Die Welt des Jesus von Nazareth ist das erste Jahrhundert unserer Zeitrechnung mit der sozio-kulturellen Realität der letzten Jahrzehnte der Zweiten Tempelepoche vor der Zerstörung Jerusalems durch die Römer im Jahr 70 n. Chr. Die Evangelien, die als ausgesprochen jüdische Literatur erkennbar sind, müssen vor diesem Hintergrund verstanden werden. Ein Studium dieser Zeit kann nur nützlich sein.
Die Worte Jesu weisen deutlich – besonders im Lukas-Evangelium – auf seine hebräische Muttersprache hin. Der Religionswissenschaftler Dr. David Flusser (gest. 2000) hatte jahrzehntelang an der Hebräischen Universität in Jerusalem einen Lehrstuhl für Neues Testament und Frühe Kirche inne. Seine umfangreichen Forschungen an den Evangelien zeigten, dass die semitisch klingenden Worte Jesu im griechischen Text der Evangelien mühelos ins Hebräische zurückübersetzt werden können und damit wichtige Hintergründe aufzeigen. Von einer Übersetzung dieser Textstellen ins Aramäische indes kann das generell nicht gesagt werden.
Die Weisheit Jesu offenbart sich namentlich in seiner gründlichen Kenntnis von Sprüchen der Weisen vor ihm und während seiner Zeit, die er bisweilen fast wörtlich zitiert. Er ist nicht so unwissend, wie er gern in der theologischen Literatur dargestellt wird. So ist für ihn der Sabbat ein Geschenk Gottes an den Menschen und er warnt davor, Menschen leichtfertig zu verurteilen. Diese Worte sprachen vor ihm bereits andere jüdische Weise aus.
David Bivin, der seit fünf Jahrzehnten in Jerusalem wohnt, hat gemeinsam unter und mit David Flusser und Shmuel Safrai ausgedehnte Studien an den Evangelien betrieben. Unnötig darauf hinzuweisen, dass er – wie seine Lehrer – in den Sprachen Hebräisch, Aramäisch und Griechisch mühelos zu Hause ist. Nach seinem Buch Was hat Jesus wirklich gesagt? (im Amerikanischen: Understanding the Difficult Words of Jesus) ist es an der Zeit, einen weiteren Band mit interessanten Beispielen aus den Evangelien folgen zu lassen.
Ich wünsche, dass das vorliegende Buch dem Leser die Augen über weitere bedeutende Zusammenhänge öffnet, die durch die populäre Literatur und durch traditionelle Darstellungen auf diesem Gebiet nicht zu erschließen sind. David Bivin und allen Mitgliedern der Jerusalem School of Synoptic Research (Jerusalemer Schule für synoptische Forschung) geht es mit den Ergebnissen ihrer Forschungen nicht um eine bloße Erweiterung von Einblicken und Erkenntnissen. Ihnen liegt es als Christen, denen die Heilige Schrift heilig ist, als vornehmliche Aufgabe auf dem Herzen, dass durch die neu gewonnenen Einsichten auch die Liebe zu Gott und zu den Mitmenschen eine neue, eine höhere Qualität erfährt.
Horst Krüger
Übersetzer und Vertreter von Jerusalem Perspective in Deutschland