»Sobald du aufhörst, dir Gedanken darüber zu machen, wie du von der Welt wahrgenommen wirst … hörst du schlagartig auf, deine Zeit und Energie damit zu verschwenden, andere Leute von deiner Sichtweise zu überzeugen.«
DR. PETER ATTIA
ist ein ehemaliger Ultra-Ausdauersportler (Freiwasserschwimmen über 40 km), geradezu zwanghaft zu Selbstversuchen hingezogen und einer der faszinierendsten Menschen, die ich kenne. Er gehört zu den Ärzten, die ich aufsuche, wenn ich wissen will, wie ich meine Leistung oder Lebenserwartung verbessern kann. Peter promovierte an der Stanford University und machte seinen Bachelor of Science in Maschinenbau und angewandter Mathematik an der Queen’s University in Kingston, Ontario. Seine ärztliche Weiterbildung absolvierte er an der chirurgischen Abteilung des Johns Hopkins Hospitals, darüber hinaus forschte er am National Cancer Institute unter der Leitung von Dr. Steven Rosenberg. Dort befasste sich Peter mit der Rolle regulatorischer T-Zellen bei der Rückbildung von Krebs und anderen immunbasierten Krebstherapien.
Welches Buch (welche Bücher) verschenkst du am liebsten? Warum? Welche ein bis drei Bücher haben dein Leben am stärksten beeinflusst?
Folgende Bücher haben mich am stärksten beeinflusst:
The Transformed Cell
von Steven A. Rosenberg
Mistakes Were Made (but Not by Me)
von Carol Tavris und Elliot Aronson
Surely You’re Joking, Mr. Feynman!
von Richard P. Feynman
Wenn du an einem beliebigen Ort ein riesiges Plakat mit beliebigem Inhalt aufhängen könntest, was wäre das und warum? Gibt es Zitate, an die du häufig denkst oder nach denen du lebst?
Wenn es eine wirklich große Anzeigentafel ist, würde ich für Folgendes plädieren:
»Die fundamentale Ursache für Ärger ist, dass sich in der modernen Welt die Dummen absolut sicher sind, während die Intelligenten voller Zweifel sind.«
– Bertrand Russell
»Der größte Feind der Wahrheit ist nicht die Lüge – absichtsvoll, künstlich, unehrlich –, sondern der Mythos – fortdauernd, verführerisch und unrealistisch. Allzu oft klammern wir uns an die Klischees unserer Vorfahren. Wir zwängen alle Fakten in ein vorgefertigtes Interpretationsschema. Wir genießen die Bequemlichkeit der Meinung ohne die Unbequemlichkeit des Denkens.«
– John F. Kennedy
»Kein Problem kann auf derselben Bewusstseinsebene gelöst werden, auf der es geschaffen wurde.«
– Albert Einstein
»Wenn man sich ein Ziel setzt, sollte es die folgenden beiden Bedingungen erfüllen:
1) Es muss relevant sein. 2) Man soll das Ergebnis beeinflussen können.« – Peter Attia
Welche Überzeugungen, Verhaltensweisen oder Gewohnheiten, die du dir in den letzten fünf Jahren angeeignet hast, haben dein Leben am meisten verbessert?
Mein Verständnis für den Einsatz von Hormonersatztherapie (HET) bei Männern und Frauen hat sich enorm weiterentwickelt. Das Zitat von JFK war für mich wirklich ein Schlag ins
Gesicht. Ich hatte lange einfach vorausgesetzt, dass HET »schlecht« sei, weil ich das, nun ja, im Studium so gelernt hatte und einige Koryphäen diese Meinung vertraten. Ich will damit nicht sagen, dass jeder von uns ab sofort Hormone nehmen soll – das endokrine System ist hochkomplex und ich verstehe nicht einmal die pauschalen Behauptungen, die in diesem Zusammenhang gemacht werden –, aber es stört mich mittlerweile gewaltig, dass ich nicht einmal bereit war, diese Therapie in Erwägung zu ziehen, ohne sie mir genau anzusehen und mich mit der Fachliteratur zu befassen. Außerdem frage ich mich, wie ich diese Frage wohl in fünf Jahren beantworten werde.
Was ist das beste oder lohnendste Investment, das du je getätigt hast (in Form von Geld, Zeit, Energie etc.)?
Vermutlich dass ich mit dem Boxen angefangen habe, obwohl ich diesbezüglich gemischte Gefühle habe, weil infolge der vielen Schläge mein IQ mit Sicherheit um 10 bis 20 Punkte gesunken ist. Ich habe den Sport viele Jahre ausgeübt, weil ich Profiboxer werden wollte. Dieses Ziel bildete die Grundlage für die Arbeitseinstellung und Disziplin, die mein weiteres Leben bestimmen sollten, als ich mit 18 Jahren beschloss, Mathematik und Maschinenbau zu studieren. Es gab mir auch ein großes Selbstbewusstsein, das sich seltsamerweise bis heute gehalten hat (obwohl ich mich selbst durch einen Sommerschlussverkauf kaum durchschlagen könnte). Ich erinnere mich, dass ich damals sehr zuversichtlich war, mich selbst oder eine andere Person verteidigen zu können. Deshalb hatte ich überhaupt kein Bedürfnis nach Konfrontationen und amüsierte mich sogar insgeheim, wenn jemand (ein pseudoharter Kerl) dachte, ich hätte Angst vor ihm. Das war nicht der Fall, aber der Punkt ist, dass ich erkannte, dass die Fähigkeit an sich ausreichte; ich musste sie nicht anwenden oder zur Schau stellen.
Was ist eine deiner – gern auch absurden – Eigenheiten, auf die du nicht verzichten möchtest?
Egg-Boxing – das Aneinanderschlagen zweier Eier, um zu sehen, welches von beiden siegreich aus dem Kampf hervorgeht. Ich bin davon überzeugt, dass Egg-Boxing das Zeug dazu hat, ein international anerkannter Sport und sogar eine olympische Disziplin zu werden, wenn die Welt nur mehr darüber wüsste – allerdings wäre es dann keine ausgefallene Gewohnheit mehr. [
Anmerkung von Tim:
Egg-Boxing verdient zweifellos ein eigenes Kapitel, würde den Rahmen dieses Buches aber sprengen. Ein Video von Peter beim Egg-Boxing findet sich auf
tim.blog/eggboxing
.]
Welchen Rat würdest du einem intelligenten, motivierten Studenten für den Einstieg in die »echte Welt« geben? Welchen Rat sollte er ignorieren?
Mein Ratschlag: Bleib so authentisch wie möglich. Verstelle dich nicht. Meiner Meinung nach ist es besser, offen kaltherzig zu sein als anderen ein mitfühlendes Wesen vorzugaukeln. Wenn du wirklich an einer Gruppe von anderen Leuten interessiert bist, die durchaus klein sein kann, wirst du mit der Zeit bedeutungsvolle Beziehungen entwickeln. Mit zunehmendem Alter glaube ich, dass belanglose Beziehungen im Berufs- und Privatleben immer kräftezehrender werden, deshalb sollte man seine Energie nur in völlig aufrichtige Interaktionen stecken.
Ein zweiter Ratschlag wäre, sich konsequent und ungeniert auf die Suche nach Mentoren zu machen (und sich auch anderen als Mentor zur Verfügung zu stellen). Hierfür muss man sich natürlich an den ersten Punkt halten und mutig sein, denn man begibt sich in eine exponierte Position, in der man angreifbar ist – sowohl als Schüler, aber auch als Lehrer. Deshalb ist es wichtig, beide Positionen zu kennen.
Ein Ratschlag, den man ignorieren sollte: Ich höre sehr oft, wie jemand einen Rat erhält, der dem Denkfehler der irreversiblen Kosten entspricht: »Du hast X Jahre damit zugebracht, Y zu lernen, deshalb kannst jetzt nicht einfach aufhören und auf einmal Z machen«, heißt es dann. Ich finde diesen Ratschlag schlecht, weil er der Vergangenheit zu große Bedeutung beimisst, die sich sowieso nicht ändern lässt, und die Zukunft vernachlässigt, die noch vor einem liegt und somit völlig formbar ist.
Als ich zum Beispiel beschloss, aufs College zu gehen, wollte ich als Hauptfach Raumfahrt studieren, und deshalb schrieb ich mich für ein Programm ein, in dem ich im Grundstudium Maschinenbau und Mathematik parallel studieren konnte, um später meinen Doktor in Raumfahrt mit Schwerpunkt Kontrolltheorie zu machen (also alles Mathematik). Unabhängig davon verbrachte ich im Studium nebenher auch viel Zeit als ehrenamtlicher Helfer, der einerseits mit sexuell missbrauchten Kindern arbeitete und andererseits mit krebskranken Kindern, die gerade in Behandlung waren. In meinem letzten Studienjahr war ich mir nicht mehr so sicher, ob ich meinen Doktor in Maschinenbau noch machen wollte. Ich fühlte mich in eine völlig andere Richtung gezogen, wusste aber nicht genau, wohin mich dieser Weg führen würde. Nach viel Denken und Grübeln erkannte ich, dass die Medizin besser zu mir passte, obwohl es viele Gründe dafür gab, beim Ingenieurwesen zu bleiben (z. B. eine Auswahl an Stipendien für die besten Promotionsprogramme des Landes). Die Menschen, die ich respektierte – meine Professoren, Familie und Freunde –, dachten, ich wäre verrückt geworden. Ich hatte so hart gearbeitet, um an den Punkt zu kommen, an dem ich gerade war.
Aber ich gönnte mir ein weiteres Studienjahr, machte einen zweiten Bachelor und bewarb mich für ein Medizinstudium.
Zehn Jahre später befand ich mich wieder an einem Punkt, an dem ich das Undenkbare in Erwägung zog – so ließ ich nach zehn Jahren medizinischer Ausbildung die Medizin hinter mir, um mich einer Beratungsfirma anzuschließen und an der Modellierung von Kreditrisiken zu arbeiten. Das nächste Jahrzehnt brachte zwei weitere seismische Karrierewechsel mit sich. Vielleicht rationalisiere ich nur mein eigenes Verhalten, aber ich habe nie auf meine verschlungene Laufbahn zurückgesehen und bereut a) Zeit damit verbracht zu haben, mich in zuvor interessante Themen einzuarbeiten und darin ein hohes Maß an Kompetenz zu erlangen (Maschinenbau, Medizin), oder b) einen Karrierewechsel vorzunehmen, auch wenn mich dieser vor große Herausforderungen stellte.
Welche schlechten Ratschläge kursieren in deinem beruflichen Umfeld oder Fachgebiet?
In meinem Forschungsbereich stelle ich immer wieder fest, dass eine starke Betonung darauf liegt, wie Menschen aussehen (halbwegs wichtig) und sich fühlen (definitiv wichtig); es wird aber nur sehr wenig daran gearbeitet, den Ausbruch chronischer Erkrankungen zu verzögern, was beinahe dem mathematischen Äquivalent gleichkommt, die Lebenserwartung zu verlängern und die Lebensqualität zu verbessern. Ich staune immer wieder darüber, wie wenig die Experten in diesem Feld Ansätze unterstützen, den Ausbruch von Herzinsuffizienz, Krebs, neurodegenerativen Erkrankungen und Unfalltod zu verzögern.
Wozu kannst du heute leichter Nein sagen als vor fünf Jahren?
Ich muss nicht mehr auf meiner Meinung beharren oder das Gefühl haben, jeden Punkt zu diskutieren und auf jede Kritik zu reagieren. Mittlerweile ist mein Pendel schon eher ins andere Extrem ausgeschlagen und mein Verhalten grenzt beinahe schon an Apathie. Sobald du aufhörst, dir Gedanken darüber zu machen, wie du von der Welt wahrgenommen wirst – und dich damit zufrieden gibst, dass du selbst und ein kleiner Personenkreis weiß, dass du recht hast –, dann hörst du schlagartig auf, deine Zeit und Energie damit zu verschwenden, andere Leute von deiner Sichtweise zu überzeugen.