»Früher habe ich Hindernisse auf meinem Weg gehasst und gedacht: ›Wenn nur das nicht passiert wäre, wäre das Leben so gut.‹ Dann wurde mir plötzlich klar, die Hindernisse sind
das Leben, es gibt keinen eigentlichen Weg.«
JANNA LEVIN
ist Professorin für Physik und Astronomie am Barnard College der Columbia University und hat Beiträge zum Verstehen von schwarzen Löchern, der Kosmologie von zusätzlichen Dimensionen und Gravitationswellen in der Form der Raumzeit geliefert. Außerdem ist sie wissenschaftliche Leiterin von Pioneer Works, einem Kulturzentrum, das fachübergreifenden Experimenten, Bildungsprojekten und Produktionen gewidmet ist. Zu ihren Büchern zählen How The Universe Got Its Spots
und der Roman A Madman Dreams of Turing Machines
, der mit dem PEN/Bingham-Preis ausgezeichnet wurde. Vor kurzem wurde Levin zur Guggenheim-Stipendiatin, eine Auszeichnung für Personen, »die außergewöhnliche Fähigkeiten bei produktiver Forschung gezeigt haben«. Ihr neuestes Buch Black Hole Blues and Other Songs from Outer Space
ist ein Insider-Bericht über die Entdeckung des Jahrhunderts: die Klänge der Raumzeit, die durch die Kollision von zwei schwarzen Löchern vor mehr als einer Milliarde Jahren entstanden sind.
Welcher (vermeintliche?) Misserfolg war die Voraussetzung für deinen späteren Erfolg? Hast du einen »Lieblingsmisserfolg«?
Misserfolg wird hochgradig unterschätzt. Es gibt eine Anekdote über Einstein, auf die ich erst vor kurzem gestoßen bin. Im Jahr 1915 dachte er, dass Gravitationswellen – Wellen in der Form der Raumzeit – die wichtigste Konsequenz seiner allgemeinen Relativitätstheorie seien. Ein paar Jahre später korrigierte er sich selbst und behauptete, es gäbe sie gar nicht. Eine Zeitlang schwankte er zwischen diesen beiden Positionen hin und her. Mehrere Jahre später reichte er einen Fachaufsatz zur Veröffentlichung ein, in dem er behauptete, Gravitationswellen würden nicht existieren. Irgendwann zwischen Annahme und Drucklegung schmuggelte er ein vollkommen neues Manuskript herein, in dem es heißt, sie würden doch existieren. »Einstein, du musst vorsichtig sein«, warnte ihn ein Freund, »dein berühmter Name wird auf diesen Aufsätzen stehen.« Einstein hat gelacht – »Mein Name steht auf vielen falschen Aufsätzen«, sagte er. Im Jahr 1930 erklärte er, er wisse nicht, ob es Gravitationswellen gibt, aber das sei eine überaus wichtige Frage. 2015, 100 Jahre nachdem Einstein erstmals ihre Existenz angesprochen hatte, zeichnete ein riesiges, milliardenteures Experiment Gravitationswellen aus der Kollision zweier schwarzer Löcher vor mehr als einer Milliarde Jahren auf – Wellen, die entstanden, lange bevor Menschen auf der Erde erschienen. Wir scheuen Misserfolge, aber so verhindern wir auf subtile Weise auch Erfolg.
Mein persönlicher Lieblingsmisserfolg ist meine erste kosmologische Theorie. Als ich lernte, dass die Erde rund ist, glaubte ich, wir würden innerhalb der Sphäre leben. Als dann eine andere Möglichkeit in den Fokus rückte, war ich enttäuscht und gleichzeitig begeistert: Wir leben auf
der Sphäre. Unglaublich. In der Wissenschaft geht es nicht darum, von vornherein richtig zu liegen oder die Antwort zu kennen. Wissenschaft ist motiviert vom menschlichen Drang, unter großen Mühen etwas zu entdecken.
Was ist das beste oder lohnendste Investment, das du je getätigt hast (in Form von Geld, Zeit, Energie etc.)?
Vor kurzem habe ich ungefähr 280 Quadratmeter bei Pioneer Works renoviert, einem spektakulären Kulturzentrum für Kunst, Musik, Film und jetzt auch Wissenschaft. Das Gebäude befindet sich in einer ehemaligen Eisenfabrik auf dem Wasser im Viertel Red Hook in Brooklyn. Wir hatten keinen Architekten für die Renovierung, keine Pläne, keine Zeichnungen, keine Maße. Ich habe mit dem Gründer Dustin Yellin und mit dem Leiter Gabriel Florenz zusammengestanden, und die meiste Zeit über haben wir geschrien und gelacht oder geschrien und gestritten. Irgendjemand sagte: Ich will dort einen Raum. Ich will nur Glas. Ich
will kein Glas. Ich will Wände. Ich will keine Wände. Hier muss eine Tür hin. Und jeder von uns gab ab und zu den anderen nach, während der unglaublich talentierte Baumeister Willie Vantapool zuhörte, unsere Ideen zusammenführte und daraus etwas machte, das sich als überraschend zusammenhängende Gestaltung erwies. Für mich als sehr zum Theoretischen neigende Physikerin war das die körperlichste Arbeit bei irgendeinem kreativen Projekt, die ich je unternommen hatte, und eine der riskantesten Investitionen, über die ich je nachgedacht hatte. Während ich diese Fragen beantworte, sitze ich in den neuen Science Studios und bewundere das Ergebnis. Der Raum ist beeindruckend und einladend und inspirierend. Wir bauen die Welt, die wir bewohnen wollen, und dabei haben wir in einem unkonventionellen Umfeld einen bemerkenswerten, ungewöhnlichen Raum für die Wissenschaft geschaffen. Wissenschaft gehört in die Welt für alle, denn, wie ich mir zu sagen angewöhnt habe, sie ist ein Teil der Kultur.
Welche Überzeugungen, Verhaltensweisen oder Gewohnheiten, die du dir in den letzten fünf Jahren angeeignet hast, haben dein Leben am meisten verbessert?
Früher habe ich Hindernisse auf meinem Weg gehasst und gedacht: ›Wenn nur das nicht passiert wäre, wäre das Leben so gut.‹ Dann wurde mir plötzlich klar, die Hindernisse sind
das Leben, es gibt keinen eigentlichen Weg. Unsere Aufgabe auf der Erde ist, besser darin zu werden, mit diesen Hindernissen zurechtzukommen. Ich bemühe mich darum, ruhige, angemessene Reaktionen zu finden und Hemmnisse als Gelegenheit zum Lösen von Problemen anzusehen. Häufig falle ich in alte Frustrationen zurück, aber dann erinnere ich mich daran, dass dies eine Gelegenheit ist, mich zu steigern. Ich kann Konflikte als Chance betrachten, mit Lösungen zu experimentieren.
Wozu kannst du heute leichter Nein sagen als vor fünf Jahren?
Ich bin schrecklich schlecht darin, Nein zu sagen. Wirklich schlecht. Ich werde mir die anderen Antworten durchlesen, um mir Ratschläge zu diesem Punkt zu holen.