»Wenn du dir nicht ganz sicher bist, dann ist es sicher.«
– David Mamet, Ronin
MAX LEVCHIN
TW: @mlevchin
affirm.com
MAX LEVCHIN ist Mitgründer und CEO von Affirm, das mit moderner Technologie die Kernkomponenten der Finanzinfrastruktur von Grund auf neu erfindet und wiederaufbaut. Davor war Max Mitgründer und erster Chief Technology Officer von PayPal (das für 1,5 Milliarden US-Dollar von eBay übernommen wurde). Dann stieg er als Erstinvestor bei Yelp ein, wo er elf Jahre lang Chairman war. Außerdem war Max Gründer und CEO von Slide, das Google für 182 Millionen US-Dollar aufkaufte. Der MIT Technologie Review erklärte ihn 2002 zum »Innovator of the Year«. Damals war er 26 Jahre alt.
Welches Buch (welche Bücher) verschenkst du am liebsten? Warum? Welche ein bis drei Bücher haben dein Leben am stärksten beeinflusst?
The Master and Margarita von Michail Bulgakow (übersetzt von Pevear et alii), meines Erachtens einer der besten Romane des letzten Jahrhunderts. Er ist relativ kurz, besticht durch seinen außergewöhnlichen Tiefgang und berührt alle möglichen Themen, von den Grundlagen der christlichen Philosophie bis zur fantastischen (und zum Brüllen komischen) Satire auf den korrumpierenden sowjetischen Sozialismus des 20. Jahrhunderts. Ich kaufe gewöhnlich gleich fünf oder zehn Exemplare, die ich dann an neue Freunde verschenke. Auf meinem Schreibtisch in Büro liegen immer ein paar bereit, falls sich jemand eins ausleihen möchte. An zweiter Stelle steht kein Buch, sondern ein Film: der Kurosawa-Klassiker Seven Samurai , den ich bestimmt über 100 Mal gesehen habe. Als Mentor habe ich früher DVDs der Criterion-Collection-Ausgabe an junge CEOs verschenkt. Ich liebe diesen Film (und bin überhaupt ein bisschen japanophil), doch frischgebackenen Managern und CEOs empfehle ich ihn vor allem deshalb, weil es darin im Grunde um Führung geht: Eine kleine Gruppe mutiger Führer riskiert alles, um eine zusammengewürfelte Truppe für einen Kampf auf Leben und Tod zu rüsten. Klingt vertraut? Für mich ist diese zeitlose Geschichte eine nahezu perfekte Metapher für Start-ups. Was würde Kambei Shimada tun?
Wenn du an einem beliebigen Ort ein riesiges Plakat mit beliebigem Inhalt aufhängen könntest, was wäre das und warum? Gibt es Zitate, an die du häufig denkst oder nach denen du lebst?
Da habe ich gleich mehrere Vorschläge:
»Wenn du dir nicht ganz sicher bist, dann ist es sicher.« Die Zeile stammt vom unvergleichlichen David Mamet aus Ronin , einem meiner absoluten Lieblingsfilme. Eine lakonische Ermahnung, im Krieg und im Geschäft stets entschlossen aufzutreten und auf ganz elementarer Ebene dem Bauchgefühl zu vertrauen. In meiner Branche bedeutet das oft auch, »schnell zu schießen«. Wenn man sich bei einem wichtigen Mitarbeiter oder einem Mitgründer nicht ganz sicher ist, stehen die Chancen, dass sich der Eindruck bessert, schlecht.
»Den Unterschied zwischen Sieg und Niederlage macht meist aus, dass man nicht aufgibt.« Dieser berühmte Satz von Walt Disney über die Willenskraft gilt für Unternehmer nicht minder. Das einzig Vorhersehbare bei Start-ups ist die Unvorhersehbarkeit. Um die Tiefpunkte der Start-up-Achterbahn unaufhaltsam zu durchlaufen, braucht man am Ende nur Mut – den eigenen und den des Teams.
Stünde meine Plakatwand in Marin County (oder einer anderen Radfahrhochburg), würde darauf stehen: »Wenn mir meine Beine weh tun, sage ich: ›Shut up legs! Ihr tut, was ich euch sage.‹« Dieser unbezahlbare Ausspruch stammt vom legendären Radprofi Jens Voigt, der dafür bekannt war, dass er für sein Team alles gab, ganz gleich, ob er erschöpft oder verletzt war.
Der Aufbau eines Start-ups erinnert stark an Ausdauersport, und der Radsport liefert immer wieder anregende Anekdoten, Zitate oder Metaphern. Ein weiteres Voigt-Zitat, das mir besonders gut gefällt: »Wenn es mir weh tut, muss es den anderen doppelt so weh tun.«
»Such dir einen Partner, den du täglich aufs Neue beeindrucken möchtest – und der dich beeindrucken möchte.« In den letzten Jahrzehnten habe ich festgestellt, dass die besten, beständigsten Partnerschaften im Geschäft (und im Leben) zwischen Menschen bestehen, die sich gemeinsam ständig weiterentwickeln. Versucht der Mensch, in dessen Abhängigkeit du dich begibst, laufend dazuzulernen und sich zu steigern, dann spornt das auch dich zu Höchstleistungen an, und keiner bekommt irgendwann das Gefühl, sich mit jemandem eingelassen zu haben, über den er hinausgewachsen ist.
Was ist eine deiner – gern auch absurden – Eigenheiten, auf die du nicht verzichten möchtest?
Genetische Algorithmus-Küche. Ich bin quasi besessen davon, herauszufinden, woraus bestimmte Speisen bestehen, und dann koche ich sie so lange nach und modle sie um, bis sie perfekt an meinen Geschmackssinn angepasst sind. Beim Kochen bin ich im Grunde nicht kreativ, aber einem ordentlichen Rezept kann ich ziemlich gut folgen. Es so zu verändern, dass es ganz meinem persönlichen Geschmack entspricht, macht mir Spaß und kommt meiner angeborenen Obsession entgegen. Ein Rezept ist für mich wie ein Genom, und jede Zutat und jeder Schritt im Prozess ein Gen, das ich auf der Grundlage der Ergebnisse früherer Versuche, aber auch ganz zufällig modifiziere. Das Ergebnis koste ich dann und »kreuze« die »Gene« der schmackhaftesten Resultate. Um die Änderungen vorzunehmen und nachvollziehen zu können, habe ich ein kleines Programm geschrieben, sodass es ein (einigermaßen) präzises Verfahren ist.
Es hat etwas Therapeutisches, wenn es auch gelegentlich bedeutet, dass man im Lauf einer Woche größere Mengen (leicht) unterschiedlicher Varianten von Kimchi, Kombucha oder Kefir verkosten muss. Fermentierte Lebensmittel (vor allem solche, die mit »K« anfangen), mag ich besonders gern, und sie eignen sich überdies besonders gut für solche Experimente.
Welche Überzeugungen, Verhaltensweisen oder Gewohnheiten, die du dir in den letzten fünf Jahren angeeignet hast, haben dein Leben am meisten verbessert?
Mich auf meine Stärken zu konzentrieren. Nach PayPal war mein wichtigstes »Karriereziel«, zu diversifizieren, etwas zu machen, das nichts mit Fintech, Zahlungsverkehr und Betrugsbekämpfung zu tun hatte, und auch mit nichts anderem, was mir bei meinem ersten erfolgreichen Projekt so viel Spaß gemacht hatte. Ich wollte meine Kompetenzen und Erfahrungen erweitern.
Die nächsten paar Start-ups machten mir zwar ebenfalls Spaß (und manche davon liefen richtig gut an), doch ein Start-up-»High« wie beim Aufbau von PayPal erlebte ich nie wieder. Jahrelang dachte ich, es läge daran, dass die Unternehmen, an deren Gründung ich mich nach PayPal beteiligte, keinen solchen Marktwert oder keine solche Verbreitung erreichten. Doch die Ursache lag tiefer.
Als wieder eine Unternehmensgründung anstand, wies mich meine Frau (die mich nach wie vor jeden Tag erneut beeindruckt!) darauf hin, dass ich am glücklichsten war, als ich am Aufbau von PayPal arbeitete – nicht beim Börsengang oder bei der Übernahme. Sie riet mir, mich auf meine unternehmerischen Wurzeln in der Finanzdienstleistungsbranche zurückzubesinnen. Nachdem ich dieser Sparte mehr als zehn Jahre lang ferngeblieben war, beteiligte ich mich an der Gründung von Affirm. Es ist ein ganz anderes Unternehmen als PayPal, doch es gab konzeptionelle Überschneidungen und ähnliche Herausforderungen.
Das Tagesgeschäft bei Affirm kann manchmal so anstrengend und heikel sein wie in meiner PayPal-Zeit, doch ich arbeite wieder in meinem »Sweet Spot«, und mir macht jede Minute Spaß.
Welchen Rat würdest du einem intelligenten, motivierten Studenten für den Einstieg in die »echte Welt« geben? Welchen Rat sollte er ignorieren?
[Mein Rat ist,] Risiken einzugehen, und zwar jetzt gleich. Studenten und Studienabsolventen haben den großen Vorteil ihrer Jugend und Energie. Sie tragen kaum nennenswerte Verantwortung, und vor allem spielt für sie das leibliche Wohl noch keine größere Rolle. Sie haben nichts zu verlieren und können alles gewinnen. Ein komfortabler Lebensstil hat Bremswirkung, wenn man sich im Berufsleben nicht zeitig angewöhnt, Risiken einzugehen.
Ich gründete mit Anfang 20 verschiedene Unternehmen, die allesamt scheiterten, doch ich dachte nie zweimal nach, bevor ich das nächste Projekt anpackte. Schon nach dem ersten wusste ich, dass ich das Gefühl liebte, etwas Neues anzufangen, und ich hatte ja sonst kaum Verpflichtungen. Schließlich schlug eines meiner Start-ups ein, doch ich hätte auf jeden Fall so lange weitergemacht, bis sich der Erfolg einstellte.
Wer sich nur um sich selbst kümmern muss, der kann seine Komfortzone verlassen und ein aufregendes riskantes Projekt starten oder sich daran beteiligen. Er kann alles liegen und stehen lassen, um Anteil an etwas wirklich Großem zu haben. Und wenn es schiefgeht? Dann kann man immer noch weiterstudieren, den Job bei der Investmentbank oder der Unternehmensberatung annehmen und in eine schönere Wohnung ziehen.
In den Wind schlagen sollte man (in bestimmten Situationen) den Rat, sich möglichst »ausgewogen« aufzustellen – also von Anfang an mehrere Stellen in verschiedenen Unternehmen zu durchlaufen und alle ein, zwei Jahre neue Erfahrungen zu sammeln. Im Abstrakten ist das nützlich, doch wenn dir in einem Unternehmen, mit dessen Mission du dich leidenschaftlich identifizieren kannst, deine Stärke (als Einzelner oder Teamleiter) bewusstwird, dann solltest du die Chance ergreifen – setze alles auf eine Karte, verdopple den Einsatz und geh deinen Weg nach oben. Vielleicht landest du schneller an der Spitze, als du denkst!