Kapitel 4 feat. Maki Papadopoulos

Aufbruch ins Land aller Football-Träume

Es ist faszinierend und unglaublich zugleich, über die vielen kleinen Dinge zu reflektieren, die es mir ermöglicht haben, meinen Weg zu gehen. Nur eine andere Entscheidung, eine verpasste Chance, und mein Leben hätte eine ganz andere Wendung nehmen können. Vielleicht wäre ich niemals aus Osdorf herausgekommen, hätte niemals die Menschen kennengelernt, die mir heute so viel bedeuten. Ein Anruf von Marico Gregersen sollte mein ganzes Leben verändern.

Im Sommer 2006 hatte ich meinen Realschulabschluss gemacht und keinen Plan, wie es weitergehen sollte. Herrn Kruse, meinem Englischlehrer, hatte ich immer erzählt, dass ich in die USA gehen und meinen Highschool-Abschluss machen würde. »Dafür brauchst du aber eine gute Note«, hatte er jedes Mal geantwortet. Als ich im Abschlusszeugnis eine Zwei stehen hatte, sagte ich zu ihm: »Herr Kruse, das reicht doch für die Highschool, oder?« Wie ich dorthin kommen sollte, wusste ich nicht. Björn hatte während unserer Zeit in der Nationalmannschaft erwähnt, dass er auf eine Highschool in den USA gehen würde. »Ach was, krass! Ich wünschte, ich bekäme auch so eine Chance«, hatte ich mir gedacht. Davon träumte ich zwar, kümmerte mich allerdings nicht weiter darum, meinen Traum in die Realität umzusetzen. Ich hätte Björn nach Details fragen, ich hätte recherchieren können, was ich hätte tun müssen, um auch an die Highschool zu kommen. Das tat ich aber nicht, sondern hoffte, es würde irgendwie schon funktionieren. Wenn nur eine Person auf dieser Welt dieses Buch liest und deshalb beschließt, nicht wie ich auf ihr Glück zu warten, sondern den Extraschritt geht, um ihr Ziel zu erreichen, dann hat sich die Arbeit schon gelohnt.

Als ich mit der Schule fertig war, hatte ich nichts als Football im Kopf. Was mich beruflich interessieren könnte, wusste ich nicht. Ein Praktikum bei Volkswagen als Mechatroniker und ein Praktikum bei meiner Mutter im Fitnessstudio brachte ich zwar hinter mich. Auch wenn es im Fitnessstudio ganz cool war – ein Leben ohne Football war für mich trotzdem undenkbar. Da meine Noten in der Realschule nicht gut genug gewesen waren, um aufs Gymnasium zu gehen, schrieb ich mich bei der Höheren Handelsschule ein. Die meisten meiner Freunde und Klassenkameraden wurden für ihr Praktikum angenommen oder waren gut genug, um ihr Abitur zu machen. Ich musste das erste Mal in meinen Leben eine Entscheidung treffen, was ich mit meinem Leben anfangen wollte. Also wählte ich die Handelsschule.

Im ersten Semester lief ich nur auf Autopilot. Gott sei Dank riss mich ein Anruf aus diesem Modus heraus. Normalerweise schickte mir Marico eine SMS, in der dann stand, dass das Herrenteam am Wochenende Flag Football zocken wollte und mich einlud, mitzuspielen. Deswegen war ich etwas verwundert, als ich seinen Namen auf meinem Display las. »Edeballa!« Das war sein Spitzname für mich. Er setzt sich aus Edebali und Baller zusammen (falls sich jemand heute fragt, woher mein Instagram-Name @edeballa eigentlich kommt). Ohne mir die Chance auf eine Antwort zu geben, fragte er: »Willst du eigentlich noch nach Amerika?«. Woraufhin ich in meinem Hamburger Hochdeutsch antwortete: »Digga, normal!«

Er erklärte mir, Björn habe sein Stipendium über das ISP-Programm bekommen und meinte, ich solle den Leiter des Programms, Patrick Steenberge, mal anrufen. »Alles klar«, sagte ich, ohne weiter nachzufragen. Marico, der auch in der NFL Europe aktiv gewesen war, war schon immer ein Vorbild für mich. Hätten Randy Moss oder Marico Gregersen vor mir gestanden, als ich noch ein Kind war, es hätte für mich keinen Unterschied gemacht. Bei Muddi zu Hause liegt immer noch der Football, den Marico mir 2000 beim NFL Europe Beach Bowl an der Ostsee signiert hat. Ich kann mich glücklich schätzen, ihn in meiner Jugend als Mentor gehabt zu haben.

Also rief ich Patrick Steenberge an. Als ich gerade wieder auflegen wollte, hörte ich seine Stimme. »Patrick Steenberge hier.« In gruseligem Lothar-Matthäus-Englisch versuchte ich ihm zu erklären, warum ich ihn belästigte. Er wiederum redete wie der Scatman. Viel zu schnell für mich. Nachdem ich es irgendwie geschafft hatte, ihm zu erklären, dass ich wie Björn alles geben wollte, um auch einen Studienplatz zu ergattern, antwortete er: »Kasim, I’m sorry to tell you, but the deadline ended last week.« Englischkenntnisse hin oder her, das verstand ich. »But you are the only one that called me and I am quite impressed.« Bevor er mir jedoch etwas zusagte, wollte er zunächst ein Highlight-Tape von mir – und das so schnell wie möglich. Er erklärte mir noch ein paar Dinge, an die ich mich kaum noch erinnern kann, so happy und aufgeregt war ich. Ich fühlte mich wie bei »DSDS«. Gib mir einfach meinen Recall-Zettel!

Nachdem ich aufgelegt hatte, rief ich sofort meine Mutter bei der Arbeit an: »Mama, darf ich nach Amerika?« »Was muss ich bezahlen?«, fragte sie. »Nichts, das ist ein Stipendium!«, sagte ich, obwohl ich natürlich nicht wusste, was an Kosten noch auf sie zukommen würde. »Mach was du willst, du bist erwachsen«, sagte sie. Typisch Muddi!

Was sie für mein Leben bedeutet, wurde in den Tagen nach diesem Anruf wieder einmal deutlich. Sie war das Mastermind meines Gameplans. Sie war mein Superfan, meine Managerin, meine Anwältin, sie organisierte alles. Schick mir dein Tape, hatte Patrick Steenberge gesagt. Guter Plan! Mit dem klitzekleinen Haken, dass so ein Tape nicht existierte. Also mutierte meine Mutter zu einer Hollywood-Producerin. Sie schnitt aus den vielen kleinen Bewegtbildschnipseln, die sie über die Jahre von der Seitenline aus aufgenommen hatte, ein Blockbuster-Video. »Here comes the Boom«-Soundtrack, Pfeile, die zeigten, wo ich mich auf dem Feld befand, die Geschwindigkeit minimal erhöht, sodass ich noch schneller aussah. Drei Tage später rief Patrick Steenberge an: »Kasim, du hast die athletischen Fähigkeiten, an der Highschool zu spielen. Ich sende dir die Bewerbungsunterlagen.«

Ich konnte es kaum glauben. Die Chance, in die USA zu gehen, war plötzlich greifbar. Marico hatte mir eine Tür geöffnet, jetzt musste ich nur noch hindurchgehen. Als ich allerdings die Preise sah, die für ein Schuljahr aufgerufen wurden, wäre mir diese Tür fast ins Gesicht gefallen. 42.000 Dollar!? Wo sollten wir so viel Geld hernehmen? Ich wusste nicht, ob die in Amerika mit Monopoly-Money bezahlten, aber eine solche Summe konnte ich mir nicht einfach so aus dem Ärmel schütteln. Ich rief Mister Steenberge an und fragte, wie das mit den Kosten laufe. »Keine Sorge, das wird alles übernommen, ihr müsst nur die Steuern zahlen. Ungefähr 1.300 Dollar.«

Das »nur« hätte er streichen können, denn auch 1.300 Dollar plus die Flugkosten hatten wir nicht einfach so parat. Aber wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.

Salisbury war eine der besten Schulen auf der Liste, die mir Steenberge geschickt hatte. Doch als ich im Kleingedruckten »All Boys School« las, bedeutete das ein ganz klares Nein für mich. Im Gegensatz zu Björns hartem Ja, denn das war die Schule, die er ausgewählt hatte. Der Teenage-Kasim hatte noch viel zu lernen, was Prioritäten anging. Und so wählte ich eine Schule, die zwar zwei Ligen unter Björns Salisbury lag, aber keine reine Jungenschule war: die Kimball Union Academy in New Hampshire.

Die Wochen danach waren surreal. Ich meldete mich bei meiner Handelsschule ab, auch wenn die Lehrkräfte versuchten, mich davon zu überzeugen, unbedingt meinen Abschluss zu machen. Aber ich konnte die Erfüllung meines Lebenstraums schon riechen, und es gab nichts, was mich jetzt noch davon abhalten konnte. Seit meinem ersten Snap hatte ich davon geträumt, es in die USA zu schaffen. Nicht eine Sekunde lang machte ich mir Gedanken, ob es wohl die richtige Idee war. Ich sah nur diese einmalige Chance vor mir und wollte ready sein.

Ich trainierte wie noch nie. Die 60 Kilo, die ich vor Coach Esume nur einmal gedrückt hatte, wurden zu einem Aufwärmsatz. Ob Regen oder Hitze, jeden zweiten Tag hüpfte ich über den Zaun der Grundschule Wesperloh, um dort eine Stunde lang Football-Drills zu laufen. Ich hatte keine Ahnung und Struktur, ich zog einfach jeden Drill durch, den ich kannte. Bis ich nicht mehr konnte. Danach ging ich eine Stunde lang joggen. Ich war bereit, die Welt zu erobern.

Björn hatte ich natürlich sofort über meine Pläne verständigt. Er freute sich riesig für mich. Unsere Mütter hatten von da an eine Standleitung, um zu besprechen, was für ihre Söhne wichtig war. Auch in meinem Freundeskreis und im Huskies-Umfeld freuten sich die meisten für mich. Gleichzeitig erfuhr ich auch Neid und Missgunst. Damit konnte ich nur schwer umgehen.

Ich stand vor meiner letzten Saison in Deutschland. Wir trainierten auf einem Feldhockey-Kunstrasenplatz, die meist härter sind als die typischen Footballfelder. Die Folge: Leistenprobleme. Noch nie hatte ich Spiele ausgesetzt, doch nachdem ich ein paar Ärzte um Rat gefragt hatte, entschied ich, die ersten beiden Spiele der Saison auszusetzen. »Der ist sich zu fein für uns«, sagten einige wenige. »Er ist jetzt ein Superstar und lässt uns im Stich.« Auch wenn diese Worte von einer kleinen Minderheit kamen, verletzte es mich, dass überhaupt solche Dinge über mich verbreitet wurden. Seit mehr als sieben Jahren hatte ich für die Huskies alles gegeben, wann immer, wo immer, wie auch immer. Mir fiel es nicht leicht, mit dieser aus meiner Sicht unberechtigten Kritik umzugehen.

Meine Mutter merkte das und sagte: »Du wirst es nie allen recht machen können.« Auch Coach Schulz unterstützte mich: »Sorge und kümmere dich nur um das, was du kontrollieren kannst.« Ein weiterer wichtiger Rat war, dass ich niemandem meine Loyalität beweisen musste. Solange ich mein Herz am rechten Fleck trug und mich nicht für andere verstellte oder änderte, würde alles gut werden. Doch natürlich war das alles leichter gesagt als getan.

In dieser Phase rief mich eines Abends Maki an. Orhan, Pupsi (Steffen Schmidt) und er wollten Playstation daddeln und dazu lecker Essen bestellen. Er fragte mich, ob ich mitmachen wolle. »Nee, Mann«, antwortete ich, »mir geht es nicht gut, ich bleibe lieber zu Hause.« Da ihr schon bis hierher gelesen habt, solltet ihr wissen: Das war eine sehr untypische Aussage für mich. Maki war irritiert, akzeptierte es aber und sagte: »Kein Stress, Brudi.«

Mich plagten Sorgen um meine Verletzung, Zweifel, ob ich überhaupt noch einmal in Deutschland spielen könne und was meine Teammates sagen würden. Die Angst, dass ich vielleicht nicht einmal bis Amerika wieder fit sein würde und pure Aggressivität, weil ich nicht mit diesen Gefühlen umgehen konnte. All diese Emotionen überrollten mich, und als ich an diesem Abend das erste Mal seit Jahren mit Tränen in den Augen zu meiner Mutter ins Wohnzimmer kam, wusste sie sofort: Etwas stimmte nicht. Sie versuchte, mich aufzubauen, und überzeugte mich, doch mit den Jungs abzuhängen.

Also rief ich Maki an, ob er mich abholen könne, was er sofort tat. Zusammen Party machen, trainieren oder Scheiße bauen – das tun wir alle liebend gerne mit unseren Freunden. Aber dass meine Jungs an jenem Abend, an dem ich an einem absoluten emotionalen Tiefpunkt war, für mich da waren, werde ich ihnen nie vergessen. Ich hoffe, dass jeder Mensch solche Freunde hat oder so ein Freund für andere sein kann.

Distanz, Beruf, Lebensverhältnisse – ganz egal: Mit diesen Jungs werde ich mich immer verbunden fühlen und noch meinen Kindern von dieser Geschichte erzählen. Egal, wie stark Papa ist: Als er Hilfe brauchte, waren seine Jungs für ihn da. Und wenn meine Frau mich fragt, wie ich manche Menschen beste Freunde nennen kann, wo ich doch nur einmal im Jahr mit ihnen rede, antworte ich: Der Grund dafür ist dieser Moment, den ich mit Maki, Orhan und Steffen erlebt habe. Diese Energie nahm ich in mein erstes Spiel nach der Verletzung mit, als ich als Running Back fast 200 Yards schaffte und meinen besten Auftritt bei den Young Huskies hinlegte.

Maki Papadopoulos ist verwirrt, als er in der Sportanlage am Steinwiesenweg im Hamburger Stadtteil Eidelstedt eintrifft. »Hier hat es sich total verändert«, sagt er. Ist ja auch 15 Jahre her, dass Kasim und er Seite an Seite für die Huskies-Jugend den Rasen umpflügten. Aber wer die beiden nicht nur äußerlich ungleichen Freunde nebeneinander auf den roten Plastikschalen der Ersatzbank sitzen sieht, spürt die Verbindung sofort, die sie Mitte der Nullerjahre zu besten Freunden werden ließ.

Dabei sah es am Anfang gar nicht so aus, als würden sie zueinander finden. »Ich war erst mit 17 über meinen Kumpel Orhan zum Football gekommen, vorher habe ich Kung-Fu und Kraftsport gemacht. Als ich Kasim das erste Mal sah, dachte ich nur: Was ist das für ein Kasper? Er war laut und auch ein bisschen überheblich. Aber Orhan sagte mir: Der ist ziemlich talentiert.« Für den D-Liner war Football zunächst vor allem ein körperlicher Sport, und weil er deutlich kräftiger war als Kasim, leuchtete ihm nicht ein, warum dieser als besonders talentiert eingestuft wurde. »Orhan und ich haben Kasim im Gym immer belächelt. Erst als ich den Sport besser verstand und sah, welche Qualitäten Kasim in der Ballbehandlung und im taktischen Verständnis hatte, wurde mir klar, was alle meinten. In seinem letzten Jahr in der Jugend wurde er dann auch körperlich zu der Vollmaschine, die er heute ist.«

An dem Tag, an dem Kasim die Zusage erhielt, nach Amerika an die Highschool zu gehen, drehte sich sein Mindset um 180 Grad. »Er fing an, das Ganze richtig ernst zu nehmen. Man konnte fast hören, wie es bei ihm ›Klick‹ gemacht hat«, sagt Maki, der ein Jahr älter ist als Kasim. Die Neider haben auch ihn damals genervt. »Am schlimmsten aber war, dass manche ihm unterstellten, nicht mehr mit vollem Herzen bei den Huskies zu sein, denn das stimmte nicht. Er war verletzt. Wir anderen haben zwar auch verletzt gespielt, weil der Druck, sich für das Team aufzuopfern, groß war, aber Kasim hatte jetzt einen größeren Plan. Ich konnte verstehen, dass er es nicht riskieren wollte, die Chance seines Lebens wegen einem Jugendspiel zu versauen.«

Die Zeit zwischen der Zusage aus den USA und Kasims Abreise dorthin hat der Mann, der heute als Koordinator für technische Dienstleistungen im Medizinsektor arbeitet, als die intensivste Phase der Freundschaft in Erinnerung. »Wir hingen damals sehr viel miteinander ab und zockten Madden. Ich machte eine Ausbildung zum Schifffahrtskaufmann, Kasim hatte sehr viel Freizeit. Irgendwann bin ich immer eingepennt und er hat peinliche Fotos von mir gemacht«, sagt er.

An den Abend, an dem Kasim seinen Jungs sein Herz ausschüttete, erinnert sich Maki intensiv. »Wir merkten, wie sehr ihn das beschäftigt hat. Umso wichtiger war es, ihn wieder aufzubauen.« Je näher der Abschied rückte, desto emotionaler seien sowohl Kasim als auch er geworden. »Mir wurde immer klarer, dass er bald weg sein würde. Und zwar richtig weit weg. Ich gehörte nicht zu denen, die überzeugt waren, dass er nach einem Jahr wieder zurückkommen würde.«

Obwohl Maki zu jener Zeit eine Freundin hatte, verbrachte er die Wochenenden oft mit Kasim. »Wir haben immer einen Grund gefunden, uns zu treffen. Für mich war das völlig normal, denn obwohl wir so unterschiedlich sind, war er einer meiner besten Freunde.« Die größte Sorge bereitete ihm und der Clique der Gedanke daran, wie der chaotische und verpeilte Kumpel in den USA allein klarkommen sollte. »Ich habe mich immer gefragt, wie er sein Leben in den Griff kriegen würde. Ich bin der Typ Mensch, der alles sehr ernst nimmt und sich damit unter Stress setzt. Kasim ist das komplette Gegenteil, aber es hat für ihn super funktioniert, das muss man anerkennen.«

Beim letzten gemeinsamen Jugendspiel ihres Lebens seien viele Tränen geflossen. »Für uns alle war das ein Einschnitt. Kasim brach auf in ein neues Leben, für mich ging es in die Herrenmannschaft, wo ich ein Niemand war, der erst seinen Platz finden musste.« Umso intensiver habe er sich bemüht, über die Entfernung den Kontakt zu halten. »Kasim ist ein sehr schlechter Freund, was das angeht. Er meldete sich fast nie von sich aus. Aber mir war es sehr wichtig, derjenige zu sein, der immer das neueste Update hatte, also habe ich viel nachgefragt, was bei ihm abgeht. Ich war richtig wütend, wenn er mir mal etwas nicht erzählt hatte und ich von anderen darauf angesprochen wurde.«

Ihm sei es, sagt Maki, immer auch darum gegangen, »den Hatern das Maul zu stopfen. Als der Draft anstand, habe ich zu allen gesagt, dass Kasim safe in Runde drei oder vier gezogen wird«. Während der letzten Draftrunden war das Huskies-Team im Bus unterwegs. Maki verfolgte das Ganze im Liveticker. »Als er nicht gezogen wurde, war ich geschockt, während die Hater triumphierten. Plötzlich schrieb er mir nur ein Wort: Saints. Da sagte ich zu den anderen: ›Er ist bei den Saints, und jetzt haltet die Fresse!‹ Auch wenn er undrafted war, war für mich klar: Jetzt ist er im Business!«

Dass sein bester Freund heute als Vereinslegende bei den Huskies verehrt wird, macht Maki stolz. »Wenn 2006 irgendwer gesagt hätte, dass der Huskies-Platz mal Kasim-Edebali-Field heißen würde, hätten wir den direkt einweisen lassen«, sagt er. »Umso krasser, dass er es so weit gebracht hat.« Natürlich hat Maki Kasims NFL-Karriere verfolgt, auch wenn er es nie geschafft hat, ihn in den USA zu besuchen. »Warum, weiß ich selbst nicht. Es ist mir auch ein bisschen peinlich.« Den Moment, als er Kasim zum ersten Mal im Madden-Game auswählte, beschreibt er als komplett surreal. »Wir waren solche Madden-Freaks, dass wir die Werte aller Spieler auswendig wussten. Auf einmal Kasims Werte zu lesen, war einfach nur krass und unwirklich.«

Interessant ist, wie Maki Kasims Karriereweg einschätzt. »Ich glaube, dass er noch viel mehr hätte erreichen können, wenn er sich business-affiner verhalten hätte«, sagt er. »Kasim bietet mit seinem Auftreten sehr viel Angriffsfläche. Er macht Sachen, von denen ich ihm abraten würde. Zum Beispiel am Hamburger Flughafen mit einem Captain-Germany-Kostüm zu posieren. Das lässt ihn wie einen Pausenclown wirken.« Früher habe ihm sein Kumpel Videos vor der Veröffentlichung geschickt und ihn um seine Meinung gebeten. »Das macht er nicht mehr, heute haut er sie einfach raus. Es juckt ihn eben nicht, was andere über ihn denken.«

Auf der anderen Seite sei jedoch genau diese Authentizität Kasims Erfolgsrezept. »Wenn er die Wahl hat, etwas zu tun, das nicht komplett sein Ding ist, aber von tausend Leuten gefeiert wird, oder etwas zu tun, das absolut echt ist, aber nur einem gefällt, dann wählt er die zweite Option und kümmert sich nur um die, die ihn so feiern, wie er ist. Und genau deswegen wird er im Leben immer Erfolg haben.«

Für die Zeit nach der aktiven Karriere erhofft sich Maki, dass sein bester Freund wieder öfter in Hamburg sein wird. »Aber wichtig ist, dass er glücklich ist«, sagt er. Dazu weiter beitragen zu können, ist sein Wunsch. Und wer gesehen hat, wie die beiden auf dem Spielplatz ihrer Jugend herumalbern, bezweifelt nicht mehr, dass es so kommen wird.

Es passiert oft, dass Jungs mir Nachrichten schreiben, die in der gleichen Lage sind wie ich, als ich die Realschule beendet hatte. Sie wollen wissen, wie man es an eine Highschool schafft und wie es von dort weitergeht, und sie fragen mich um Rat. Aus meiner Erfahrung gebe ich vor allem anderen diesen Tipp: Gib absolutes Vollgas. Vollgas auf dem Feld, Vollgas in der Schule, Vollgas mit den Menschen um dich herum. Natürlich investieren wir unsere ganze Energie in Plan A. Aber selbst, wenn Plan A außer Reichweite ist – die Energie, die du in alles um dich herum investiert hast, wird auf dich aufmerksam machen. Sportlich, menschlich und beruflich. Eine neue Tür wird sich öffnen, von der du noch nicht weißt, dass sie existiert. Umgib dich mit positiven Menschen mit der gleichen Ambition und Zielstrebigkeit, sodass jeder in deinem Umfeld, der auf dem Weg ist, die beste Version von sich selbst zu werden, jeden Tag 1 Prozent besser wird. Wie in einem Footballspiel: Wartet nicht, bis euch jemand hittet, sondern seid aggressiv. Setzt den Hit zuerst.

Mein zweiter Tipp: Holt euch Hilfe von Menschen, die sich im Football auskennen und wissen, wie das Geschäft läuft. Kontaktiert die Highschools und Organisationen wie Gridiron, die es zu meiner Zeit noch nicht gab, die aber heute Talenten aus Deutschland helfen können, ihren Weg zu finden. Je besser ihr wisst, was euch erwartet, umso leichter ist es. Egal, wie hart und schwierig es wird: Vergesst nie, warum ihr es angefangen habt und welche Liebe ihr dafür empfindet. Egal, was ihr tut, habt Spaß daran!

Es waren dieser Spaß, der grenzenlose Optimismus und die Liebe für den Sport, mit denen ich Amerika erobern wollte. Und so ging es im Sommer 2007 für mich auf die große Reise in mein Football-Abenteuer im Land der unbegrenzten Möglichkeiten.