»Niemand darf dir vorschreiben, wie du die Welt erlebst.«
VLAD ZAMFIR
ist Blockchain-Architekt und Forscher bei Ethereum, wo er an der Effizienz und der Skalierung der Blockchain arbeitet. Vlad interessiert sich für Governance- und Datenschutz-Lösungen und ist der Mensch, der mich zum ersten Mal mit dem Absurdismus in Berührung brachte. Er schreibt häufig Beiträge für Medium und lebt in der Antarktis (oder will uns das zumindest weismachen).
Welches Buch (welche Bücher) verschenkst du am liebsten? Warum? Welche ein bis drei Bücher haben dein Leben am stärksten beeinflusst?
Introduction to Mathematical Philosophy
von Bertrand Russell
Complexity and Chaos
von Dr. Roger White
The Lily: Evolution, Play, and the Power of a Free Society
von Daniel Cloud
Wenn du an einem beliebigen Ort ein riesiges Plakat mit beliebigem Inhalt aufhängen könntest, was wäre das und warum?
»Niemand darf dir vorschreiben, wie du die Welt erlebst.« Das hilft Menschen meines Erachtens besser als alles andere, eigenständig zu denken. Warum, weiß ich nicht genau. Das Zitat stammt übrigens von meinem Freund Tom.
Was ist eine deiner – gern auch absurden – Eigenheiten, auf die du nicht verzichten möchtest?
Ich bin ausgesprochen pedantisch, was den Gebrauch des Begriffs »absurd« angeht. Du meinst mit absurd beispielsweise »lächerlich«, nicht »kontraproduktiv« oder »sinnlos«. Ich verwende das Wort gewöhnlich nur im letztgenannten Sinn und habe die »ungewöhnliche« Angewohnheit, jeden darauf hinzuweisen, der es gedankenlos benutzt.
Welcher (vermeintliche?) Misserfolg war die Voraussetzung für deinen späteren Erfolg? Hast du einen »Lieblingsmisserfolg«?
Mein »Lieblingsmisserfolg« war es, der mich den Absurdismus entdecken ließ. Ich beging den Fehler, die Dinge zu ernst zu nehmen, und am Ende verletzte ich dadurch jemanden, der mir viel bedeutete.
Vielleicht sollte ich dazusagen, dass »Absurdität« und »Vernunft« keine binären Fragen sind, und auch keine quantitativen. Es entspricht vielmehr einem präzisen Bezug zur Realität, welche Verhaltensweisen und Absichten in einem bestimmten Kontext vernünftig oder absurd sind. Dennoch kann es sehr nützlich sein, sie binär oder quantitativ zu betrachten.
Der Absurdismus liefert eine klare Versagensphilosophie: Entweder war die Absicht absurd, oder die Strategie war nicht vernünftig, oder sie war vernünftig, wurde aber nicht richtig umgesetzt.
Es ist oft schwer zu sagen, ob ich das Unmögliche versuche, ob es vernünftige Herangehensweisen gibt, an die ich noch nicht gedacht habe, oder ob ich die richtige Herangehensweise gefunden habe, aber nicht kompetent genug praktiziere.
Gelange ich zu dem Schluss, dass meine Absicht absurd ist, gebe ich auf – und zwar ganz gezielt, wenn es sein muss. Halte ich sie nicht für absurd, probiere ich weiter Strategien aus, die mir vernünftig erscheinen. Dabei verlege ich mich auf die Strategien, die ich für die vernünftigsten halte, wenn ich meiner Absicht unbedingt folgen möchte.
Absurdismus ist nicht nur ein Werkzeug, das Menschen zu mehr Vernunft verhilft. Er ist gleichzeitig eine Kritik des Rationalismus. Er besagt, dass unter bestimmten Umständen schon die Absicht absurd sein kann. Dass Rationalität absurd sein kann und deshalb kein
Maßstab ist. Unter solchen Bedingungen ist es nicht sinnvoll, Entscheidungen über das weitere Vorgehen oder die eigene Zeitplanung zu treffen, wenn das bedeutet, »ein Ziel auszuwählen, das man erreichen will«.
Welche Überzeugungen, Verhaltensweisen oder Gewohnheiten, die du dir in den letzten fünf Jahren angeeignet hast, haben dein Leben am meisten verbessert?
Der Absurdismus! Er ist mit nichts zu vergleichen.
Ich habe festgestellt, dass er unverhältnismäßig effektiv ist in der Mathematik, in der Pflege von Beziehungen, im Umgang mit Ignoranz, bei ethischen Überlegungen, im Umgang mit Depressionen und für das Lebensglück im Allgemeinen. Wenn ich nicht weiterweiß, lasse ich mich vom Absurdismus leiten.
Mit »unverhältnismäßig effektiv« meine ich übrigens etwas ganz Bestimmtes. Unverhältnismäßig effektiv ist etwas, wenn es den zu erwartenden Nutzen übersteigt – also den Kontext sprengt, in dem/für den es entwickelt wurde.
Mathematik ist unverhältnismäßig effektiv, weil sie sich auf viele Bereiche anwenden lässt, die nichts mit Mathematik oder dem Kontext zu tun haben, in dem Mathematik entwickelt wird.
Wirtschaftswissenschaft ist unverhältnismäßig effektiv, weil sie Nutzen bringt, obwohl die zugrundeliegenden Annahmen häufig offensichtlich falsch sind: Annahmen wie Rationalität, quadratischer Nutzen, Effizienz und Preise, die der Brown’schen Molekularbewegung folgen.
Statistik ist unverhältnismäßig effektiv, weil sie auch noch Nutzen zu bringen scheint, wenn wir offensichtlich falsche Annahmen treffen – wenn wir etwa von einer Normalverteilung ausgehen, obwohl keine vorliegt –, aber auch, weil sie offenbar selbst dann gut funktioniert, wenn wir bewährte Praktiken eklatant missachten (etwa durch Änderungen unserer Methoden oder Hypothesen nach der Beobachtung von Daten und ihrer anschließenden Überprüfung).
Sich unverhältnismäßig effektiver Theorien zu bedienen, ist (meiner Ansicht nach) durchaus vertretbar, wenn uns keine besseren Strategien zur Verfügung stehen. Dafür kann es viele Gründe geben, etwa Informationsmangel, mangelnde Rechenleistung oder mangelnde Vereinbarkeit mit anderen Ideen oder auch schlicht Bequemlichkeit oder bestimmte Interessen.
Absurdismus ist unverhältnismäßig effektiv, weil er offenbar sehr wenig mit irgendeiner bestimmten Situation zu tun hat, doch (wie ich behaupte) am Ende in der Praxis in vielen Situationen hilfreich ist. Das fällt mir ganz besonders auf, wenn ich nicht weiterweiß.
Ein gutes Beispiel sind Depressionen. Bei mir entstehen sie gewöhnlich, weil ich bestimmte Absichten habe, sie aber aus irgendeinem Grund nicht ausleben kann (oder es einfach nicht tue, vielleicht weil mir die Motivation fehlt). Gleiten meine Bemühungen ins Absurde ab, bemühe ich mich nach Kräften, sie einzustellen.
Ich nehme mir häufig etwas – oder sogar eine ganze Menge – vor und zerfleische mich dann, weil ich es nicht schaffe – oft so sehr, dass es mich depressiv macht. Ich werde nur deshalb depressiv, weil ich nicht tue, was ich meiner Meinung nach tun sollte.
Ich habe festgestellt, dass es mir sehr hilft, einfach mit allem aufzuhören, was ich eigentlich tun wollte – wenn auch nur vorübergehend (wenn es mir möglich ist, meine Absichten klar zu erkennen und davon Abstand zu nehmen, was nicht immer der Fall ist). Sobald ich aufgegeben und beschlossen habe, nichts vom dem zu tun, was ich mir vorgenommen hatte, verflüchtigt sich meine depressive Verstimmung fast immer. Manchmal reicht das schon aus, damit ich mich wieder den Dingen zuwenden kann, die ich eigentlich erledigen wollte. Manchmal aber nicht, und dann muss ich erst etwas ganz anderes machen, bis ich dazu bereit bin. Oft stelle ich am Ende fest, dass das alles gar nicht so wichtig ist, und dann lasse ich ein für alle Mal die Finger davon.
Was ist das beste oder lohnendste Investment, das du je getätigt hast (in Form von Geld, Zeit, Energie etc.)?
Die viele Zeit, die ich mit Mathematik und Philosophie zugebracht habe, zahlte sich aus – was (fast) ohne jeden Zweifel auch so bleiben dürfte.
Die Infragestellung der Grundlagen der Bayes’schen Statistik war ein ausgesprochen wertvoller Prozess – ebenso wie die Überarbeitung der Definitionen und der Unmöglichkeitsergebnisse aus der Konsensliteratur.
Welche Anschaffung von maximal 100 Dollar hat für dein Leben in den letzten sechs Monaten (oder in letzter Zeit) die größte positive Auswirkung gehabt?
Eine Audio-Vortragsreihe über Institutionenökonomie mit dem Titel »International Economic Institutions: Globalism vs. Nationalism«. Für mich war sie interessant/wichtig, weil ich mir dadurch zum ersten Mal wirklich Wissen über Institutionsdesign angeeignet habe. Ich glaube jetzt, da ich mehr über das Wesen der Institutionen weiß, verstehe ich viel besser, »wie die Gesellschaft funktioniert«. Wenn ich auch nicht behaupten kann, dass ich viel davon verstehe! Ich habe versucht, manche meiner Erkenntnisse zu »kristallisieren«, doch das ist mir nicht sehr gut gelungen.
In der Praxis habe ich jetzt aber eine viel klarere Vorstellung von Blockchain-Governance. Mir ist bewusst, dass wir bereits eine Handvoll entstehender Blockchain-Governance-Institutionen haben! Ich weiß, was es für eine Institution bedeutet, ob sie offiziell oder weniger offiziell beziehungsweise implizit/ad hoc oder weniger implizit/ad hoc ist. Ich bin jetzt absolut aufgeschlossen für die Möglichkeit, dass eine Institutionalisierung ein vernünftiger Prozess sein kann – nicht nur einer, der unweigerlich auf Hybris beruht.
Was tust du, wenn dir alles zu viel wird, du nicht mehr fokussiert bist oder deine Konzentration nachlässt?
Ich mache ein Nickerchen. Ich versuche, keine Kohlenhydrate zu mir zu nehmen.
Ich versuche, jeden Tag drei bis vier Stunden Zeit für mich zu haben. Das geht aber nicht immer. Ich versuche, offline zu arbeiten. Manchmal meditiere ich auch.
Ich plane nach Möglichkeit so, dass ich alles entspannter angehen und meine Zeit auf wichtigere Dinge konzentrieren kann. Ich versuche, mein Leben nicht unnötig kompliziert zu gestalten. Das bedeutet, dass ich viele Termine absage, doch das ist es wert.
Und ich kann das immer besser!