»Die Krankheit unserer Zeit ist, dass wir an der Oberfläche leben. Wir sind wie der Platte River – eine Meile breit, aber nur ein paar Zentimeter tief.«
STEVEN PRESSFIELD
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stevenpressfield.com
STEVEN PRESSFIELD ist ein professioneller Autor in fünf verschiedenen Bereichen – Werbung, Drehbücher, Romane, erzählerische Sachbücher und Ratgeber. Von ihm stammen die Bestseller The Legend of Bagger Vance, Gates of Fire, The Afghan Campaign und The Lion’s Gate sowie die Kultklassiker über Kreativität The War of Art, Turning Pro und Do the Work . Seine jeden Mittwoch erscheinende Kolumne auf stevenpressfield.com zählt zu den beliebtesten regelmäßigen Informationsquellen über das Schreiben, die im Web zu finden sind.
Was ist eine deiner – gern auch absurden – Eigenheiten, auf die du nicht verzichten möchtest?
Es wird sich verrückt anhören, aber es gibt bestimmte Orte, an die ich gehe, meistens alleine, weil sie mir frühere Zeiten meines Lebens in Erinnerung rufen. Zeit ist eine merkwürdige Sache. Manchmal kann man einen vergangenen Moment später besser würdigen als in der Zeit, in der er sich tatsächlich ereignet hat. Die Orte, die ich besuche, sind ganz unterschiedlich und meistens banal, lächerlich banal. Eine Tankstelle. Eine Bank auf der Straße. Manchmal fliege ich quer durch die USA, nur um zu einem dieser Orte zu kommen. Manchmal mache ich das im Urlaub oder auf Geschäftsreisen, wenn ich mit meiner Familie oder anderen Menschen zusammen bin. Ich spreche mit ihnen nicht immer darüber, manchmal aber schon. Manchmal nehme ich gezielt jemanden mit, aber das funktioniert meistens nicht (wie könnte es auch?).
Welchen Rat würdest du einem intelligenten, motivierten Studenten für den Einstieg in die »echte Welt« geben? Welchen Rat sollte er ignorieren?
Ich bin wahrscheinlich hoffnungslos altmodisch, aber meine Empfehlung lautet, Erfahrung in der echten Welt zu sammeln. Sei ein Cowboy. Fahr einen Lastwagen. Geh zur Armee. Lass das hyperehrgeizige »life hack«-Denken hinter dir. Ich bin 74 Jahre alt. Glaub mir: Du hast alle Zeit der Welt. Du hast noch zehn Lebenszeiten vor dir. Mach dir keine Sorgen darüber, dass deine Freunde dich »übertreffen« oder es vor dir »zu etwas bringen« könnten. Geh raus in die echte schmutzige Welt und fang an zu scheitern. Warum sage ich das? Weil das Ziel ist, eine Verbindung mit deinem Selbst, deiner Seele aufzunehmen. Widrigkeiten. Jeder verbringt sein Leben mit dem Versuch, ihnen aus dem Weg zu gehen. Auch ich. Aber die besten Sachen, die mir je passiert sind, kamen in den Zeiten, als es wirklich übel aussah und ich nichts und niemanden hatte, um mir zu helfen. Wer bist du wirklich? Was willst du wirklich ? Geh los, scheitere, und finde es heraus.
Welches Buch (welche Bücher) verschenkst du am liebsten? Warum? Welche ein bis drei Bücher haben dein Leben am stärksten beeinflusst?
Das eine Buch, das mich wahrscheinlich am stärksten beeinflusst hat, ist wahrscheinlich das letzte, das irgendjemand auf der Welt lesen möchte: History of the Peloponnesian War von Thukydides. Es ist dicht, schwierig, lang, voller Blut und Gedärm. Es wurde, wie der Autor gleich am Anfang erklärt, nicht geschrieben, damit es einfach oder unterhaltsam ist. Aber es steckt voller harter, zeitloser Wahrheiten, und die Geschichte, die es erzählt, sollte jeder Bürger in einer Demokratie kennen müssen.
Thukydides war ein Athener General, der früh in dem 27 Jahre währenden Flächenbrand, der als Peloponnesischer Krieg bekannt wurde, geschlagen und entehrt wurde. Er entschied, sich aus dem Kampf zurückzuziehen und den Konflikt stattdessen so detailliert, wie er nur konnte, zu dokumentieren – er war sich sicher, dass er zum größten und bedeutendsten Krieg werden würde, der zu dieser Zeit je gekämpft wurde. Und genau das tat er.
Hast du schon mal von der Grabrede für Perikles gehört? Thukydides war dabei und hat mitgeschrieben.
Er war auch bei den Debatten in der Athener Versammlung dabei, bei denen über den Umgang mit der Insel Melos gesprochen wurde, dem berühmten Melier-Dialog. Bei der Niederlage der Athener Flotte bei Syrakus oder beim Verrat von Athen durch Alkibiades war er nicht vor Ort, aber er kannte Personen, die dort waren, und er scheute keine Mühen, um festzuhalten, was sie ihm erzählten. Thukydides war, wie alle Griechen seiner Zeit, unbehindert von christlicher Theologie, marxistischen Lehren, Freud’scher Psychologie oder irgendeinem der anderen »-ismen«, die uns überzeugen wollen, dass der Mensch im Grunde gut ist oder vielleicht perfektionierbar. Meiner Meinung nach sah er die Dinge, wie sie waren. Es ist eine dunkle Vision, aber extrem anregend und stärkend, weil sie wahr ist. Auf der Insel Korsika, in ihrer Zeit eine starke Seemacht, nahm eine Gruppe von Bürgern ihre Nachbarn und Mitkorsen in einem Tempel gefangen. Vor den Augen der Gefangenen schlachteten sie im Freien deren Kinder ab, und als die Gefangenen aufgaben, nachdem man ihnen Milde versprochen und Eide vor den Göttern geschworen hatte, wurden auch sie massakriert. Dies war kein Krieg von Nation gegen Nation, sondern von Bruder gegen Bruder in der zivilisiertesten Stadt auf Erden. Wenn man Thukydides liest, sieht man die eigene Welt als Mikrokosmos. Das Buch ist ein Lehrstück darüber, wie Demokratien sich selbst zerstören, indem sie in verfeindete Fraktionen zerbrechen, die Vielen gegen die Wenigen. Hoi polloi bedeutet auf Griechisch »die Vielen«, Oligoi »die Wenigen«.
Zur Unterhaltung kann ich Thukydides nicht empfehlen. Aber wenn du dich einem überragenden Verstand aussetzen willst, der über die tiefsten Dinge schreibt, die man sich vorstellen kann, solltest du das Buch mal versuchen.
Welche Anschaffung von maximal 100 Dollar hat für dein Leben in den letzten sechs Monaten (oder in letzter Zeit) die größte positive Auswirkung gehabt?
Es hat deutlich mehr als 100 Dollar gekostet, aber ich habe ein Elektroauto gekauft, einen Kia Soul, und Solarmodule auf meinem Dach installieren lassen. Mit Sonnenstrom fahren macht ziemlich Spaß, glaub mir.
Welcher (vermeintliche?) Misserfolg war die Voraussetzung für deinen späteren Erfolg? Hast du einen »Lieblingsmisserfolg«?
Ich habe soeben das Buch The Knowledge geschrieben. Es handelt von meinem Lieblingsmisserfolg, und weißt du was? Es war selbst ein Misserfolg. Um ganz ehrlich zu sein: Als mein dritter Roman (der wie die ersten beiden nie veröffentlich wurde) auf peinliche Weise abstürzte, war ich Taxifahrer in New York City. Zu dieser Zeit hatte ich seit 15 Jahren versucht, einen Verlag zu finden. Ich beschloss, aufzugeben und nach Hollywood zu ziehen, um zu sehen, ob ich dort Arbeit als Drehbuchautor für Filme finden konnte. Frag mich nicht, welche Filme ich geschrieben habe. Das werde ich nie verraten. Und wenn du es auf andere Weise herausfindest, SEI GEWARNT! Schau sie dir nicht an. Aber die Arbeit »in der Industrie« machte mich zum Profi und hat mir den Weg zu allen Erfolgen geebnet, die am Ende doch noch kamen.
Wenn du an einem beliebigen Ort ein riesiges Plakat mit beliebigem Inhalt aufhängen könntest, was wäre das und warum?
Ich möchte kein Plakat aufhängen, und ich würde alle Plakate abreißen, die irgendjemand anderes aufgehängt hat.
Was ist das beste oder lohnendste Investment, das du je getätigt hast (in Form von Geld, Zeit, Energie etc.)?
Ich habe nie an der Börse investiert und bin außer für mich selbst nie irgendwelche Risiken eingegangen. Ich habe vor langer Zeit beschlossen, nur auf mich selbst zu wetten. Ich riskiere gern zwei Jahre für ein Buch, das wahrscheinlich floppt. Das ist mir egal, immerhin habe ich es versucht. Es hat dann eben nicht funktioniert. Ich glaube daran, in das eigene Herz zu investieren. Das ist wirklich alles, was ich mache. Ich bin ein Sklave der Muse. Mein gesamtes Geld setze ich auf sie.
Welche Überzeugungen, Verhaltensweisen oder Gewohnheiten, die du dir in den letzten fünf Jahren angeeignet hast, haben dein Leben am meisten verbessert?
Ich war schon immer Fitness-Studio-Fan und Frühaufsteher. Aber vor ein paar Jahren wurde ich eingeladen, zusammen mit T. R. Goodman an einem Ort namens Pro Camp zu trainieren. Ja, das ist ein »System«, aber im Grunde ist das, was wir dort tun (definitiv eine Gruppen -Sache, weil drei oder vier von uns zusammen trainieren), einfach harte Arbeit. Ich hasse es, aber es ist großartig. Wenn wir nach dem Training aufbrechen, sagt T. R.: »Nichts, was euch heute passiert, wird härter sein als das, was ihr gerade gemacht habt«.
Wozu kannst du heute leichter Nein sagen als vor fünf Jahren? Welche neuen Erkenntnisse und/oder Ansätze haben dir dabei geholfen?
Vor ein paar Jahren hatte ich Gelegenheit, eine Sicherheitsfirma zu besuchen, also einen der Dienstleister, die Prominente bewachen und ihre Privatsphäre schützen. Die Person, die mich herumführte, erzählte mir, dass das Unternehmen jeden eintreffenden Brief, jede Einladung, jede E-Mail etc. überprüft und entscheidet, was davon an den Kunden weitergeleitet wird. »Wie viele kommen denn durch?«, fragte ich. »Fast nichts«, antwortete mein Freund. Ich beschloss, eingehende E-Mails in Zukunft so zu behandeln wie dieses Unternehmen. Wenn ich der Sicherheitsprofi wäre, der mich vor gefälschten, soziopathischen und hirnlosen Anfragen schützt, welche würde ich aussieben und in den Abfall werfen? Das hat ziemlich geholfen.
Was tust du, wenn dir alles zu viel wird, du nicht mehr fokussiert bist oder deine Konzentration nachlässt?
Ich habe einen Freund im Fitness-Studio, der Jack LaLanne (googel den Namen, falls er dir nichts sagt) kannte. Jack hat immer gesagt, es sei in Ordnung, einen Tag Pause mit dem Training zu machen. Aber an diesem Tag darf man nichts essen. Das ist die kurze Art zu sagen, dass man nicht seine Konzentration verlieren darf. Mach Urlaub. Sammel dich. Aber denk daran: Der einzige Grund dafür, dass du hier auf diesem Planeten bist, ist, dass du deinem Stern folgen und das tun sollst, was die Muse dir sagt. Es ist beeindruckend, wie ein guter Arbeitstag sofort dafür sorgt, dass du dich wieder fühlst, wie du selbst.
Welche schlechten Ratschläge kursieren in deinem beruflichen Umfeld oder Fachgebiet?
Eine sehr, sehr gute Frage. In der Welt des Schreibens will jeder sofort Erfolg haben, und zwar ohne Schmerzen und Anstrengung. Wirklich? Oder schreiben die Leute einfach lieber Bücher über das Schreiben von Büchern, statt wirklich etwas zu schreiben – ein Buch, das vielleicht wirklich von etwas handelt? Schlechte Ratschläge gibt es überall. Bau dir eine Fangemeinde auf. Entwickel eine Plattform. Lerne, wie du das System austricksen kannst. Mit anderen Worten: Mach all die oberflächlichen Dinge und nichts von der eigentlichen Arbeit, die es braucht, um wirklich etwas von Wert zu produzieren. Die Krankheit unserer Zeit ist, dass wir an der Oberfläche leben. Wir sind wie der Platte River, eine Meile breit und nur ein paar Zentimeter tief. »Wenn du Milliardär werden willst, erfinde etwas, das den Leuten die Möglichkeit gibt, in ihrer eigenen Trägheit zu baden«, sage ich immer. So etwas wurde tatsächlich erfunden. Es nennt sich Internet. Soziale Medien. Dieses Wunderland, in dem wir von einer oberflächlichen, hirnlosen Ablenkung zur nächsten schweifen können, immer an der Oberfläche bleiben und nie tiefer gehen als ein paar Zentimeter. Echte Arbeit und echte Befriedigung kommen vom Gegenteil von dem, was im Web zu finden ist. Sie stellen sich ein, wenn man sich tief mit etwas beschäftigt – mit einem Buch, das man schreibt, einem Album, einem Film – und lange, lange dabeibleibt.