»Unser Gehirn, unsere Angst, unser Gefühl dafür, was möglich ist, und die Realität, dass ein Tag ›nur‹ 24 Stunden hat, geben uns vorgefertigte Vorstellungen davon, was menschenmöglich ist.«
ROBERT RODRIGUEZ
ist Regisseur, Drehbuchautor, Produzent, Kameramann, Cutter und Musiker sowie Gründer und Chairman von El Rey Network, eines neuen Kabel-Fernsehsenders, der die Grenzen zwischen Genres sprengt. Er selbst moderiert dort The Director’s Chair
, eine meiner liebsten Interview-Sendungen. Als Student an der University of Austin in Texas schrieb Rodriguez das Drehbuch für seinen ersten Kinofilm, während er als bezahlter Proband an einer klinischen Studie in einem Medizin-Forschungszentrum teilnahm. Mit diesem Geld konnte er zwei Wochen Dreharbeiten bezahlen; der Film, El Mariachi
gewann später den Audience Award beim Sundance Film Festival und wurde zum Film mit dem niedrigsten Budget, der jemals von einem großen Studio herausgebracht wurde. Später war Rodriguez Autor, Produzent und Regisseur von vielen erfolgreichen Filmen, darunter Desperado, From Dusk Till Dawn
, die Reihe Spy Kids, Once Upon a Time in Mexico, Frank Miller’s Sin City
und Machete
.
Welche Überzeugungen, Verhaltensweisen oder Gewohnheiten, die du dir in den letzten fünf Jahren angeeignet hast, haben dein Leben am meisten verbessert?
Ich habe endlich eine Strategie gefunden, die mir dabei hilft, konzentriert zu blieben, während ich eine aufwendige Arbeit erledige, die mich nicht unbedingt begeistert. Früher war es nicht nur so, dass ich so etwas verschob – immer wenn ich mich daran machte, kamen mir zehn erfreulichere und oft genauso wichtige Dinge in den Sinn, die mich aus der Spur brachten. Das war die größte Herausforderung. Diese Ablenkungen waren genauso wichtig wie meine große Aufgabe, also gab es eine Rechtfertigung dafür, wegzulaufen und erst mal das Interessantere zu machen. Aber dadurch blieb dann die andere Arbeit unerledigt, und es wurde irgendwann zu einer Qual, auch nur daran zu denken. Inzwischen habe ich mir eine effizientere Methode angewöhnt. Sie ähnelt einem Premack-System [einem Motivationssystem, bei dem man eine angenehmere Tätigkeit nutzt, um sich für eine weniger angenehme zu motivieren] oder einem Belohnungssystem, aber mit einer konkreteren Strategie.
Ich habe dafür zwei Notizblöcke an meiner Seite liegen und sitze dabei auf dem bequemsten Platz, den ich finden kann (wenn du wissen willst, wo das ist, musst du das Buch von mir lesen, das bald erscheint).
Auf den einen Block schreibe ich dann die am wenigsten attraktiven Aufgaben, und oben auf der Seite steht »Aufgaben«. Der zweite Block liegt mit der Überschrift »Ablenkungen« bereit.
Dann stelle ich den Timer auf meinem Telefon auf 20 Minuten.
Als Nächstes kümmere ich mich volle 20 Minuten lang um eine meiner ungeliebten Aufgaben. Während dieser Zeit treten zuverlässig wie ein Uhrwerk verschiedene Ablenkungen auf: andere Aufgaben und Ideen, die mir unweigerlich in den Sinn kommen. Diese Gedanken und Versuchungen würden mich normalerweise aus der Bahn bringen, weil ich sofort loslegen und mich dem widmen würde, was mir in den Kopf geschossen ist: eine Idee für Musik, eine Zeichnung oder ein Plan, der ein Heureka-Moment für ein vollkommen anderes Projekt war, Ideen zu einem Problem, das mich in einem anderen Zusammenhang beschäftigt, usw. Denn wenn man mental mit einer Aufgabe beschäftigt ist, feuert die eigene Kreativität mehr Ideen ab. Aber wenn einen diese Ideen von einer wichtigen, wenig interessanten Aufgabe abbringen, wird das zu einem Problem.
Dieser Effekt hat mich immer erwischt. Die Dinge, von denen ich mich ablenken ließ, waren keine zweifelhaften Aktivitäten. Es war absolut in Ordnung, mich darum zu kümmern, und wenn ich sie ignorierte, so betonte ich gegenüber mir selbst, bestand die Gefahr, dass ich sie vergesse oder dass ich den Antrieb dazu verliere, den ich im jeweiligen Moment verspürte.
Wie also konnte ich mir das abgewöhnen? In meinen 20 Minuten schreibe ich einfach jede eintreffende Gedanken-Rakete physisch auf meinen Notizblock und wende mich dann sofort wieder meiner wichtigen, aber ungeliebten Aufgabe zu. Dadurch muss ich mir keine Sorgen mehr machen, dass ich etwas wieder vergesse. Ich versuche nicht, diese Einfälle abzutun oder zu ignorieren. Ich halte sie einfach fest, indem ich sie aufschreibe und verschiebe, selbst wenn es um eine extrem produktive Sache geht; denn alles, was mich von meiner Hauptaufgabe abbringt, ist technisch gesehen eine Ablenkung. Sobald ich den Einfall aufgeschrieben habe, kann ich mich wieder meiner Hauptaufgabe widmen, bis die 20 Minuten vorbei sind.
Wenn ich bei meiner Hauptaufgabe einen Lauf habe, stelle ich den Timer noch zehn Minuten weiter und mache insgesamt 30 Minuten. Aber das ist meine Grenze. Ich habe festgestellt, dass mein Hirn rebelliert, wenn ich mich nicht häufig genug selbst belohne.
Anschließend mache ich 10 bis 15 Minuten »Belohnungspause«. Ich stehe auf und wandere herum. Ich nehme den Block mit den Ablenkungen (auf dem inzwischen wahrscheinlich mehrere Sachen stehen) und kümmere mich dann nur 10 bis 15 Minuten lang um eine davon. Dafür muss ich mir auch einen Timer stellen.
Ich versuche dabei, die weniger zeitaufwendigen Sachen zu machen, damit ich nicht eine Stunde lang meine Hauptaufgabe ruhen lassen muss. Wenn etwas länger als 10 bis 15 Minuten dauert, fange ich ein bisschen damit an und hebe den Rest für die nächste Pause auf. Dann komme ich zurück, starte den 20-Minuten-Timer und mache mich wieder an die Hauptaufgabe.
Normalerweise schreibe ich alle Arten von To-do-Listen in mein Telefon, aber es bringt eine visuelle Befriedigung, eine lästige Arbeit per Hand durchzustreichen, wenn sie erledigt ist, und eine mit der Hand geschriebene Ablenkungsliste zu haben. Deshalb verwende ich Notizblöcke. Diese Ablenkungsliste zu schreiben, war wirklich eine grundlegende Veränderung für mich, und hat dafür gesorgt, dass das Premack-Prinzip endlich auch für mich funktioniert. Es macht alles ganz fácil
.
Wenn du an einem beliebigen Ort ein riesiges Plakat mit beliebigem Inhalt aufhängen könntest, was wäre das und warum?
»FÁCIL
!« Das ist eines meiner Lieblingsworte. Ich weiß gar nicht mehr, wann ich angefangen habe, es als Hilfsmittel zu benutzen – vielleicht nach dem Start meines Fernsehsenders. Ich war schon vorher ziemlich beschäftigt, also war die Vorstellung, zusätzlich einen 24-Stunden-Sender mit Inhalten füllen zu müssen, etwas erschreckend für mich. Aber auf die übliche naive Rodriguez-Art habe ich trotzdem einfach losgelegt.
Als dann die Realität in Form der schieren Menge an Inhalten zuschlug, die wir auftreiben mussten, versuchte ich, Leute für die anspruchsvolle Aufgabe zusammenzutrommeln, Programme für unseren Sender zu produzieren. Aber allein das Management des Senders erwies sich als schwindelerregend viel Arbeit. Ich wusste, dass ich eine ganz neue Strategie brauchen würde, um für Optimismus im Team und bei mir selbst zu sorgen. Das war etwas anderes als Filme, die man mit größeren Abständen produziert. Jetzt versuchte ich etwas Unmögliches. Die meisten neuen Sender brauchen Jahre, wenn nicht Jahrzehnte, bis sie ihre ersten eigenen Serien zeigen. Bei El Rey Network aber habe ich im ersten Jahr vier neue Sendungen begonnen. Ich konnte sehen, wie sich die Augen der Leute weiteten und wie sie überfordert aussahen, nur weil ich die Liste mit all den Sachen herunterratterte, die wir erledigen mussten.
Ich habe dann angefangen, an das Ende meiner Aufgabenlisten immer »FÁCIL!
« zu schreiben; die Leute haben darüber gelacht und verwundert geschaut (fácil
bedeutet »einfach«, klingt aber auf Spanisch irgendwie netter und hat einen Beiklang von »kein Problem«). »Warum sagt der das dauernd? Was soll daran einfach
sein?«, fragten sich die Leute dann. Aber ich konnte sehen, dass es sie wirklich ruhiger machte. Wenn der Chef keine Angst hat, warum sollten sie dann?
Das Wort wurde eine große Hilfe für uns alle. In der Praxis klang das dann ungefähr so: »Wir müssen bis nächsten Mittwoch das und das und das und das und das und das plus
das und das schaffen. FÁCIL
!« Man konnte sehen, wie alle erst geschockt und gestresst aussahen, aber am Ende des Satzes lachten sie … Und wir haben alles geschafft! Wenn eine Aufgabe, Sendung oder das Erschaffen von etwas aus dem Nichts erledigt war, wendete ich mich gleich wieder an die Leute und sagte, »Seht ihr? War doch FÁCIL
!«
Tatsächlich hatte ich selbst keine Ahnung, wie wir all das schaffen sollten, aber ich wusste, dass es absolut nicht hilfreich sein würde, sich deshalb unter Stress zu setzen. Im Grunde sind wir alle in der Lage, eine Menge mehr zu schaffen, als wir glauben. Unser Gehirn, unsere Angst, unser Gefühl dafür, was möglich ist, und die Realität, dass ein Tag ›nur‹ 24 Stunden hat, geben uns vorgefertigte Vorstellungen davon, was menschenmöglich ist.
Ich mag die Idee, unmögliche Herausforderungen zu formulieren und dann mit einem Wort dafür zu sorgen, dass sie sich machbar anhören, denn das sind sie dann plötzlich auch. Also würde ich für mein Plakat FÁCIL!
nehmen. Das ist eine gute Erinnerung daran, dass alles möglich ist, und zwar relativ locker und mit weniger Stress, wenn man die richtige Einstellung hat. Wenn man am Anfang sagt, »das ist unmöglich, es gibt einfach physisch nicht genügend Zeit pro Tag, um all diese Sachen zu machen«, dann bricht man sich das rechte
Bein und schneidet sich den linken Fuß ab, bevor man auch nur die Ziellinie überquert. Aber wenn man etwas als fácil
betrachtet, segelt man einfach hindurch, und die Ideen werden fließen. Die Einstellung kommt zuerst.
Manchmal vergesse ich, wem ich alles von diesem Konzept erzählt habe. Dann bekomme ich E-Mails von Leuten, mit denen ich seit Jahren keinen Kontakt hatte, und die unterschreiben dann mit FÁCIL!
Ich merke daran, wie es Teil ihrer Sprache und ihres Denkens geworden ist.
Also kann ich hoffen, dass auch du dir das angewöhnst. Denn wir können in dieser Welt eine Menge Leben erleben. Es wartet alles da draußen, reif für die Umsetzung, und alles beginnt in deinem Kopf. Was wir uns selbst sagen, ist von äußerster Bedeutung. Mit unserer Fantasie und Kreativität können wir neue Welten entstehen lassen. Und es gibt volle 24 Stunden pro Tag und 7 Tage pro Woche, und alles kann ganz FÁCIL!
sein.
Was tust du, wenn dir alles zu viel wird, du nicht mehr fokussiert bist oder deine Konzentration nachlässt?
Die Ablenkungsliste, die ich oben erwähnt habe, ist die größte Hilfe für mich. Ich mag, wenn ich beschäftigt bin und viele Aufgaben an unterschiedlichen Schauplätzen habe. Wie ich feststelle, helfen die Lösungen, die man in einem bestimmten Bereich entdeckt, oft auch bei genauso verwirrenden Herausforderungen in anderen Bereichen. Aber natürlich gibt es auch Zeiten, in denen alles auf einmal kommt.
Es gibt Zeiten, in denen alles einfach kollidiert, und dann muss man versuchen, sich nicht überwältigen zu lassen. Es bleibt keine Zeit für die üblichen Meditationen und Strategien, und der Kopf fühlt sich an, als wäre nur noch Baumwolle darin.
Ich weiß noch, wie ich einmal in zwei Minuten weg musste, weil ich schon zu spät für ein Meeting war. Ich hatte einen Teller mit Essen dastehen, und ich musste auch noch zur Toilette. Ich hatte buchstäblich nur Zeit für Eines von Beidem. Ich musste mich entscheiden. Sollte ich essen? Oder auf die Toilette gehen? Ich habe einfach beides gemacht – ich saß auf der Toilette, während ich aß. Und dabei habe ich die ganze Zeit gedacht, »Heute bin ich offiziell zu
beschäftigt«.
Als ich später fünf Minuten Pause hatte, hörte ich mir eine geführte Meditation an, die ich selbst erstellt hatte. Sie dauert fünf Minuten. Ein Teil davon erinnert mich daran, dass Engpässe schon mal vorkommen können und dass sie nur dabei helfen, zu unterscheiden, was wichtig ist und was nicht. Und dass es dann eben eine Art natürliche Auslese gibt.
Es kommt nur selten vor, dass alles gleichzeitig passiert. Das Leben neigt dazu, Ereignisse so zu verteilen, dass man alles vollenden kann, das man vollenden will. Das macht es ganz von selbst! Du bist für den Nachmittag dreifach überbucht? Weißt du was? Irgendjemand wird schon absagen oder drängeln, und eine andere Sache wird dann plötzlich nicht mehr so relevant erscheinen.
Aus diesem Grund nehme ich immer noch mehr auf mich. Ich bin nur selten zu
beschäftigt, solange ich die richtige Einstellung dazu behalte. Sie lautet: »Ich kann definitiv sagen, dass ich mein Leben in vollsten Zügen lebe.«
Ich finde dann heraus, welche Punkte den größten Stress verursachen und warum. Meistens ist der Grund, dass man etwas nicht gemacht hat, um das man sich hätte kümmern sollen. Also kommen die beiden Notizblöcke, und ich fange sofort an, einen der Stress-Punkte abzuarbeiten. FÁCIL!