Während meiner Zeit in der NFL habe ich viele gesehen, die durch den schnellen Ruhm den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sahen. Die Sponsorendeals, die Fotoshootings, die teuren Autos – dabei vergisst man manchmal, dass am Ende nur eines zählt. Wie mein Coach Sean Payton stets sagte: »We are in the business of winning!« Ohne Leistung und Siege kann man alles andere vergessen, denn dann fehlt dir auch die Unterstützung der Fans. Der größte Unterschied zwischen einer guten und einer Eliteorganisation in der NFL ist die Fanbase; die Menschen, die ihr oft hart erarbeitetes und erspartes Geld dafür ausgeben, sich ein Ticket für das Spiel ihres Teams zu kaufen oder das Trikot ihres Lieblingsspielers.
Diese Bindung, diese Dynamik zwischen Mannschaft und Fans sind die Grundlage für jeden Erfolg. Wir Spieler sind für die Leistung auf dem Feld verantwortlich, die Fans für die Energie auf den Tribünen. Als hätten wir nicht schon tausend andere Gründe, Vollgas zu geben – das Glück in den Augen der Kinder, denen du ein High Five gibst, oder die Tränen in den Augen von Mama und Papa, wenn du mit ihrem Nachwuchs ein Selfie machst: Das sind genau die Momente, die ich, ähnlich wie die Kids, für immer in meinem Herzen tragen und in Erinnerung behalten werde.
Ich glaube, wir alle waren schon mal Fan von jemand anderem. Vor nicht allzu langer Zeit war ich ein solches Kind, das sich vor Freude kaum einkriegen konnte, als mir ein NFLE-Spieler der Hamburg Sea Devils nach einem Spiel im Volksparkstadion seine Handschuhe zuwarf. Ich bin überzeugt davon, dass es hilft, selbst Fan gewesen zu sein, wenn du dein Glück als Leistungssportler versuchst. Dabei ist es nicht wichtig, ob du als Footballprofi auch Footballfan warst. Was zählt, ist das Einfühlungsvermögen dafür, was es bedeutet, jemanden zu bewundern. Wie es sich anfühlt, alles über sein Idol wissen zu wollen. Ich hatte in meiner Kindheit und Jugend vier Helden.
Mein erstes Idol war Bruce Lee. Jeden Samstag brachte meine Oma mich in die Bücherhalle, um mit mir neue, interessante Bücher zu finden und zu lesen. Eines Tages entdeckte ich dort alte Kampfszenen und Filme mit Bruce Lee, das war es dann auch mit meiner Lesekarriere. Oma erlaubte mir trotzdem, die Bruce-Lee-Filme auszuleihen. Kampfsport faszinierte mich schon im Grundschulalter. Meine Freude hatten meistens alle den gleichen Blick, wenn sie meine Muddi auf dem Fahrrad mit einem Schwert auf dem Rücken durch Hamburg cruisen sahen. »Meine Mutter macht Kung Fu«, war meine stolze Antwort. Das war auch einer der Gründe, warum ich nicht nur Kampfsport an sich toll fand, sondern auch die verschiedenen Stile und Philosophien von Kung Fu oder Karate. Nesrin hatte mir aus der Reihe »Was ist was?« ein Buch über Samurai geschenkt. Ich habe es förmlich inhaliert.
Die Philosophie dieser japanischen Krieger brannte sich in mein Gehirn. Die meisten denken bei Bushido an den Rapper. Für mich ist es der »Weg des Kriegers«, der den Verhaltenskodex der Samurai beschreibt, der aus sieben Tugenden besteht, die heute in großen Buchstaben auf die Wand meines Gyms geschrieben sind: Gi (»Aufrichtigkeit und Gerechtigkeit«), Yu (»Mut«), Jin (»Güte«), Rei (»Höflichkeit«), Makoto (»Wahrhaftigkeit«), Meiyo (»Ehre«) und Chugi (»Treue, Loyalität«).
Als mir meine Oma zwei Jahre nach meinen ersten Bruce-Lee-Erfahrungen verriet, mein Idol sei schon mehr als zwanzig Jahre tot, war ich geschockt. Gleichzeitig beweist das nur, was für eine Legende er ist. Nicht nur sein Name, den Menschen direkt mit einem der größten Martial-Arts-Artisten assoziieren, und sein Einfluss auf die Filmindustrie und den Kampfsport, sondern auch die Wirkung, die er auf viele Generationen hat, unterstreicht das. Er motiviert und inspiriert noch lange nach seiner Zeit sehr viele Menschen auf dieser Welt.
Der zweite Mensch, der meine Jugend geprägt hat, ist Will Smith. Viele, die mich damals kennenlernten, sagten, dass ich sie an ihn erinnere. Nicht wegen des Aussehens, aber wegen der Art zu sprechen und zu gestikulieren. Und das war kein Zufall. Den »Prinz von Bel-Air« habe ich ungefähr 3000-mal gesehen und erst sehr spät kapiert, dass dahinter ein Schauspieler stand, der Will Smith heißt. Für mich war der »Fresh Prince« keine Kunstfigur, sondern Realität. Ich wollte Menschen zum Lachen bringen wie er, und ich wollte die gleiche positive Lebenseinstellung ausstrahlen. Als ich Will Smith zum erstem Mal Englisch reden hörte, war ich schockiert. Bis dahin hatte ich ihn ja nur deutsch sprechen hören. Schon verrückt, was er für einen Einfluss auf mich hatte.
Mein drittes Idol kam etwas später in mein Leben, da war ich schon in den späten Teenager-Jahren. Dwayne »The Rock« Johnson repräsentiert sehr vieles von dem, was auch in meinem Leben wichtig ist: Blut, Schweiß und Respekt, wie er es immer predigt. Seine Einstellung, wenn es darum geht, Ziele zu erreichen – »Always be the hardest worker in the room« – habe ich mir zu Herzen genommen. Besonders im Football, wo ich bei Weitem nicht der Talentierteste war, aber immer deutlich machen wollte, dass es niemanden gab, der mehr Gas gab als ich. Ich finde es auch sehr beeindruckend, dass er sich für seine Mitmenschen einsetzt und versucht, sich jeden Tag weiterzuentwickeln. Mindestens einmal pro Woche zitiere ich meinen Kindern seinen Spruch »It’s nice to be important, but more important to be nice!« Außerdem muss ich Muhammad Ali nennen. Ich bin leider zu jung, um seine Zeit als Schwergewichts-Weltmeister live erlebt zu haben. Aber nachdem mir mein Onkel Ali Edebali dauernd von ihm vorschwärmte, fing ich an, über »The Louisville Lip«, »The Peoples‹ Champion« beziehungsweise »The Greatest« zu lesen und sah mir Dokumentationen an. Je älter ich wurde, desto mehr konnte ich wahrnehmen, dass er in jeder Hinsicht ein Champion war. Die Opfer, die er in seiner Karriere und in seinem Leben gebracht hat, und die Kraft und Positivität, die ihn von vielen anderen Menschen unterscheidet, sind bis zum heutigen Tag spürbar. Ali hat Hunderttausende, wenn nicht Millionen Menschen dazu inspiriert, Ungerechtigkeit zu bekämpfen, das zu tun, was man für richtig hält, und dadurch jedes Hindernis im Leben zu überwinden.
Ich habe nie versucht, genauso zu sein wie eines dieser Vorbilder. Besonders in meinen jüngeren Jahren, als ich noch auf der Suche nach einer eigenen Identität war, war es für mich wichtig, mir gute Menschen als Vorbild zu nehmen und mich von ihnen inspirieren zu lassen. Mit der Zeit wurde aus der Frage »Was würde Ali/Bruce Lee/The Rock/Will Smith tun?« die Frage »Was wird Kasim Edebali tun?« Es ehrt mich, wenn ich höre, dass ich andere Menschen motivieren oder inspirieren kann. Von ganzem Herzen Gutes zu tun, ist meiner Meinung nach wertvoller als jede kluge Ansprache. Mein Wunsch ist, dass ich wie bei einem Dominospiel den Anstoß geben kann, damit Gutes von einer Person zur nächsten weitergegeben wird.
Genau das versuche ich, wenn ich zum Beispiel von Fans um ein Autogramm oder ein Foto gebeten werde. Ich stelle mir dann vor, was ich mir wünschen würde, wenn ich an ihrer Stelle wäre. Und dann fällt es mir überhaupt nicht schwer, offen und freundlich auf die Menschen zuzugehen und ihnen ihren Wunsch zu erfüllen. Nicht nur kurz und wortlos ein Foto und wieder weg, nein, gerne auch mal ein paar Worte reden. »Walk the extra mile« hieß das in der NFL immer, wenn wir darüber sprachen.
Als ich bei den Saints spielte, musste ich mal mit einem Taxi zur Trainingsanlage fahren. Der Taxifahrer war supernett und bot mir an, ich könne ihn jederzeit anrufen, wenn ich ein Taxi bräuchte. In meinen drei Jahren in New Orleans bin ich vielleicht viermal mit ihm Taxi gefahren, aber die Freude beruhte auf Gegenseitigkeit, wann immer ich ihn anrief. In meinem letzten Jahr schrieb er mir eine SMS. Seinem Vater ging es sehr schlecht, er war gerade in der Notaufnahme.
Dieser Mann war ein großer Saints-Fan, und nach dem Training bat ich meine Teammates, auf einem Football zu unterschreiben. Ich rief den Taxifahrer an und fragte, ob er etwas von der Trainingsanlage abholen könne. Als er ankam, überreichte ich ihm den Ball: »Bitte gib diesen Ball deinem Dad, er ist von uns allen unterschrieben.« Der Taxifahrer war völlig überrascht, hatte Tränen in den Augen und wollte das Geschenk erst gar nicht annehmen. Am selben Tag schrieb er mir eine SMS, in der stand, dass sein Vater sich sehr gefreut habe. In dem Moment der Ballabgabe habe er außerdem das Gefühl gehabt, dass es ihm bald wieder besser gehen würde. Nach einiger Zeit wurde der Vater tatsächlich aus dem Krankenhaus entlassen. Sein Sohn war überzeugt davon, dass der Ball zu seiner Genesung beigetragen habe.
Ob das nun stimmt oder nicht: Der Einfluss, den man als Profisportler hat, kann immens sein. Eine kleine Sache wie die Unterschrift von 50 Spielern kann für einen anderen Menschen etwas ganz Besonderes bedeuten. Solche Momente sind das Beste an meinem Beruf.
Dass ich Fans habe, realisierte ich erst, als ich mit den Saints zum ersten Mal im Trainingslager war. Am College hatten wir zwar auch viele Zuschauer, aber die waren vor allem aus Verbundenheit zum Team und zum College da. Bei den Saints stand zwar auch die Liebe für die Organisation im Vordergrund, aber die Fans kannten uns Spieler alle mit Namen. Wobei ich am Anfang häufiger mit unserem Tightend Jimmy Graham verwechselt worden bin. »Jimmy, Jimmy«, kreischten die Leute, und wenn ich mich umdrehte und ihnen zuwinkte, flippten sie völlig aus. Obwohl es nicht Jimmy, sondern Kasim war. Nach ein paar Wochen wussten die Leute, wer ich bin. Edebali, der Undrafted Free Agent, der bis zum Schluss Gas gibt. Und das fühlte sich schon ziemlich cool an.
Unterscheiden muss man zwischen der Unterstützung der Zuschauer im Stadion und dem Umgang mit Fans außerhalb der Spiele. Mir fällt es schwer zu beschreiben, wie es sich anfühlt, wenn 70.000 Menschen für oder gegen dich brüllen. Zum Glück gelingt es mir, während eines Plays alles auszuschalten, was für den Spielzug nicht wichtig ist. Egal, wie laut es ist: Wenn der Ball gesnappt wird, ist für mich nur eins von Bedeutung. Ich schaffe es, in meinem Tunnel zu sein. Das hilft mir sehr, denn ich habe oft genug erlebt, dass andere sich verlieren und nicht mehr voll konzentriert sind, wenn um sie herum die Hölle los ist. Erst wenn das Play gemacht ist, fühlt es sich so an, als fielen mir die Stöpsel aus den Ohren. Dann höre ich die Fans und sauge wie ein Schwamm die Energie in mich auf. Wer von euch die TV-Serie »Hercules und Xena« kennt, weiß, dass die Kriegerprinzessin Xena mit der Kraft von zehn Männern kämpft. Für mich fühlte es sich bei Heimspielen immer so an, als würde ich mit der Kraft von 70.000 spielen.
Auswärts erlebt man natürlich auch mal negative Dinge. Es gibt im American Football zwar keine Hooligans wie im Fußball in Europa oder Südamerika, aber es gibt auch Hass, der sich sogar manchmal in Schlägereien zwischen rivalisierenden Fans ausdrückt. In Buffalo fuhren wir mit unserem Denver-Teambus Richtung Stadion, als wir von gegnerischen Fans bespuckt und mit Getränken beworfen wurden. Die Fans der Bills sind tatsächlich etwas speziell. Ich habe öfter beobachtet, wie einige von ihnen vor dem Stadion ihre Campingtische zerlegten. Ziemlich wild da im Norden.
Besonders speziell sind die Eagles-Fans. Coach Payton erzählte oft die Geschichte, wie sie nach einer hohen Niederlage in der Weihnachtszeit einen als Weihnachtsmann verkleideten Typen mit Schneebällen bombardierten. Selbst schuld, wenn es dann keine Geschenke gab, würde ich sagen. Als ich 2015 mit den Saints in Philadelphia spielte, wollte einer der Defensivcoaches, dass ich einen Krampf vortäusche, wenn es ein First Down geben sollte. Chip Kelly war damals Headcoach und spielte das ganze Spiel eine No-Huddle-Offense. Ich sollte unserer Defensive Zeit verschaffen.
Dritter und lang, First Down. »And the Oscar goes to …« Wie Neymar bei der WM 2018 gegen Serbien packte ich meine beste Schwalbe aus. Unser Doc, der nichts von dem Plan wusste, kam angehetzt und fragte: »Kasim, was ist los?« »Der Coach hat gesagt, ich soll einen Krampf vortäuschen.« Ich flüsterte, damit es die Referees nicht hörten. Mein ganzes Team dachte, die Saison sei für mich beendet, als mich unser Doc vom Feld zur Seitenlinie trug. Nie in meinem Leben habe ich so viele laute Buh-Rufe gehört. Von den Tribünen streckten sich mir Tausende Mittelfinger entgegen. »Fuck you, Number 91!«, brüllten sie. Selbst die Kinder eskalierten. Krasse Erfahrung, aber irgendwie doch meine Lieblingserinnerung an Philly. Typisch Eagles-Fans.
Was die Heimfans angeht, kann ich eigentlich nur die Menschen in Boston und in New Orleans vergleichen. An den anderen Standorten war ich nicht lange genug. In Boston sind die Sportfans sehr verwöhnt, weil sie in allen Sportarten Championship-Teams haben. Im Basketball die Celtics, im Eishockey die Bruins, im Baseball die Red Socks – und im Football die Patriots. Solange du gewinnst, unterstützen sie dich. Aber wenn du mal zwei Spiele verlierst, heißt es schnell: »Die haben nichts drauf dieses Jahr.«
In New Orleans würde so etwas niemals passieren. Saints-Fans und die Organisation bilden eine Symbiose, die gemeinsam feiert und leidet. Ich würde sogar so weit gehen zu sagen, dass die Saints für die Menschen dort eine Art Religion sind. Da es weder in der NHL noch in der MLB Konkurrenz gibt, konzentrieren sich alle auf ihr NFL-Team. Dabei sind die Fans aber zum allergrößten Teil sehr entspannt. Wenn ich dort als Saints-Spieler in ein Restaurant ging, fühlte es sich meistens so an, als wäre ich bei einem lieben Verwandten zu Besuch.
Von Beginn an versuchte ich, eine persönliche Beziehung zu unseren Fans aufzubauen. Ich lasse gerne Menschen an meinem Leben teilhaben. Das Wichtigste ist mir bis heute, mich nicht zu verstellen. Ich spiele keine Rolle, sondern versuche immer, ich selbst zu sein. Ich habe ein Urvertrauen in Menschen, was sicherlich nicht immer von Vorteil ist.
2015 war ich in der Off-Season in Florida zum Trainieren und tankte an einer normalen Tankstelle mein Auto. Ich sah einen Typen, der die ganze Zeit andere Kunden ansprach, aber ständig abgewiesen wurde. Bis schließlich der Tankwart kam und ihn vom Gelände verweisen wollte. Als er an mir vorbeiging, fragte ich, was los sei.
Er begann, mir seine Geschichte zu erzählen: Dass er mit seinem Sohn aus New Orleans nach Florida gekommen sei, um dort zu arbeiten, aber nichts gefunden habe und nun kein Geld mehr habe, nach New Orleans zurückzukehren. Während er erzählte, sah ich, dass er ein Tattoo der Saints auf dem Unterarm hatte. »Du kannst mich nach Waffen filzen, wenn du willst. Ich will dir nichts Böses, ich brauche nur Hilfe«, sagte er. Ich schaute ihn an und glaubte ihm. Also sagte ich: »Steig in mein Auto.« Wir fuhren zu einer Bank, ich hob Cash ab und gab es ihm. Dann fuhr ich ihn in das Hotel, wo sein Sohn wartete. Auf dem Weg quatschten wir über Football, und als wir am Hotel angekommen waren, sagte ich: »Kennst du die Nummer 91 der Saints?« »Edebali?«, fragte er zurück. »Ja. Das bin ich.« Er konnte es kaum fassen. Wir machten noch ein Foto und ich schüttelte seinem Jungen die Hand. Die Bindung zwischen Fans und Team ist in New Orleans wirklich besonders stark, deswegen habe ich mich umso mehr gefreut, diesem Mann helfen zu können. Ihr könnt euch vorstellen, was meine Muddi dazu gesagt hätte: »Was da alles hätte passieren können!« Ich glaube immer an das Gute im Menschen und denke stets positiv. Tatsächlich hatte ich in den USA nie Probleme mit Fans.
Ganz anders ist es in den sozialen Medien. Twitter ist eine echte Gefahrenzone, vor allem nach Niederlagen. Wir haben uns. Wenn wir klar verloren haben, machten wir uns am Montag den Spaß, gegenseitig unsere Namen bei Twitter einzugeben und nach »mean tweets« zu suchen, also den richtig gemeinen Beschimpfungen. Was man da zu lesen bekommt, ist manchmal wirklich unglaublich.
Da ich nicht so im Fokus stand, hielt sich der Hass in meine Richtung in Grenzen. Dinge wie »Edebali hat in der NFL nichts zu suchen, schickt ihn wieder nach Deutschland«, gehörten zur Normalität, ließen mich aber kalt. Aber wenn ich mir vorstelle, was Superstars wie Drew Brees oder auch Cam Jordan manchmal abbekamen, hatte ich Verständnis dafür, dass sie manchmal auch Autogrammjäger oder Fans, die um Fotos fragten, ignorierten. Schließlich gibt es auch da zwei Arten von Fans: Die, die höflich fragen – und die, die dich als Freiwild betrachten. Die zweite Sorte kann gerade in Menschenmengen schnell bedrohlich wirken. Was ich manchmal erlebt habe, wenn ich mit Cam unterwegs war.
Ein unangenehmes Erlebnis mit einem Fan im »Real Life« hatte ich nur ein einziges Mal. Das war in Denver bei den Broncos. In der 2017er-Saison kochten die Diskussionen um Rassismus hoch, die Colin Kaepernick ausgelöst hatte. Auch bei uns knieten damals viele Spieler während der US-Hymne. Ich nicht, weil es sich für mich nicht richtig anfühlte, auf eine Nationalhymne zu reagieren, die nicht die meines Heimatlands war.
An einem Montag nach einer Niederlage stand ein Fan am Ausgang des Trainingsgeländes, wo wir mit unseren Autos durchfuhren. Meist stehen dort Kids oder Hardcore-Fans, die gerne ein Autogramm ergattern wollen. Deswegen hielt ich beim Verlassen der Facility neben ihm an und sagte: »Hey, danke für deinen Support. Ich weiß, letzte Woche war nicht einfach anzuschauen!« Seine Reaktion war etwas anders als erwartet: »Fuck you! Du kannst dich verpissen. 25 Jahre habe ich euch supportet, und jetzt wollt ihr alles politisieren. Ich bin kein Fan mehr, weil ihr dieses Land nicht respektiert und aufs Knie geht!« »Okay«, sagte ich, »dann wohl kein Autogramm heute«, ließ das Fenster wieder hochfahren und machte mich vom Acker.
Vor jeder Saison gibt es ein Meeting, in dem genau über solche Dinge gesprochen wird: Aggressive Fans und der Umgang mit ihnen. Gerade abends in Bars oder Clubs ist die Gefahr groß, dass Betrunkene versuchen, Footballprofis zu provozieren. Die Leute wissen: Ist ein NFL-Star blöd oder betrunken genug, um mit Gewalt auf so etwas zu reagieren, besteht die reelle Chance auf ein fettes Schmerzensgeld. Deshalb wird jedem Spieler eingebläut: »Wenn du provoziert wirst, lass es geschehen und halte dich zurück. Der Provokateur hat nichts zu verlieren – außer vielleicht seine Gesundheit, wenn wirklich mal einer der schweren Jungs zupackt. Aber du als NFL-Profi hast alles zu verlieren – deinen Job, deinen Ruf und dein Geld.« Und das kann sich niemand erlauben. Einer der Gründe, warum ich mich von Bars und Clubs meistens ferngehalten habe.
Jetzt habe ich bereits viel über Fans in den USA gesprochen, aber noch gar nicht über jene, die mir persönlich die meiste Energie geben: Die Football-Fans in Deutschland! Wobei das Wort »Fan« nicht ganz passt. »Football is Family« könnte auf keine Community besser zutreffen. Der Support aus Deutschland ist einfach anders. Sebastian Vollmer, Markus Kuhn, Björn Werner, Mark Nzeocha und Jakob Johnson werden garantiert alle zustimmen. Sogar meine alten Teammates wie Mark Ingram, Cam Jordan, Shaq Barrett und Co. registrieren, wie viel Unterstützung für uns von zu Hause kommt. Besonders Social Media Takeovers, die innerhalb von zehn Minuten 10.000 Kuss-Emojis auf diversen NFL-Kanälen hinterlassen, sind immer ein Highlight.
Im Herbst, wenn endlich das erste Regular-Season-Game der NFL in München stattfindet, werden wir es wieder erleben: Wenn deutsche Footballfans auf einem Haufen zusammenkommen, ist die Chance groß, Trikots von allen 32 NFL-Teams zu sehen. Doch dabei gibt es keinen Stress, alle sind in der Liebe zum Spiel geeint. Die Fans in Deutschland sind unglaublich dankbar für die kleinen Dinge. Wo in Amerika in den meisten Städten immer noch eine gewisse Distanz zwischen den Fans und den Spielern herrscht, habe ich in Deutschland das Gefühl, dass wir wirklich alles gemeinsam machen. Egal welche Show, egal welches Spiel – die Liebe zum Football ist Priorität für alle. Egal, wie man aussieht oder woher man kommt: Wer Football liebt, ist ein Freund!
Auch wenn es für mich eine Option war, nach der Karriere als Coach oder Strength Coach in der NFL oder am College einzusteigen, gibt es für mich kein besseres Gefühl, als wieder in Deutschland tätig zu sein. Dort, wo alles angefangen hat, etwas zurückgeben und meinen kleinen Teil zur Weiterentwicklung des Sports beitragen zu können, der mir so viel im Leben ermöglicht hat, ist wunderbar.
Von meiner Zeit an der Highschool bis zur NFL habe ich mit Freude beobachtet, wie Football in Deutschland größer wurde. Ich erinnere noch, wie Patrick und Björn mir von ihrem Podcast und von der Bromance erzählten. Auch wenn ich erst etwas später dazugestoßen bin, bedeutet es mir sehr viel, nun ein Teil der Bromance sein zu können. Es ist immer schön, wenn ich jemanden in unerwarteten Momenten »Bromantiker« oder »Vollmaschine« rufen höre. Was mir an den deutschen Footballfans imponiert: Ihr Respekt ist genauso groß wie ihre Liebe zum Spiel. Die große Mehrheit ist sehr höflich und dankbar. Und manchmal gibt es Begegnungen, aus denen sogar eine freundschaftliche Beziehung entsteht.
Eine junge Frau schrieb mir mal, dass sie ihren Sohn Rob Kasim nennen wird, nach den Vornamen ihrer Lieblingsspieler Gronkowski und Edebali. So etwas finde ich unglaublich. Ein anderer Fan fragte mich, ob ich zu seiner Hochzeit ein kleines Überraschungsvideo für seine Frau drehen könnte, beide seien Bromantiker. Ich schrieb ihm zurück, dass ich alle Infos benötigen würde. Das Video sollte so werden, als hätte es ein alter Bekannter der beiden produziert. Ich schickte ihm das Video direkt rüber. Die Frau nahm mir jedes Wort ab und fragte ihren Ehemann, warum er denn nie erzählt hatte, dass er mit mir befreundet ist. Überragend!
Tom Engl hätte nicht für möglich gehalten, dass ein solches Video zurückkommen würde. »Ich hatte zwei Wochen vor der Hochzeit die Idee, meiner zukünftigen Frau eine Überraschung zu bereiten, die aus meinem Kosmos kommt. Sie kannte Kasim bereits aus Social Media und mochte ihn genau wie ich. Deshalb schrieb ich Kasim an«, erinnert sich der 34-Jährige an die Tage vor dem 24. April 2021, an dem er seine Bianca heiratete. Kasim antwortete auf seine typische Art: »Machen wir! Wann brauchst du es? Und nerv mich ruhig! Ist immer gut, wenn ich das öfter sehe, dass ich es nicht vergesse. Viel los momentan.« »Tatsächlich schrieb ich ihm ein paarmal, aber das Video kam pünktlich und war ein voller Erfolg«, sagt Tom.
Diese herzliche Verbindlichkeit, die Kasim im Umgang mit seinen Fans an den Tag legt, habe ihn in der deutschen Football-Community so beliebt gemacht. »Ich denke, dass ich für ganz viele Fans spreche, wenn ich sage, dass Kasim in allem, was er tut, absolut authentisch und echt wirkt. Man spürt, dass er die Liebe, die er von seinen Fans bekommt, ehrlich zurückgeben möchte. Er ist das, was man früher einen Star zum Anfassen nannte«, sagt Tom, der erstmals durch die Football Bromance auf Kasim aufmerksam geworden war.
»Seine NFL-Karriere habe ich nicht verfolgt, aber als er durch seine Twitch-Auftritte hier immer bekannter wurde, habe ich mich mit seinem Werdegang beschäftigt. Mich hat seine sympathische Art sofort begeistert.« Irgendwann bastelte Tom als Reaktion auf ein Liveformat ein Meme, das Kasim repostete und ihn darin markierte. »Von da an begannen wir, immer wieder kurze Nachrichten bei Instagram auszutauschen. Das war der Beginn unserer Beziehung.«
Kasims Energie empfindet der Mediengestalter aus Waiblingen bei Stuttgart als ansteckend. »Er ist Mister 1000 Volt, immer witzig und spontan, fröhlich und unterhaltsam«, sagt er, »und trotzdem sehr professionell in dem, was er macht. Ein extremes Football-Brain, mit sehr viel Wissen, der viele Storys zu erzählen hat.« Er kenne keinen anderen Sportstar, der die Nachrichten seiner Fans so umfassend und prompt beantworte. »Ich habe bei einigen seiner Mario-Cart-Turniere auf Twitch teilgenommen. Dass er die Gewinner persönlich anruft, unterstreicht, was für ein Mensch er ist«, sagt Tom. Auch Kasims Herz für die Familie gefällt ihm sehr. »Die Familie steht für ihn ganz oben, aber kurz danach kommen auch schon die Fans.«
Er selbst hatte in der Abiturphase 2007 erstmals Kontakt mit dem Football, weil sein bester Freund ein Jahr in den USA zur Schule ging und die Leidenschaft nach Deutschland transportierte. »Wir fingen an, Super Bowl zu schauen, aber ich gebe offen zu, dass ich als langjähriger Fußballfan die ersten zwei Jahre wenig verstand. Trotzdem hat mich der Sport gleich angesprochen. Er ist spektakulär und reich an Action, zugleich aber auch sehr taktisch und so ganz anders als Fußball.«
Mit der Anzahl der Liveübertragungen im deutschen Fernsehen wuchs auch Toms Begeisterung. Mittlerweile schaut er selbstverständlich jeden Sonntag, gemeinsam mit seiner Frau. Sein Namensvetter Tom Brady ist sein Lieblingsspieler, die Patriots sind sein Team, obwohl er in den vergangenen beiden Saisons die Buccaneers als Zweitmannschaft in sein Herz schloss. »Und ich habe mich sehr gefreut, dass Tom Brady vom Rücktritt zurückgetreten ist«, sagt er.
Kasims jüngere sportliche Karriere verfolgt Tom seit vergangenem Jahr intensiv. »Ich habe mich sehr für ihn gefreut, dass er die Chance bekommen hat, noch einmal in seiner Heimatstadt auf hohem Niveau zu spielen. Ich habe einige ELF-Spiele gesehen, sowohl von unserer Stuttgarter Mannschaft als auch von den Sea Devils, und ich hätte Kasim in der vergangenen Saison den Titel gegönnt«, sagt er, »vielleicht wird es ja zum Abschied klappen.«
Dass Kasims aktive Karriere nach der Saison 2022 beendet sein dürfte, ist kein Geheimnis. Was er aus dem Leben danach machen wird, steht für Tom Engl auch schon fest. »Zwei Dinge liegen ihm sehr. Zum einen sein Fitnesstraining, da ist er einfach eine Vollmaschine. Ich kann mir gut vorstellen, dass er in dieser Richtung ein Programm für jüngere Athleten aufbaut. Zum anderen ist da seine Präsenz in den Medien. Ich gehe davon aus, dass er mit der Bromance an neuen Formaten arbeiten wird und wir ihn in Zukunft öfter als Experten im TV sehen werden. Auf dem Gebiet kann er noch sehr viel erreichen.«
Es sei eine große Ehre, sagt Tom, an dieser Stelle für die Fan-Community Stellung nehmen zu dürfen. »Ich weiß es sehr zu schätzen, dass Kasim mich ausgewählt hat«, sagt er. Dennoch hat er einen weiteren Wunsch, dessen Erfüllung er sich in den kommenden Jahren erhofft. »Ein persönliches Treffen hat sich leider noch nicht ergeben. Aber ich bin guter Dinge, dass wir das auch irgendwann schaffen.«
Im Umgang mit Fans leitet mich ein Gedanke: Was kann ich tun, um andere happy zu machen? Ich kann mich glücklich schätzen, meine Frau Steffi – oder wie manche sagen Frau Maschine – an meiner Seite zu haben. Die meisten meiner Teammates waren genauso offen mit ihrem Privatleben und dem ihrer Familie, deswegen war das immer die Norm für mich. Erst nach einiger Zeit in Deutschland merkte ich, dass nicht jeder seine Familie so offen präsentiert, und das aus guten Gründen. Aber da Steffi mit sechs Pro-Bowlern und Vikings-Legende Steve Jordan als Vater aufgewachsen ist, versteht sie komplett, wie viel mir der offene Umgang mit Menschen bedeutet.
Die Fans in Deutschland sind allerdings alle sehr respektvoll. In meiner ersten Saison bei den Sea Devils waren wir im Heidepark Soltau, als ein Bromantiker um ein gemeinsames Foto bat. Und was machte Steffi? Riss ihm das Handy aus der Hand! Als ich schon dachte, dass sie ihm jetzt eine knallen oder sein Telefon zerstören würde, sagte sie auf Deutsch mit starkem amerikanischem Akzent: »Kein Problem, ich mach das. Bitte lächeln!«
Was ich damit sagen will: Meine Familie ist daran gewöhnt, dass ab und an andere Menschen in unser Privatleben eindringen. Als Sarai alt genug war, das zu verstehen, hat sie mich gefragt: »Daddy, warum wollen so viele Menschen ein Foto mit dir machen?« Ich habe es ihr erklärt, und am Ende habe ich ihr den Spruch zitiert, der mich im Umgang mit meinen Mitmenschen leitet: »It’s nice to be important, but it’s more important to be nice!« Sie nickte nur. »Okay, Daddy.« Ich glaube, sie hat verstanden, was ich ihr sagen wollte.