Man kann sagen, dass das römische Viertel Trieste ein Zentrum dieser Geschichte unter vielen anderen ist. Schon seit jeher schwankte das Quartier zwischen Eleganz und Verfall, Prunk und Mittelmaß, Bedeutsamkeit und Alltäglichkeit. Fürs Erste reicht das; eine ausführlichere Beschreibung könnte am Beginn langweilig wirken, ja geradezu kontraproduktiv sein. Im Übrigen beschreibt man einen Ort am besten dadurch, indem man erzählt, was dort geschieht, und hier wird etwas Wichtiges geschehen.
Sagen wir es so: Eines der Ereignisse, das hier neben vielen anderen passiert, geschieht im Viertel Trieste in Rom, an einem Morgen Mitte Oktober 1999, und zwar an der Ecke Via Chiana und Via Reno, im ersten Stock eines jener Häuser, die wir hier nicht beschreiben und in dem schon tausende Dinge geschehen sind. Nur dass das, was gleich geschehen wird, entscheidend, und man kann sagen potenziell verhängnisvoll für das Leben des Protagonisten dieser Geschichte ist. Dr. Marco Carrera, Facharzt für Augenheilkunde, sagt das Schild an der Tür seiner Praxis, die ihn im Augenblick noch vom kritischsten Moment von vielen anderen kritischen Momenten seines Lebens trennt. Denn in der Praxis im ersten Stock eines jener Häuser et cetera schreibt er gerade ein Rezept für eine alte Dame, die an Blepharitis, Lidrandentzündung, leidet — antibiotische Augentropfen, nach einer innovativen, ja man kann sagen revolutionären Behandlung auf der Grundlage von N-Acetylcystein, das ins Auge getropft wird und schon bei anderen seiner Patienten das größte Problem dieser Krankheit behoben hat, nämlich die Tendenz, chronisch zu werden. Draußen hingegen wartet das Schicksal darauf, ihn in Gestalt eines kleinen Männleins namens Danile Carradoro umzuhauen, kahl und bärtig, aber ausgestattet mit einem man kann sagen magnetischen Blick, der sich in Kürze auf die Augen des Augenarztes konzentrieren und ihnen zuerst Ungläubigkeit, dann Verblüffung und schließlich einen Schmerz einträufeln wird, die durch sein Wissen (als Augenarzt) nicht kuriert werden können. Es handelt sich um eine Entscheidung, die das Männlein getroffen und die ihn in das Wartezimmer getrieben hat, in dem er jetzt sitzt und seine Schuhe betrachtet, ohne das reiche Angebot brandneuer, nicht ganz zerlesener, Monate alter Zeitschriften, die auf den Tischchen liegen, eines Blicks zu würdigen. Sinnlos, darauf zu hoffen, dass er sich eines anderen besinnt.
Es ist so weit. Die Tür des Sprechzimmers öffnet sich, die blepharitische Alte tritt über die Schwelle, dreht sich um, um dem Doktor die Hand zu schütteln, und wendet sich zur Sprechstundenhilfe, um die Behandlung zu bezahlen (120.000 Lire), während Carrera mit einer Kopfbewegung den nächsten Patienten auffordert einzutreten. Das Männlein steht auf, geht hinein, Carrera schüttelt ihm die Hand und fordert ihn auf, sich zu setzen. Der Vintage-Plattenspieler der Marke Thorens, nicht mehr sehr zeitgemäß — zu seiner Zeit allerdings, das heißt vor einem Vierteljahrhundert, einer der besten —, der zusammen mit dem teuren Verstärker von Marantz und den beiden AR6-Lautspecherboxen aus Mahagoni im Regal steht, spielt ganz leise die Platte von Graham Nash mit dem Titel Songs for Beginners (1971), deren rätselhafte Hülle, die an besagtem Regal lehnt und besagten Graham Nash mit einem Fotoapparat in der Hand in einem schwer zu deutenden Kontext abbildet, der auffälligste Gegenstand im Raum ist. Die Tür schließt sich wieder. Es ist so weit. Die Membran, die Doktor Carrera vom heftigsten Gefühlsschock eines an heftigen Gefühlsschocks reichen Lebens trennte, ist gefallen.
Beten wir für ihn, und für alle Schiffe auf den Meeren.