Kapitel 11 feat. Bill Johnson

Männer, die meine Karriere formten – meine Trainer

Lange habe ich überlegt, ob ich eine zufriedenstellende Antwort auf die Frage finden kann, um die es in diesem Kapitel gehen soll: Was macht einen guten Coach aus? Ganz ehrlich: Es kann nicht nur eine Antwort geben, weil sich diese Frage für jeden Menschen nur individuell beantworten lässt. Alle Trainer, die ich in meiner Karriere hatte, waren sich ähnlich und doch sehr verschieden. Die Materie, mit der wir uns im Football befassen, ist immer die gleiche, aber die Art und Weise, wie ein Trainer sie rüberbringt, kann hundertfach variieren.

Ich hatte fast immer den richtigen Coach zum richtigen Zeitpunkt, was ich als großes Glück und Privileg empfinde. In der Jugend wurde mir die Liebe zum Spiel beigebracht, in der Highschool das, was es braucht, um den Sport nicht mehr nur als reines Hobby zu betrachten. Am College lernte ich die nötige Härte, gemischt mit positiver Bestätigung. Und in der NFL lernte ich, dass Football ein Geschäft ist, in dem es nur darum geht, an jedem Tag deine Bestleistung abzurufen – und wie man das schafft.

Bevor ich auf meine Coaches eingehe, möchte ich versuchen, mit euch einen Blick auf das große Ganze zu werfen. Genau wie jeder Spieler nur dann sein Toplevel erreicht, wenn er das Vertrauen seiner Übungsleiter spürt, brauchen auch die Coaches das Gefühl, ihren Spielern vertrauen zu können. Als Spieler darfst du nie vergessen, dass von deiner Leistung nicht nur der Erfolg deines Teams, sondern auch der Job deiner Trainer abhängen kann. Also wird kein Coach dieser Welt einen Spieler aufs Feld schicken, dem er nicht vertraut. Deshalb war und ist meine Einstellung, dass ich in jeder Sekunde 100 Prozent Leistung geben und damit meine Vertrauenswürdigkeit nachweisen will. In den Topligen wird jedes Training aufgezeichnet, sodass jeder Coach die Chance hat, alle Aktionen zu analysieren. In der NFL fällt es auf, wenn du im Training mal nicht Vollgas gibst. Sofort. Und dann bist du schneller auf der Bank oder aus dem Kader, als Tyreek Hill 100 Meter sprintet.

Es gibt keinen Sport, in dem die Trainerteams so groß sind wie in der NFL, wo jede Positionsgruppe von einem eigenen Coach mit mindestens einem Assistenten – mittlerweile sind es auch manchmal Assistentinnen – angeleitet wird. Das liegt daran, dass Football ein Sport der absoluten Präzision ist. Ihr kennt alle den Film »Any given Sunday« und die Szene, in der Al Pacino die legendäre Ansprache hält, in der es darum geht, dass Football das »Spiel der Inches« ist. Jeder Inch ist wichtig! Genau darum geht es. Schon die kleinste Bewegung in die falsche Richtung kann bedeuten, dass der Runningback des Gegners die Lücke riecht, die du in der Defense produzierst. Jeder weiß: Wenn du nicht on point fokussiert bist, findet der Fehler dich. Und jeder Fehler kann dein letzter sein.

Oft saß ich in Teammeetings, in denen eine Spielsequenz, die nur eine Sekunde lang war, hundertmal zurückgespult wurde, um sie zu analysieren. Nicht selten kam es vor, dass der Coach 15 Minuten lang nur über den ersten Schritt referierte, den ein Spieler falsch gesetzt hatte. Genau das ist es, was ich mit Präzision meine. Alles, was nicht perfekt ausgeführt wird, ist in der NFL nicht genug. Und die Coaches sind genau darauf geschult, ihren Spielern klarzumachen, warum das so ist.

Wem das am besten gelingt, wird den größten Erfolg haben. Unser Offensive Coordinator bei den Saints, Pete Carmichael, hatte an der Uni Statistik studiert. Er filetierte jeden Gegner bis auf die letzte Gräte, kannte alle Tendenzen der gegnerischen Spieler, und konnte sie bis ins letzte Detail erklären. Menschen wie er sind der Grund dafür, dass oft nicht die talentierteren Teams gewinnen, sondern die, die am besten gecoacht werden.

Aber was bedeutet das nun? Wie coacht man am besten? Wer zehn Trainer fragt, wird darauf zehn verschiedene Antworten erhalten. Es gibt die, die verlangen, dass man bis auf den letzten Millimeter genau das umsetzt, was sie sagen. Es gibt andere, die genau das nicht wollen, sondern von ihren Spielern erwarten, dass sie auf dem Feld auf Situationen intuitiv reagieren. Ich finde, Dennis Allen, mein Defensive Coordinator bei den Saints ab 2015, hat dafür die beste Beschreibung geliefert: »Du sollst nicht zu 100 Prozent das tun, was ich sage, denn du bist ein Mensch und kein Roboter. Du sollst aber auch nicht nur das tun, was du für richtig hältst, wenn das der Defense schaden könnte. Du musst ein Zwischending finden – das ist deine Aufgabe als Spieler.« Recht hat er. Wer das drauf hat, steht auch auf dem Platz.

Warum es notwendig ist, dass jede Positionsgruppe ihre eigenen Coaches hat, leuchtet sicherlich ein, wenn man sich klarmacht, dass die Aufgaben, die die Spieler auf dem Feld haben, so unterschiedlich sind und dabei so komplex, dass es ein Mann allein einfach nicht schaffen würde. Zum Beispiel die gesamte Materie, die eine Defense beherrschen muss, effizient genug an den einzelnen Spieler zu bringen. Der Cornerback weiß ja nicht, wie die D-Line auf die vielen unterschiedlichen Spielsituationen reagieren muss. Er hat andere Nüsse zu knacken. Natürlich braucht es eine grundsätzliche Kommunikation über die Basics zwischen den Positionsgruppen, aber die Feinheiten müssen in den kleinen Units abgestimmt werden.

Von meiner Warte als Defensive End aus gesehen ist die Offense des Gegners wie eine Prüfung. In der Theorie ist alles klar, aber du musst wissen, wo du welche Infos findest, um in angemessener Zeit reagieren oder agieren zu können. Um das zu können, braucht es detailgenaue Absprachen. Die werden in den Meetings getroffen. Footballtraining findet zu einem großen Teil eben weder auf dem Platz oder im Kraftraum statt, sondern im Besprechungsraum.

In der NFL beginnt jeder Tag mit einem Teammeeting, bei dem der gesamte Kader und alle Coaches anwesend sind. Bei Bill Belichick können solche Videoanalysen mehrere Stunden dauern. Solche Erfahrungen habe ich nicht gemacht. Bei den Saints ging es morgens um 8 Uhr los, Headcoach Sean Payton erläuterte die Informationen zunächst in Form von Stichpunkten. Das waren die »Keys to Victory«, die an dem Tag für alle wichtig waren und die, mit Statistiken untermauert, hervorhoben, was die wichtigsten Dinge sein würden, die zum Sieg führen. Das dauerte selten länger als 15 Minuten. Anschließend ging es in ein 45-minütiges Special-Teams-Meeting. Punt, Kick-off, Punt Return und Kick-off-Return. Es ging darum, auf wen im gegnerischen Team geachtet werden musste und um die kleinen Änderungen, mit denen wir den nächsten Gegner attackieren würden. »Flavor of the week« »die Würze der Woche« nannten wir das.

Anschließend wurde die Gruppe in Offense und Defense geteilt. Die jeweils verantwortlichen Koordinatoren sprachen etwa eine Viertelstunde lang. Wer sind die besten Spieler des gegnerischen Teams? Was machen sie gut, was bereitet ihnen Probleme? Wie können wir mit unserer Defense Match-ups kreieren, die ihnen nicht schmecken werden? Als wir 2014 gegen die Lions spielten, gab es eine Defense, in der zwei Cornerbacks direkt vor Calvin Johnson standen, um ihn zu verteidigen. »Wir werden ihren besten Spieler aus dem Spiel nehmen. Wenn sie einen Touchdown wollen, müssen sie auf jemand anderen werfen«, hieß es. Als Letztes kamen die Meetings mit den Positionscoaches an die Reihe. Die dauerten am längsten, eine Stunde war keine Seltenheit. Erst danach ging es raus aufs Feld.

Wie muss man sich so ein Meeting vorstellen? Ein bisschen wie eine normale Unterrichtsstunde in der Schule oder eine Vorlesung in der Uni – mit dem Unterschied, dass du dir nicht leisten kannst, mal ein kleines Nickerchen einzubauen, wenn der Abend vorher zu lang war. Du musst in jeder Sekunde damit rechnen, dass der Coach deinen Namen sagt und eine Antwort verlangt. Außerdem wäre es sehr dumm, nicht jeden analysierten Spielzug in sich aufzusaugen. Vor jedem Spiel gibt es ein neues »Menü der Woche«, auf dem locker 40 verschiedene Spielzüge stehen, die gegen den kommenden Gegner wichtig werden können. Wenn du einen davon nicht kennst, ist das Menü ganz schnell komplett versalzen. Und wenn der Chefkoch dafür vom Restaurantbesitzer einen Einlauf bekommt, kannst du sicher sein, dass er den eins zu eins an den Küchengehilfen weitergibt, dem der Salzstreuer in die Suppe gefallen ist. Wenn du dieser vertrottelte Gehilfe bist, darfst du beim nächsten Mal vielleicht nur noch die Teller abwaschen. Wenn du Glück hast.

Welches Vertrauensverhältnis ein Spieler zu seinen Trainern entwickelt, ist eine Frage des zwischenmenschlichen Verständnisses. Grundsätzlich aber sind die Positionscoaches diejenigen, mit denen jeder Spieler am meisten kommuniziert. Was daran liegt, dass man miteinander die meiste Zeit verbringt. Wer ins Team will, muss als Erstes seinen Positionscoach davon überzeugen, dass das eine gute Idee ist. Du müsstest schon sehr eng am Headcoach sein, damit er dich aufstellt, wenn der Positionscoach den Daumen senkt. Die Trainer besprechen sich jeden Tag vor und nach dem Training, und weil die Positionscoaches ihre Gruppe am besten kennen, wird ihre Meinung von den allermeisten Headcoaches umgesetzt.

An der Laune der Positionscoaches konnte ich immer ablesen, wie die generelle Stimmung war. War ein Positionscoach schlecht drauf, war er wohl vom Defensive Coordinator angebrüllt worden, der vorher eine Ansage vom Headcoach bekommen hatte. Wobei ich grundsätzlich sagen kann, dass in der NFL weniger gebrüllt wird als in der Highschool oder am College. Niemand hat mich in meinem Leben häufiger angeschrien als Coach Commissiong im College, aber er tat das immer in der Absicht, mir meine Fehler zu verdeutlichen und mir den richtigen Weg aufzuzeigen. Natürlich sagt in der NFL auch niemand mit sanfter Stimme: »Würden Sie mir bitte kurz zuhören, ich habe eine kleine Kritik an Ihrer Defensivleistung anzubringen.« Die Ansagen sind klar, deutlich und oft nicht jugendfrei, und wer damit nicht zurechtkommt, ist falsch in dem Geschäft.

Aber der Unterschied ist: Am College wissen die Coaches, dass sie zumindest eine Saison lang auf ihre Spieler angewiesen sind, weil sie keine anderen haben. Deshalb versuchen sie, Fehler so schnell wie möglich auf die harte Tour abzustellen, aber gleichzeitig auch Verständnis zu zeigen. In der NFL wirst du, wenn du nicht funktionierst, einfach gecuttet und ersetzt. Rob Ryan, mein Defensive Coordinator bei den Saints, sagte immer: »Du hast deinen Job nur so lange, bis sie einen Besseren gefunden haben. Und sie schauen jeden Tag, ob es einen Besseren gibt.«

In meinem Rookie-Jahr bei den Saints war alles Neuland für mich, das hat mich ziemlich unter Stress gesetzt. Um nichts zu verpassen, versuchte ich, mich immer so nah wie möglich an die Coaches heranzustellen, damit ich ready war, wenn sie meinen Namen sagten. Außerdem konnte ich so dem ein oder anderen über die Schulter schauen, um zu sehen, was die nächsten Spielzüge sein würden. Mir gab das eine gewisse Sicherheit, weil ich mein Standing im Team noch nicht einschätzen konnte. So geht es allen Rookies. Oft fragen Rookies die Veteranen, um ja keine Fehler zu machen. Ähnlich wie früher in der Schule vor einem Test.

Mein erster Defensive-Line-Coach war Bill Johnson, ein Südstaatler aus Louisiana, der mit dem härtesten Akzent sprach, den ich bis dahin gehört hatte, und den ich anfangs kaum verstand. Er weigerte sich, meinen richtigen Namen zu sagen. »Kasim Edebali, I don’t know how that name is pronounced«, sagte er beim ersten Meeting, »I gonna call you Jethro.« Was ist mit ihm los, dachte ich, Jethro ist doch nicht einfacher als Edebali oder Bali, wie mich alle anderen nannten. Aber solange ich spielte, hätte er mich auch Werner nennen können.

Johnson war der erste Coach, bei dem ich lernte: Mach genug, damit er dir vertraut, aber mach nicht alles, was er dir sagt. Warum? Weil ich das Gefühl hatte, dass er nicht wirklich viel machen musste. Seine Aufgaben waren, unsere Hände zu perfektionieren und auf den ersten Schritt zu achten. Wenn das passte, hatte er seinen Job erledigt. Um die Spielzüge kümmerte sich Rob Ryan. Bei Bill Johnson war es so: Wenn du etwas anders machtest, als er es angesagt hatte, war das egal, solange du das Play machtest. Wenn du das Play nicht gemacht hast, obwohl du getan hast, was er dir angesagt hatte, konnte er dir nicht helfen und sagte dem Headcoach ganz genau, was er dir zuvor erklärt hatte. Also machte ich genug, damit er mir vertraute, aber manchmal eben das, was er nicht gesagt hatte, um trotzdem das Play zu machen. Und das passte.

Tatsächlich ist das erste, was an Bill Johnson auffällt, sein Akzent. Der 68-Jährige, der nach 42 Jahren im Coaching – rund 20 davon in der NFL – 2021 in den Ruhestand ging und nur noch zum Vergnügen bei Projekten wie der neuen Liga USFL aushilft, wirkt mit seinem breiten Südstaatenenglisch und seinem gemütlichen Erzählstil wie ein Großvater, dem man am Lagerfeuer ewig zuhören könnte.

»Was mich an Kasim vom ersten Meeting an beeindruckt hat, ist sein Einsatz. Manchmal ist es einfach so: Das Herz, der Charakter und der Wille schlagen das Talent, womit ich nicht sagen will, dass Kasim kein Talent hat. Aber es war vor allem sein Effort, der ihn in die NFL gebracht hat«, sagt er. Besonders angenehm sei gewesen, »dass er jede Aufgabe, die wir ihm gegeben haben, mit vollem Einsatz ausführte. Er war einer der wenigen Spieler, die ihren Part in den Special Teams ernst nahmen. Egal, was wir für ihn vorgesehen hatten: Kasim hat immer sein Bestes gegeben.«

Dass Kasim ein sehr aktiver und beweglicher Athlet mit viel Power war, wusste Bill Johnson bereits vor dessen Verpflichtung. »Ich hatte seine Tapes aus dem College gesehen. Seine Geschmeidigkeit, seine Power, all das war schon da, als er zu den Saints kam. Aber das genügt natürlich nicht, um es ins Team zu schaffen. Kasims Plus war diese gnadenlose Härte zu sich selbst. Er wusste, dass er seine Power einsetzen musste, um sich zu behaupten. Die Theorie war: Wenn du das Play nicht machst, musst du wenigstens dem Gegner den Hintern versohlen. Und das hat er schnell verstanden.«

Bill Johnson glaubt, dass besonders die Fähigkeit, Neues schnell zu adaptieren, viel dazu beitrug, dass Kasim sich in der NFL etablieren konnte. »Du merktest bei ihm sofort, dass er lernwillig war. Er kam aus Deutschland in die USA, um seine Fähigkeiten zu verbessern, was er Schritt für Schritt tat.« Auf die Frage, was Kasim beim Übergang vom College in die NFL die größten Probleme bereitet habe, antwortet der damalige Defensive-Line-Coach: »Dass er täglich in meinen Meetings sitzen musste.«

Typisch Johnson. »Tatsächlich«, sagt er dann, »musste Kasim als Deutscher in der NFL jeden Tag etwas mehr tun als die anderen, um sich zu beweisen. Nicht nur von Spiel zu Spiel, sondern jeden Tag.« Man dürfe im Profifootball nie in langen Zeiträumen denken. »Wenn du in die Vorbereitung startest, musst du es ins Final Roster schaffen. Wenn die Saison angefangen hat, musst du es ins Team schaffen, Woche für Woche. Und dann musst du die nächste Saison erreichen. Kasim hat genauso gedacht, und deshalb hat er es deutlich länger als der Durchschnitt in der NFL ausgehalten«, sagt er.

Welch hohe Meinung er von seinem einzigen deutschen Schützling hatte, zeigt der Fakt, dass er versucht hat, ihn 2017 zu den Los Angeles Rams zu holen. »Kasim war der Typ Spieler, den Coaches lieben. Ein großartiger Teammate, der tat, was von ihm verlangt wurde«, sagt er. Natürlich wurde in Meetings oder auf dem Trainingsplatz oft auch lauter geredet, »aber das ist das, was wir ›tough love‹ nennen. Kasim war immer einer der Spieler, der vor den Trainern keine Angst haben musste.«

Die Verbindung zwischen Bill Johnson und Kasim schlief nach dem NFL-Aus ein wenig ein. Kasims Wechsel nach Hamburg bekam der Coach nicht mit. Über das Angebot, Videomaterial von den Sea Devils zu bekommen, freut er sich aber genauso wie über Kasims Versprechen, ihm diesen Part des Buchs zu übersetzen. Wobei er nicht befürchtet, in falschem Licht dazustehen: »Alles, was ich gesagt habe, ist die pure Wahrheit. Ihr schreibt ein Buch über einen guten Menschen, und das ist das Wichtigste.«

Die wichtigsten Vertrauenspersonen in meinem ersten Jahr waren unsere Special-Teams-Coordinator Greg McMahon und Stan Kwan. Wie wichtig Special Teams sind, war mir anfangs gar nicht so klar, aber wenn du kein First-Round-Pick bist, dann sind sie das Ticket in jeden NFL-Kader. Am College hatte ich das nie gespielt, aber in der NFL lernte ich schnell, dass es in den Special Teams nicht um Talent geht, sondern um Mentalität. Vollgas geben bis zum Ende, das ist dort gefragt, und das konnte ich. Ich war wie ein Schweizer Taschenmesser – universell einsetzbar. Und in den Special Teams konnte ich das beweisen.

Mit Coach Mac und Stan sprach ich sehr offen, was mir gerade im ersten Jahr unheimlich geholfen hat. Ich spürte ein tiefes Vertrauen. Menschlich sind beide absolute Ehrenmänner. An Greg und Stan habe ich wirklich nur positive Erinnerungen. Als ich nach drei Jahren zu den Broncos wechselte, rief Stan Kwan mich an und sagte: »Als Coach halte ich mich oft zurück, damit sich Spieler nicht zu sicher fühlen. Aber in meiner gesamten Karriere habe ich es selten so sehr genossen, jemanden zu coachen, wie dich. Immer wenn wir nicht wussten, wer eine gewisse Position spielen sollte, waren wir uns sicher: Edebali kann das!« Ich war überrascht: »Coach, in meinen drei Jahren hier habe ich dich nicht einmal lächeln sehen. So etwas erzählst du mir jetzt?« Sein Vertrauen und seine Worte bedeuten mir bis heute viel.

Am meisten hat mich als Rookie allerdings Rob Ryan geprägt. Der Typ war einfach anders. Er stammt aus einer Coaching-Familie, sein Vater Buddy war Headcoach der Eagles und Cardinals und Defensive Coordinator der legendären 1985er Bears, bei denen er die 46 Defense erfand. Sein Zwillingsbruder Rex war Headcoach bei den Jets und den Bills. Rob hatte immer gute Laune, was nicht unbedingt üblich ist in der NFL. Er fand immer einen Weg, trotz des ganzen Stresses auch Spaß an der Arbeit zu vermitteln. Natürlich mussten wir auch bei ihm zunächst abliefern, aber wer das tat, durfte auch feiern.

Auch optisch hob sich Rob von vielen anderen Trainern ab. Er hatte einen riesigen Buddha-Bauch, den er notdürftig unter bunten Hawaii-Hemden zu verstecken versuchte. Mit seinen langen weißen Haaren und dem Bart sah er aus wie eine Mischung aus Gandalf und Meat Loaf, und obwohl er weder zaubern noch singen konnte, hatte er die Spieler hinter sich. Was ihn auszeichnete, war seine erfrischende Ehrlichkeit. Außerdem hatte er kein System, in das er die Spieler hineinzupressen versuchte. Sein Ansatz war, die Stärken der Spieler so einzusetzen, dass das Beste fürs Team herauskam. Zu mir sagte er: »Du hörst ja nie auf zu laufen, also läufst du, bis der Spielzug beendet ist. Wenn Cam einen Fehler macht, dann bügelst du ihn aus.«

Für mich war Rob Ryan deshalb so prägend, weil er meiner Mentalität am nächsten kam. Ich genoss es, dass da ein Coach war, der alles aus mir herausholte, ohne mich in ein starres Korsett zu pressen, und der das Business NFL verstand, ohne es zu ernst zu nehmen. Außerdem gab er jedem Spieler in der Defense einen Tiernamen, der optimal zu jedem passte. Cam Jordan war »The Shark«. Akiem Hicks war »Godzilla«. Nach meinem ersten Sack gegen die Packers zeigte uns Rob ein Video von einem Militär-Schäferhund, der auf Kommando alles attackierte und nicht aufhörte, bis jemand Stopp sagte. Dann sagte er vor der versammelten Defense: »Edebali, this is you! You are now the German Shepherd.« Ich war stolz wie Oscar. Die ganze Defense musste lachen und feierte den Namen, denn es gab keinen, der besser auf mich gepasst hätte.

Als Rob mitten in meiner zweiten Saison entlassen wurde, weil unsere Defense leider gar nicht klickte, erfuhr er es über Social Media. Anstatt sich darüber aufzuregen, sagte er nur: »So ist die NFL, ein Cut-Throat-Business. Wenn du deine Aufgabe nicht erledigst, bist du weg.« Das zu akzeptieren und trotzdem Freude zu haben, hat Rob Ryan mich gelehrt.

Nun will ich aber auf den Mann zu sprechen kommen, der ohne Zweifel mein namhaftester Coach war: Sean Payton. Nach 16 Jahren in Verantwortung hat er nach der Saison 2021/22 seinen Abschied von den Saints bekanntgegeben. 16 Jahre als Headcoach bei einer Organisation – das spricht schon für sich. Über meine Erfahrungen mit ihm könnte ich ein eigenes Buch schreiben.

Sean Payton war schon eine Legende, als ich 2014 zu den Saints kam. Frisch vom College, wo ich es gewohnt war, jeden zu kennen und zu all meinen Trainern ein enges Verhältnis zu pflegen, stand ich also nun einem Mann gegenüber, zu dem alle ehrfürchtig aufschauten. Es war in Woche eins der Vorbereitung, wir warteten in einer kleinen Gruppe vor dem Meeting Room, als der Headcoach um die Ecke kam und auf uns zusteuerte.

»Guten Morgen, Kasim«, sagte er zu mir. Eigentlich vollkommen banal, aber hätte ich noch Frühstück am Start gehabt, spätestens jetzt wäre es mir aus dem Gesicht gefallen. »Was? Der Coach kennt meinen Namen?«, dachte ich und konnte es kaum fassen. Natürlich kannte er meinen Namen, ich hatte es schließlich ins Final Roster geschafft, und ein Headcoach kennt all seine Spieler. Aber es schien mir in diesem Moment so unwirklich, dass ein Mann mit dieser Reputation meinen Namen kannte.

Eine Sache, an der in der NFL viele Spieler zu knabbern haben, ist das Gefühl, vom Headcoach nicht gesehen zu werden. »Der Trainer redet nicht mit mir, er mag mich wohl nicht, ich habe keine Chance« – in diesen Kreislauf geraten einige NFL-Profis schnell hinein. Brian Young, der Assistant Linebacker Coach bei den Saints, hat mir dazu etwas Interessantes gesagt, an das ich mich oft erinnere: »Hör auf, in Kommunikation zu viel hineinzuinterpretieren. So lange dich deine Coaches coachen, ist alles gut, auch wenn sie nicht mit dir reden. Sorgen machen musst du dir erst, wenn sie dich nicht mehr coachen. Dann wirst du nicht mehr gebraucht.« Bei Coach Payton musste man sich diese Gedanken allerdings nie machen. Er ist zwar einer der ruhigeren Coaches, aber er gibt dir nie das Gefühl, außen vor zu sein. Du spürst bei ihm das Vertrauen, das er in alle seine Spieler hat. Zumindest solange sie seine Spieler sind.

Wenn es eine Meisterschaft im »Situational Football Coaching« gäbe, dann wäre Sean Payton unschlagbar. Er weiß in jeder Situation genau, wie darauf zu reagieren ist. Er hat die verrücktesten Statistiken im Kopf, die aber so präzise sind, dass er dich sofort überzeugt, wenn er sie runterbetet. Wer bei seinen Ansprachen nicht voll »on alert« war, hatte ein Problem, denn sein Anspruch war, sein Team auf alles einzustellen, was theoretisch passieren konnte. Oft dachte ich: So muss es auch bei einem Swat-Team sein, wo jeder Handgriff über Leben und Tod entscheiden kann und deshalb ganz genau abgesprochen sein muss. Der Teamgedanke stand für Coach Payton immer ganz oben. »Das Schlimmste, was nach Niederlagen passieren kann, ist in Grüppchen zu zerfallen«, sagte er. »Du musst als Team zusammenstehen. Man verliert und gewinnt niemals als Individuum, nur in der Gemeinschaft.«

Im Training legte Payton Wert darauf, dass alles unter Stress geübt wurde. Weil er wusste, dass dieser Stress im Spiel Normalzustand ist. Er wollte, dass wir für alles bereit waren, was kommen könnte. Payton ist ohne Zweifel einer der ehrgeizigsten Menschen, die ich kenne. Ich erinnere mich an ein Spiel, in dem wir im vierten Quarter mit 21 Punkten führten und eigentlich nur den Ball laufen mussten, um das Ding nach Hause zu spielen. Doch der Coach hatte offenbar Beef mit dem gegnerischen Trainer gehabt und forderte deshalb tiefe Pässe, um so viele Touchdowns wie möglich reinzudrücken.

Er konnte ein Trashtalker sein, ohne dabei jedoch jemals die Fassung zu verlieren. Mark Ingram hat mir mal erzählt, dass Payton ihn während eines Spiels angeschrien habe, er würde sofort nach Spielende getradet werden. Nach dem Spiel hatte er es schon wieder vergessen. Er schrie grundsätzlich nur in Ausnahmefällen. Er war ein Mensch mit natürlicher Autorität, der seine Punkte ruhig, aber sehr deutlich zu verstehen geben konnte. Wenn jemand einen Fehler gemacht hatte, fragte er: »Was hast du dir dabei gedacht?« Wer eine plausible Erklärung liefern konnte, hatte nichts zu befürchten. Aber wenn etwas aus Unachtsamkeit passiert war, konnte er ziemlich wütend werden.

Ein schönes Beispiel dafür gab es 2014, als ich ein Offside im Punt Return gegen die Panthers hatte, das ihnen ein First Down in einer wichtigen Spielsituation gab. Am liebsten wäre ich gar nicht zu unserer Seitenlinie gelaufen, weil ich Seans Blicke schon spürte. »What the fuck were you thinking?« Diese Worte fühlten sich an wie eine Fünf-Schlag-Kombination von Mike Tyson. Aber der Moment war prägend genug, um in den weiteren fünf Jahren in der NFL nie wieder ein Offside zu produzieren.

Meistens jedoch war er positiv und ein cooler Typ. In den Nächten vor den Spielen saß er im Hotel immer mit Spielern am Tisch und erzählte Storys. Bis heute spürt man die Beziehung, die er mit Spielern und Ehemaligen hat. Er hatte einen Deal mit Nike und trug immer die freshesten Air-Jordans. Nach Siegen tanzte er in der Kabine mit. Solange der Job erledigt wurde, war er für alles zu haben und liebte es, mit seinen Spielern zu feiern. Und er hatte immer eine lustige Story parat.

In meinem zweiten Jahr hatten wir unseren Tischtennis-Fight-Club, von dem ich bereits erzählt habe. Coach Payton fand das gut. Alles, was mit Competition zu tun hatte, mochte er. Ich hatte unsere Gruppeneinteilung auf Zettel geschrieben und an die Wand gepinnt. Er sorgte dafür, dass wir eine Magnettafel bekamen, auf der alles notiert werden konnte. Eines Tages brachte er seinen Bruder mit, der von unserer kleinen Liga gehört hatte und der Meinung war, unseren besten Tischtennisspieler locker von der Platte putzen zu können. Der Coach sagte: »Kasim, mein Bruder nervt mich seit zwei Wochen. Bitte zeig ihm mal, wo hier der Hammer hängt.« Ich ging also an die Platte – und schickte seinen Bruder mit 11:1 aus dem Locker Room. Coach Payton bedankte sich vor dem ganzen Team bei mir dafür, dass sein Bruder endlich aufgehört hatte, ihn mit dem Thema Tischtennis zu nerven.

Eineinhalb Jahre später, als ich in Denver unterschrieben hatte, ging ich in sein Büro, um mich von ihm zu verabschieden. Er sagte: »Das ist eine tolle Chance für dich, und ich wünsche dir alles Gute dafür. Aber vergiss niemals: In der NFL kann alles sehr schnell gehen. Was auch immer passiert, hier bist du immer willkommen.« Als ich zum Ende der folgenden Saison tatsächlich zu den Saints zurückkehrte, sagte der Coach nur einen Satz: »Was habe ich dir vor einem Jahr gesagt?«

Es gibt einen Grund, warum Sean Payton in der Football-Welt so sehr respektiert wird. Kein anderer Coach hat mir so viel Spielverständnis vermittelt. Ob in der Vorbereitung, in der Analyse oder bei der Information, wie man die Tendenzen bestmöglich zum eigenen Vorteil nutzen und in jeder Spielsituation komplett aufmerksam bleiben konnte, er war einfach immer top.

Einer, der mich tief beeindruckte, den ich aber leider nur eine Woche erleben durfte, ist Sean McVay. 2017 erlebte ich ihn bei meinem kurzen Abstecher zu den Rams. In unserem Gespräch strahlte er eine große positive Energie aus, was ich auch darauf zurückführte, dass er gerade mal drei Jahre älter war als ich. Dann saß ich in meinem ersten Teammeeting und wunderte mich, wie still es war, obwohl der Headcoach noch nicht im Raum war. Das kannte ich von meinen anderen Teams ganz anders. Auf einmal sprang die Tür auf, Sean McVay stürmte herein. Alle klatschten! Verwirrt schaute ich mich um und klatschte mit. Und dann begann er, in einem unglaublichen Tempo nur positive Sachen zu sagen. Er sprach manche Spieler mit Namen an und sagte Dinge wie: »Du wirst in dieser Woche das beste Training abliefern, das du je hattest, weil du jeden Ball fangen wirst. Und du wirst das entscheidende Play machen, das uns den Sieg bringt. Es wird eine unglaubliche Woche, wir werden großartig sein!«

Diese überwältigende Art war einmalig. Natürlich kann man so etwas nur dosiert einsetzen, damit die Spieler nicht abschalten wie bei einer Dauerwerbesendung. Aber so, wie er es rüberbrachte, wirkte es echt und ansteckend. Diese Attitüde, dass das Glas immer halb voll ist und man es gemeinsam schaffen wird, es bis zum Rand zu füllen, hat mich geprägt. Wann immer ich vor einer Gruppe stehe, um mein Footballwissen zu vermitteln, versuche ich es so zu machen wie Sean McVay.

Doch so eine persönliche Bindung wie ich sie am College mit Coach Commissiong hatte, hatte ich in der NFL zu keinem Coach. Am nächsten kam dem wahrscheinlich Brandon Staley. Als ich 2018 in der Pre-Season zu den Bears wechselte, war er Coach der Outside Linebacker. Schon im ersten Training spürte ich, dass wir auf einer Wellenlänge funkten. Er war ein super positiver Mensch, der sich intensiv um seine Jungs kümmerte. Nachdem ich mich in meiner ersten Woche verletzt hatte, führten wir sehr viele Gespräche über Taktik und Grundlagen der Linebacker-Position, für die ich vorgesehen war, die ich aber wenig gespielt hatte. Er war wie ein Seelenverwandter, und genau das ist es, was ich am Football so schätze: Dass du in kurzer Zeit ein tiefes Vertrauen aufbauen kannst, das weit über den Sport hinausgeht.

Brandon Staley ist einer dieser Coaches, für die jeder Spieler den Extraschritt mehr gehen würde. Weil er dir das Gefühl gibt, dass jeder für ihn wichtig ist und er im Gegenzug auch alles für dich gibt, wenn du alles für ihn tust. Als Spieler wächst man an so was. Mich wunderte es nicht, dass Brandon zunächst Defensive Coordinator bei den Rams wurde und dann Headcoach bei den Chargers. Ich kenne niemanden, der ihm diesen Weg nicht zugetraut und von Herzen gegönnt hätte.

Nach meinen drei Jahren bei den Saints war ich, wie ihr wisst, nur kurz bis sehr kurz bei anderen Organisationen. Zu meinem Glück kann ich sagen, dass der überwiegende Teil top notch war, sehr gut geführt und sehr professionell im Umgang. Überall war der Coaching Staff eine geschlossene Gruppe, die einander vertraute. Und das muss auch so sein. Deshalb werden selten nur einzelne Personen eines Trainerteams ausgetauscht, sondern eher ganze Gruppen wie Offense oder Defense. In einem Sport, in dem es auf Kleinigkeiten ankommt, muss die Abstimmung blind funktionieren.

Neben Brandon Staley und Sean McVay muss ich drei weitere Coaches nennen, die mich in der kurzen Phase außerhalb von New Orleans geprägt haben. Der erste ist Vance Joseph, mein Headcoach bei den Broncos. Er ist das, was man unter dem Begriff »Players Coach« versteht. Ein Mensch, der es draufhat, andere für seinen Weg zu begeistern und dabei gleichzeitig Verständnis für andere Meinungen zu vermitteln. Er ist einer, dem du als Spieler alles glaubst und für den du unbedingt dein Herz auf dem Platz lassen willst. Als ich entlassen wurde, sagte er zu mir: »Kasim, so ist das Geschäft, aber du wirst immer ein Team finden, weil du immer Vollgas gibst.« »It’s the only way, coach«, antwortete ich, und das gefiel ihm.

Ebenfalls in Denver machte ich Bekanntschaft mit Fred Pagac. Er war der Coach für die Outside Linebacker. Ich habe in der NFL nie einen relaxteren Trainer erlebt als ihn. Die Meetings mit der Positionsgruppe waren legendär. Wenn du mit Shaq Barrett, Shane Ray und Von Miller in einem Raum sitzt, ist das schon eine krasse Ansammlung von Talent. Coach »Pug« wusste das und ließ deshalb oft Von Miller die Meetings leiten. Weil niemand in der Gruppe sich länger als zwölf Minuten fokussieren konnte, war der Rhythmus der Meetings oft so, dass wir sieben Minuten Video schauten und dann drei Minuten um Geld würfelten. Völlig durchgeknallt. Aber lustig, auch mal so einen Typen als Trainer zu sehen.

Das komplette Gegenteil war Kris Kocurek, unser D-Line-Coach in Detroit. Energie auf zwei Beinen. Seine Meetings dauerten selten weniger als 90 Minuten, ohne Pause, straight, intensiv. Er war ein Vollbrenner, der alles dafür tat, um seine Spieler bestmöglich vorzubereiten. An seine Ansprachen werde ich mich den Rest meines Lebens erinnern.

Es gab tatsächlich keinen Coach, mit dem ich gar nicht klarkam. Natürlich war es schwierig, eine Beziehung zu den Coaches aufzubauen, wenn man spät in einer Saison zu einem Team dazustieß oder früh entlassen wurde. Wenn man nie eine wirkliche Chance bekommt oder sofort mit Mitspielern funktionieren soll, die man gerade erst kennengelernt hat, kann das extrem frustrierend sein. Aber das gehört dazu, wenn man Footballprofi sein möchte, und das kann man sicherlich keinem Trainer zum Vorwurf machen.

Ich habe mir in meiner Position niemals angemaßt, mich mit einem Trainer anzulegen. Das können sich die Starspieler vielleicht mal rausnehmen, aber wenn du jeden Tag darum kämpfen musst, es überhaupt ins Team zu schaffen, dann tust du gut daran, deine Energie nicht für Dinge zu verschwenden, bei denen du nicht gewinnen oder das Beste fürs Team rausholen kannst. Auf der anderen Seite habe ich in der NFL auch nie einen harten Einlauf kassiert. Klar, im Wettkampf fallen sicherlich mal Worte, die in normalen Gesprächen nicht verwendet werden. Aber wenn du es nicht abkannst, dass dich jemand Arschloch nennt, dann wirst du im Profisport nicht glücklich. Solange alle dasselbe Ziel verfolgen, muss man Dinge überhören können, die nicht so gemeint sind, wie sie gesagt werden. Manche Coaches sind begabter darin, sich eloquent auszudrücken. Aber auch bei denen, die es nicht sind, muss man sich auf den Inhalt der Nachricht fokussieren und nicht darauf, wie sie überbracht wird.

Was ich in der NFL schnell gelernt habe: »We only attack the problem, never the person.« Es geht nie um Persönliches, aber Probleme müssen schnell gelöst werden. Wenn du nicht in der Lage bist, es besser zu machen, finden sie schnell einen, der es besser macht. Ich mag das. Das geht nur, wenn niemand die Kontrolle verliert. Ich habe an der Sideline niemals einen Coach komplett durchdrehen sehen. Manche sind heißer als andere, aber die Selbstbeherrschung steht über allem. Der Moment, in dem du nicht mehr klar denken kannst, ist der Moment, in dem du Spiele verlierst. Es gibt Trainer, die vom College in die NFL kommen und denken, sie könnten dort genauso mit den Spielern sprechen wie vorher. Das kannst du mit Profis nicht machen. Solche Coaches scheitern.

Auch wenn man nach der Karriere nicht mehr so viel Kontakt hat, sieht man sich doch meist zweimal im Leben. Wenn man gemeinsam durch Höhen und Tiefen gegangen ist, bleibt für immer eine Bindung. Coach Payton sagte immer: »Deshalb sieht man Super-Bowl-Gewinner von vor dreißig Jahren immer noch zusammen: weil nichts mehr zusammenschweißt als so ein Erlebnis.« Ich bin der Meinung: Der wichtigste Grund dafür, dass ich nach jeder Entlassung schnell ein neues Team fand, war: Coaches tauschen sich immer untereinander aus. Und auch wenn ich vielleicht nicht perfekt in jede Defense gepasst habe: Wenn Coaches nach dir fragen und du als vertrauenswürdig beschrieben wirst, bekommst du meist eine neue Chance. Das ist wie bei Mark Nzeocha, den die 49ers vom Sofa verpflichteten. Weil sie sicher sein konnten: Der Mann ist ready!

Ob Trainer in der NFL ein Traumjob ist, bin ich mir auch nach sechs Jahren Erfahrung als Spieler nicht sicher. Coaches verbringen doppelt so viel Zeit in der Facility wie Spieler. Ich habe viele Coaches gesehen, die in ihren Büros Matratzen liegen hatten, weil sie es oft nach der Arbeit nicht mehr nach Hause schafften. Der Druck ist unermesslich, denn du musst jeden Tag abliefern und trägst dazu noch die Verantwortung für eine Gruppe von Männern, von denen viele Familie haben. Dennoch kann ich mir vorstellen, als Trainer zu arbeiten. Ob am College oder in der NFL, kann ich nicht sagen. Da bin ich genauso unsicher wie bei der Frage, welchen Trainerschein ich machen würde, weil mich auch Strength Coaching interessiert. Auch in Deutschland könnte ich mir das vorstellen. Dort würde ich aber mehr machen wollen als nur Coaching, weil es so viele Projekte gibt, um unseren Sport hier voranzubringen.

Was ich sicher weiß: Ich möchte meine Erfahrungen weitergeben und aus all meinen positiven Erlebnissen eine Mischung kreieren, mit der ich die Menschen um mich herum sportlich und menschlich besser machen kann. Für all das, was ich in meiner Zeit in der NFL von meinen Mitspielern und meinen Trainern gelernt habe, bin ich deshalb von Herzen dankbar.