»Wir brauchen eine neue Diversität – nicht auf der Grundlage von biologischen Eigenschaften und Identitätspolitik, sondern eine Diversität der Meinungen und Weltsichten.«
AYAAN HIRSI ALI
ist Frauenrechtlerin, Verteidigerin der Meinungsfreiheit und Bestsellerautorin. Als kleines Mädchen in Somalia wurde sie Opfer einer Genitalverstümmelung. Als ihr Vater sie zwang, einen entfernten Cousin zu heiraten, floh sie in die Niederlande und beantragte dort politisches Asyl; von der Putzfrau arbeitete sie sich dann zum gewählten Mitglied des niederländischen Parlaments hoch. Als Abgeordnete setzte sie sich für mehr Bewusstsein für Gewalt gegen Frauen wie Ehrenmorde und Genitalverstümmelungen ein – Praktiken, die Migranten wie ihr bis in die neue Heimat gefolgt waren. Im Jahr 2004 wurde Ali nach dem Mord an Theo van Gogh, der Regie bei ihrem Kurzfilm Submission
über die Unterdrückung von Frauen im Islam geführt hatte, weltweit bekannt. Der Attentäter hinterließ auf der Brust von van Gogh eine Todesdrohung auch für sie. Über dieses tragische Ereignis berichtet sie in ihrem Bestsellerbuch Infidel
. Außerdem hat Ali die Bücher Caged Virgin, Nomad
und zuletzt den Bestseller Heretic: Why Islam Needs a Reformation Now
geschrieben.
Welches Buch (welche Bücher) verschenkst du am liebsten? Warum? Welche ein bis drei Bücher haben dein Leben am stärksten beeinflusst?
The Open Society and Its Enemies
von Karl Popper, erstmals veröffentlicht im Jahr 1945. Als ich noch in der Politik war, habe ich es oft meinen Politiker-Freunden gegeben, und heute gebe ich es Studenten. Eine der wichtigsten Lehren aus dem Buch ist für mich, dass sehr viele schlechte Ideen, die autoritäre Folgen haben, mit guten Absichten beginnen. Das ist eine zeitlose Erkenntnis.
Als ich in der niederländischen Politik aktiv war, war ich von Politikern mit wunderbaren Absichten umgeben. Sie wollten Gutes tun und den Staat mit immer umfangreicheren Programmen in jeden Bereich des Lebens involvieren, aber diese guten Absichten führten dazu, immer größere Teile vom Leben der Menschen zu kontrollieren. Wir haben darüber diskutiert, ob der Staat kostenlose Kinderbetreuung bereitstellen sollte. Das hört sich gut an und beruhte auf der guten Absicht, Eltern zu unterstützen, die ihre Karriere nicht unterbrechen wollen. Aber in der Praxis bedeutete es, dass die Regierung zum Ersatz für einen Partner wurde. Eltern mussten dem Staat gegenüber persönliche Informationen offenlegen, und es wurde diktiert, wie das Geld der Bürger ausgegeben wird und wie Kinder aufgezogen werden müssen. Der Preis dafür, die Autorität von Eltern an die Regierung abzugeben, war schlicht zu hoch. Das ist nur ein kleines Beispiel, aber es zeigt, wie sehr der Staat Kontrolle liebt. Popper hätte diese Vorstellung nicht gefallen.
Wenn du an einem beliebigen Ort ein riesiges Plakat mit beliebigem Inhalt aufhängen könntest, was wäre das und warum?
»Wir brauchen eine neue Diversität – nicht auf der Grundlage von biologischen Eigenschaften und Identitätspolitik, sondern eine Diversität der Meinungen und Weltsichten.«
Welchen Rat würdest du einem intelligenten, motivierten Studenten für den Einstieg in die »echte Welt« geben? Welchen Rat sollte er ignorieren?
Studenten sollten mit einem offenen Geist zur Universität gehen. Ich rate ihnen, all den Absolutismus um sie herum zu ignorieren, in Bezug auf Ideen wie auf Menschen. Wenn man ihnen sagt, dass bestimmte Ideen oder Menschen falsch, hasserfüllt oder beleidigend sind, sollte in ihrem Kopf eine Glühbirne aufleuchten. In diesem Moment sollte ihre Neugier angestachelt werden, für sich selbst herauszufinden, ob etwas wirklich »schlecht« ist. Sich eine Haltung des kritischen Denkens anzueignen, ist das Wichtigste überhaupt, wenn man irgendetwas lernen möchte.
Viele Studenten kommen voller wunderbarer Absichten zu mir und hoffen darauf, die Welt zu verändern. Sie wollen ihre Zeit damit verbringen, den Armen und Benachteiligten zu helfen. Ich sage ihnen, sie sollen erst einmal ihren Abschluss machen und viel Geld verdienen und sich erst dann überlegen, wie sie bedürftige Menschen am besten unterstützen können. Viel zu oft ist es so, dass Studenten benachteiligten Menschen nicht richtig helfen können, auch wenn es sich gut für sie anfühlt, wenn sie es versuchen. Ich habe sehr viele Studenten gesehen, die jetzt Ende 30 oder 40 sind und mit ihrem Geld kaum auskommen. Sie haben ihre Zeit auf der Universität damit verbracht, Gutes zu tun, statt an ihrer Karriere und ihrer Zukunft zu arbeiten. Heute warne ich sie, sorgfältig mit ihrer wertvollen Zeit umzugehen und sorgfältig darüber nachzudenken, wann die richtige Zeit zum Helfen ist. Es ist ein abgenutztes Klischee, aber man muss sich selbst helfen, bevor man anderen helfen kann. Bei idealistischen Studenten stößt das zu oft auf taube Ohren.
Häufig werde ich gefragt, ob man im privaten oder im öffentlichen Sektor arbeiten sollte. Ich rate immer zum privaten Sektor, und ich wünschte, ich hätte das getan, bevor ich in die Politik und den öffentlichen Sektor gegangen bin. Im privaten Sektor lernt man wichtige Fähigkeiten wie unternehmerisches Denken, die man später in jedem Arbeitsbereich nutzen kann.