm in Arm hinunterschritten.
»Rebecca, eine gute Freundin von mir seit Kindergarten. Wir sind zusammen aufgewachsen, teilten sozusagen den Sandkasten miteinander.« Und Geheimnisse und später sogar das Bett.
Ja, zwischen Rebecca und ihm gab es keine Heimlichkeiten und Camo schätzte diese Freundschaft sehr. Nur leider sahen sie sich in letzter Zeit selten, denn Rebecca war seit Längerem in einer festen Beziehung und dann waren bestimmte sportliche Aktivitäten tabu. Eine Übereinkunft, an die sich sowohl Rebecca als auch Camo hielten, ein stählernes Gesetz, das sie sich selbst auferlegt hatten. Arina hätte das nie geglaubt. Sie war sicher, dass es eine Freundschaft zwischen Frau und Mann nicht gab. Deswegen hatte Carlos Arina nie von dieser Bettgeschichte erzählt und auch Rebecca hatte das nicht, obwohl sie besonders gut mit Arina befreundet war. Carlos seufzte bei dem Gedanken an seine Exfreundin und beschleunigte seine Schritte. Dabei ließ er seine Hand in Meikes Gesäßtasche gleiten. Sie widersprach nicht.
Mittlerweile nieselte es und ein frischer Wind wehte durch die Straßen. Meike kicherte auf dem restlichen Weg und schmiegte sich an seine Seite. Camo spürte ihre Nervosität und ihre Aufregung. Wahrscheinlich ist es ihr erster One-Night-Stand. Aber irgendwann ist immer das erste Mal.
Der Regen wurde stärker und stürzte wenig später bindfadendick vom Himmel. Als die beiden endlich Camos Wohnung erreichten, waren sie bis auf die Haut durchnässt. Eiligst führte er sie ins Haus und vermied dabei, das Pflaster des Eingangsbereiches anzusehen. Ein Reinigungsteam hatte zwar alles gegeben und die Spuren des Mords entfernt, doch Carlos sah immer noch überall Blut. Er würde schnellstmöglich die Wohnung wechseln. Das hatte er eben entschieden.
Doch jetzt betraten sie erst einmal sein Reich, das frisch und aufgeräumt wirkte. Der Gang war blank gesaugt, die Aschenbecher ausgeleert und das Bett frisch bezogen. Sogar das Bad hatte er gewischt. Lachend streifte er sich das klatschnasse Hemd vom Oberkörper und warf es über den Heizkörper. Als er sich umdrehte, musste er schmunzeln.
Meike stand mit tropfnassen Haaren mitten im Zimmer. Die durchnässten Kleider schmiegten sich an ihren Körper und Regenwasser tropfte auf den Boden. Er konnte ihre Brustwarzen und die Ränder des Spitzen-BHs durch den Stoff erkennen.
Als ihr schüchterner Blick über seinen Oberkörper strich und jedes Detail in sich aufsog, trat Camo ganz langsam an sie heran, strich ihr sanft das Haar aus dem Gesicht und über die Wange. Danach küsste er sie.
So standen sie da, innig verschlungen und entledigten sich schließlich gegenseitig ihrer Kleider. Dann nahm Camo sie auf den Arm und trug sie wie ein Bräutigam die Braut ins Schlafzimmer. Dabei kicherte sie und raunte ihm ans Ohr: »Und jetzt zeig ich dir, wie wild ich bin!«
Später wurde Camo aus dem Schlummer gerissen, als jemand an seiner Schulter rüttelte. Er brummte und schlug die Augen auf.
Meike saß neben ihm. Ihre Haare standen zerzaust in alle Richtungen ab. »Camo! Wie sind eingeschlafen. Scheiße!«
Carlos warf einen Blick auf den Radiowecker. 02.03 Uhr. »Wann solltest du zu Hause sein?«, fragte er schläfrig.
»Um spätestens eins! Dad wird sicher schon toben. Ich muss gehen!«
Camo nickte und stemmte sich hoch. »Ich werde dich begleiten.« Während sie sich aus den Laken wühlten, musterte er Meikes drahtigen Körper. Sie hatte es ihm wirklich gezeigt. In ihr steckte eine kleine Raubkatze, so wild war sie gewesen.
Nach wenigen Minuten waren sie startklar und verließen die Wohnung. Der Regen hatte sich in einen ertragbaren Nieselregen verwandelt. Die Laternen spiegelten sich auf den feuchten Straßen. Es roch nach Sommer und nassem Gras.
Hand in Hand eilten sie durch die nächtlichen Straßen, und Meike ärgerte sich unüberhörbar über die Verspätung. »Er hat schon fünfmal auf meinem Handy angerufen. Er wird ausrasten, wenn ich die Tür aufsperre.« Sie verzog das Gesicht zu einer Grimasse und blieb unter einer Linde stehen, die aus einem freien Stück Pflaster emporwucherte und Schutz vor dem Nieselregen bot.
»Warum bleibst du stehen?«, fragte Camo irritiert.
»Weil wir gleich da sind. Den Rest geh ich alleine.«
»Aber –«
»Nee, kein Aber. Wenn er mich jetzt auch noch mit ‘nem Kerl sieht, flippt er völlig aus. Ich darf mir so schon genug anhören.« Sie lächelte dünn und gab ihm einen Kuss auf die Wange.
»Ich würde dich aber wirklich gern das letzte Stück begleiten. Nur zur Sicherheit.« Der Gedanke behagte ihm überhaupt nicht, dass sie den Rest allein gehen wollte. Er musste unweigerlich an Sandra denken, die er ebenfalls nicht begleitet hatte.
»Ach, Camo. Das ist so lieb von dir.« Sie küsste ihn ein zweites Mal und ergriff seine Hand. »Aber was soll schon passieren? Zwei Straßen noch und ich bin daheim.«
Das hat sich Sandra sicher auch gedacht und nun ist sie tot.
Camo schluckte und drückte sie an sich. »Aber der Mörder ist wirklich noch nicht gefasst. Lieber begleite ich dich.«
Entschieden schüttelte Meike den Kopf. »Nein. Ich kann gut auf mich selbst aufpassen. Ich hatte schon einen Selbstverteidigungskurs und im Notfall renne ich einfach weg. Es sind nur drei Minuten.«
Carlos überzeugte das nicht, doch Meike ließ sich nicht umstimmen. Er sah es an ihrem Blick. »Okay. Aber meld dich, wenn du zu Hause bist, ja?«
Sie lächelte und nickte. »Werd ich machen. Bis dann!« Sie winkte noch ein letztes Mal, dann eilte sie die Straße entlang und verschwand hinter einer Kreuzung.
Camo sah ihr hinterher, während sich ein ungutes Gefühl in seiner Magengegend einnistete. Er entschied, ihr zu folgen, und eilte zur Kreuzung. Doch war Meike verschwunden. Die Straßen lagen leer vor ihm.
»Scheiße«, murmelte er, während er sich umsah und dabei einmal um die eigene Achse drehte. »Weg. Mist.« Ein paar Sekunden blieb er noch regungslos stehen, dann kramte er seine Packung Kippen hervor und steckte sich eine an. Es wird schon nichts passieren,
beruhigte er sich.
Auf dem Heimweg beschleunigte er seine Schritte und schlug den Kragen seines Polohemds nach oben, weil der Wind verdammt frisch wurde. Über ihm zuckten Blitze über den Nachthimmel, und unheilvoller Donner rollte in der Ferne.
Bevor er zu Hause ankam, trommelte der Regen wieder auf ihn ein.