»In den letzten Jahren ertappe ich mich dabei, wie ich alle meine wichtigen Beziehungen durch die Enneagramm-Linse betrachte. … Ich wünschte, ich wäre viel früher darauf gekommen.«
DREW HOUSTON
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dropbox.com
DREW HOUSTON ist CEO und Mitgründer von Dropbox. Nach seinem Abschluss am MIT 2006 verarbeitete er seinen Frust darüber, USB-Sticks mitschleppen und Dateien an sich selbst mailen zu müssen, zu einer Demoversion, aus der später Dropbox werden sollte. Anfang 2007 bewarben er und sein Mitgründer Arash Ferdowsi sich beim Tech-Förderer Y Combinator. Dropbox wurde zu einem der wachstumsstärksten Start-ups in der Geschichte von YC – mit derzeit über 500 Millionen registrierten Nutzern und mehr als 1500 Beschäftigten an 13 Standorten weltweit.
Welches Buch (welche Bücher) verschenkst du am liebsten? Warum? Welche ein bis drei Bücher haben dein Leben am stärksten beeinflusst?
Ich bewundere seit jeher die Klarheit der Gedanken von Warren Buffett und Charlie Munger – und wie sie es verstehen, komplexe Themen in einfachen Worten zu erklären. Poor Charlie’s Almanack von Charlie Munger veranschaulicht das für mich mustergültig.
Als CEO eines Unternehmens und im Leben ganz allgemein steht man vor einer schwindelerregenden Fülle von Entscheidungen in Bereichen, von denen man wenig Ahnung hat – und das, während sich die Rahmenbedingungen ständig verändern. Wie findet man sich da zurecht? Wie kann man Urteilsvermögen und Weisheit entwickeln, ohne erst auf Lebenserfahrung zu warten?
Poor Charlie’s Almanack ist eine gute Grundlage. Das Buch beschreibt, wie man in jeder Situation, auch bei vergleichsweise begrenztem geistigem Instrumentarium, gute Entscheidungen trifft: die großen, bleibenden Ideen der grundlegenden akademischen Disziplinen. Mit diesen Konzepten kommt in der Schule praktisch jeder in Berührung, doch nur wenige lernen, sie zu beherrschen oder im Alltag anzuwenden. Meiner Erfahrung nach ist es dieses grundlegende, prinzipienorientierte Denken, das ungewöhnliche Erkenntnisse und eine Überzeugung ermöglicht, die wirklich große Gründer von den lediglich guten unterscheiden.
Welche Überzeugungen, Verhaltensweisen oder Gewohnheiten, die du dir in den letzten fünf Jahren angeeignet hast, haben dein Leben am meisten verbessert?
Mich hat Enneagramm enorm weitergebracht. Auf den ersten Blick ist das ein Persönlichkeitstypisierungsinstrument à la Myers-Briggs. Es gibt neun Enneagramm-»Typen«, und einer davon ist bei jedem Menschen dominant. Weitaus nützlicher und prognosekräftiger fand ich aber, wie sich die Menschen tatsächlich verhalten.
Am Anfang war ich skeptisch, doch nachdem ich die Beschreibung für meinen Typ gelesen hatte, fand ich, dass sie geradezu unheimlich zutreffend wiedergab, wie ich ticke: was mich motiviert, wo meine natürlichen Stärken liegen und wo tendenziell meine blinden Flecken und so weiter. Das hat mir geholfen, meine Rolle und meinen Führungsstil auf meine Stärken zuzuschneiden.
Bei einem Team funktioniert das sogar noch besser. Alle unsere leitenden Führungskräfte haben sich selbst typisiert, und wir fordern alle Dropbox-Beschäftigten auf, sich damit zu befassen. (Kostenlose) Online-Tests und -Ressourcen sind leicht zu finden.
In den letzten Jahren ertappe ich mich dabei, wie ich alle meine wichtigen Beziehungen durch die Enneagramm-Linse betrachte. Das ist eine großartige Methode, mehr Empathie für die Menschen in seinem Leben zu entwickeln und besser zu verstehen, warum sie sind, wie sie sind. Ich wünschte, ich wäre viel früher darauf gekommen.
Welchen Rat würdest du einem intelligenten, motivierten Studenten für den Einstieg in die »echte Welt« geben? Welchen Rat sollte er ignorieren?
Darüber habe ich gründlich nachgedacht, als ich 2013 die Abschlussrede am MIT halten sollte. Damals sagte ich, wenn ich einen Spickzettel hätte, den ich mir selbst mit 22 zustecken könnte, stünden darauf drei Dinge: ein Tennisball, ein Kreis und die Zahl 30.000.
Der Tennisball steht dafür, etwas zu finden, für das man richtiggehend Besessenheit entwickeln kann – wie die Hündin, die ich als Kind hatte: Warf man für sie einen Tennisball, sah sie nichts anderes mehr. Die erfolgreichsten Menschen, die ich kenne, sind besessen davon, ein Problem zu lösen, das ihnen wirklich am Herzen liegt.
Der Kreis bezieht sich auf die Vorstellung, dass man selbst der Durchschnitt aus seinen fünf besten Freunden ist. Schaff dir ein Umfeld, das das Beste aus dir herausholt.
Dann kommt noch die Zahl 30.000. Mit 24 stolperte ich über eine Website, auf der stand, dass die meisten Menschen rund 30.000 Tage leben. Schockiert stellte ich fest, dass ich bereits 8.000 davon hinter mir hatte. Sorge also dafür, dass jeder Tag zählt.
Diesen Rat würde ich heute noch genauso geben. Ich würde aber klarstellen, dass es nicht nur um die eigene Leidenschaft geht, oder darum, Träume zu verwirklichen. Achte darauf, dass das Problem, das dir zur Obsession wird, eines ist, das gelöst werden muss und bei dem dein Beitrag wirklich etwas bewirkt. Wie es bei Y Combinator heißt: »Mach etwas, was die Leute brauchen.«
Wozu kannst du heute leichter Nein sagen als vor fünf Jahren? Welche neuen Erkenntnisse und/oder Ansätze haben dir dabei geholfen?
Das ist mir sehr schwer gefallen. Ich helfe anderen gern. Doch ich habe ein paar Dinge erkannt, die mich manches anders sehen ließen: Man hat weniger Zeit, als man denkt, und man verbringt sie anders, als man denkt.
Die folgende Analogie hat mir geholfen. Stell dir deine Lebenszeit als Gefäß vor, deine Prioritäten als Steine, und alles andere als Kiesel oder Sand. Wie lässt sich das Gefäß am besten füllen?
Auf den ersten Blick nicht so schwierig. Da sind sich alle einig: Man fängt mit den Steinen an, dann füllt man die Kiesel ein, und zum Schluss den Sand. Dachte ich auch. Als ich es das erste Mal ausprobierte (beim Lesen von The Effective Executive von Peter Drucker, meiner Ansicht nach eines der besten Managementbücher aller Zeiten), war ich überzeugt, dass ich mich die meiste Zeit der Einstellung neuer Mitarbeiter und der Arbeit an unserem Produkt widmete [den Steinen also].
Doch als ich dann ein paar Wochen lang stundengenau über meine Zeit Buch geführt hatte, stellte ich schockiert fest (wie jeder, der das einmal versucht hat), dass 1) mein Gefäß überwiegend mit Sand gefüllt war und 2) wirklich wichtige Steine auf den Boden gefallen waren.
Das half mir, Dinge, die von außen an mich herangetragen wurden, im richtigen Licht zu sehen. Erstens ist mein Gefäß nicht sehr groß. Fülle ich es mit meinen Steinen oder lasse ich zu, dass andere ihre Steine hineingeben? Ich habe sogar einen E-Mail-Ordner, der »OPP« heißt, um mich daran zu erinnern, dass diese Anfragen »other people’s priorities« sind – die Prioritäten anderer. Ich überlege mir gut, bevor ich unaufgefordert eingehende Anliegen anderer vor meine Teamkollegen und Kunden stelle, die sich stillschweigend darauf verlassen, dass ich meinen eigentlichen Job mache. Wohlgemerkt soll das nicht heißen, dass man anderen nie helfen sollte. Man sollte sich lediglich über die Folgen der eigenen Entscheidungen im Klaren sein.
Noch ein paar Tipps: Blocke schon im Vorfeld konkrete Zeitfenster für deine Steine, damit du dir gar keine Gedanken darüber machen musst. Flüchte dich nicht in Wunschdenken (wie »Ich treibe eben Sport, wenn ich ein bisschen Zeit dafür finde.«) Wenn sich deine Steine nicht in deinem Terminkalender wiederfinden, ist das, als gäbe es sie gar nicht. Wenn du sie nicht vordringlich einträgst, wird das auch kein anderer tun.
Ich habe nicht nur gelernt, Nein zu sagen, sondern auch, dass man nicht jedem lange Erklärungen schuldet und dass man nicht jede E-Mail beantworten muss (vor allem, wenn sie unaufgefordert ins Haus flattert). Kurze einzeilige Antworten wie »Vielen Dank für die Einladung, aber ich kann nicht.« oder »Danke, dass Sie an mich gedacht haben – leider habe ich mit [meinem Unternehmen] alle Hände voll zu tun und daher keine Zeit für ein Treffen.« sind absolut ausreichend.