»Wenn man einen Schritt nach vorn machen möchte, muss man den hinteren Fuß anheben, ansonsten kommt man nicht voran.«
RICHA CHADHA
TW: @RichaChadha
IG: @therichachadha
RICHA CHADHA ist eine preisgekrönte indische Schauspielerin, die in Bollywood-Filmen zu sehen ist. Ihr Debüt hatte sie in der Komödie Oye Lucky! Lucky Oye! , den Durchbruch schaffte sie mit einer Nebenrolle in Gangs of Wasseypur , einem finsteren Gangsterfilm: Für ihre Rolle als kämpferische und mit einem extrem losen Mundwerk ausgestattete Ehefrau eines Gangsters wurde sie mit einem Filmfare Award ausgezeichnet, dem indischen Oscar-Äquivalent. Im Jahr 2015 hatte sie ihre erste Hauptrolle in dem Drama Masaan , das bei der Vorführung beim Filmfestival in Cannes mit stehendem Applaus gefeiert wurde.
Welches Buch (welche Bücher) verschenkst du am liebsten? Warum? Welche ein bis drei Bücher haben dein Leben am stärksten beeinflusst?
Das Buch, das ich am häufigsten verschenke, ist Autobiography of a Yogi (von Paramahansa Yogananda). Es erinnert mich daran, dass Menschen die einzige Spezies sind, die darauf konditioniert ist, an ihrem Überleben zu zweifeln. Pflanzen wachsen und vertrauen darauf, dass die Natur sie ernähren wird; Tiere leben trotz gefährlicher Bedingungen in der freien Wildbahn. Dieses Buch hat mich daran erinnert, auch an einem Tiefpunkt in meinem Leben Vertrauen zu haben, also gebe ich es sooft wie möglich weiter, um andere Menschen aus ihrem Unglück zu holen.
In meinen prägenden Jahren wurde ich sehr von Alice’s Adventures in Wonderland beeinflusst. Ich lebe mein Leben noch heute mit großen, verwunderten Augen wie ein Kind. Shame von Salman Rushdie habe ich mit 15 Jahren gelesen. Es war in diesem Alter schwer für mich, hatte aber ebenfalls großen Einfluss. Und No Logo von Naomi Klein hat meinen Blick auf Konsumismus und Gier verändert.
Welche Anschaffung von maximal 100 Dollar hat für dein Leben in den letzten sechs Monaten (oder in letzter Zeit) die größte positive Auswirkung gehabt?
In meinem Fall war das wohl der Kauf eines Profi-Abonnements für mein Konto bei der IMDb (InternetMeineDatabase), damit Menschen aus der ganzen Welt mich leicht finden können.
Welcher (vermeintliche?) Misserfolg war die Voraussetzung für deinen späteren Erfolg? Hast du einen »Lieblingsmisserfolg«?
Ich wurde mit Tricks dazu gebracht, bei einem Film mitzumachen, in dem meine Rolle anschließend stark gekürzt wurde, sodass nur eine einzige Sprechszene für mich übrigblieb. Der Film war eine totale Katastrophe an den Kinokassen, aber er hat mir sehr geschadet. Meine Kollegen begannen zu glauben, dass ich aus Verzweiflung für kleinere, unbedeutende Auftritte zu haben war, was absolut nicht stimmte. Das hat mich um Jahre zurückgeworfen. Diese Art von offener Korruption ist in der indischen Filmindustrie zwar nichts Neues, aber trotzdem war ich geschockt und deprimiert.
Als die Kritiken erschienen, lobten sie meine Arbeit, und ich habe sie als versteckten Segen begriffen. Wenn eine einzige Szene solche Wirkung haben konnte, wie wäre es dann erst mit einem ganzen Film? Ein Jahr später ging es mir bestens. Ich gehörte zur Stammbesetzung für Inside Edge , die erste in Indien produzierte Serie, und mit einer Reihe von Produktionen aus Indien und aller Welt habe ich mir meine Glaubwürdigkeit zurückerarbeitet.
Wahrscheinlich habe ich diesen Schock gebraucht. In meinem Beruf oder auch in jedem anderen blind zu vertrauen, ist nie eine gute Idee. Die meisten Menschen sind von Eigeninteressen oder Gewinn getrieben, und wir dürfen sie dafür nicht verurteilen. Wir können aber klarmachen, dass wir uns nicht alles gefallen lassen, sodass die Leute wissen, dass wir nicht einfach tatenlos herumsitzen, wenn sie Ärger machen.
Wenn du an einem beliebigen Ort ein riesiges Plakat mit beliebigem Inhalt aufhängen könntest, was wäre das und warum?
»Sei so gut, dass sie dich nicht ignorieren können« ist das Motto, nach dem ich lebe. Ich beginne bei jedem Projekt ganz von vorn. Ich vergesse, wer ich bin, und meine früheren Erfolge. Das hält mich am Boden und sorgt dafür, dass ich härter arbeite.
In meiner Branche gibt es eine Menge Vetternwirtschaft. Wenn du googelst, wer die größten Stars sind, wirst du feststellen, dass die meisten von ihnen, vor allem die männlichen, in das Filmgeschäft hineingeboren wurden. Es dauert seine Zeit, aber wenn man konsistent gut ist in dem, was man macht, kann man den Erfolg irgendwann zumindest als seinen eigenen bezeichnen.
Was ist das beste oder lohnendste Investment, das du je getätigt hast (in Form von Geld, Zeit, Energie etc.)?
Mein Vater hat mir geraten, an einem Kurs mit dem Titel »Geld und Du« teilzunehmen, der auf den Ideen von Buckminster Fuller basierte. Er dauerte vier Tage und fand in Kuala Lumpur statt. An den ersten zwei Tagen ging es um Geld und an den nächsten beiden um das »Du«. Es war sehr ausgewogen, hat mir beigebracht, Geld anders zu betrachten, und mir in einem jungen Alter ein Gefühl für Unternehmertum gegeben. Ich habe 500 Dollar dafür bezahlt.
Was ist eine deiner – gern auch absurden – Eigenheiten, auf die du nicht verzichten möchtest?
Ich benutze für jeden Film ein neues Parfüm. Ich habe mir überlegt, dass ich von den insgesamt fünf Sinnen nur mit dem Geruchssinn spielen kann. Ich wähle das Parfüm nach der Welt und dem Milieu des Films und den Eigenschaften seiner Charaktere aus.
In dem Film Gangs of Wasseypur habe ich eine Dorfbewohnerin gespielt. Dafür habe ich Green Tea Lotus von Elizabeth Arden genommen. In Fukrey habe ich einen Gangster gespielt und Provocative Woman von Elizabeth Arden getragen. Für meine Amazon-Serie Inside Edge habe ich Chanel No. 5 benutzt, weil ich darin einen Filmstar spiele.
Das ist eine Marotte, die mir Spaß macht, weil ich sehr gerne gut rieche. Ich mache kein Method-Acting, aber das hilft mir dabei, leicht in die Rolle einer Figur zu schlüpfen. Wenn ich aus meinem Wohnwagen komme, wissen die Assistenten, dass ich es bin. Ich gehe schon in meiner Rolle zum Set.
Wahrscheinlich ist das ein ziemlich billiges Vergnügen.
Welche Überzeugungen, Verhaltensweisen oder Gewohnheiten, die du dir in den letzten fünf Jahren angeeignet hast, haben dein Leben am meisten verbessert?
Ich habe festgestellt, dass ich inzwischen stärker dazu neige, das Gesamtbild zu sehen.
Kino hat als Geschäftsmodell im Hindi-sprechenden Indien große Probleme. Es gibt nicht genügend Leinwände, um die Produktionen unterzubringen, die Steuern bei Unterhaltung verschlingen 51 Prozent, und mit Raubkopien wird dreimal so viel Umsatz gemacht wie mit legalen Filmen.
All das geschieht, während der digitale Vertrieb in einem beispiellosen Tempo wächst. Als ich beschlossen habe, bei einer Digital-Serie mitzumachen, dachten die Leute, das wäre ein Abstieg. Sie haben sich geirrt.
Wenn man das Gesamtbild betrachtet, bekommt man eine bessere Perspektive. Es ist so, wie wenn man mit dem Flugzeug abhebt: Man erkennt dann, wie klein der Kokon der eigenen Probleme in Wirklichkeit ist.
Welchen Rat würdest du einem intelligenten, motivierten Studenten für den Einstieg in die »echte Welt« geben? Welchen Rat sollte er ignorieren?
Das Bildungssystem bringt im Großen und Ganzen jeden dazu, sich an die festen Regeln einer Branche zu halten. Das ist zwar eine idiotensichere Methode, um einen Job zu bekommen und ein normales Leben zu führen. Aber nur sehr wenige Menschen schaffen es, aus dem Zyklus des Banalen auszubrechen und abenteuerlustig, erfinderisch und selbstlos zu werden. Das Sicherheitsnetz bei einem regulären Job ist einfach zu bequem.
Als ich meinen Eltern sagte, dass ich nicht vorhatte, meinen Abschluss in Journalismus zu nutzen, und stattdessen nach Mumbai ziehen wollte, um Schauspielerin zu werden, waren sie besorgt. Aber sie haben mich auch unterstützt.
Meine Mutter sagte zu mir: »Wenn man einen Schritt nach vorn machen möchte, muss man den hinteren Fuß anheben, ansonsten kommt man nicht voran.«
Welche schlechten Ratschläge kursieren in deinem beruflichen Umfeld oder Fachgebiet?
Ich hatte meine gesamte Laufbahn über mit »wohlmeinenden Menschen« und »Beratern« zu tun. Sie sagen mir, was ich nicht tun soll. Die Leute geben Empfehlungen auf der Grundlage von dem, was sie für am sichersten halten, oder auf der Grundlage ihrer Einschätzung, wer man ist und was man sein sollte. Damit definieren sie unsichtbare Grenzen für das, was man im Leben erreichen kann, und geben diese Grenzen unbeabsichtigt an andere weiter.
Mir wurde gesagt, ich solle keine Independent-Filme machen (dabei verdanke ich denen meine Karriere), ich solle mich kleiden wie andere (und so zu einem modebewussten homogenisierten Klon ohne Identität werden), einen reichen Mann treffen oder heiraten (wieder das Sicherheitsnetz) und mich nicht zu deutlich zu politischen Themen äußern (egal, wo man ist, man muss einen Preis dafür bezahlen, dass man seine Ansichten vertritt, und ich war bereit dazu).
Diese Sachen sind einfach, aber vielleicht nicht immer leicht.
Wozu kannst du heute leichter Nein sagen als vor fünf Jahren?
Ich bin besser darin geworden, Nein zu Sachen und Menschen (einschließlich Freunden und Familie) zu sagen, die mir Energie rauben. Das ist nicht leicht, vor allem nicht, wenn man Menschen gern eine Freude macht.
Wenn ich direkt und ehrlich über meine Bedürfnisse spreche, stelle ich aber fest, dass niemand beleidigt ist, wenn ich Nein sage. Wer doch beleidigt ist, interessiert sich vielleicht nicht für meine Bedürfnisse.
Was tust du, wenn dir alles zu viel wird, du nicht mehr fokussiert bist oder deine Konzentration nachlässt?
Dafür habe ich verschiedene Ansätze. Erstens schreibe ich Tagebuch, das gibt mir Klarheit. Ich mache das, seit ich ungefähr zehn Jahre alt war. Wenn ich mir heute meine Aufzeichnungen aus der Schulzeit ansehe, habe ich große Freude daran, zu sehen, wie weit ich mich intellektuell und beruflich entwickelt habe. Ich lebe meinen Traum. Als Studentin habe ich später viel Tagebuch geschrieben. Es sah aus wie ein Sammelalbum, mit Bildern und Zitaten, die mich inspirierten. Heute schreibe ich mindestens dreimal pro Woche etwas auf, und wie viel Zeit ich dafür investiere, hängt direkt von meiner geistigen Verfassung ab. Wenn ich nachdenklich oder verwirrt bin, wird es meistens etwas mehr. Ich führe ein Tagebuch, in dem alles enthalten ist: meine To-do-Liste (die ich in persönlich und beruflich unterteile), Überlegungen, meine Gefühle über ein Ereignis, das mich berührt hat, und manchmal pure Dankbarkeit. Ich kaufe dafür immer interessante Bücher und bunte Stifte. Jetzt gerade nutze ich eines von Wonder Woman und Neon-Stifte. Das könnte man für kindisch halten, aber die unterschiedlichen Farben helfen mir, mehr festzuhalten und Spaß an der Sache zu haben.
Ich meditiere. Wenn es in meinem Kopf drunter und drüber geht, ist das eine Herausforderung. Meistens beginne ich, indem ich mich auf meine Atmung konzentriere. Ich zähle von 10 bis 1 herunter, während ich ausatme und in die Meditation rutsche. Es dauert ungefähr 20 Minuten, relativ frei von Gedanken zu werden. Manchmal fühlt es sich an, als würde ich schlafen, aber ich weiß, dass Wachträume Meditation sind. Das hilft immer. Es gab keine einzige Gelegenheit in meinem Leben, bei der ich über etwas meditiert habe und das nichts genützt hat. Entweder meditiere ich gleich morgens oder, wenn ich bei anstrengenden Dreharbeiten bin, nach dem Mittagessen.
Ich spreche mit meinem Vater. Er ist mein Freund und Mentor, und als Lebenscoach und Verhaltenspsychologe hält er mich geerdet und auf der Spur.
Ich mache eine Pause. Ich befreie meine Katze von Zecken, liege lange in der Badewanne, gehe wandern, verbringe Zeit in der Natur, lese, esse leckere Sachen oder mache eine Entgiftung von Leben oder Karriere. Durch eine solche Auszeit kommen mir meistens mehrere Erkenntnisse. Das funktioniert immer. Bei einer Entgiftung vom Leben übergebe ich meine Pflichten eine Zeitlang an einen Assistenten oder Manager und bitte sie um Hilfe, bevor ich dann mein Telefon ausschalte, herumwandere, nachdenke und mich entspanne. Bei einer Karriere-Entgiftung schalte ich mein Telefon aus, lese nichts darüber, wie sich irgendwelche Filme/Sendungen/Theaterstücke entwickeln, und bin eine ganz normale Person.
Außerdem mache ich eine »Na und?«-Übung. Ich treffe eine Aussage und stelle mir danach selbst die Frage »Na und?«. Ein Beispiel:
X war unfreundlich.
Na und?
Ich habe mich nicht respektiert gefühlt.
Na und?
Ich mag dieses Gefühl nicht.
Na und?
Was ist, wenn mich niemand mehr respektiert?
Na und?
Ich werde dann allein sein und gemieden werden.
Na und?
Ich will nicht allein sein.
Na und?
Ich habe eine irrationale Angst vor dem Alleinsein.
Na und?
Sie ist irrational.
Na und?
Nichts na und. Alles in Ordnung.
Na und?
Nichts na und.