Es war spät, als Helle nach dem langen Arbeitstag endlich in ihrer Einfahrt parkte. Kurz legte sie die Stirn erschöpft aufs Lenkrad. Ihr Kopf brummte, zu viele Informationen waren heute durch ihr Hirn geströmt, einige Gedanken hatte sie festhalten können, andere hoffte sie, morgen wieder einzufangen. Leer gedacht und leer geredet war sie, alles, was sie jetzt wollte, war Geborgenheit und Ruhe. Bloß keine Ansprache.
Sie verließ das Auto; auf dem Weg zum Haus wäre sie fast ausgerutscht, es war spiegelglatt. Die Temperaturen hatten angezogen, es roch nach Schnee, der Winter hatte längst Einzug gehalten.
Drinnen war es gemütlich, warm und hell, aber niemand war zu sehen. Keine Sina, kein Emil, kein Bengt. Helle nahm an, dass sie gemeinsam die letzte Hunderunde drehten. Sie öffnete die Tür zum Strand und sah sich um. Der Mond schien fahl auf die hellen Dünen, in keiner Richtung entdeckte sie das Licht einer Lampe.
Dann kläffte Emil, aus nächster Nähe. Helle ging ums Haus herum und sah Mann und Hund an ihrem Lieblingsplätzchen, der Holzbank. Emil lag Bengt zu Füßen, sein Schwanz klopfte einen freudigen Trommelwirbel, und er drehte sich halb auf den Rücken, als er seines Frauchens ansichtig wurde.
Bengt trug seinen Winterparka, Jogginghose und Filzpantoffeln sowie eine unförmige Wollmütze. Er hatte eine Flasche Bier neben sich, im Licht der Petroleumlampe erkannte Helle sein freundliches Grinsen.
Sie ging zu ihren beiden Männern, kraulte Emil liebevoll den dargebotenen Bauch und setzte sich neben ihren Mann, der sofort seinen Arm um sie legte und sie an sich zog.
»Sind wir allein?«, erkundigte sich Helle.
»Sina musste wieder zurück nach Kopenhagen. Sie hat dir eine Karte geschrieben und gesagt, du sollst nicht weinen. In drei Wochen haben wir sie wieder am Hals.«
Helle lachte auf, mit einem Kloß im Hals. Nein, sie würde sich das Weinen verkneifen.
»Amira ist heute bei Ole«, sagte sie. »Morgen muss sie auch wieder zurück, Sören scharrt schon mit den Füßen. Das Projekt Digitalisierung ist jetzt unser Problem.«
»Armer Ole.«
»Ach, die schaffen das.« Helle schnappte sich Bengts Bier und nahm einen Schluck. »Übrigens, willst du sehen, was aus deiner Fritteuse geworden ist?«
Sie reichte ihrem Mann das Handy. Erika Blum hatte ihr ein lustiges Video aus ihrer Küche geschickt, nachdem Ole auf Helles Anordnung eine Kiste bei ihr abgeliefert hatte. Es war Pommestag. Man sah Wackelbilder von Kindern und Pommes und der Fritteuse, viel Ketchup wurde vergossen, und zum Schluss sprach Familie Blum im Chor eine Einladung aus. Bengt gab Helle lachend den Apparat zurück.
»Du hattest recht, da hat die Fritteuse ein gutes Leben.« Er griff mit dem freien Arm unter das Reetdach und beförderte Helles Tabakpäckchen hervor. »Drehst du mir eine?«
Zum Glück war es so dunkel, dass Bengt nicht sehen konnte, wie ihr die Röte ins Gesicht stieg, dachte Helle. Sie wollte sich erklären, ließ es dann aber sein. Sie war einfach eine schlechte Lügnerin. Kein Wunder, dass sie auf der anderen Seite des Gesetzes gelandet war.
Sie holte die Blättchen hervor und krümelte eine dünne Linie Tabak aufs Papier.
»Elins Mann ist uns knapp entwischt. Er saß schon im Flugzeug nach Florida zu einem Kongress. Wenn er zurückkommt, schnappen wir ihn uns.«
»Nicht. Jetzt ist Feierabend.« Bengt nahm seinen Arm von Helles Schulter und zeigte in den Himmel. »Schau lieber.«
Tatsächlich begann es jetzt, ganz sacht zu schneien. Keine dicken nassen Flocken wie in den letzten Tagen, sondern zarte eisige Kristalle. Sie rieselten licht durch den schwarzen Nachthimmel, im Hintergrund schlugen Wellen an den Strand, und Stille senkte sich auf Helles Seele.
Sie reichte Bengt eine Zigarette, er zündete ein Streichholz an und gab ihnen beiden Feuer.
Schweigend saßen sie auf der Bank, zu ihren Füßen der schlafende Hund, zwischen ihnen nur Wärme, und rauchten.
Ich liebe dich so sehr, dachte Helle, dass es fast wehtut.