»Wenn es schon Allgemeinwissen ist, ist es wahrscheinlich zu spät, um einen großen Beitrag zu leisten. Wenn man der Einzige ist, der von etwas begeistert ist, macht man sich möglicherweise etwas vor.«
STEVEN PINKER
ist ein Johnstone-Family-Professor im Fachbereich Psychologie an der Harvard University. Er forscht zu Sprache und Kognition, schreibt für die New York Times
und The Atlantic
und hat zehn Bücher verfasst, unter anderem The Language Instinct, How the Mind Works, The Blank Slate, The Better Angels of Our Nature
; sein neuestes Werk ist The Sense of Style: The Thinking Person’s Guide to Writing in the 21st Century
. Er wurde von der American Humanist Association zum »Humanisten des Jahres« gewählt und gehört laut der Zeitschrift Prospect
zu den »100 öffentlichen Intellektuellen« der Welt. Auch Foreign Policy
und Time Magazine
zählen ihn zu den wichtigsten »100 großen globalen Denken« bzw. »100 einflussreichsten Denkern der Welt«.
Welche Anschaffung von maximal 100 Dollar hat für dein Leben in den letzten sechs Monaten (oder in letzter Zeit) die größte positive Auswirkung gehabt?
Das Programm X1 Search: Es bietet eine schnelle, präzise Suche anhand unabhängiger Kriterien (und kein Google-artiger Suchbegriff-Gulasch), um meine Daten und E-Mails zu durchforsten, die teilweise bis in die 1980er Jahre zurückreichen. Mit der zunehmenden Fülle an Informationen und meinem nicht gleichzeitig besser werdenden Gedächtnis ist das ein echter Segen.
Wenn du an einem beliebigen Ort ein riesiges Plakat mit beliebigem Inhalt aufhängen könntest, was wäre das und warum? Gibt es Zitate, an die du häufig denkst oder nach denen du lebst?
»Wenn ich nicht für mich bin, wer ist dann für mich? Solange ich aber nur für mich selber bin, was bin ich? Und: Wenn nicht jetzt, wann sonst?« – Rabbi Hillel
Welchen Rat würdest du einem intelligenten, motivierten Studenten für den Einstieg in die »echte Welt« geben? Welchen Rat sollte er ignorieren?
1.
Finde ein neues Thema, Gebiet oder Problem, das noch kein Mainstream-Trend oder Allgemeinwissen ist, sondern von einer kleinen Schar von Leuten bearbeitet wird, die dich schätzen. Wenn es schon Allgemeinwissen ist, ist es wahrscheinlich zu spät, um noch einen großen Beitrag zu leisten. Wenn man der Einzige ist, der von etwas begeistert ist, macht man sich möglicherweise etwas vor.
2.
Ignoriere den Rat, deiner Intuition oder dem Bauchgefühl zu folgen, ohne darüber nachzudenken, ob ein weiteres Vorgehen produktiv und lohnenswert ist.
3.
Achte auf Effektivität – was du mit deinen Aktionen erreichen wirst. Selbstverwirklichung und andere Arten, sich gut fühlen, sind in diesem Zusammenhang nebensächlich.
4.
Denke nicht, dass die Kunst und andere sprachbezogene Berufe die einzigen angesehenen Berufe sind (was viele Enkel ehemaliger Arbeiter annehmen). Die sogenannten Eliten verspotten Handel und Gewerbe als niveaulos, aber sie geben den Menschen das, was sie wollen und brauchen, und sie finanzieren alles, unter anderem auch den Luxus der Kunst.
5.
Überlege dir, welchen Beitrag zur Welt du leisten kannst. Einige lukrative Berufe (Ultra-High-Tech-Finanzen) sind höchst zweifelhafte Anwendungen menschlicher Geisteskraft.
Welches Buch (welche Bücher) verschenkst du am liebsten? Warum? Welche ein bis drei Bücher haben dein Leben am stärksten beeinflusst?
36 Arguments for the Existence of God: A Work of Fiction
von Rebecca Newberger Goldstein (ich geb’s ja zu, ich bin mit ihr verheiratet, aber das setzt mich umso stärker unter Druck, weil mein Urteil erst recht in Verruf geraten würde, wenn diese Buchempfehlung nicht gerechtfertigt wäre). Es ist die beste Untersuchung der Argumente, die für eine Existenz Gottes sprechen, die von der Hauptfigur, einem Religionspsychologen, als nichtfiktionaler Anhang verfasst sind. Es ist außerdem humorvoll, bewegend und betrachtet die Marotten heutiger Akademiker und Intellektueller mit einem Augenzwinkern.
Ich kann nicht behaupten, dass es ein Buch (oder auch drei Bücher) gibt, die meine Denkweise stark beeinflusst hätten – so funktioniert mein Geist nicht. Aber hier sind einige wichtige Bücher:
The Strategy of Conflict
von Thomas C. Schelling
The Science of Words
von George A. Miller
Retreat from Doomsday
von John Mueller
The Nurture Assumption
von Judith Rich Harris
The Evolution of Human Sexuality
von Donald Symons
Knowledge and Decisions
von Thomas Sowell
Clear and Simple as the Truth
von Francis Noël-Thomas und Mark Turner
Welche Überzeugungen, Verhaltensweisen oder Gewohnheiten, die du dir in den letzten fünf Jahren angeeignet hast, haben dein Leben am meisten verbessert?
Ein langweiliges, stereotypes, aber notwendiges Verhalten: Alle meine Artikel, alle neuen Bücher außer jenen, die ich zum Vergnügen lese, in elektronischer Form zu speichern. Früher musste ich mich durch Berge von Papier kämpfen, und da ich mich oft an verschiedenen Orten aufhalte und viel auf Reisen bin, hatte ich das, was ich gerade dringend brauchte, oft nicht zur Hand. Elektronische Versionen haben nicht nur eine praktische Suchfunktion, sondern – da wir ohnehin viel zu viel »unnötigen Kram« besitzen – ich nehme an einer großen Entmaterialisierung des Lebens teil, die der Umwelt zugutekommt.
Wozu kannst du heute leichter Nein sagen als vor fünf Jahren?
E-Mails von Unbekannten oder entfernten Bekannten, die mich um einen zeitaufwändigen Gefallen bitten, weil sie denken, dass ich (fragwürdigen) Einfluss und Macht besäße. Es
heißt, dass die Reichen und Schönen niemals wissen, wer ihre Freunde sind. Offenbar trifft diese Aussage auch auf Leute zu, die in einem Berufsfeld ein gewisses Standing haben.
Was tust du, wenn dir alles zu viel wird, du nicht mehr fokussiert bist oder deine Konzentration nachlässt?
Die oberflächliche, aber kurzfristig nützliche Strategie ist es, Oscar Wildes Ratschlag zu folgen: »Der einzige Weg, eine Versuchung loszuwerden, ist, ihr nachzugeben« (vorausgesetzt, dass sie für einen selbst oder andere nicht destruktiv ist). Manchmal beteilige ich mich an völlig unnötigen Online-Diskussionen über Kamerazubehör oder schaue mir YouTube-Videos von Rockmusik der 1960er Jahre an. Eine bessere Taktik ist vielleicht die Suche nach einer Antwort auf Fragen wie: »Was wird mir in sechs Monaten, einem Jahr, fünf Jahren wichtig sein? Was ist in Bezug auf meine Lebensprioritäten notwendig, was optional?«