»Mir ist klargeworden, dass man Trends nicht folgen sollte. Man sollte sie erkennen, ohne ihnen zu folgen.«
STEVE AOKI
ist ein zweimal für einen Grammy nominierter Produzent/DJ, Entrepreneur, Gründer von Dim Mak Records und Designer der modernen Menswear-Linie Dim Mak Collection. Spring Mak Records, gegründet 1996, ist zum Sprungbrett für Bands wie The Chainsmokers, Bloc Party, The Bloody Beetroots und Gossip geworden. Als Solo-Künstler lebt Aoki auf der Straße – er absolviert 250 Tour-Aufritte pro Jahr. Sein 2016 auf Netflix Original veröffentlichter Dokumentarfilm I’ll Sleep When I’m Dead
wurde für einen Grammy nominiert. Aoki ist bekannt für seine genreübergreifenden Produktionen. Unter anderem hat er mit Linkin Park, Snoop Dogg und Fall Out Boy zusammengearbeitet. Seine Hits »Just Hold On« mit Louis Tomlinson von One Direction und »Delirious (Boneless)« mit Kid Ink haben jeweils Gold-Status erreicht, das neueste Album Kolony
stieg auf Platz 1 in die Charts für elektronische Musik ein. Kolony
ist Aokis erste konsequente Rap-Produktion, unterstützt von Lil Yachty, Migos, 2 Chainz, Gucci Mane, T-Pain und weiteren Künstlern.
Welche Anschaffung von maximal 100 Dollar hat für dein Leben in den letzten sechs Monaten (oder in letzter Zeit) die größte positive Auswirkung gehabt?
Die iMask Sleep Eye Mask ist auf Tour ein absoluter Segen; ich habe sie immer dabei. Weil wir ständig reisen und die Terminplanung sehr stressig ist, muss ich immer schlafen können, wenn es mal ruhig ist. Das ist nicht immer zu Zeiten, in denen die anderen Leute schlafen. Ich schlafe, wenn ich mit einem DJ-Auftritt fertig bin, oder im Auto. Dann setze ich meine iMask auf und bekomme meine 15 Minuten Schlaf. Im Sommer sind unsere Wochenenden oft vollgepackt – wir sind manchmal an zwei Tagen in fünf Ländern. Da muss ich jederzeit schlafen können. Das kann im Auto sein, im Flugzeug, auf dem Weg vom Hotel zur Veranstaltung oder von der Veranstaltung zum Flughafen. Ich habe die iMask dabei und setze sie auf, um zu schlafen oder Transzendentale Meditation zu machen, bei der ich manchmal auch einschlafe. Ich mag die Maske, weil sie mich von allem abschirmt. Auf Tour ist sie absolut unverzichtbar, damit ich meinen Schlaf bekomme.
Wenn du an einem beliebigen Ort ein riesiges Plakat mit beliebigem Inhalt aufhängen könntest, was wäre das und warum? Gibt es Zitate, an die du häufig denkst oder nach denen du lebst?
Ich lebe nach dem Zitat »unbedingt notwendig«. Es stammt von Malcolm X. Als ich auf dem College war, habe ich The Autobiography of Malcom X
gelesen, und seine Entschlossenheit und sein Einsatz für seine Leute und den Kampf gegen ein System, das nicht dafür da war, ihm oder seinen Leuten zu helfen, haben mich umgehauen. Er hat wirklich viel dazu beigetragen, dass Bürgerrechte ins Bewusstsein der amerikanischen Bürger gerückt sind. Das Buch war sehr bewegend, und ich weiß noch, dass ich es mehrere Male gelesen habe.
Als ich mein Label gegründet habe, wollte ich einen Slogan aus diesem Konzept kreieren, und ich wollte diese Idee von »unbedingt notwendig« als Lebenseinstellung benutzen. Als wir im Jahr 1996 mit Dim Mak begannen, hatte ich kein Geld für das Label, weil ich nur 400 Dollar besaß. Also musste ich irgendwelche Möglichkeiten finden, trotzdem Platten zu veröffentlichen. Ich tat, was immer ich konnte, mit den Werkzeugen, die ich hatte, und ohne Ausreden und Klagen. Man muss eine Möglichkeit finden, sein Projekt zu realisieren. Man muss jenseits ausgetretener Pfade denken.
Mein Team lebt und arbeitet ebenfalls nach dem Motto »unbedingt notwendig«. Aus diesem Grund schaffen wir Sachen, die andere vielleicht nicht schaffen würden. Ich bin froh, dass ich so ein tolles Team habe, das diese Lebenseinstellung mit mir teilt.
Welcher (vermeintliche?) Misserfolg war die Voraussetzung für deinen späteren Erfolg? Hast du einen »Lieblingsmisserfolg«?
Es gab eine Zeit, in der ich bei jedem Auftritt getrunken habe, und ich war viel als DJ unterwegs, vielleicht an vier Abenden pro Woche bei lokalen Shows in Los Angeles. Ich veranstaltete ein paar Dim-Mak-Partys, und wir standen an der Spitze der Welt. Wir hatten den Markt mit unserem Sound und unserer Kultur in die Tasche gesteckt, und ich wurde links und rechts gebucht. Ich war der Botschafter einer neuen Kultur in der elektronischen Musik namens »Electro«, und mein Ego wurde ziemlich groß. Ich trank und hatte Spaß. Das war ein tolles Gefühl, aber dann vergisst man die wichtigsten Dinge im Leben, weil man in einem Nebel der Selbstgefälligkeit steckt.
Dann hatte ich meine Mutter zu Besuch, die sonst nie mit dem Flugzeug kommt. Dieses Mal war eine der wenigen Ausnahmen, und ich sollte sie am Morgen abholen. Die Nacht davor war intensiv – wir feierten eine Party, ich trank und blieb superlange wach. Meine Mutter landete ungefähr um 7 Uhr, und ich habe verschlafen. Ich bin gegen 10 Uhr aufgewacht, also ungefähr drei schreckliche Stunden zu spät. Ich sah eine Text-Nachricht von meiner Mutter – dabei weiß sie kaum, wie man sowas schreibt. Ich weiß nicht warum, aber sie hat drei Stunden am Flughafen gewartet, draußen auf einer Bank. Meine arme Mutter.
Als ich dann eine Stunde später am Flughafen war, insgesamt also vier Stunden nach ihrer Ankunft, saß sie einfach ganz unschuldig auf dieser Bank, und ich bin zusammengebrochen. Sie war immer noch total lieb. Genau in diesem Moment fühlte ich, dass dieses ganze Leben mit Feiern und Trinken totaler Schwachsinn war, vor allem wenn man es nicht schafft, die richtigen Prioritäten zu behalten und seine Familie wertzuschätzen und sich um sie zu kümmern.
Das war ein Versagen, das ich nie vergessen werde. Danach habe ich aufgehört, in der Hollywood-Blase gefangen zu sein, in der jeder absolut jede Nacht ausgeht und trinkt. Man kann in dieser Blase leben und die Realitäten seiner Familie und der Beziehungen außerhalb der Blase vergessen. Aber diese Beziehungen sind entscheidend dafür, wer man ist, und wichtig für das Leben. Am Ende habe ich mit dem Trinken aufgehört, und ich bin ziemlich froh darüber, unter anderem wegen dieses großen Versagens.
Gibt es eine interessante Routine, die du auf Touren pflegst?
Das viele Reisen auf Tour kann einen herunterziehen, und es gibt viel schlechtes Essen. Man kann unterwegs nicht alle Variablen um sich herum kontrollieren. Zu Hause hat man seine Saftbar, sein Fitness-Studio und den Markt, auf dem man jeden Tag einkaufen kann, sodass man gute Lebensmittel essen und sein Leben im Gleichgewicht halten kann.
Eine Sache, die ich unterwegs mache, ist das »Aoki Bootcamp«. Wir kontrollieren uns sozusagen gegenseitig, um dafür zu sorgen, dass wir jeden Tag ein bestimmtes Ziel erreichen. Für jeden Tag legen wir eine bestimmte Anzahl Wiederholungen fest, für Liegestütze, Sit-ups und so weiter. Wir haben sogar eine WhatsApp-Gruppe, auf der wir uns Beweise dafür zeigen, dass wir die Übungen gemacht haben. Abgesehen von Training spielt dabei auch Essen eine Rolle, denn es geht ja nicht nur um Sport, sondern auch darum, wie man sich ernährt. Wir haben eine Liste von Lebensmitteln, die wir nicht essen dürfen, und wer das doch tut, muss zum Ausgleich 15 zusätzliche Wiederholungen im Training machen. Wir tun also jeden Tag unser Bestes, um anständig zu essen, zu trainieren und unsere Ziele zu erreichen. Das ist die grundlegende Philosophie beim Aoki Bootcamp: die Verantwortung gegenüber der Gruppe nutzen, um diese Ziele zu Lebensmitteln, Ernährung und Training zu erreichen.
Wenn man die Ziele bis zu einer bestimmten Zeit nicht erreicht hat, bis Mitternacht, muss man eine Strafe zahlen. Dieses Geld fließt dann über die Aoki Foundation in nicht-gewinnorientierte Organisationen für Gehirnforschung.
Welches Buch (welche Bücher) verschenkst du am liebsten? Warum? Welche ein bis drei Bücher haben dein Leben am stärksten beeinflusst?
Dafür müssen wir einen Sprung in meine College-Zeit machen, nachdem mein Vater gestorben war. Damals begann ich, mich über Krebs zu informieren, weil ich wissen wollte, was ihn getötet hatte. Das hat mir die Augen geöffnet. Es hat dazu geführt, dass ich mich damit beschäftigte, wie die Wissenschaft der Zukunft Heilungsmöglichkeiten für andere Krankheiten finden würde. Damit lief alles auf The Singularity Is Near
von Ray Kurzweil hinaus. Das Buch hat mich für die Vorstellung geöffnet, dass aus Science-Fiction wissenschaftliche Fakten werden können. Als ich kleiner war, habe ich Comics gelesen und Science-Fiction und Anime geliebt. Ghost in the Shell
war mein Lieblings-Anime. Außerdem mochte ich auch Armitage III
gern, in dem es um die Idee von Robotern mit Bewusstsein geht.
Ich habe auch die anderen Bücher von Kurzweil gelesen. Sie handeln von radikalen Konzepten für die Zukunft der Wissenschaft, und das hat mir gezeigt, dass einige dieser Ideen wirklich umsetzbar sind – nicht irgendwann in ferner Zukunft, sondern noch in unserer Lebenszeit! Wenn man sich überlegt, dass manche dieser fantasievollen Ideen wie ewiges Leben oder Menschen als Roboter wirklich Realität werden können, ist das unglaublich. In dem Buch Ending Aging
zum Beispiel schreibt Dr. Aubrey de Grey über seine Forschung an der Frage, wie man die Degeneration von Zellen stoppen kann, was auf eine Verlängerung des Lebens hinausläuft.
Ray Kurzweil schreibt über das Gesetz des sich beschleunigenden Nutzens. Es sagt aus, dass grundlegende Kennzahlen in der Informationstechnologie einer vorhersagbaren und exponentiellen Kurve folgen. In den 1970er-Jahren zum Beispiel hatten wir Computer, die so groß waren wie ein ganzes Zimmer und 250.000 Dollar kosteten; heute passen sie in meine Hand und haben viel mehr Rechenleistung. Letztlich geht es nicht darum, dass nur reiche Leute neue Technologien haben. Es geht darum, sie in die Masse zu bringen, damit jeder daran teilhaben kann.
Man weiß nie, was passieren kann. Aber dieses Buch hat mir das Gefühl gegeben, dass es eine futuristische Hoffnung gibt, eine hoffnungsfrohe utopische Zukunft, in der wir Technologie nutzen, um unser Leben zu verbessern, unsere Kreativität zu steigern und länger, glücklicher und gesünder zu leben, ohne uns mit Krankheiten zu quälen, und in der wir unsere Ressourcen so nutzen, dass der Planet nicht zerstört wird. Auf diese Zukunft hoffe ich. The Singularity Is Near
hat auch meine Musik geprägt – ich habe ein Album so genannt, und 2012 habe ich eine Single mit dem Titel »Singularity« geschrieben. Ich habe Ray Kurzweil sogar in das Video dazu bekommen.
Später habe ich beschlossen, eine Konzeptalbum-Reihe mit dem Titel Neon Future
zu produzieren. In dieses Konzept wollte ich nicht nur alle meine musikalischen Kooperationen einfließen lassen, sondern auch mit einem Wissenschaftler zusammenarbeiten. Ray Kurzweil war bereit mitzumachen. Ich habe ihn in seiner Wohnung in San Francisco befragt und außerdem noch weitere Personen, die mich inspirierten.
Für Neon Future II
habe ich diese Gespräche mit unterschiedlichen Leuten und Nicht-Wissenschaftlern wie J. J. Abrams und Kip Thorne fortgesetzt. Mit Neon Future III
läuft dieses Projekt weiter, also passiert noch mehr, und das hat enormen Einfluss auf mein Leben gehabt.
Welche Überzeugungen, Verhaltensweisen oder Gewohnheiten, die du dir in den letzten fünf Jahren angeeignet hast, haben dein Leben am meisten verbessert?
Die eine Sache, die ich über Musik und Kooperationen gelernt habe, ist, dass Musik ein zyklischer Trend ist und dass Unterhaltung allgemein zyklisch ist. Mir ist klargeworden, dass man Trends nicht folgen sollte. Man sollte sie erkennen, ohne ihnen zu folgen. Trends zu erkennen, ist gut, aber wenn man ihnen folgt, wird man von ihnen aufgesaugt und geht dann auch zusammen mit ihnen unter.
Mein unabhängiges Label gibt es seit inzwischen 20 Jahren. Wir haben die Kugeln überlebt, die uns hätten niederstrecken sollen, als wir unseren eigenen Weg gingen und neue Bewegungen
mit Sounds und Künstlern ins Leben riefen. Wir haben bestimmte Trends geschaffen und waren Teil davon, aber wir haben den Tod dieser Trends überlebt. Wie ich gelernt habe, können die Leute mich in bestimmten Trends positionieren, aber mir gelingt es irgendwie, wieder aufzutauchen, wenn der Trend vorbei ist. Ich schaffe es, dauerhaft über dem Auf-und-Ab-Zyklus zu schweben.
Ich konzentriere mich auf die Energie meiner Musik, nicht auf den Trend. Die Energie selbst hat keinen Namen. Für sie geht es nicht um die Frage, ob sie cool ist oder nicht. Letztlich ist das Wichtigste von allem das Gefühl, denn die Energie, die meine Musik ausstrahlen und anziehen wird, ist ein sehr menschliches Gefühl.
Musik ist im Wesentlichen unser Werkzeug, um uns mit unseren Gefühlen auseinanderzusetzen. Ich will dafür sorgen, dass ich immer die kulturellen Reize mit aufnehme, die mich gerade inspirieren – egal mit wem ich arbeite und wie ich meine Musik mache. Das kann mit Trends zusammenhängen, aber ich sorge immer dafür, dass die Energie der Musik im Vordergrund steht und die deutlichste Stimme in der Mischung ist. Ich denke immer daran, nicht in die Achterbahn zu steigen. Ich weiß, dass es diese Achterbahn gibt, aber ich setze nicht alles auf sie. Halte dich vom Trend fern! Identifiziere ihn und erkenne ihn an, aber halte dich fern.
Was tust du, wenn dir alles zu viel wird, du nicht mehr fokussiert bist oder deine Konzentration nachlässt?
Wenn ich im Studio bin und in einen Zustand gerate, in dem ich meine Ideen nicht mehr vermitteln kann und anfange, mit dem Kopf in den Computer zu rammen, muss ich da weg. Dasselbe gilt, wenn ich versuche, ein Projekt zu Ende zu bringen, und einfach gegen eine Wand laufe. Man muss dann den Raum wechseln, um neu anfangen zu können.
Allgemein versuche ich als Erstes Meditation, um alles zurückzusetzen – mein Gehirn und meine Energie. Ich glaube an die Fähigkeit, in einen Flow zu kommen, und wenn man diesen Zustand erreicht, kann man Projekte wirklich schnell fertig bekommen. Ein Beispiel: The Clash haben für eines der besten Alben der Rock-Geschichte, London Calling
, nur drei Wochen gebraucht. Meiner Meinung nach ging das so schnell, weil die Band in einem Flow-Zu-stand war. In solchen Phasen ist man extrem produktiv und kreativ.
Wenn ich in diesem Zustand bin, bleibe ich so lange darin, wie ich nur kann. Denn wenn man ihn erst einmal verloren hat, ist es schwierig, wieder hineinzukommen. Wenn man gegen eine Wand läuft oder wütend auf sich selbst wird und nicht zu Inspiration und Kreativität zurückfindet, muss man neu starten und sich auf die Grundlagen besinnen. Das ist der Grund dafür, warum einige der Künstler, mit denen ich am liebsten arbeite, auf keinen Fall in
ein großes Studio gehen wollen. Sie wollen zurück zu den Anfängen und in irgendwelchen kleinen Drecksloch-Studios arbeiten. Dadurch kann man zurück zu der Seele von dem kommen, warum man tut, was man tut. Und am wichtigsten: Es geht nicht darum, wie viel Geld man in ein Projekt stecken kann, und auch nicht darum, wie viele Leute man dafür gewinnt. Entscheidend ist das gute Gefühl, und man findet es mitten in den Gründen dafür, warum man mit so etwas überhaupt angefangen hat.
An diesen Ort muss man einfach zurückfinden. Wenn man dadurch glücklich wird, dann kann man aus dieser Zufriedenheit in einen Flow-Zustand kommen, und der Rest ist Geschichte!