»An großen Chancen steht nie ›große Chance‹ dran.«
SCOTT BELSKY
ist Unternehmer, Autor und Investor. Er ist Venture-Partner bei Benchmark, einem Wagniskapitalunternehmen aus San Francisco. Außerdem war er 2006 Mitgründer von Behance und dort CEO, bis Adobe die Firma 2012 kaufte. Millionen von Menschen verwenden Behance, um ihre Portfolios zu präsentieren, aber auch, um fähige Köpfe aus allen Kreativbranchen zu verfolgen und zu finden. Scott hat neben anderen wachstumsstarken Start-ups frühzeitig in Pinterest, Uber und Periscope investiert und sitzt dort in Beiräten.
Wenn du an einem beliebigen Ort ein riesiges Plakat mit beliebigem Inhalt aufhängen könntest, was wäre das und warum?
Auf der Plakatwand würde stehen: »An großen Chancen steht nie ›große Chance‹ dran.«
Ob du nach dem idealen neuen Job, Kunden, Partner oder nach einer neuen Geschäftschance suchst, sie werden sich dir kaum auf den ersten Blick offenbaren. Manchmal geht man über die besten Chancen zunächst achtlos hinweg. Großartige Chancen wirken oberflächlich betrachtet meist wenig attraktiv. Eine Chance ist dann interessant, wenn sie Aufwärtspotenzial bietet. Wäre das Aufwärtspotenzial offensichtlich, hätte sie schon jemand anderer wahrgenommen.
Bezeichne dich nicht als Visionär oder versuche, unverhältnismäßigen Einfluss auszuüben, wenn du alle deine Entscheidungen danach triffst, was du jetzt siehst und weißt. Ich bin immer wieder überrascht, wie träge die Menschen sind, wenn sie schwerwiegende Karriereentscheidungen treffen. Steig nicht deshalb in ein Team ein, weil du es toll findest, wie es ist, sondern weil du glaubst, dass daraus mit deiner Hilfe etwas Großartiges werden kann. Sei ein »Gründer« in dem Sinn, dass du bereit bist, selbst etwas auf die Beine zu stellen – und dich nicht nur einzureihen.
Chancen muss man ergreifen, wenn sie sich bieten – nicht, wenn sie bequem oder offensichtlich sind. Das eigene Glück kann man nur schmieden, wenn man flexibler ist (man muss für die richtige Chance auch etwas aufgeben), bescheidener (den Zeitpunkt hat man nicht in der Hand) und aufgeschlossener (wenn du eine Chance siehst, dann greif zu!). Die größten Chancen im Leben bieten sich, wann sie
wollen. Sie richten sich nicht nach deinem Zeitplan.
Was ist eine deiner – gern auch absurden – Eigenheiten, auf die du nicht verzichten möchtest?
Seit mein Leben hektischer und stressiger geworden ist, behalte ich mir bestimmte Musikstücke und Snacks, die ich besonders gern mag, für bestimmte Arbeiten vor. Auf meinem Computer ist zum Beispiel eine Playlist fürs »Schreiben« – mit Stücken, die ich nur beim Schreiben höre, denn es kann besonders schwierig sein, sich Zeit zum Schreiben zu nehmen und diese auch einzuhalten. So mache ich Dinge, die ich mag, aber für selbstverständlich halte, zu etwas Besonderem – zu einer begehrten Belohnung. Meine fürs Schreiben/konzentrierte Arbeiten reservierte Playlist enthält unter anderem:
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»Everyday« von Carly Comando
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»The Aviators« von Helen Jane Long
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»Divenire« von Ludovico Einaudi
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»Mad World« von Michael Andrews und Gary Jules
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»Festival« von Sigur Rós
Zu den Snacks, die ich mir für längere Schreib- und Arbeitsphasen vorbehalte (die aber weniger wichtig sind als die geheiligte Playlist), zählen:
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Parmesan-Chips von Eli Zabar in NYC
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Brezeln mit weißer Schokolade
Dabei gönne ich mir die Leckereien nicht sofort – sondern erst, wenn deutlich wird, dass ich wirklich eine konzentrierte Arbeitsphase absolviere. Abgesehen von dieser Hürde gibt es dafür keine weiteren Regeln. Konzentriertes Arbeiten heißt für mich, dass ich mich nicht unterbrechen lasse oder zwischendurch weggehe. Konzentriertes Arbeiten ist, wenn man sich drei Stunden oder mehr einem Problem widmet, was ich in unserem ständig vernetzten Zeitalter besonders schwierig finde … daher die kleinen Belohnungen und Anreize, die ich mir für diese Art von Arbeit vorbehalte.
Welchen Rat würdest du einem intelligenten, motivierten Studenten für den Einstieg in die »echte Welt« geben? Welchen Rat sollte er ignorieren?
Setze nicht auf den perfekten Job oder Titel. Verändere dich nicht, weil du dann unwesentlich mehr verdienst. Konzentriere dich lieber auf die beiden Dinge, auf die es ankommt.
Erstens: Am Anfang muss dich jeder Karriereschritt deinem eigentlichen Interesse ein Stückchen näher bringen. Der aussichtsreichste Weg zum Erfolg ist, seinen wahren Interessen nachzugehen und sich beiläufig die Beziehungen, Kooperationen und Erfahrungen anzueignen, die im Leben entscheidend sind. Setzt man sich für eine Herzensangelegenheit ein, zahlt sich das immer aus – nur eben nicht wie und wann man damit rechnet. Stell die Weichen für deinen Erfolg, indem du neue Aufgaben und Funktionen übernimmst, die dich dem näher bringen, was dich interessiert.
Zweitens: Das Wichtigste, was man am Anfang einer beruflichen Laufbahn lernt, betrifft andere Menschen – wie man mit ihnen zusammenarbeitet, wie man geführt wird, wie man ihre Erwartungen steuert und andere führt. Insofern stellen das Team, für das man sich entscheidet, und der Chef wesentliche Faktoren für den Wert erster Berufserfahrungen dar. Triff deine Wahl nach der Qualität der Menschen, mit denen du zusammenarbeiten wirst.
Welche schlechten Ratschläge kursieren in deinem beruflichen Umfeld oder Fachgebiet?
»In jeder Branche bestimmen die Experten, wo es langgeht.«
In unserer Branche werden die Experten vergöttert, doch darüber vergessen wir oft, dass es oft die Neulinge sind, die Branchen von Grund auf verändern. Die größten Umbrüche führen Außenseiter herbei – wie Uber im Transportwesen oder Airbnb bei den Beherbergungen. Vielleicht entspricht es den Spielregeln für den Wandel einer Branche, dass man zu Anfang genug Naivität mitbringen muss, um Grundannahmen infrage zu stellen, und dann lange genug durchhalten muss, um Fertigkeiten zum Einsatz zu bringen, die in dem Bereich, den
man verändern möchte, einzigartig sind und Vorteile verschaffen. Vielleicht sind naive Begeisterung und pragmatische Kompetenz zu unterschiedlichen Zeiten gleich wichtig.
»Die Kunden wissen es besser.«
Bei Behance habe ich ganz am Anfang, 2007, eine einzige Fokusgruppe geleitet. Damals diskutierten wir verschiedene Ansätze für unsere Mission, »die kreative Welt zu organisieren.« Wir legten den Teilnehmern der Fokusgruppe fünf oder sechs verschiedene Ideen vor und baten sie dann, einen Fragebogen auszufüllen. Einhellig sagten alle Teilnehmer, das Letzte, was sie wollten, sei »noch ein soziales Netzwerk, um sich mit anderen Kreativen zu vernetzen.« Sie dachten, Myspace erfülle diesen Zweck bereits hinlänglich. Doch auf die Frage nach ihren größten Problemen sprachen die Befragten von den Kosten und den Ineffizienzen der Führung eines Online-Portfolios und davon, wie schwierig es sei, zu erreichen, dass einem die eigenen kreativen Werke auch zugeschrieben würden.
Das war ein klassisches Beispiel dafür, dass man Kunden nicht fragen sollte, was sie wollen, sondern lieber herausfinden sollte, was sie brauchen. Am Ende entwickelten wir ein soziales Netzwerk für kreative Berufsgruppen, das mit über 12 Millionen Mitgliedern inzwischen die führende professionelle Kreativ-Community der Welt ist – und sechs Jahre später von Adobe aufgekauft wurde.
Was tust du, wenn dir alles zu viel wird, du nicht mehr fokussiert bist oder deine Konzentration nachlässt?
Ich sage mir dann: »Scott, mach deinen verdammten Job.« Um uns herum und in uns geht so viel Dramatisches vor, dass man sich allzu leicht ablenken lässt – oder zu viel in eine Situation hineininterpretiert. Es lässt sich so einfach rechtfertigen, warum man zu beschäftigt ist oder warum man etwas nicht gleich tut, das erledigt werden muss. Ich bin sehr fürs Pragmatische. Wenn ich etwas Profanes zu erledigen habe oder etwas besonders Heikles – etwa eine schlechte Nachricht überbringen oder einen Mitarbeiter entlassen –, dann rufe ich mich bewusst zur Ordnung und sage mir: »Mach deinen verdammten Job.« Dieser persönlichen Direktive ist wenig entgegenzusetzen.