»Man kannst nichts Großes leisten, ohne seine eigenen Grenzen rigoros in Frage zu stellen.«
AISHA TYLER
ist eine Schauspielerin, Komikerin, Regisseurin, Autorin und Aktivistin. Sie ist am besten bekannt als Ko-Moderatorin der Emmy-prämierten Show The Talk
, die Stimme von Lana Kane in der Zeichentrickserie Archer
, Dr. Tara Lewis in Criminal Minds
sowie ihre regelmäßigen Auftritte in CSI: Crime Scene Investigation, Talk Soup
und Friends
. Aisha moderiert außerdem die Comedy-Show Whose Line Is It Anyway?
und schrieb das Buch Self-Inflicted Wounds: Heartwarming Tales of Epic Humiliation
.
Wenn du an einem beliebigen Ort ein riesiges Plakat mit beliebigem Inhalt aufhängen könntest, was wäre das und warum? Gibt es Zitate, an die du häufig denkst oder nach denen du lebst?
Mir gefällt das Zitat von Jack Canfield: »Alles was du willst, ist auf der anderen Seite der Angst.« Wenn mir etwas Angst macht, renne ich normalerweise darauf zu, und damit kam ich beruflich wie privat bislang gut zurecht. Aber jeder bekommt es mit der Angst zu tun, und ich muss mich manchmal daran erinnern, mutig zu bleiben, wenn ich einem Ziel schon so nah bin, dass ich nicht mehr umkehren kann und der Boden langsam unter mir wegbricht.
Ich versuche in jedem Lebensbereich mutig zu sein: künstlerisch, beruflich, im Familien- und Freundeskreis. Mutig zu sein bedeutet, präsent zu sein und die Bereitschaft zu haben, sich voll und ganz auf eine Sache einzulassen, egal wie das Ergebnis letztlich ausfällt. Ich schreibe in die Bücher, die ich für meine Fans signiere, oft als Zusatz: »Sei mutig« – als Mahnung an sie und auch an mich selbst. Mutig zu bleiben hat mir geholfen, mich durch schwere Krisen und Selbstzweifel hindurch weiter auf meine Ziele zuzubewegen.
Welcher (vermeintliche?) Misserfolg war die Voraussetzung für deinen späteren Erfolg? Hast du einen »Lieblingsmisserfolg«?
Mein erster Kurzfilm war eine ziemliche Katastrophe. Das war vor Jahren. Ich hatte zuvor noch nie länger an einer echten Ein-Kamera-Produktion mitgewirkt, und obwohl ich sehr ehrgeizig war, hatte ich keine Erfahrung. Ich hatte viele Freunde, die mitmachten, sowohl vor als auch hinter der Kamera, und obwohl ich motiviert war, hatte ich keine Ahnung, wie man ein Set leitet. Das Ergebnis war ein buntes Potpourri aus Bildern, die aber nie zu einer zusammenhängenden Geschichte montiert wurden, und so schloss ich den Film nie ab. Das entmutigte mich aber nicht. Ich erkannte, dass ich mehr lernen musste – über das Schreiben, Produzieren, Vorbereiten, Planen, alles. Ich verbrachte das nächste Jahrzehnt damit, so viele Sets wie möglich zu besuchen, beobachtete jeden Regisseur, den ich kannte, und auch mehrere, die ich nicht kannte, um etwas über das Handwerk zu lernen, das mir so viel bedeutete. Und jeder Kurzfilm, den ich seither gemacht habe, ist eine außerordentliche Erfahrung. Zahlreiche meiner Kurzfilme gewannen Preise, und diese Erfolgserlebnisse führten zu meinem ersten Spielfilm, der ebenfalls Preise gewann. Mein erster Spielfilm war die bis dato faszinierendste und schönste kreative Erfahrung meiner Karriere und läutete eine neue Phase meines kreativen Schaffens ein.
Es gibt keine radikalen kreativen Entscheidungen, die nicht gleichzeitig das ebenso große Risiko eines radikalen Misserfolgs in sich bergen. Man kann nichts Großes leisten, ohne seine eigenen Grenzen rigoros in Frage zu stellen und seine Vorstellungskraft zu sprengen. Viele Dinge, die ich ausprobiert habe, haben nicht funktioniert – aber ich lernte dadurch, was
möglich ist, was ich besser nicht wiederholen und was ich beim nächsten Mal besser machen sollte. Ich dachte so oft: »Wenn das nicht funktioniert, werde ich am Boden zerstört sein.« Aber gelegentlich gehen meine Ideen nicht auf, und deswegen stand ich am nächsten Morgen trotzdem auf, um etwas Neues zu schaffen. Es gibt nichts Besseres als einen Misserfolg, um zu erkennen, wozu man wirklich fähig ist. Wenn man Risiken aus dem Weg geht, um keine Misserfolge zu haben, unterbindet man seine kreative Entwicklung. Beides geht Hand in Hand.
Was ist das beste oder lohnendste Investment, das du je getätigt hast (in Form von Geld, Zeit, Energie etc.)?
Mein Concept II Rudergerät. Ich habe es mir 2001 gekauft, und es funktioniert noch wie am ersten Tag. Es fällt mir schwer, ins Fitness-Studio zu gehen oder Termine mit einem Coach zu vereinbaren, aber zu Hause bin ich flexibel und kann jederzeit rudern, ob Tag oder Nacht. Es ist ein gelenkschonendes Ganzkörpertraining, und die Ergebnisse sind erstaunlich.
Ich variiere mein Ruderworkout. Ich nahm viele Jahre lang an Laufwettbewerben teil, deshalb gleichen meine Workoutpläne einem typischen wöchentlichen Laufpensum: eine Mittelstreckendistanz von fünf Kilometern, kombiniert mit Zwei-Kilometer-Läufen mit kurzen, eingestreuten HIIT-Sprints, dazu noch ein- oder zweimal in der Woche eine längere Einheit über zehn Kilometer. Außerdem kann ich beim Rudern nach Herzenslust fernsehen, was ich sonst nicht tue.
Ich schaue mir vor allem Fernsehserien an, neulich zum Beispiel die letzte Staffel Homeland
, und meine Lieblingsserien sind The Walking Dead, Fear the Walking Dead, Game of Thrones, The Handmaid’s Tale
und House of Cards
. Obwohl ich hauptsächlich als Komikerin aktiv bin, schaue ich mir vor allem ernste Serien an. Es ist nämlich schwer, zu lachen und dabei am Rudergerät die 500 Meter in 1:55 Minuten zu schaffen.
Was ist eine deiner – gern auch absurden – Eigenheiten, auf die du nicht verzichten möchtest?
Ich habe einen Ordnungsfimmel. Aber ich würde das nicht unbedingt als Gewohnheit bezeichnen. Es ist mehr ein Zwang. Ich komme zum Beispiel nach einer langen Fernreise nach Hause und fange an, meinen Kühlschrank auszuräumen. Das ist nicht immer die beste Aktivität, vor allem wenn ich nachts nach Hause komme und am nächsten Morgen einen frühen Telefonanruf entgegennehmen muss. Aber das entspannt mich total. Nichts ist schöner als ein perfekt organisierter Bereich. Die Ordnung verschafft mir eine kindliche Freude, die die Zeit mehr als aufwiegt, die ich damit verbringe, die Etiketten der verschiedenen Lebensmittel in meinem Kühlschrank nach vorne zu drehen.
Welche Überzeugungen, Verhaltensweisen oder Gewohnheiten, die du dir in den letzten fünf Jahren angeeignet hast, haben dein Leben am meisten verbessert?
Keinen Zucker mehr zu essen. Das ist so Hollywood, ich weiß, aber ich war viele Jahre lang regelrecht zuckersüchtig, was mein ganzes Leben beeinträchtigte, von meinen Schlafgewohnheiten bis zu meiner Leistungsfähigkeit im Laufe des Tages. Ich war wie eine Drogenabhängige. Ich musste regelmäßig Zucker konsumieren, nur um halbwegs normal zu funktionieren. Nach meinem Entzug stabilisierte sich mein Blutzucker, ich hatte mehr Energie, trainierte effizienter, dachte klarer – alles wurde besser, als ich aufhörte, Zucker zu essen. Es war die vermutlich schwerste Ernährungsumstellung, die ich jemals durchgemacht habe, sie hat sich aber völlig gelohnt. Wenn ich heute Zucker esse, wird mir schlecht, und das macht es mir leicht, am Ende der Mahlzeit auf ein Dessert zu verzichten.
Ich wollte, es gäbe einen »Trick«, um Zucker zu reduzieren. Es war ein langer, langsamer Weg, der vor etwa 15 Jahren begann. Als ich Mitte 20 war, pflegte ich jeden Abend nach dem Abendessen einen großen Becher Frozen Jogurt zu essen (manchmal auch mehr). Ich war machtlos – wenn ich anfing, Süßigkeiten zu essen, konnte ich erst aufhören, wenn nichts mehr da war oder mir schon beinahe schlecht wurde. Ich machte aber keinen kalten Entzug. Ich fing langsam an, Dinge aus meiner Ernährung zu streichen – zuerst ersetzte ich den Frozen Jogurt durch dunkle Schokolade, dann aß ich auch davon weniger. Ich ließ den Zucker im nachmittäglichen Eiskaffee weg, dann den Süßstoff, bis ich ihn schließlich schwarz trank. Ich hörte auf, Süßstoffe zu nehmen, weil sie immer noch Gelüste auf Süßes in mir auslösen. Eine Strategie, die mir wirklich half, war, den Proteingehalt meiner Ernährung zu erhöhen; dadurch stabilisierte sich meinen Blutzucker. Ein anderer Ansatz war, Naturjogurt oder eine gebackene Süßkartoffel zu essen, wenn ich Lust auf Süßes bekam. Ich konzentriere mich auf proteinreiche Mahlzeiten mit einem hohen Anteil an gesunden Fetten, und das hilft. Aber ich esse immer noch dunkle Schokolade, wenn ich einen Schuss meiner alten Droge brauche. Ich bin ja auch nur ein Mensch.
Wozu kannst du heute leichter Nein sagen als vor fünf Jahren?
Zu fast allem. In den letzten Jahren habe ich versucht, zu allem Nein zu sagen, was mich in privater oder künstlerischer Hinsicht nicht inspiriert. Das ist unglaublich schwer, weil ich ein sehr hilfsbereiter Mensch bin, und in meiner Branche gibt es immer eine Spendenveranstaltung, die man unterstützen könnte. Aber mit der Zeit fressen diese Verpflichtungen meine kreative Zeit auf und halten mich davon ab, meine persönlichen Ziele zu erreichen. Das ist zwar schon besser geworden, aber ich bin noch weit davon entfernt, souverän Nein sagen
zu können. Ich bitte jeden in meinem Umfeld, mir dabei zu helfen, kaltherziger zu werden, aber meine Entschlossenheit bröckelt im letzten Moment dann doch immer weg. Deshalb wende ich die Marie-Kondo-Methode an: »Sage Nein zu allem, was keine Freude in dir entfacht.« Dazu gehören auch persönliche Verpflichtungen. Ich arbeite noch daran.
Welche schlechten Ratschläge kursieren in deinem beruflichen Umfeld oder Fachgebiet?
Ich lasse alles stehen und liegen und gehe lange alleine spazieren. Ich mag lange Wanderungen, in denen ich genügend Zeit habe, um vor mich hinzuträumen und meinen Gedanken nachzuhängen – ohne die Möglichkeit zu haben, zum Schreibtisch zu rennen und über den kleinsten beruflichen Verpflichtungen zu brüten –, und so steigen Lösungen in mein Bewusstsein auf. Das ist zwar kein revolutionär neuer Ansatz, funktioniert bei mir aber immer. Ich muss ein Gerät mitnehmen, um bei meinen Spaziergängen Notizen machen zu können, weil die Ideen so schnell kommen, dass ich sie oft vergesse, wenn ich sie nicht gleich aufschreibe. Die Abgeschiedenheit verleiht mir neue Kraft. Es ist erstaunlich, wie wenig Zeit man tagsüber hat, um wirklich für sich zu sein. Dieser Rückzug tut gut.