»Yoga und die Menschen, die ich dadurch kennenlernte, haben mir das Leben gerettet.«
ANNA HOLMES
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ANNA HOLMES ist preisgekrönte Autorin und Redakteurin und hat schon für viele Publikationen gearbeitet, unter anderem für The Washington Post , das Onlinemagazin von The New Yorker und The New York Times , bei der sie regelmäßig Beiträge für den Sunday Book Review schreibt. 2007 schuf sie als Reaktion auf ihre Arbeit für Zeitschriften wie Glamour und Cosmopolitan die beliebte Website Jezebel.com , die zur Revolutionierung des öffentlichen Diskurses über die Schnittstellen zwischen Gender, Rasse und Kultur beitrug. 2016 wurde sie bei First Look Media SVP of Editorial, wo sie die Lancierung von Topic.com leitete – eine verbraucherorientierte Sparte von Topic, dem Film-, Fernseh- und Digitalstudio des Unternehmens.
Welchen Rat würdest du einem intelligenten, motivierten Studenten für den Einstieg in die »echte Welt« geben? Welchen Rat sollte er ignorieren?
Nimm grundsätzlich keinen Rat von jemandem an, der dir erzählen will, wie die Zukunft aussieht. Das weiß niemand. Menschen haben Vorstellungen, und die sollte man zur Kenntnis nehmen und prüfen – nicht mehr. Ich weiß gar nicht, wie viele sogenannte Medien- oder Politikexperten schon erklärt haben, was im Journalismus und in der Unterhaltungsbranche – oder auch in der Politik – die nächste große Sache ist und wie krass und peinlich sie danebengelegen haben. Insgesamt gesehen wissen wir alle nichts. Oder vielmehr: Wir haben viel zu lernen. Und zwar ein Leben lang. Hinterfragt, was euch andere erzählen. Nutzt es, um euch eine eigene Meinung zu bilden – nicht, um anderen hinterherzulaufen.
Wenn du an einem beliebigen Ort ein riesiges Plakat mit beliebigem Inhalt aufhängen könntest, was wäre das und warum?
»Folge deiner Neugier, wo immer du sie findest.« Die eigene Neugier zuzulassen und ständig zu versuchen dazuzulernen – mehr über andere, über sich selbst, über die Welt und euren Platz darin zu erfahren, ist ein wichtiger Weg zur Selbstverwirklichung. Und es kostet nicht viel – oft sogar gar nichts!
Welcher (vermeintliche?) Misserfolg war die Voraussetzung für deinen späteren Erfolg? Hast du einen »Lieblingsmisserfolg«?
Ich bin eine absolute Versagerin, wenn es um Machtpolitik im Unternehmen geht. Vermutlich habe ich dafür einfach nicht die Nerven. Ich brauche ein teamorientiertes Umfeld, in dem alle, die hart und viel leisten, ordentlich bezahlt werden, ungeachtet der Person. Ich hasse Intrigen, strategische Schachzüge hinter den Kulissen und miese Tricks. An meinem ersten Arbeitsplatz nach dem College war das gang und gäbe. Ich kam damit nicht gut zurecht, was am Ende ein Segen war, denn es brachte mich dazu, mich in einer jüngeren, unkonventionelleren, weniger konservativen [nicht im politischen Sinn, sondern im Sinne von »taktierend, stets nach Vorschrift, so, wie wir das schon immer gemacht haben«] Umgebung auszuprobieren.
Welches Buch (welche Bücher) verschenkst du am liebsten? Warum? Welche ein bis drei Bücher haben dein Leben am stärksten beeinflusst?
Mein Lieblingskinderbuch, Miss Rumphius , von Barbara Cooney. Davon habe ich an die zehn Exemplare in der Wohnung, die ich an (alte und neue) Freunde verschenke, die Töchter haben. Es ist wunderschön illustriert und erzählt die Geschichte eines kleinen Mädchens von der Küste in Maine, das groß wird, die Welt bereist und seine Neugier über andere Länder und Menschen stillt. Als alte Frau kehrt sie nach Maine zurück, um die Welt zu verbessern. Ehe oder Mutterschaft werden mit keinem Wort erwähnt. Es ist einfach die Lebensgeschichte einer Frau, die Wert und Bedeutung darin findet, ihren Interessen nachzugehen – und die uns vor allem lehrt, wozu Frauen fähig sind.
Was ist eine deiner – gern auch absurden – Eigenheiten, auf die du nicht verzichten möchtest?
In den letzten Jahren fasziniert mich das Fliegen immer mehr – egal ob Vögel oder Flugzeuge. Vor ein paar Monaten betrieb ich ein bisschen Planespotting, als ich in einem Hotel nicht weit vom Flughafen Heathrow nächtigte. Ich spazierte auf den Parkplatz hinaus und schloss Bekanntschaft mit ein paar jungen Engländern, die auf einer kleinen Anhöhe die anfliegenden Maschinen beobachteten. Mal sehen, wie lange mich das fesseln wird. Meinem Eindruck nach ist das bei Frauen kein besonders häufiges Interesse.
Welche Überzeugungen, Verhaltensweisen oder Gewohnheiten, die du dir in den letzten fünf Jahren angeeignet hast, haben dein Leben am meisten verbessert?
Yoga. Vor allem das dynamische Vinyasa Yoga. Ich habe mich 2011 erstmals mit Yoga befasst, um meinen Körper und meine Gesundheit zu stärken und mit einer schwierigen Lebensphase zurande zu kommen – der Entfremdung von meinem Mann und der späteren Trennung und Scheidung. Ich hatte als Kind getanzt und ganz vergessen, wie sich das Gespür für den eigenen Körper und das Vertrauen in seine Fähigkeiten in Selbstachtung, Fokus, geistige und emotionale Ausgeglichenheit übersetzen. Yoga und die Menschen, die ich dadurch kennenlernte, haben mir das Leben gerettet.
Wozu kannst du heute leichter Nein sagen als vor fünf Jahren?
Ich kann heute viel leichter Nein sagen, wenn ich um Hilfe oder Rat gebeten werde. Klingt furchtbar! Aber vor ein paar Jahren kam ich an einen Punkt, an dem ich mehr Zeit damit zubrachte, Fragen von vollkommen Fremden zu beantworten, als mich darum zu kümmern, dass ich für die Menschen erreichbar und präsent war, die in meinem Leben eine Rolle spielen – meine Freunde und meine Familie. Vor einigen Jahren hielt ich die Abschlussrede für die Absolventinnen eines privaten Mädcheninternats im Bundesstaat New York. Was ich sagte, lief darauf hinaus, dass diese fähigen jungen Frauen lernen sollten, öfter Nein zu sagen. Frauen sind darauf sozialisiert, entgegenkommend, fürsorglich und harmoniestiftend zu sein und andere wichtiger zu nehmen als sich selbst. Ich riet den Absolventinnen gar nicht mal, das zu vergessen, sondern vielmehr, daran zu arbeiten, das Unbehagen loszuwerden, das sie möglicherweise beschlich, wenn sie zu jemandem Nein sagten – ob zu einer Freundin, ihrem Partner, einem Arbeitskollegen oder sonst irgendwem.
Was tust du, wenn dir alles zu viel wird, du nicht mehr fokussiert bist oder deine Konzentration nachlässt?
Zweierlei: Ich versuche, tief durchzuatmen, und ich laufe – möglichst in der Natur, in einem Park, am Wasser in New York City … wenn ich Glück habe, irgendwo außerhalb der Stadt, etwa auf den Wanderwegen von Maine, Großbritannien oder meinem geliebten Heimatstaat Kalifornien. Ich fahre auch gern Auto. Lange Fahrten helfen mir, die Dinge ins richtige Licht zu rücken, Probleme zu lösen und Dampf abzulassen. (Ich singe im Auto – und zwar laut.) Wenn ich mich durch die Welt bewege – ob zu Fuß oder auf vier Rädern –, bekomme ich einen anderen Blick auf die Dinge und empfinde auch für kleine Freuden große Dankbarkeit: eine Schäfchenwolke, ein Eichhörnchen, das über die Straße flitzt, einen Raubvogel auf einem Zaunpfahl, ein Grüppchen ausgelassener Teenager, die ihren Spaß haben.