»Beschäftigt zu sein, ist eine Entscheidung.«
DEBBIE MILLMAN
TW/IG: @debbiemillman
debbiemillman.com
DEBBIE MILLMAN wurde von Graphic Design USA als »eine der einflussreichsten Designerinnen der heutigen Zeit« bezeichnet. Sie ist Gründerin und Moderatorin von Design Matters , dem weltweit ersten und am längsten bestehenden Podcast über Design, in dem sie fast 300 Design-Visionäre und Kulturexperten befragt hat, darunter Massimo Vignelli und Milton Glaser. Ihre Kunst wurde weltweit ausgestellt. Sie hat Objekte von Packpapier bis zu Strandhandtüchern entworfen, von Grußkarten bis Spielkarten, von Notebooks bis T-Shirts und von Star-Wars-Artikeln bis zu einer neuen Markengestaltung für Burger King weltweit. Millman ist President Emeritus des Design-Verbandes AIGA (als nur eine von fünf Frauen, die in der hundertjährigen Geschichte der Organisation diese Position besetzt haben), redaktionelle und künstlerische Leiterin des Magazins Print und Autorin von sechs Büchern. 2009 hat Millman (zusammen mit Steven Heller) den weltweit ersten Master-Studiengang in Markenführung an der School of Visual Art in New York City auf den Weg gebracht, der internationale Anerkennung fand.
Welches Buch (welche Bücher) verschenkst du am liebsten? Warum? Welche ein bis drei Bücher haben dein Leben am stärksten beeinflusst?
Ein Buch, das mein Leben beeinflusst hat und das ich immer wieder durchlese, ist die Anthologie The Voice That Is Great Within Us: American Poetry of the 20th Century . Sie wurde wunderschön, überlegt und sorgfältig zusammengestellt von Hyden Carruth und war Pflichtlektüre in der Sommer-Vorlesung am College, das ich in den frühen 1980er-Jahren besucht habe. Dieses merkwürdig aussehende Buch hat mich zu dem Gedicht gebracht, das mir am meisten am Herzen liegt und das ich tief fühle, »Maximus to Himself« von Charles Olson. Es ist seitdem zu einer Vorlage für mein Leben geworden, genau wie die Gedichte von Denise Levertov, Adrienne Rich, Ezra Pound, Wallace Stevens und so vielen anderen. Ich habe immer noch mein erstes Exemplar davon. Der Einband ist zwar weg, und der Rücken hat an vielen Stellen Risse, aber ich werde nie ein neues kaufen.
Welche Anschaffung von maximal 100 Dollar hat für dein Leben in den letzten sechs Monaten (oder in letzter Zeit) die größte positive Auswirkung gehabt?
Die Anschaffung, die mich in den vergangenen sechs Monaten am stärksten beeinflusst hat, war der Apple Pencil. Ich zeichne sooo viele meiner Kunstwerke mit der Hand, und jetzt gibt es ein Gerät, das zeichnet und sich anfühlt wie ein »echter« Stift, das ich aber elektronisch nutzen kann. Es hat die Art und Weise, wie ich arbeite, verändert.
Welcher (vermeintliche?) Misserfolg war die Voraussetzung für deinen späteren Erfolg? Hast du einen »Lieblingsmisserfolg«?
Anfang 2003 schickte mir ein guter Freund eine E-Mail mit der Betreffzeile »Vor dem Öffnen reichlich trinken«. Sie enthielt einen Link zu einem Blog mit dem Titel Speak Up , dem ersten Onlineforum über Grafikdesign und Markenführung weltweit. Plötzlich fand ich, direkt vor meinen Augen, einen Artikel, der meine gesamte Karriere herabwürdigte. Dieser Vorfall schickte mich, zusammen mit einer Reihe von früheren Zurückweisungen und Rückschlägen, in eine tiefe Depression, und ich dachte ernsthaft darüber nach, den Design-Beruf vollständig aufzugeben. Doch die 14 Jahre, die seitdem – seit diesem vollständigen Verriss von allem, was ich bis dahin getan hatte (und von allem, das ich selbst schon länger als vollständiges und totales Versagen angesehen hatte) – vergangen sind, wurden zur Grundlage von allem, was ich seitdem gemacht habe. Alles , was ich heute mache, hat seinen Ursprung in dieser Zeit. Wie sich also zeigte, wurde aus der schlimmsten beruflichen Erfahrung, mit der ich je konfrontiert war, die wichtigste und am stärksten prägende Erfahrung meines Lebens.
Wenn du an einem beliebigen Ort ein riesiges Plakat mit beliebigem Inhalt aufhängen könntest, was wäre das und warum?
Auf meinen Plakat würde stehen: »Beschäftigt zu sein, ist eine Entscheidung.« Der Grund dafür: Von den vielen, vielen Ausreden, die Leute dafür vorbringen, dass sie etwas nicht tun können, ist die Ausrede »Ich bin zu beschäftigt« nicht nur die unaufrichtigste, sondern auch die faulste. Ich glaube nicht an »zu beschäftigt«. Wie gesagt, beschäftigt zu sein, ist eine Entscheidung. Wir tun das, was wir tun wollen, fertig. Wenn wir sagen, dass wir zu beschäftigt sind, ist das eine andere Formulierung für »nicht interessant genug«. Es bedeutet, dass man lieber eine andere Sache machen möchte, die man für wichtiger hält. Diese »Sache« könnte schlafen sein, Sex haben oder Game of Thrones schauen. Wenn wir Beschäftigtsein als Ausrede verwenden, um etwas nicht zu tun, sagen wir in Wirklichkeit, dass wir es für nicht wichtig genug halten.
Einfach ausgedrückt: Man findet nicht die Zeit, um etwas zu tun, man verschafft sie sich.
Heute leben wir in einer Gesellschaft, die Beschäftigtsein als Auszeichnung ansieht. Es ist zu einem kulturellen Gütesiegel geworden, die Ausrede »Ich bin zu beschäftigt« als Grund dafür zu benutzen, nichts von dem zu tun, auf das wir keine Lust haben. Das Problem dabei ist: Wenn du dir die Freiheit gönnst, etwas aus einem beliebigen Grund nicht zu tun, dann wirst du es nie tun. Wenn du etwas tun willst, darfst du Beschäftigtsein dem nicht im Weg stehen lassen, nicht einmal, wenn du wirklich beschäftigt bist. Verschaff dir die Zeit, die du brauchst, um die Dinge zu tun, die du tun willst, und dann tu sie.
Was ist das beste oder lohnendste Investment, das du je getätigt hast (in Form von Geld, Zeit, Energie etc.)?
Meine beste Investition aller Zeiten war eine Psychotherapie. Als ich damit begann, war ich Anfang 30, und die Rechnungen dafür haben mich im Grunde ruiniert. Aber ich wusste, dass ich all die destruktiven Dinge, die ich tat, eingehend verstehen musste, wenn ich versuchen wollte, ein bemerkenswertes Leben zu führen, und das wollte ich mehr als alles andere. Über die Jahre habe ich die Rechnungen immer mal wieder als schmerzlich empfunden, aber nie daran gezweifelt, dass diese Investition grundlegenden Einfluss darauf hatte, wer ich geworden bin. Ich glaube zwar, dass ich immer noch etwas Arbeit vor mir habe, aber die Therapie hat mein Leben auf jede erdenkliche Weise erst verändert und dann gerettet.
Ich befinde mich in einer psychoanalytischen Psychotherapie (anders ausgedrückt: einer Psychoanalyse mit Schwerpunkt auf »Selbstpsychologie«). Für mich ist Gesprächstherapie die einzige Form, zu der ich mich je hingezogen gefühlt habe. Sachen wie EMDR (Augenbewegungs-Desensibilisierung) und Verhaltenstherapie haben für mich zu sehr Voodoo-Charakter.
Ein paar Sachen, die meiner ganz persönlichen Meinung nach bedacht werden sollten:
* Nur eine Therapiestunde pro Woche funktioniert nicht gut. Zweimal oder öfter sorgt für Kontinuität und gibt dir eine Chance zum Reifen, wie es bei nur einer Sitzung pro Woche nicht möglich ist. Außerdem fühlt sich einmal pro Woche wie »Nachholen« an.
* Therapien brauchen Zeit. Du brauchst Entschlossenheit, Durchhaltevermögen, Widerstandsfähigkeit, Hartnäckigkeit und Mut. Eine Therapie ist keine schnelle Lösung, aber sie hat mein Leben gerettet.
* Erzähle deinem Therapeuten alles. Wenn du etwas weglässt oder wenn du vorgibst, etwas zu sein, das du nicht bist, oder wenn du projizierst, wer du sein willst oder wie du gesehen werden willst, wirst du viel länger brauchen. Sei einfach du selbst. Wenn du Angst hast, dass dein Therapeut dich verurteilen könnte, sprich das aus. Es ist wichtig, über all diese Sachen zu reden.
* Es ist keine Schande, sich zu schämen. Fast jeder tut es, und die Therapie wird dir dabei helfen, das zu verstehen. Nichts ist wichtiger, als deine Motivationen und Unsicherheiten zu verstehen, denn das hilft dabei, diese Gefühle auf die gesündeste und authentischste Weise in deine Psyche zu integrieren.
* Ich würde nicht empfehlen, zu einem Therapeuten zu gehen, zu dem auch ein Freund von dir geht (die meisten guten Therapeuten beachten diese Regel inzwischen selbst). Ansonsten wird die Sache unscharf und die Abgrenzung schwierig.
* Ja, es wird viel Geld kosten. Aber was ist wertvoller, als zu verstehen, wer du bist, mit tief sitzenden schlechten Angewohnheiten zu brechen, einen Großteil deiner Probleme hinter sich zu lassen (oder zumindest zu verstehen, was es damit auf sich hat) und ganz allgemein ein glücklicheres, zufriedeneres und friedlicheres Leben zu führen?
* Jedem, der einen Therapeuten sucht, würde ich raten, einen ausgebildeten Arzt oder einen Diplom-Psychologen mit Zusatzqualifikation zu nehmen.
Was ist eine deiner – gern auch absurden – Eigenheiten, auf die du nicht verzichten möchtest?
Weil ich gern blödsinnige Lieder erfinde und dann bei allen möglichen absurden Situationen und Gelegenheiten singe, wurde mir gesagt, ich würde versuchen, mein Leben zu einem Hollywood-Musical zu machen. Da kann ich wahrscheinlich nicht widersprechen.
Welche Überzeugungen, Verhaltensweisen oder Gewohnheiten, die du dir in den letzten fünf Jahren angeeignet hast, haben dein Leben am meisten verbessert?
Nach einem Interview mit der großartigen Schriftstellerin Dani Shapiro für Design Matters haben wir angefangen, über die Bedeutung von Selbstvertrauen für den Erfolg zu sprechen. Sie hat irgendwann gesagt, dass sie das Gefühl hat, Selbstvertrauen werde deutlich überschätzt. Ich war sofort fasziniert. Wie sie erklärte, fand sie, dass die meisten übermäßig selbstsicheren Menschen wirklich unangenehm sind. Und die Menschen mit dem größten Selbstvertrauen seien normalerweise arrogant. Für sie war es ein sicheres Anzeichen, dass jemand irgendein inneres psychologisches Defizit kompensiert, wenn er vor Selbstvertrauen strotzt.
Mut sei wichtiger als Selbstvertrauen, erklärte Dani. Wenn man auf der Grundlage von Mut agiert, dann sagt man, dass man ein Risiko eingeht und einen Schritt in die Richtung von dem macht, was man will, ganz egal, was für ein Gefühl zu sich selbst man hat und was man als Ergebnis erwartet. Man wartet nicht darauf, dass sich auf mysteriöse Weise das nötige Selbstvertrauen einstellt. Inzwischen glaube ich, dass Selbstvertrauen durch wiederholte Erfolge bei verschiedensten Vorhaben entsteht. Je mehr man sich in etwas übt, desto besser wird man darin, und mit der Zeit wächst dann auch das Selbstvertrauen.
Welchen Rat würdest du einem intelligenten, motivierten Studenten für den Einstieg in die »echte Welt« geben? Welchen Rat sollte er ignorieren?
Seit ich als Dozentin arbeite, habe ich viele Meinungen darüber, welchen Rat man Studenten geben könnte. Ich glaube, einer der wichtigsten davon betrifft die Jobsuche. Wie bei allen anderen bedeutenden Angelegenheiten im Leben braucht es auch bei der Jobsuche Übung, um gut darin zu werden. Einen tollen Job findet man nicht einfach und bekommt ihn dann. Man findet einen Job und gewinnt ihn gegen einen Pool von sehr ernst zu nehmenden Bewerbern, die den Job vielleicht genau so gerne haben wollen wie man selbst oder vielleicht sogar noch lieber. Einen tollen Job zu finden und zu gewinnen, ist ein sportlicher Wettkampf, der so viel berufliche Sportlichkeit und Durchhaltevermögen erfordert wie eine Qualifikation für die Olympischen Spiele. Um zu gewinnen, muss man in seiner bestmöglichen Karriere-Form sein.
Glück spielt eine sehr geringe Rolle. Um einen Traumjob zu bekommen, braucht es Durchhaltevermögen, Biss, Genialität und das richtige Timing. Was dir wie Glück erscheinen kann, ist schlicht harte Arbeit, die sich auszahlt. Meinen Studenten sage ich, dass sie sich die folgenden Fragen selbst stellen sollen, wenn sie sich auf ihren Weg in die »echte« Welt machen:
* Verbringe ich genügend Zeit damit, einen tollen Job zu suchen, zu finden und daran zu arbeiten, ihn zu bekommen?
* Überarbeite und verbessere ich kontinuierlich meine Fähigkeiten? Wo kann ich noch besser und konkurrenzfähiger werden?
* Glaube ich, dass ich härter arbeite als alle anderen? Falls nicht, was kann ich noch tun?
* Was machen die Leute, mit denen ich konkurriere, das ich nicht mache?
* Tue ich alles, was ich kann, und zwar jeden einzelnen Tag, um in guter »Karriere-Form« zu bleiben? Falls nicht, was könnte ich noch machen?
Ein Ratschlag, den Studenten meiner Meinung nach ignorieren sollten, ist der angebliche Wert, ein »Menschen-Mensch« zu sein. Niemand interessiert sich dafür, ob du ein geselliger Mensch bist . Lieber solltest du einen Standpunkt haben und sinnvoll, überlegt und überzeugt darüber sprechen.
Welche schlechten Ratschläge kursieren in deinem beruflichen Umfeld oder Fachgebiet?
Ich glaube nicht an Work-Life-Balance. Was ich glaube, ist: Wenn du deine Arbeit als Berufung verstehst, ist sie eher eine Freude als eine Mühsal. Wenn deine Arbeit eine Berufung ist, erlebst du deine Arbeitsstunden nicht als schrecklich und zählst nicht die Minuten bis zum Wochenende. Deine Berufung kann zu einer lebensbejahenden Motivation werden, die ihr eigenes Gleichgewicht und spirituelle Nahrung mit sich bringt. Ironischerweise braucht es harte Arbeit, um an diesen Punkt zu kommen.
Wenn du 20 oder 30 Jahre alt bist und eine bemerkenswerte, erfüllende Karriere anstrebst, musst du hart arbeiten. Wenn du nicht härter arbeitest als alle anderen, kommst du nicht weiter. Und noch mehr: Wenn du mit 20 oder 30 Jahren nach Work-Life-Balance suchst, steckst du wahrscheinlich im falschen Beruf. Wenn du etwas tust, das du liebst, brauchst du keine Work-Life-Balance.
Was tust du, wenn dir alles zu viel wird, du nicht mehr fokussiert bist oder deine Konzentration nachlässt?
Als gebürtige New Yorkerin mit großer Klappe habe ich hinterher oft bereut, dass ich impulsiv gehandelt habe, wenn ich wütend oder frustriert war. Wenn ich heute diesen vertrauten Drang verspüre, mich zu rechtfertigen oder Dinge zu sagen, die ich nicht wirklich meine, oder eine beleidigte Antwort über E-Mail oder SMS loszujagen, warte ich einfach. Ich zwinge mich selbst, zu atmen, einen Schritt zurückzutreten und mit der Antwort zu warten . Schon eine oder zwei Stunden oder etwas Nachtruhe machen einen riesigen Unterschied. Und wenn sonst nichts mehr funktioniert, versuche ich, die Botschaft zu beachten, die ich in einem chinesischen Glückskeks gefunden habe (und die seitdem an meinem Laptop klebt): »Vermeide es, die Dinge zwanghaft schlechter zu machen.«