»Du musst dir Liebe nicht verdienen. Du musst einfach nur existieren.«
SHARON SALZBERG
TW: @SharonSalzberg
sharonsalzberg.com
SHARON SALZBERG hat seit der Aufnahme ihrer Lehrtätigkeit im Jahr 1974 maßgeblich dazu beigetragen, der westlichen Mainstreamkultur Meditation und Achtsamkeitsübungen näherzubringen. Sie ist Mitbegründerin der Insight Meditation Society und hat zehn Bücher verfasst, darunter den New-York-Times -Bestseller Real Happiness , das wegweisende Lovingkindness und ihr neuestes Werk Real Love: The Art of Mindful Connection . Sharon ist für ihre bodenständige Lehrmethode bekannt und wendet einen unesoterischen, zeitgemäßen Ansatz an, um buddhistische Lehren leichter zugänglich zu machen. Sie schreibt regelmäßig Beiträge für Webseiten wie On Being und The Huffington Post und betreibt mit Metta Hour ihren eigenen Podcast.
Welcher (vermeintliche?) Misserfolg war die Voraussetzung für deinen späteren Erfolg? Hast du einen »Lieblingsmisserfolg«?
Zu Beginn meiner Lehrtätigkeit hatte ich große Angst davor, Vorträge zu halten. Unsere intensiven Meditationswochenenden sind so gestaltet, dass die Teilnehmer über den Tag verteilt Sitzmeditation praktizieren, aber auch an Frage-Antwort-Runden mitwirken, Gruppen- und Einzelgespräche mit ihren Lehrern führen und am Abend einen Vortrag hören. In den ersten Retreats, in denen ich in diesem Land als Kursleiterin unterrichtete, konnte ich keinen einzigen Vortrag halten – meine Kollegen mussten das für mich tun. Das blieb über ein Jahr lang so. Ich hatte Angst, mitten im Vortrag einen Aussetzer zu haben, wie ein hypnotisiertes Kaninchen dazusitzen und die Zuhörer zu enttäuschen. Nach einer Weile erkannte ich, dass die Anwesenden nicht auf der Lauer saßen und darauf warteten, ein Urteil über mich zu fällen. Sie erwarteten von mir auch kein tiefgreifendes Fachwissen. Mehr als alles andere sehnten sie sich nach einem Gefühl der Verbundenheit; und das war etwas, das ich ihnen bieten konnte –indem ich authentisch war und mich auf sie einließ. Ich erkannte, dass auch mir diese Verbindung wichtig war und ich dafür keine perfekte Rednerin sein musste. Wenn ich nicht am Anfang diese große Angst gehabt hätte, hätte ich vielleicht nicht tiefer gesucht und nicht so viel über Authentizität gelernt.
Welches Buch (welche Bücher) verschenkst du am liebsten? Warum? Welche ein bis drei Bücher haben dein Leben am stärksten beeinflusst?
Zen Mind, Beginners Mind von Shunryu Suzuki hat mein Leben maßgeblich geprägt. In dem Buch steht sinngemäß: »Wir üben nicht (die Meditation), um Buddhaschaft zu erlangen, sondern um ihr Ausdruck zu verleihen.« Obwohl ich dieses Buch zum ersten Mal vor über 40 Jahren gelesen habe, spüre ich immer noch ein Kribbeln in meinem Körper, wenn ich an diese Zeile denke. Ich habe oft gedacht, dass die beste Art des Lehrens ein Ausdruck des Wissens ist, das man nicht in Worte fassen kann, oder, wichtiger noch, der rechten Lebensführung. Als ich den Satz zum ersten Mal las, erkannte ich, dass es einen großen Unterschied macht, ob man übt, um einen Mangel auszugleichen, oder ob man übt, um seiner inneren Fülle Ausdruck zu verleihen.
Wenn du an einem beliebigen Ort ein riesiges Plakat mit beliebigem Inhalt aufhängen könntest, was wäre das und warum?
»Du bist ein liebenswürdiger Mensch. Du musst nichts tun, um das zu beweisen. Du musst dir Liebe nicht verdienen. Du musst einfach nur existieren.« Ich denke, viele von uns verwechseln wahre Selbstliebe mit Narzissmus oder Eitelkeit, aber das sind zwei völlig verschiedene Dinge. Statt der Trostlosigkeit oder inneren Leere, die Narzissmus zu verbergen versucht, entsteht wahre Selbstliebe aus einem Gefühl der Freude oder inneren Fülle heraus. Sie erwächst aus dem Gefühl der Ganzheit, das uns innewohnt und unter unserer Angst, kulturellen Konditionierung und Selbstkritik verborgen ist. Mann muss nicht Tennis spielen lernen, ein Video online stellen, das millionenfach angeklickt wird, oder ein Sternekoch sein, um sich die Liebe seiner Mitmenschen zu verdienen. Das sind zweifellos tolle Dinge, aber wir sind auch ohne sie im wahrsten Sinne des Wortes »liebenswürdig«.
Wozu kannst du heute leichter Nein sagen als vor fünf Jahren? Welche neuen Erkenntnisse und/oder Ansätze haben dir dabei geholfen?
Ich bin besser darin geworden, Einladungen auszuschlagen,, obwohl ich immer noch an mir arbeiten muss! Ich griff diesen Tipp von einer Freundin auf, die sich schwertat, Nein zu sagen, auch wenn es wirklich berechtigt war. In ihrer Meditation dachte sie an Augenblicke, in denen sie lieber Nein gesagt hätte, und beobachtete, was in ihrem Körper geschah, wenn sie die Situation nochmals durchlebte. Sie achtete auf das Unbehagen, das von ihrer Magengegend in die Brust aufstieg und ihre Atmung beeinträchtigte. Es war wie eine Panik, eine tiefsitzende Angst davor, dass »man mich dann vielleicht nicht mehr mögen wird«. Sie lernte, auf die Signale ihres Körpers zu hören. Als sie das nächste Mal auf der Arbeit oder zu Hause war und dieselbe Frage aufkam, merkte sie, wie dieselben Empfindungen in ihr hochkamen, und sie benutzte sie als Feedback, um mit »Ich muss erst einmal in Ruhe darüber nachdenken« zu antworten. Mit etwas zeitlichem Abstand fiel es ihr leichter, Nein zu sagen. Ein Bewusstsein für den emotionalen Ausdruck in ihrem Körper war entscheidend. Ich versuche, es ihr gleichzutun.
Was tust du, wenn dir alles zu viel wird, du nicht mehr fokussiert bist oder deine Konzentration nachlässt?
Ich halte inne und frage mich: »Was brauchst du jetzt in diesem Augenblick, um glücklich zu sein? Brauchst du etwas anderes als das, was jetzt in diesem Augenblick passiert?« So konzentriere ich mich sofort auf das, was mir wichtig ist. Ich versuche mich auch daran zu erinnern zu atmen. Ich habe festgestellt, dass meine Atmung sehr flach wird, wenn ich mich überfordert fühlte, und dann verkrampfe ich innerlich. Wenn in mir das Chaos tobt, sage ich mir selbst: »Atme tief ein und aus.« Oder ich richte meine Aufmerksamkeit auf den Kontakt der Fußsohlen zur Erde. Wir denken oft, dass unser Bewusstsein irgendwo im Kopf sitzt, hinter den Augen. Ich habe aber gelernt, dass ich meine Energie nach unten richten muss, damit ich meine Füße auch dort spüre – also in den Füßen. Probier es aus! Das ist zuerst etwas gewöhnungsbedürftig, aber Bewusstsein muss nicht auf den Kopf oder Geist begrenzt sein, der losgelöst vom Rest des Körpers auf die Welt herabschaut. Je mehr Bewusstsein durch meinen ganzen Körper fließen kann, umso mehr erinnere ich mich an meine Atmung, und umso konzentrierter werde ich.