Es gibt Menschen, die sich ihr ganzes Leben lang damit abmühen, voranzukommen, Wissen zu erwerben, zu erobern, zu entdecken, besser zu werden, um dann zu erkennen, dass sie immer auf der Suche nach der Vibration sind, die sie in die Welt geschleudert hat; für sie fallen Ausgangspunkt und Endpunkt zusammen. Und dann gibt es andere, die, obwohl sie sich nicht bewegen, einen langen und abenteuerlichen Weg zurücklegen, weil es die Welt ist, die unter ihren Füßen dahingleitet, und weit entfernt von dem Punkt landen, von dem sie aufgebrochen sind. Marco Carrera war einer von ihnen. Jetzt war es klar: Sein Leben hatte ein Ziel. Nicht alle Leben hatten eines, seins hatte eins. Die schmerzlichen Wechselfälle, die es gezeichnet hatten, hatten ebenfalls ein Ziel, nichts war zufällig geschehen.
Sein Leben war gewiss kein normales Leben gewesen; es hatte stets das Stigma der Ausnahme in ihm gegeben, angefangen mit der Kleinwüchsigkeit, die ihn 15 Jahre lang zum Außenseiter in der Herde gemacht hatte, und in der Folge dann die Behandlung, die ihn wieder in die Herde eingegliedert und zu einem viel stärkeren Wachstum in viel kürzerer Zeit geführt hatte, als der Arzt, der die Behandlung durchführte, erwartet hatte. Niemand hatte sich das Gehirn zermartert, um den Grund herauszufinden, aber es ist eine Tatsache, dass die Behandlung, der Marco im Herbst 1974 unterzogen worden war, ein abnormes Ergebnis gezeitigt hatte: 16 Zentimeter in acht Monaten, von 156 Zentimeter im Oktober (der Durchschnitt für Jungen seines Alters lag bei 170 Zentimeter) auf 172 (Durchschnitt 171) im folgenden Juni — als das Wachstum plötzlich aufhörte. Oder, besser gesagt, als das Wachstum sich genau in der Mitte der durchschnittlichen Perzentile seiner Altersgenossen stabilisiert hatte: 174 mit 16, 176 mit 17, 178 mit 18 und ein letzter Zentimeter im folgenden Jahr, gerade so viel, dass er als Erwachsener knapp über dem nationalen Durchschnitt lag.
Erklärungen keine. Doktor Vavassori hatte innerhalb von 15, nicht acht Monaten gerade mal zwei Drittel dieses Ergebnisses erwartet, das heißt eine Größe, die aus dem kleinwüchsigen Marco Carrera einen normalen kleinen Jungen gemacht hätte. Letizia, die immer an die Erleuchtungen von D’Arcy Wentworth Thompson geglaubt hatte, war überzeugt, dass die Behandlung nichts damit zu tun hatte und dass ihr Sohn diesen Wachstumssprung dank der Instruktionen seines genetischen Codes getan hatte; es war einfach alles von Anfang an in seiner Natur angelegt, zuerst das ungenügende Wachstum, dann der exorbitante Wachstumsschub und dann (und das war das Seltsamste, das ihrer Meinung nach nur mit Thompson zu erklären war) die Anpassung an die traditionelle Anthropometrie. Probo dagegen war hin- und hergerissen: Einerseits freute er sich über den Erfolg des Versuchs, den er so beharrlich gewollt hatte, andererseits fragte er sich aber auch, ob ein Ergebnis, das so stark von den Erwartungen abwich, auch wenn es besser war, nicht als ein Scheitern betrachtet werden müsste, das heißt, ob es nicht den totalen Verlust der Kontrolle über Eingriffe in den Körper seines Sohnes bedeutete — mit potenziellen Folgen aller Art. Und er hatte sich Sorgen gemacht und von da an immer gefürchtet (auch wenn nach Irenes Tod diese Sorge wie alles andere an Bedeutung verloren hatte), mit der Zeit entdecken zu müssen, welcher Preis für dieses Wagnis zu bezahlen war. Unfruchtbarkeit, degenerative Erkrankungen, Tumore, Missbildungen; und wenn an einem Tag X in der Zukunft, wenn niemand mehr an diese Behandlung denken würde, das, was wirksamer als vorausgesehen gewesen war, seinem Sohn eine gesalzene Rechnung präsentieren würde? Er hatte diese Frage Doktor Vavassori gestellt, und Vavassori hatte ihm geantwortet, da es sich um ein Experiment handele, sei das Risiko unvorhergesehener Nebenwirkungen, auch solcher, die erst viel später auftreten, berücksichtigt und entsprechend in den Dokumenten, die er unterschrieben habe, aufgeführt worden; dass ein die Erwartungen übertreffender Erfolg dieses Risiko vergrößern könnte, sei aber eine törichte Sorge, die laut ihm sogar fast schon an Paranoia grenze. »Paranoid« hatte, nebenbei gesagt, noch niemand Probo genannt.
Marco seinerseits hatte, überwältigt von seinem Wachstum, nicht die Zeit gehabt, an irgendetwas zu denken. So hartnäckig sein Körper sich in der Vergangenheit geweigert hatte zu wachsen, so heftig wuchs er jetzt; er bewohnte dieses Phänomen sozusagen und versuchte, Schritt mit ihm zu halten. Von November bis Juni war er zwei Zentimeter pro Monat gewachsen — was eineinhalb Kilo pro Monat oder eine halbe Schuhgröße pro Monat bedeutete —, und das war seine einzige Beschäftigung gewesen. Er hatte sich keine Sorgen gemacht, hatte keinen Schreck bekommen, hatte sich nicht geschämt, hatte nicht die Geduld verloren und hatte keine Bedingungen gestellt; er hatte diese Revolution eher hingenommen, die ihm eine Formbarkeit und eine Widerstandskraft gezeigt hatte, die ihm in der Zukunft, wenn es hart auf hart käme, helfen würde zu überleben. Sein Körper hatte die Jugend übersprungen und sich von dem eines Kindes in den eines Erwachsenen verwandelt, aber das hatte ihn nicht traumatisiert, weil das, soweit er wusste, eben genau das Ziel der Behandlung war. Nach ein paar Jahren war das Kolibrisein für ihn nur noch eine Erinnerung wie alle anderen.
Ausgehend von dieser Erfahrung lief sein Leben jedoch immer auf die gleiche Weise ab: Jahrelang verharrte es im Stillstand, während diejenigen der anderen sich vorwärtsbewegten, und brach dann plötzlich in ein unerwartetes, außergewöhnliches Ereignis aus, das ihn in ein neues, unbekanntes Anderswo schleuderte. Fast immer löste der Übergang Schmerz aus, und die Frage, die ihn zu bedrohen begann mit ihrer Mischung aus Wut und Selbstmitleid, lautete: Warum gerade ich, warum gerade mir?
Häufig ist es unter den sehr ehrbaren Dienern unseres Suchens (wer, wie, wann, wo, was und warum) das Wann, das die Rettung von der Verdammnis trennt: Marco Carrera hatte sich diese Frage nie gestellt, solange er nicht die Antwort hatte, und nur deswegen war es ihm, der sich nicht bewegen wollte, gelungen, so sehr, so schmerzvoll vorwärtszukommen, ohne zusammenzubrechen. Erst im richtigen Augenblick, das heißt im dunkelsten, erleuchtete sich sein Geist: Schlagartig geschah alles, alles auf ein Ziel hin, und er bekam die Antwort — einfach, präzise und voller Nektar: Miraijin. Miraijin war der neue Mensch, und sie war es immer gewesen, seit ihre Mutter sie empfangen hatte. Sie wurde geboren, um die Welt zu verändern, und ihm, Marco Carrera, wurde das Privileg zuteil, sie aufzuziehen.
Darüber gab es, solange Adele lebte, nicht die geringste Diskussion. Sie sagte es ihm immerzu, und Marco hatte keine Einwände, ja, er wiederholte es selbst, die Menschheit begann neu mit diesem Mädchen, die Menschheit begann neu mit Miraijin — auch wenn er es in Wirklichkeit aus Nachgiebigkeit seiner Tochter gegenüber tat, wie damals vor vielen Jahren, als er mit ihrem Faden gespielt hatte, der an ihrem Rücken befestigt war. Na ja, dachte er, dieses Mädchen hat so viel durchgemacht, und vielleicht ist das ja die Phantasie, die ihr erlaubt, sich aufrecht zu halten: Das Schicksal beutelt mich, und ich zeuge im Gegenzug den neuen Menschen …
Doch Adele starb zu früh, und Marco war wahrhaftig nicht darauf vorbereitet, sich dieser Leere zu stellen: Wie er es in der Vergangenheit immer getan hatte — ohne es zu entscheiden und manchmal auch, ohne es zu bemerken —, blieb er einfach in dem rauchenden Krater stehen und wohnte in ihm, doch das reichte nicht mehr aus. Um sich nicht von der Verzweiflung überwältigen zu lassen, brauchte er mehr Kraft als die, die er zu besitzen fühlte, mehr Entschlossenheit. Anfangs lebte er für eine gewisse Zeit ungeregelt und folgte den Ratschlägen Doktor Carradoris. Er lebte ungeregelt, alles, was ihn interessierte, war, sich um Miraijin zu kümmern und dem Leben, das ihm noch zu leben blieb, die Zähne zu zeigen. Er war sicher kein Vorbild in Sachen Kinderbetreuung, vor allem in den Nächten, in denen er spielte, während das Mädchen nebenan in der Hängematte schlief, aber es half ihm, den entscheidenden Schritt zu machen, nämlich zu begreifen.
Die Erleuchtung kam, als er etwas tat, das schwer zu erklären ist, nämlich auf den märchenhaften Gewinn zu verzichten, den er bei einem erbitterten Pokerduell mit seinem Freund Dami Tamburini erzielt hatte. Das war also der richtige Augenblick, um sich die Fragen zu stellen, alle, auch die quälendsten — der Augenblick, sich dem anspruchsvollsten der sechs ehrbaren Diener anzuvertrauen, dem Warum. Plötzlich wurde alles klar, der ganze in all den Jahren empfundene Schmerz wurde zu dem Basalt, auf den sich die neue Welt gründete, die Erinnerungen wurden Schicksal, die Vergangenheit wurde Zukunft. Warum soll gerade ich auf all dieses Geld verzichten? Warum entrinne gerade ich einem Flugzeugunglück? Warum verliere gerade ich eine Schwester auf diese Weise? Warum trifft gerade mich eine so schreckliche Scheidung? Warum muss gerade ich das Leben meines Vaters aktiv beenden? Warum muss gerade ich eine 22-jährige Tochter beerdigen?
Die Antwort bekam er jetzt, und es war dieser Name, der plötzlich in sein Leben getreten war — Miraijin —, und das, was Adele ihm immer wieder gesagt hatte, ernst, bestimmt, ohne den geringsten Zweifel: Sie wird der neue Mensch sein, Papà, die Menschheit wird mit ihr neu beginnen. Jetzt glaubte Marco Carrera es wirklich. Er hatte so sehr gelitten für ein sehr hohes Ziel: der Welt den neuen Menschen zu übergeben — aber erst nachdem er die Pfeile und Schleudern des wüsten Schicksals stumm geduldet hatte, wie Hamlet sagt. Dieser Gedanke eines Fanatikers hatte sich perfekt in sein nüchternes und schmerzerfülltes Leben eingefügt, ja, es in gewisser Weise ergänzt — ein Grund, warum er sofort aufgehört hatte, der Gedanke eines Fanatikers zu sein.
Im Übrigen war das Mädchen wirklich etwas Besonderes. Körperlich erblühte sie jeden Tag mehr zu einer unerhörten Schönheit, die bis dahin nur für die Avatare der Videospiele entworfen worden war: größer, als für ihr Alter üblich, schlank, mit lockigem, seidenweichem Haar, dunkler, brauner Haut, mandelförmigen Augen, blau wie der Boden eines Swimmingpools — sie schien wirklich aus den Optionen eines Menüs zusammengesetzt worden zu sein. Und es sind gerade die Augen, die Marco Carrera jeden Tag sagen, dass seine Enkelin wahrhaftig ein Anfang ist; seit vierzig Jahren Augenarzt und Erforscher des Sehapparats, überzeugt, jeden Typ von Auge gesehen zu haben, den es in der Natur gibt, menschlich oder nicht, fühlt er sich angesichts von Miraijin wie ein Astronaut, der zum ersten Mal die Erde aus dem Weltraum sieht. Etwas von ferne Ähnliches hat er nur bei der langhaarigen Ragdoll einer amerikanischen Freundin gesehen und fotografiert, die (die Katze) Jagger hieß, und tatsächlich hat er das Foto in seinem Archiv herausgesucht, hat es gefunden (es war von 1986) und einen Ausschnitt mit den Augen ausgedruckt, die in dem Augenblick eingefangen worden waren, in dem sie sich auf das Objektiv konzentrierten; aber nicht einmal dieses Bild gibt die Idee wieder, weil die Katze Jagger weiß war und Miraijin schwarz.
Und doch ist Miraijin ihm, obwohl sie so außerirdisch ist, auch vollkommen vertraut. Der blaue Punkt beispielsweise dieser Augen, die auf der Welt einzigartig sind, ist der gleiche wie bei Irene — und das ist schon mal nicht schlecht. Die schöne sportliche Figur, die sich Jahr um Jahr harmonisch entwickelt, hat Marco auch bei Adele sich entwickeln gesehen. Das Grübchen in den Wangen, wenn sie lacht, ist von Giacomo — und anders als seines scheint es mit dem Älterwerden nicht zu verschwinden. Was ihn an Miraijins außerirdischem Körper aber am meisten rührt, ist das winzige Muttermal, das sie zwischen kleinem Finger und Ringfinger hat, identisch mit dem, das Adele hatte, und dem, das er hat: Unsichtbar für die Welt, ist dieses Pünktchen das Markenzeichen der Carreras — und wie oft hat er seine Hand mit der von Adele verschränkt, damit sie sich berührten, nicht nur als sie klein war, sondern auch später noch war es ihr Punkt der Stärke, wie sie sagten, sie machten es sogar, als sie in der Wanne im Krankenhaus saßen, als Miraijin zur Welt kam. Jetzt kann Marco Carrera diese Geste auch mit Miraijin machen, denn unglaublicherweise ist es diesem kleinen Muttermal in dem genetischen Sturm, der wütete, um sie so neu auf die Welt kommen zu lassen, gelungen zu überleben.
Aber mehr noch als das Aussehen, das der leuchtendsten Utopie der Integration zwischen den Völkern buchstäblich einen Körper gibt, ist das wirklich Beeindruckende an diesem Geschöpf die Tatsache, dass es immer das Richtige tut — stets, seit sie in den Windeln lag und weinte, wenn sie weinen sollte, schlief, wenn sie schlafen sollte, und lernte, was sie lernen sollte, was es sehr erleichterte, sich um sie zu kümmern. Als sie älter wurde, war es nicht anders, immer die Dinge, wie sie getan werden sollten, in dem Augenblick, in dem sie getan werden sollten, gelegentlich überraschend mit einer Handlung oder einem Verhalten außerhalb der Norm, aber nur, weil ihre Mutter oder er oder der Kinderarzt oder die Grundschullehrerinnen oder die Lehrer es geradezu für eine Verbesserung der Norm hielten. Während Marco Carrera dieses Phänomen studierte, kam er zu der Überzeugung, dass Miraijin wirklich dazu bestimmt ist, die Welt zu verändern; denn in Wirklichkeit sind ihre Verhaltensweisen außerhalb der Norm nicht immer eine Verbesserung, in Wirklichkeit sind sie manchmal nur ihre andere Art und Weise, die Dinge zu tun, aber Tatsache ist, dass sie bei ihr eine Verbesserung zu sein scheinen. Das soll heißen, dass sie, ihr glattes Gesicht, ihre Halogenaugen, ihre geschliffene Stimme und ihr Gesichtsausdruck und ihr Lächeln und das Grübchen in den Wangen — ihr ganzer Körper etwas Feldherrenhaftes hat. Er ist einer der Körper, die die natürliche Begabung der Überredung besitzen. Einer der Körper, dem die anderen gern nacheifern.
Es gab keine Erfahrung, bei der Miraijin nicht gleich von Anfang an die richtige Verhaltensweise fand. In allen Sportarten, die sie ausprobierte, vom Tennis bis zum Judo, gab es keinen Trainer, den ihre natürliche Begabung nicht verblüffte. Als sie zum ersten Mal auf ein Pferd trifft, stellt sie sich hinter es, um seinen Schwanz zu streicheln: Nein, mein Schatz, nicht dahin, das ist gefährlich, es könnte dich treten, weil Pferde es nicht mög… Das Pferd jedoch, eine Stute (namens Dolly, ein texanisches Quarter Horse, ein 13-jähriger Fuchs, gehorsam, aber temperamentvoll und sehr empfindlich auf die Trense reagierend, noch am Tag zuvor hatte sie einen Mann aus Arezzo abgeworfen, der sie wie eine Kutsche lenken wollte, indem er die Zügel in alle Richtungen zog; Miraijin sollte sie in den nächsten sieben Jahren regelmäßig reiten, bis Dolly auf die Altersweide kam und darauf wartete, vor den Gott der Pferde zu treten), hat ausnahmsweise nichts dagegen einzuwenden und lässt sich den Schwanz sogar ausbürsten — laut der Trainerin ein Zeichen für sehr großes Vertrauen. Erstaunlich, bedenkt man, dass es tatsächlich Miraijins erste Begegnung mit einem Pferd war. In der Schule bezaubert sie ihre Lehrerinnen mit ihrer Fähigkeit, sich zu konzentrieren und die Konzentration der ganzen Klasse zu erhöhen. Sie zeichnet hervorragend. Kaum hat sie schreiben gelernt, beachtet sie akribisch genau die Accents graves und aigus, wie nicht einmal die Lehrer es tun. Der Satz, der immer fällt, wenn sie sich an etwas wagt: »Sie scheint dafür geboren zu sein.«
Marco fragt sie eines Tages: »Ist dir eigentlich klar, Miraijin, dass dir alles, was du zu tun versuchst, sofort gelingt? Wie machst du das?« Und sie antwortet: »Ich schaue mir an, wie meine Lehrerin es macht.« Der auserwählte Körper, dem alle nacheifern wollen, ist also deswegen so charismatisch, weil er den anderen Körpern nachzueifern weiß. Ganz durchdrungen von seiner Rolle als Mentor, beginnt Marco, Experimente zu machen: So lässt er sie jeden Tag im Fernsehen die National Basketball Leage anschauen, und schon nach einer Woche ist das Mädchen, als er ihr einen Basketball gibt, in der Lage, perfekt die Bewegungen der Spieler nachzumachen — Finte, Drehfuß, Drei-Punkte-Wurf —, ohne auch nur die Regeln dieser Sportart zu kennen. In der ersten Snowboardstunde (das sie dem Skifahren vorzieht) ist sie bereits in der Lage, präzise die Bewegungen ihrer Lehrerin nachzuvollziehen und schwungvoll den Hang zu befahren. Tanzen: Marco mag keine Kinder, die tanzen, ja, er verabscheut sie sogar, aber das Experiment muss gemacht werden, und nach zwei Nachmittagen, an denen sie das Video des iranischen Mädchens angeschaut hat, das das Regime herausfordert, indem es Shuffle auf der Straße tanzt, hat Miraijin gelernt, Shuffle zu tanzen. Die Musik, das Klavier: Als sie zum ersten Mal die Tasten berührt und die Lehrerin sie bittet, aufs Geratewohl zu spielen, dabei aber zu versuchen, mit den beiden Händen verschiedene Dinge zu tun, tut sie es sofort, die beiden Hände spielen zwei verschiedene rhythmische Figuren — irgendwie, aber unabhängig voneinander; und auch wenn es kein Wunder sei, sagt die Lehrerin, sei es doch ein guter Anfang, und tatsächlich betritt Marco nicht einmal ein Jahr später ihr Zimmer, um sie zu fragen, welche Musik sie da hört — River Flows in You von Yiruma —, aber Miraijin hört sie nicht, sondern spielt sie. Es ist unfassbar. Und jetzt, mit sechzig, ist Marco damit beschäftigt, seine eigenen Bewegungen und Verhaltensweisen zu überwachen, ebenso wie seine Ausdrucksweise und seine Sprache, wie er es nie zuvor getan hat, und er bemüht sich, sie von allen Verunreinigungen zu befreien, die, von ihr imitiert, ihre Reinheit beschmutzen könnten.
Ah, Miraijin! Neun! Zehn! Elf! Zwölf! Wie schön, dein Geburtstagsfest zu organisieren, jeden 20. Oktober, was für ein Abenteuer, dich ins Herz der Welt zu begleiten, während die Welt zugrunde geht! Die Sportarten, in denen du so gut bist, vergiss sie, es wäre Verschwendung, aus dir eine Spitzensportlerin zu machen. Das Klavier, das Tanzen, das Zeichnen, das Reiten: Tu das, was dir gefällt, aber lass dich nicht davon verschlingen, werde kein Wunderkind, denn du bist zu etwas viel Wichtigerem bestimmt. Ja, sei nie wettbewerbsorientiert. Ja, habe Angst vor der globalen Erderwärmung. Ja, schau dir den Blödsinn auf YouTube an zusammen mit deinen Freundinnen und mache absichtlich ein paar Fehler in den Klassenarbeiten, um dich nicht zu sehr von ihnen abzuheben. Erinnere dich, dass du der neue Mensch bist, dir fällt alles leicht, aber du darfst dich nicht zu sehr von den anderen unterscheiden, du darfst sie nicht hinter dir lassen; im Gegenteil, du musst die anderen mitnehmen, und das ist der schwierige Teil. 13, Miraijin! Das Cineforum mit deinem Opa, zu Hause, jeden Montagabend, die alten Filme, auf die alte Art gesehen, auf DVD, auf der Mattscheibe, Sushi essend, das du zubereitet hast (denn natürlich wirst du ausgezeichnet kochen, und natürlich wirst du gleichermaßen italienische wie ausländische Gerichte kochen), The Big Lebowski, Der große Gatsby, Einer flog über das Kuckucksnest, Donnie Darko, Ghost World, I soliti ignoti (Diebe haben’s schwer), I soliti sospetti (Die üblichen Verdächtigen), der dich tödlich langweilen wird, weil du nach fünf Minuten wegen des Schachspiels und der Nahaufnahmen begriffen haben wirst, dass Keyser Söze Kevin Spacy ist, oder auf die neue Art gesehen, im Streaming, auf dem Tablet, mit deinen Freundinnen, Spring Breakers, Coyote Ugly, Juno, Ein ganzes halbes Jahr, A Star Is Born oder die alten Serien, Stranger Things, Black Mirror, Haus des Geldes, Breaking Bad — allerdings nie im Kino, denn der Film im Kinosaal wird sterben, und daran wirst auch du nichts ändern können. 14! Ah, Miraijin, lass dich nicht zur Eile drängen von der Schönheit, die erblüht, von deiner und derjenigen der jungen Leute, die dich umgeben, gib der Zeit Zeit, hab Vertrauen; du wirst dich verlieben, du wirst unsicher sein, du wirst nein sagen, du wirst sicher sein, du wirst glücklich sein, du wirst unglücklich sein, du wirst erneut unglücklich sein, alles wird geschehen, wenn die Zeit gekommen sein wird. Ja, lass dir Zeit. Ja, langweile dich und fang an, Romane zu lesen, Doktor Schiwago, Liebling des Opas, Martin Eden, Sturmhöhe, Harry Potter, ja; aber auch andere Bücher, von denen dein Opa noch nie etwas gehört hat, Fieber, Die Gabe, Ein Lied für die Geister, Drachentöter, und auch Comics, Mangas vor allem, wie deine Mutter, und warum nicht Miraijin Chaos, von dem du deinen Namen hast, und dann nach und nach die berühmtesten Mangas von Osamu Tezuka, Astro Boy, Next World, Dororo, aber auch welche von anderen Autoren, ältere, aber auch jüngere wie Sailor Moon, das dir ebenso gefallen wird, wie es deiner Mutter gefallen hat, und da du dich für Science-Fiction interessieren wirst, kannst du auch in den 893 Urania-Heften deines Urgroßvaters herumstöbern, ja, du bist der neue Mensch, aber du solltest dich dafür interessieren, woher du kommst, und daher wird dir dein Opa die Erzählungen von Robert A. Heinlein empfehlen, Die Straßen müssen rollen, Der Mann, der den Mond verkaufte, er wird dir sagen, dass das die schönsten Science-Fiction-Geschichten sind, die er jemals gelesen hat, er, der praktisch nur sie gelesen hat, aber das ist egal, weil sie dir gefallen und dir zeigen werden, wie lange der neue Mensch bereits erwartet wird, mit wie viel Poesie und wie viel Naivität man tausende Male von ihm geträumt und ihn sich vorgestellt hat. 15, Miraijin: Warum versuchst du nicht, deinen eigenen Kanal auf YouTube zu gründen? Nur zu, versuch es, was kostet es dich? Los, nur Mut, tu es!
Und wenn du dich dazu entschließen wirst, wird dein Opa, den du immer für streng gehalten hast, der es aber nicht ist (weil es einfach sinnlos ist, streng zu Kindern zu sein, da Kinder, die es nötig haben, wie du, Miraijin, die Strenge andichten werden, wem immer sie wollen, während sie geradezu kontraproduktiv ist bei denen, die sie nicht nötig haben, die ihr sogar die Stirn bieten), überraschenderweise einverstanden sein und dich ermutigen, und daraufhin wirst du deinen YouTube-Kanal gründen, oder nein, zunächst wirst du einfach nur die Videos, die du mit dem Handy gemacht hast, auf YouTube laden, in denen du wiederholen wirst, was dich bei deinen Altersgenossen so beliebt gemacht hat, das heißt, du wirst über Dinge sprechen, die du mit ihnen teilen wirst, Filme und Fernsehserien, die man sehen, Bücher, die man lesen, und Kleider, die man tragen muss, Gerichte, die man kochen, und Tänze, die man lernen muss, Frisuren, die man ausprobieren, und Spiele, die man spielen, und Orte, die man besuchen, und Maßnahmen, die man ergreifen muss, um die Natur zu respektieren, wodurch du auch Unbekannten ermöglichst, das zu tun, was alle Personen, die dich im wirklichen Leben getroffen haben, tun wollten, das heißt, es dir gleichzutun, und so wirst du genau das werden, wofür es einen sehr präzisen englischen Namen gibt, den auszusprechen dein Opa dir aber verbieten wird, da ist sie, die Strenge — aber das wird nur ein Scherz sein —, und den du tatsächlich nicht aussprechen wirst, den du nie aussprechen wirst. 17! 18! Und dein Schicksal wird dich anspringen, weil du berühmt werden wirst, ja, genau, sehr berühmt, dein YouTube-Kanal wird plötzlich millionenfach angeklickt werden, ein absurder Erfolg, wenn man bedenkt, dass er sich mit einfachen, ernsten, normalen Dingen beschäftigt, und während dein Land zugrunde gehen wird, werden sich zahlreiche Jugendliche an dich klammern, zahlreiche Kinder auch, sie wollen tun, was du tust, wie du werden, die Welt mit deinen unglaublichen Augen sehen, und sie werden dir folgen, immer zahlreicher, und das bedeutet auch, dass du Geld verdienen wirst, viel Geld, das dich nicht schockieren und dich nicht von deinem Weg abbringen wird, du wirst einen großen Teil denen geben, die es brauchen, natürlich, und den Rest wirst du beiseitelegen, weil reich sein, während alle arm werden, ein enormer Vorteil sein wird, wenn die Welt sich verändern soll, und dein Großvater wird dann im Ruhestand sein und sich ganz deinen Angelegenheiten widmen, damit du nicht von deinem normalen Leben abgelenkt wirst, der Schule, den Schulausflügen, dem Klavier, den Reisen nach London, um Englisch zu lernen, den Partys, den Konzerten, den Ferien in Bolgheri mit dem Opa und die mit deinen Freundinnen, die dich überallhin einladen werden, um sich nicht von dir trennen zu müssen, er wird sich um all die praktischen Dinge kümmern, die mit der immer größeren Berühmtheit verbunden sind, die du dir in der Zwischenzeit erworben haben wirst, damit — wird er denken, und er wird recht haben — nicht die Berühmtheit von dir Besitz ergreift, denn — wird er denken, und er wird recht haben — wenn du von deinem normalen Leben abgelenkt werden solltest, würdest du augenblicklich zu einem Unternehmen, einem Warenzeichen, einer Marke und würdest sofort belagert von den Agenten, den Managern, den Förderern, den Impresarios, den Unternehmern, den Ausbeutern, die von dir fernzuhalten er sich bemühen wird, so dass in deinem näheren Umfeld nur die echten Personen bleiben werden, die Kinder und Jugendlichen, die, indem sie dir nacheifern, gegen den von ihren Eltern verursachten Schlamassel rebellieren, und daher wird in Marco Carreras Leben erneut geschehen, was letztlich immer geschehen ist, nämlich: Er wird sich nicht bewegen, fest auf dem Boden stehend, und mit allen Kräfte versuchen, auch die Zeit um sich herum anzuhalten, die allerdings für dich natürlich weiterlaufen wird, Miraijin, und jetzt bist du 18 geworden, es scheint kaum möglich, Miraijin, volljährig, eine junge Frau, wunderschön und kathartisch und immer einflussreicher in dem Sinne, dass von dir aus, und das wird jetzt kein Geheimnis mehr sein, die neue Menschheit entstehen wird, die fähig sein wird, den Untergang zu überleben, den die alte verursacht hat, von dir aus und von jenen wie du, denn die wahre Veränderung, die einzige, die dein Opa unterstützen wird, wird sein, dass jene wie du, Miraijin, die auserwählten Personen, die neuen Männer, die Frauen der Zukunft, gesucht, gefunden, versammelt und in Stellung gebracht werden, um sie erst einmal zu retten, die Welt, bevor man sie verändert, weil die Welt jetzt in Gefahr sein wird, genauso, wie es in den vorangegangenen Jahren von vielen befürchtet worden war, die aber nicht gehört worden waren, und auch tausende Male während des vorigen Jahrhunderts ersonnen worden war in Büchern, in Comics, in Zeichentrickfilmen, in Mangas, in Filmen, in der Kunst, in der Musik, und trotzdem wird es zahlreiche Leute geben, die sich bis zum Schluss weigern werden, es zu glauben, und viele andere, die es zu spät glauben werden und erstaunt sein werden, und, kurz und gut, du, Miraijin und jene wie du, ihr werdet angeworben und ausgebildet werden, um gegen den Krieg anzukämpfen, gegen den vorher niemand hatte ankämpfen wollen, obwohl schon seit geraumer Zeit klar sein wird, dass es sich genau darum handelte, einen erbitterten Krieg zwischen Wahrheit und Freiheit, weil du und jene wie du und euer ganzes Publikum aus Kindern und Jugendlichen (unzählige), jungen Leuten (viele), Erwachsenen (wenige) und Alten (sehr wenige), weil ihr, in Stellung gebracht auf der Seite der Wahrheit, die Freiheit seid, die sich in ein feindseliges, zähnefletschendes und unverzeihlich plurales Konzept verwandelt hat — die Freiheiten, die unendlichen Freiheiten, in die dieses Wort zerstückelt worden ist, wie das Zebra von dem Hyänenrudel zerstückelt wird, das es verschlingt, die Freiheit, immer das zu wählen, was man vorzieht, die Freiheit, jede Autorität zurückzuweisen, die das zu verhindern sucht, die Freiheit, sich nicht unangenehmen Gesetzen zu unterwerfen, nicht die Grundwerte, die Tradition, die Institutionen, den Sozialpakt, die in der Vergangenheit geschlossenen Abkommen zu respektieren, die Freiheit, sich nicht den Tatsachen zu beugen, die Freiheit, gegen die Kultur, gegen die Kunst und gegen die Wissenschaft zu rebellieren, die Freiheit, nicht von der Gemeinschaft anerkannte Behandlungsweisen anzuwenden oder, umgekehrt, überhaupt nicht zu behandeln, nicht zu impfen, keine Antibiotika zu benutzen, die Freiheit, nicht die dokumentierten Fakten zu glauben, die Freiheit, stattdessen den Falschmeldungen zu glauben, und die Freiheit, auch welche zu produzieren, die Freiheit, schädliche Emissionen, toxische Abfälle, radioaktive Rückstände zu produzieren, die Freiheit, biologisch nicht abbaubare Materialien ins Meer zu werfen, die Grundwasserspiegel und die Meeresböden zu verschmutzen, die Freiheit für die Frauen, machistisch, und für die Männer, sexistisch zu sein, die Freiheit, auf jeden zu schießen, der dein Haus betritt, die Freiheit, die Flüchtlinge abzuweisen und in die Lager zurückzuschicken, die Freiheit, die Schiffbrüchigen ertrinken zu lassen, die Religionen, die nicht die eigene sind, die Ess- und Kleidergewohnheiten, die nicht die eigenen sind, zu hassen, die Freiheit, die Vegetarier und Veganer zu verachten, die Freiheit, Elefanten, Wale, Rhinozerosse, Giraffen, Wölfe, Stachelschweine, Mufflons zu jagen, die Freiheit, grausam, hinterfotzig, egoistisch, ignorant, homophob, antisemitisch, islamophob, rassistisch, negationistisch, faschistisch, nazistisch zu sein, die Freiheit, die Worte »Neger«, »subnormal«, »Zigeuner«, »paralytisch«, »mongoloid«, »Hinterlader« in den Mund zu nehmen, die Freiheit, einzig und allein den eigenen Willen und die eigenen Interessen zu verfolgen, Fehler zu machen in dem Wissen, dass man Fehler macht, und diejenigen bis auf den Tod zu bekämpfen, die den Fehler eliminieren wollen, weil gerade der Fehler und nicht die Verfassung als Garant der Freiheit angesehen werden wird.
Du, Miraijin, und jene wie du, ihr müsst mit eurem Beispiel und mit dem Charisma des neuen Menschen, während die anderen im wirklichen Leben kämpfen werden, und der Kampf wird hart sein, im Netz kämpfen, das heißt im gegnerischen Lager, den Bazillus bekämpfen, in dem sich die Metastasen der Freiheit ausbreiten, und ihr werdet die Aufgabe haben, dort, im Netz mit euren Spielen und euren Erzählungen in der Muttersprache und euren Listen mit Dingen, die zu tun und nicht zu tun sind, das heißt mit Urteilsvermögen für die Kinder und Jugendlichen die Normalität schützen und lebendig halten, die im Begriff sein wird zu verschwinden, das Mitleid und die alte europäische Güte, die im Begriff sein werden zu verschwinden, jene der Emigranten und der Exilierten, die fern von zu Hause gestorben sind, der Diener, der Bauern, der Bergleute, der Hilfsarbeiter, der Seeleute, die vor Erschöpfung gestorben sind, damit es ihren Kindern besser gehen wird, der Missionare, die von den Kannibalen gegessen wurden, der Intellektuellen, der Dichter, der Künstler, der Architekten, der Ingenieure, der Wissenschaftler, verfolgt von den Tyrannen, und aus diesem Grund wirst du, aufgrund deiner Berühmtheit, aufgrund der einfachen Tatsache, dass du im Namen und zum Schutz der Wahrheit, und sei es auch nur die banalste und alltäglichste, gegen die Freiheit, sie mit Füßen zu treten, handeln wirst, in Gefahr sein. 19, Miraijin, und alles wird sich verändern — zum ersten Mal für dich, erneut für deinen Opa —, weil du dein Zuhause, dein Leben, deine Stadt verlassen und an geheimen Orten leben und ständig den Ort wechseln musst, bedroht, verleumdet, aber auch bewundert und verteidigt wie ein Schatz, beschützt, damit du weiterhin bezeugen kannst, dass die Welt ein schöner Ort gewesen ist, gesund, einladend, voller Geschenke, die nichts kosten, und dass sie es immer noch sein kann, und das Programm, an dem du teilnehmen wirst, Erinnere dich an deine Zukunft (denn von nun an wird es genau das sein, ein Programm im eigentlichen Sinn einer Doktrin, einer Formulierung von Leitsätzen, die zu befolgen sind, von Verhaltensänderungen, die notwendig sind, und von Ergebnissen, die erzielt werden müssen, ausgearbeitet von den besten Köpfen, die an deiner Seite kämpfen werden), du wirst es weiterhin fördern von diesen geheimen Orten aus, aber auch von Mohnfeldern, Gletschern, vom offenen Meer aus, und die Zahl deiner Follower wird weiter wachsen, und die Menschheit wird bereits begonnen haben, sich zu verändern, die Kinder und Jugendlichen, zu denen du in den ersten Jahren gesprochen hast, werden jetzt groß sein und sich von ihren Eltern lösen, gegen sie kämpfen, falls nötig, und im Plural denken, und dank deiner zentripetalen Schönheit werden sie vom Andersartigen angezogen werden, und die Kultur wird unter ihren Interessen an erster Stelle stehen, und sie werden sich suchen, sich finden, sich vereinen und vereint bleiben, und als viele werden sie wissen, was zu tun ist, während die alte Welt langsam stirbt, auch dank dir, ja, nach Meinung deines Opas, vor allem dank dir, deines Opas, der allein geblieben sein wird, stolz und allein, besorgt und allein, und dir folgen wird wie die anderen, auf dem Handy, auf dem Computer, und entdecken wird, dass du, seit du weit weg von ihm lebst, häufig von ihm sprichst, und er wird gerührt sein und sich an die Jahre erinnern, die er dir gewidmet hat, 17 mittlerweile, aber vergangen, scheint es ihm, wie im Nu, während er sich nur mit Mühe an diejenigen erinnern wird, in denen du noch nicht da warst, fern, verblasst, und er wird dich in dem alten Haus an der Piazza Savonarola oder in dem alten Haus in Bolgheri erwarten, die beide dank seiner Bemühungen noch da sind, wo du ihn besuchen wirst, sobald du kannst, mit Geleitschutz, Miraijin, denn du wirst mit Geleitschutz reisen, du wirst ihn besuchen, und du wirst ihn gut in Form vorfinden, noch jung, noch aktiv, so, wie er war, seine Spezialität, während sich um ihn herum alles verändert haben wird, mit der Gewissheit allerdings, dass auch für ihn der Moment kommen wird, in dem er sich bewegt und verändert, beides zugleich, plötzlich, wie es immer gewesen ist, und dieser Augenblick wird schließlich kommen, und es wird kein schöner Moment sein, weil er ein Stück Papier aus dem Krankenhaus mit sich bringen wird, einen Befund, in dem von einem Tumor die Rede sein wird, einem Karzinom in der Bauchspeicheldrüse, unmissverständlich, ohne Drumherumreden, von stattlichen Ausmaßen und bereits sehr ausgedehnt — wie kann das sein? Wo dein Opa doch immer regelmäßig zur Vorsorgeuntersuchung gegangen ist, alle sechs Monate, und vor sechs Monaten noch nichts gewesen ist? Wie konnte er innerhalb von sechs Monaten auftauchen, wachsen und so wuchern? Wie hat er das gemacht? Er hat es so gemacht wie sein Körper mit 15, Miraijin, das ist immer die Art und Weise gewesen, wie Marco Carrera gewachsen ist, von Anfang an eingeschrieben in seine Chromosomen, wie seine Mutter geglaubt hatte, oder einfach nur, weil der Tag X gekommen sein wird, den sein Vater so fürchtete, an dem er den Preis für sein rasches Wachstum würde zahlen müssen, kurz und gut, Krebs, Fluch mit siebzig, und jene Grausamen, die dich in die Knie zwingen, Miraijin, wenn er es dir sagen wird, denn er wird es dir sagen müssen, und die Welt, die du im Begriff bist zu retten, wird über dir zusammenstürzen, und er wird dir sagen, »ich werde kämpfen«, aber du wirst ganz genau wissen, dass er denkt, »ich bin tot«, wie seine Mutter gedacht hatte, als es sie getroffen hat, er, der immerhin sagen kann, dass er ein Ziel im Leben gehabt hat, er, der hätte tot sein müssen an einem Abend im Mai vor einem halben Jahrhundert, er stand auf der Liste, alles war vorbereitet, aber im letzten Augenblick war er verschont worden, Miraijin, denn wäre er damals gestorben, hätte er deine Geburt im Wasser nicht miterlebt und hätte dich nicht großziehen und dieser Erde übergeben können.