»Die Hauptsache ist, dass die Hauptsache die Hauptsache bleibt.«
SARAH ELIZABETH LEWIS
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SARAH ELIZABETH LEWIS ist Assistant Professor für Kunstgeschichte und Architektur sowie afrikanische und afroamerikanische Studien an der Harvard University. Sie hat einen Bachelor-Abschluss aus Harvard, einen Magister der Philosophie von der Oxford University und einen Doktortitel in Kunstgeschichte von der Yale University. Vor ihrem Eintritt in die Fakultät in Harvard war sie Kuratorin im Museum of Modern Art in New York und in der Tate Modern in London sowie Dozentin an der Yale University School of Art. Als Gast-Herausgeberin hat sie die Sonderausgabe des Magazins Aperture zum Thema »Vision & Gerechtigkeit« gestaltet, die mit dem 2017 Infinity Award for Critical Writing and Research ausgezeichnet wurde. Außerdem hat sie den Los Angeles Times -Bestseller The Rise: Creativity, the Gift of Failure, and the Search for Mastery geschrieben. Lewis war Mitglied des Arts Policy Committee von Präsident Barack Obama und sitzt derzeit in den Boards der Andy Warhol Foundation for the Visual Arts, von Creative Time und des Graduate Center der City University of New York.
Welches Buch (welche Bücher) verschenkst du am liebsten? Warum? Welche ein bis drei Bücher haben dein Leben am stärksten beeinflusst?
Es gibt zwei Bücher, die ich sehr gern verschenke: A Field Guide to Getting Lost von Rebecca Solnit und die Aufsatz-Sammlung The Price of the Ticket von James Baldwin; einer der Essays darin mit dem Titel »Der kreative Prozess« sollte jedem Innovator als Orientierung dienen. Ich will nicht zu viel verraten, indem ich hier alles beschreibe, aber es ist von Baldwin. Es ist brillant. Jegliche Fragen, von denen du nicht wusstest, dass sie über den Sinn von kreativem Geist für die Gesellschaft hinausgehen, dürften darin beantwortet werden. Das Buch von Solnit ist perfekt für jemanden, der versucht, seine Leidenschaft zu befreien, und den Mut aufbringt, neue Wege zu beschreiten.
Welche Anschaffung von maximal 100 Dollar hat für dein Leben in den letzten sechs Monaten (oder in letzter Zeit) die größte positive Auswirkung gehabt?
Aus Studien ist bekannt, dass Ausgaben dann am meisten Glücksempfinden bringen, wenn man sich damit Erlebnisse kauft statt Dinge. Ich glaube, das stimmt. Aber ich gebe zu, dass ich einem guten sauberen Notizbuch ohne Linien von Moleskine nicht widerstehen kann.
Welcher (vermeintliche?) Misserfolg war die Voraussetzung für deinen späteren Erfolg? Hast du einen »Lieblingsmisserfolg«?
Ich persönliche erlebe Misserfolge eher in Zusammenhang mit Annahmen. Als farbige Frau, die bezahlt wird, damit sie denkt, lehrt und schreibt, werde ich von Menschen, die nichts von meiner Arbeit wissen, oft unterschätzt. Die Leute erwarten also, dass ich öfter Misserfolg habe, als es tatsächlich der Fall ist. Diese Wahrnehmung möglichen Versagens ist eine Art Antrieb für mich. Ich habe gelernt, dankbar dafür zu sein.
Ich habe The Rise geschrieben und in meiner TED-Rede darüber gesprochen, weil ich so fest an die Kraft des so genannten Misserfolgs oder der Annahme glaube, man werde Misserfolg haben. Denn sie bereitet den Weg zu bahnbrechenden Leistungen. Martin Luther King Jr. war ein guter Schüler, aber die schlechtesten Noten bekam er für öffentliches Sprechen. Wirklich. Zweimal C in zwei Jahren nacheinander. Es gibt noch mehr solcher Beispiele, und ich habe es geliebt, in dem Buch über sie alle zu schreiben. Die Misserfolge mit den größten Auswirkungen waren »Beinahe-Siege«, weil wir einen starken Anschub bekommen, wenn wir ein Ziel ganz knapp nicht erreichen. Aber eigentlich benutze ich das Wort »Misserfolg« gar nicht. Wenn man aus einer Erfahrung etwas gelernt hat, kann man sie kaum noch als Misserfolg bezeichnen, denn sie ist dann ja wertvoll geworden, hoffentlich jedenfalls.
Wenn du an einem beliebigen Ort ein riesiges Plakat mit beliebigem Inhalt aufhängen könntest, was wäre das und warum?
Das Zitat, mit ich das Plakat schmücken würde, lautet: »Die Hauptsache ist, dass die Hauptsache die Hauptsache bleibt.« Einfach. Und so wichtig. Ich glaube, wir lassen uns oft ablenken, von, na ja, dem Leben, sozialen Medien, was auch immer. Am Ende des Tages bemerken wir, dass wir nicht viel bewegt haben bei den Dingen, die uns wirklich am Herzen liegen. Vor allem die Frauen da draußen wissen, dass das stimmt. Wie erreicht man, dass die Hauptsache die Hauptsache bleibt? Für mich bedeutet es, dass ich meine Vormittage streng für die Zeit reserviere, die ich für Kreativität brauche. Andere Menschen haben andere Methoden. Aber für mich habe ich das Gefühl, dass ich eher eine Chance habe, mich auf meine wichtigsten Prioritäten zu konzentrieren, wenn ich sie gleich als Erstes auf die Tagesordnung setze.
Was ist das beste oder lohnendste Investment, das du je getätigt hast (in Form von Geld, Zeit, Energie etc.)?
Ich liebe es, regelmäßig zu meditieren und zu trainieren. Vor kurzem habe ich etwas Neues dazugenommen, eine Atemtechnik, die ich von Brian Mackenzie gelernt habe. Sie hilft mir wirklich dabei, mit Stress zurechtzukommen. Beeindruckend. Die Arbeit basiert auf präziser Wissenschaft. Brian macht eine Messung zur Bestimmung der emotionalen Reaktivität und der CO2-Toleranz, mit der er eine individuelle Sequenz für das Atmen durch die Nase ausarbeitet. Die, die er für mich entworfen hat, fühlt sich an wie irgendeine Zauberei gegen Stress. Brian hat mir erklärt, dass man durch Luftanhalten einen stärkeren parasympathischen Tonus im Körper bekommt. Dadurch öffnen sich die Gefäße, und es kommt Stickoxid in den Körper. Nach den Atemübungen gehe ich für 15 oder 20 Minuten in die Meditation. Das ganze Programm dauert morgens ungefähr 35 Minuten.
Was ist eine deiner – gern auch absurden – Eigenheiten, auf die du nicht verzichten möchtest?
Privatsphäre, wenn ich an einem Höhepunkt meiner kreativen Arbeit stehe. In solchen Zeiten melde ich mich meist bei sozialen Medien ab und treffe mich allgemein nur mit wenigen Leuten. Das ist zwar im heutigen Klima ungewöhnlich, aber es ist sehr wichtig. Ein Gefühl der Privatsphäre bei der Arbeit ist eine der Möglichkeiten, sich eher an Risiken heranzuwagen. Soziale Medien abzuschalten, hilft unter anderem deswegen, weil man sich keine Gedanken mehr darüber macht, was wohl andere von der ungewöhnlichen Idee halten, mit der man sich gerade beschäftigt. Also bekommt sie eine Chance zum Wachsen und Reifen.
Wozu kannst du heute leichter Nein sagen als vor fünf Jahren?
Oh, das ist ein wichtiger Punkt. Wenn man zu viel aus einem Gefühl der Verpflichtung tut, kann das erschöpfend sein. Aufgaben, die man aus Leidenschaft übernimmt, geben dagegen mehr Energie. Wenn eine Anfrage eine neue Verantwortung für mich bedeutet, für die ich mich leidenschaftlich interessiere, dann sage ich zu. Wenn nicht, habe ich Möglichkeiten gefunden, Nein zu sagen. Meine Kollegin Robin Bernstein hat eine wunderbare Kolumne über geschickte Methoden zum Nein-Sagen mit dem Titel »The Art of ›No‹« geschrieben.
Was tust du, wenn dir alles zu viel wird, du nicht mehr fokussiert bist oder deine Konzentration nachlässt? Welche Fragen stellst du dir?
»Es gibt keinen Ausschuss für das Drehen der Erde.« Das hilft mir dabei, mich zu entspannen und daran zu denken, dass ich Teil von etwas Größerem bin, so wie wir alle. Größere Kräfte, die so präzise sind, dass wir wissen, wie viel vom Mond in einer bestimmten Nacht zu sehen sein wird, mit Sicherheit, selbst dann, wenn jemand seine To-do-Liste nicht ganz abgearbeitet hat. Wirklich, sogar dann! Was ich damit sagen will: Mit der Art und Weise, wie wir den Planeten behandeln, haben wir Einfluss auf die Gesetze der Natur, und wir können mit den Gesetzen der Natur arbeiten, um in unserer Welt etwas zu manifestieren (manchmal sogar ohne es zu wissen); aber wir können diese Gesetze nicht schaffen und nicht zerstören. Wir leben in einer Welt, die von ihnen gesteuert wird. Wenn ich überfordert bin, versuche ich deshalb, raus in die Natur zu kommen, an einen Ort, der mich an meine Umgebung aus einem Satz von Systemen und Gesetzen erinnert, der Bewegungen steuert. Wenn ich in der Stadt bin, schaue ich in die Luft und mache mich dann mit einem Gefühl der Entspannung und Unterstützung wieder an die Arbeit.