Die NFL, hat einer meiner Strength Coaches immer gesagt, ist wie ein Zug, der selten hält. Einzusteigen ist schwer genug, aber wenn du einmal ausgestiegen bist, musst du schon Tom Brady sein, damit er noch einmal für dich anhält. Nach meiner letzten Station bei den Raiders war für mich klar, dass ich mehr Football hinter mir hatte als vor mir und sich mein Abenteuer in der besten Liga der Welt dem Ende zuneigte. Ich trug meiner Frau in Prozentwahrscheinlichkeiten vor, welche Chancen ich mir noch ausrechnen durfte. »Wenn der Anruf kommt, kümmere ich mich um den Rest.« Aber die Chance, solche Anrufe zu bekommen, wird nicht größer, je länger man Free Agent ist.
Es gibt immer Dinge, die man hätte besser machen können. Aber wenn ich in den Spiegel schaue, weiß ich, dass der Mann, der zurückschaut, alles gegeben und sein Herz für den Sport gelassen hat. Ich bin stolz auf das, was ich erreicht habe. Aber ich musste mich damit beschäftigen, wie es weitergehen sollte. Und mit 30 Jahren fühlte ich mich noch nicht so, als müsste ich bereits in den Sonnenuntergang reiten. Über meine Twitch-Talks mit Björn hatte ich viel Kontakt nach Deutschland, und so kam es, dass mir Patrick Esume von seinen Plänen erzählte, in Europa eine Profiliga zu etablieren.
Hätte man mir ein Jahr zuvor gesagt, ich würde wieder nach Deutschland gehen, hätte ich es nie geglaubt. Auch wenn sich neue Türen in der Coachingwelt in den USA öffneten, wusste ich, dass ich dem Football in Deutschland mehr helfen konnte als irgendeinem Team in Amerika. Patrick ist ein intelligenter Entertainer, ich habe nie daran gezweifelt, dass er seine Idee in die Realität umsetzen würde. Und auch wenn sich Jobs in den USA finanziell mehr gelohnt hätten, wusste ich, welche Entscheidung die richtige war, und folgte meinem Herzen. Die Möglichkeit, meiner Familie meine Heimat zu zeigen, näher an den Bromantikern und den Fans zu sein und wieder in der Stadt zu spielen, in der für mich alles begonnen hatte, war eigentlich schon alles, was ich an Überzeugung brauchte.
Die Kirsche auf der Torte war ein Package-Deal mit der Comedy-Reihe »Food Balls«, den Patrick und sein Geschäftspartner Zeljko Karajica mir vorschlugen. Für mich war die Chance, auf gutem Niveau in Hamburg Football spielen und mich gleichzeitig als Schauspieler ausprobieren zu können, sehr verlockend. Als die Rückkehr der Sea Devils angekündigt wurde, merkte ich, dass ich richtig heiß darauf war, bei dem Projekt mit am Start zu sein. Für mich war es einfach ein Traum, wieder mit so vielen Jungs zusammenzuspielen, die ich schon aus der Jugend kannte. Ich wollte die gesamte Gruppe auf ein Level bringen, von dem sie noch nicht wussten, dass es in ihnen steckte.
Als ich noch Jugendspieler war, gab es in Hamburg eine neue Eishockeymannschaft, die Freezers. Alle meine Kumpels waren davon total geflasht. Nicht, weil sie die größten Eishockeyfans waren, sondern weil die Atmosphäre und Energie in der Halle einfach top waren. »Da musst du unbedingt hingehen«, sagten alle, die mal da gewesen waren. Und genau das wollte ich nun mit den Sea Devils erreichen. Ich wollte der Funke sein, der das Football-Feuer in Hamburg neu entfachte. Ich wollte, dass die Sea Devils die Rolle spielen würden, die in den Jahren 2003 bis 2006 die Freezers übernommen hatten.
Da ich in Deutschland zuletzt 2006 als 18-Jähriger in der Jugend gespielt hatte, wusste ich nicht, wie das Niveau einzuschätzen war. Aber meine Teammates und die Jungs, gegen die wir in der Saison spielten, bestätigten sofort, was Björn und ich immer zu unserem Teammates in Amerika gesagt hatten: »An Talent fehlt es uns in Deutschland nicht!«
Natürlich ist die ELF nicht mit der NFL zu vergleichen, aber es gibt viele Jungs, für die ich mir wünschen würde, dass sie eine Chance bekommen hätten, am College zu spielen. Ich bin sicher, dass die Zahl der deutschen NFL-Spieler weitaus höher sein könnte. Aber ich finde, dass die ELF als Plattform echt sehr nice ist und sportlich von Beginn an absolut wettbewerbsfähig war. Bei den Sea Devils hatten wir am Anfang einige kleine Probleme. Unser Headcoach Ted Daisher konnte sich nie so richtig in die europäische Football-Kultur einfinden. Es war seine erste Europa-Station, er war über Jahrzehnte an das College-System gewöhnt, in dem er Jungs, die ihm nicht passten, einfach aus dem Kader werfen konnte. In Hamburg hatte er plötzlich Typen, die von ihrem Dienst auf der Polizeiwache oder im Büro direkt zum Training kamen. Und die keine Lust hatten, sich dafür auch noch nach Feierabend anschreien zu lassen.
Es kam wie es kommen musste, denn auch in Deutschland ist Football am Ende ein Business, in dem man sich eben trennt, wenn es nicht passt. Ted Daisher wurde entlassen. Ich persönlich war in den ersten beiden Spielen auch etwas verwirrt, weil ich mehr droppen sollte. Etwas, das ich in meiner NFL-Karriere noch nie gemacht hatte. Aber niemand steht über dem Team, und daher versuchte ich, den Job zu machen, den mir der Headcoach zugewiesen hatte.
Ob ich privat eine gute Beziehung zum Trainer habe oder nicht, macht in solchen Fällen keinen Unterschied. Und auch wenn wir die ersten beiden Spiele gegen Frankfurt (17:15) und Barcelona (32:14) gewannen, merkten alle Beteiligten, dass es besser war, jemanden zum Headcoach zu befördern, der das Talent hatte, die Jungs zusammenzuhalten. Es gab dafür keinen Besseren als unseren Offense Coordinator Andreas Nommensen, meinen alten Headcoach bei der Hamburger Flag-Auswahl 2004.
Ich liebte es, wieder mit Jungs zusammen zu sein wie Florian Voss, der jetzt unser Quarterback-Coach ist und dessen Back-up ich 2005 bei der Hamburger Auswahl gewesen war. Jungs wie Jan-Philipp Bombek, der jetzt in Leipzig spielt, bei Colorado State dominiert hatte und ohne Verletzungen zu 100 Prozent in einem NFL-Team spielen würde. Unser Tightend Adria Botella Moreno, der leider nach Wien gewechselt ist, hat sich zum spanischen Gronk der ELF entwickelt.
Noch schöner zu sehen war, dass mein guter Freund Miguel Boock, von dessen Papa wir früher im Krafthaus vermöbelt wurden, sich zu einem der besten Linebacker Deutschlands entwickelt hat und nicht nur das Herz der Defense war, sondern das Herz der gesamten Mannschaft. Er strahlt auf dem Platz eine Autorität aus, die jedem sofort signalisiert: Mit dem Typen legst du dich besser nicht an. Als er verletzt war, fehlte er uns sehr.
Leider erkrankte ich schon in der zweiten Woche an der damals neuen Deltavariante des Coronavirus und musste für zwei Wochen in strenge Quarantäne. Einen Tag, nachdem sie zu Ende war, ging es direkt zu den Wroclaw Panthers nach Polen. Das erste Mal in meinem Leben hatte ich schon im ersten Viertel Wadenkrämpfe, es war eines meiner anstrengendsten Spiele. In Woche sieben fühlte ich mich endlich wieder fit und wollte zurück aufs Footballfeld. Im Rückspiel am 31. Juli gegen die Dragons startete ich gleich mit zwei Sacks in die erste Halbzeit. Das sollte es jedoch auch schon wieder gewesen sein, denn in der zweiten Hälfte riss ich mir ein Außenband im Knöchel. Die vorgeschlagene Operation lehnte ich ab und verließ mich stattdessen auf eine konservative Reha.
In dieser Zeit verlegte ich mich umso mehr aufs Coaching. Ich wollte der Mannschaft so gut wie möglich helfen. Aus vielen Gesprächen mit Jungs aus anderen Teams hatte ich eins gelernt: Dass wir Hamburger das Image haben, zwar harte Krieger zu sein, gegen die niemand gerne spielte, aber dass wir nicht wüssten, wie man Footballspiele gewinnt. Meine Motivation war, das zu ändern, und so versuchte ich, meinen Teil dazu beizutragen, auch wenn ich nicht auf dem Feld stand.
Als wir uns dann tatsächlich für das Finale am 26. September im Düsseldorfer Fußballstadion qualifiziert hatten, sprach ich ein paar Tage vor dem Spiel mit Nommi. Er ist ein Ehrenmann wie kein anderer, sehr fokussiert und akribisch, aber auch locker und sehr menschlich. Er sagte: »Kasim, du musst hier nichts beweisen. Wenn der Knöchel nicht hält, ist es Quatsch, wenn du spielst.« Aber ich wollte unbedingt mit Helm und Pads dabei sein und nicht nur mit den Aufwärmklamotten. Also wickelte ich mir das Tape meines Lebens und war bereit für die Galaxy.
Vor dem Spiel tat Nommi etwas, das ich, wie ihr wisst, am Football ganz besonders schätze. Ein paar Coaches und Spieler stellten sich vor das Team und erzählten ihre Football-Story. Was sie motiviert und warum sie diesen Sport von ganzem Herzen lieben. Jeder bekam Gänsehaut, und ich merkte, wie die Stimmung in der Mannschaft noch vertrauter wurde und wirklich jeder alles für die anderen geben wollte.
Das Finale war ein Super-Event. Die Stimmung im Stadion war magisch. Als wir zum Coin Toss an der 50-Yard-Linie standen, wusste ich: Genau dafür bin ich nach Deutschland gekommen! Es war eines meiner schönsten Erlebnisse im Football. Spannung pur! Das Einzige, was nicht passte, war das Ergebnis, denn wir verloren 30:32. Aber so ist wenigstens im zweiten Jahr noch eine Steigerung möglich.
Was ich von diesem zweiten Jahr erwarte? In der NFL heißt es immer, dass neu zusammengestellte Teams den größten Fortschritt von Woche eins auf Woche zwei machen, wenn sie einmal gesehen haben, was sie draufhaben. Mit der ELF ist es, glaube ich, von Jahr eins zu Jahr zwei genauso. Vor der ersten Saison diskutierte ich viel mit Patrick über das, was in den Foren geschrieben wurde: Dass die Liga es nicht mal in Woche eins schaffen würde, dass Covid alles zerstören würde und dass das Ganze sowieso ein viel zu großes Risiko sei.
Nun haben wir die erste Saison hinter uns, und es ist richtig gut gelaufen. Sportlich haben wir ein hohes Niveau gesehen, organisatorisch war alles top. Wir werden zwölf statt acht Teams haben, mit Istanbul und Wien kommen Schwergewichte dazu, auch die Wiedergeburt von Düsseldorf Rhein Fire ist großartig. Patrick wird genau analysieren, was 2021 noch nicht so gut lief, und das für die nächste Saison optimieren. Das Baby wächst und wird in seinem zweiten Jahr große Schritte machen. Ich glaube, dass die Fans die größten Gewinner sein werden, denn sie bekommen ein Produkt zu sehen, das als Resultat eines höheren Competition-Levels das bestmögliche sein wird. Ich jedenfalls freue mich riesig darauf, die nächste Generation zu erleben.
Für mich wird es die letzte Saison als aktiver Spieler im Football sein. Ich habe das schon vor meiner Rückkehr angekündigt und hoffe sehr, dass es mir hilft, am Ende der Saison auch eisern zu meinem Wort zu stehen. Ich werde in diesem Jahr 33 und spüre den körperlichen Verschleiß. Als junger College-Athlet geht es nur darum, so viel Gewicht wie möglich zu stemmen. Die Konsequenzen, die man im Alter zu spüren bekommt, werden ignoriert. Auch wenn mein Training heute viel besser strukturiert ist, merke ich, was ich meinem Körper abverlangt habe. Mein Rücken ist nicht mehr der beste, und manchmal fühlt es sich so an, als hätten Björn Werner und ich die Knie getauscht. Über die Jahre habe ich gelernt, meine Limits richtig einzuschätzen. Und ich muss so ehrlich mit mir selbst sein, dass es besser ist, nach dieser Saison selbstbestimmt zu gehen, bevor sie mich irgendwann vom Feld tragen müssen. Es ist nicht einfach, aber wie Muddi immer sagt: »Wenn es am schönsten ist, musst du aufhören.«
In der Geschichte des Sports gibt es zahlreiche Beispiele von Menschen, die den richtigen Zeitpunkt für den Abschied verpasst haben. Mir ist bewusst, dass es viele Athleten gibt, denen vor dem Karriereende graut. Dieser Moment, in dem sich die Tür zum Stadion für immer schließt, kann dich in Dunkelheit hüllen. Manche verharren in dieser Dunkelheit – aus Angst, die nächste Tür zu öffnen, die wieder Licht ins Dunkel bringt. Andere öffnen sie, aber trauen sich nicht, hindurchzugehen.
Ich für meinen Teil habe keine Angst vor dem Ende meiner Karriere. Nur eine große Vorfreude auf das, was danach kommt. Warum? Weil ich weiß, dass ich nicht vom Football definiert werde. Er ist ein Teil meines Lebens, für einige Jahre sicherlich der wichtigste. Aber es warten so viele Dinge hinter so vielen Türen, dass ich heute nicht einmal im Ansatz weiß, was kommen wird.
Dass ich dem Football in irgendeiner Art treu bleiben werde, davon bin ich überzeugt. Aber ich plane es nicht. Auch dazu gibt es eine Weisheit, die einer meiner Coaches oft zitiert hat. »10 Prozent deines Lebens geschehen so, wie du es planst. 90 Prozent hängen davon ab, wie du auf das reagierst, was dir passiert!« Und deshalb stresse ich mich nie, wenn etwas nicht nach Plan verläuft, sondern akzeptiere, was ich nicht verändern kann.
Genauso halte ich es auch mit dem Moment, an dem ich meine Karriere als Footballspieler beende. Ich habe über diesen Moment noch nie nachgedacht; nicht einmal jetzt, da ich diese letzten Zeilen meines Buchs schreibe. Irgendwann wird er da sein, und dann werde ich ihn genießen – und schaue anschließend, wie es weitergeht. Ich wurde oft gefragt, warum ich meine letzte Saison nicht in Kanada spiele, also in einer größeren Liga als der ELF. Meine Antwort: Weil ich meine Karriere dort beenden werde, wo sie einst begonnen hat. Mit den Jungs und den Fans, die mir in meinem sportlichen Leben am meisten bedeuten. Etwas Schöneres kann es für mich gar nicht geben.