Grelles Licht im Wageninneren, draußen heulte das Martinshorn. Er spürte, dass sie durch die Stadt rasten, es holperte, manchmal stoppten sie, dann erklang die Sirene noch eindringlicher, bis sie wieder Fahrt aufnahmen. Seine Hand auf Ruthchen, die in der Einkaufstasche auf seinem Schoß lag. Seine Augen auf Frau Lemke gerichtet, die unter der Beatmungsmaske und zwischen Schläuchen verschwunden war. Wie gut, dass sie sich nicht sehen konnte, jetzt in dieser Lage, dachte Georg und fragte sich, ob sie von alldem etwas mitbekam. Ein Monitor piepte regelmäßig, aber, wie Georg wahrnahm, mit großen Abständen. Ihm gegenüber saß der Notarzt, er kontrollierte mit einem Blick die Geräte und füllte ein Formular aus.
»Wird sie überleben?«, fragte Georg.
»Ihre Mutter?«
Georg nickte.
»Sie hat Verletzungen vom Sturz, ich schätze, die Hüfte ist gebrochen, ein Hämatom am Kopf. Wir müssen prüfen, ob die Bewusstlosigkeit vom Sturz kommt oder von einem Schlaganfall. Ob sie innere Blutungen hat, vor allem am Kopf.«
Georg fiel in sich zusammen. Schlaganfall, dachte er, das war etwas für alte Leute, aber doch nicht für Frau Lemke. Was, wenn vor ihm nur noch eine Hülle lag, wenn Frau Lemke gegangen war, allein auf ihrem Küchenboden.
Der Arzt stellte ihm Fragen. Wann genau er Frau Lemke aufgefunden, wie lange sie dort gelegen habe. Ob es Vorerkrankungen gebe. Ob sich jemand regelmäßig um sie kümmere. All die Fragen bestärkten Georgs Gefühl der Schuld, und er spürte die Notwendigkeit, sich zu verteidigen. Erzählte, dass er regelmäßig nach ihr schaue, oft mehrmals am Tag, auch für sie einkaufe. Als er merkte, dass der Arzt nicht darauf reagierte, ließ er es.
Georg bemerkte, dass Frau Lemke die Finger bewegte, ein Kratzen an der Liege. Er stellte Ruthchen auf den Boden, schnallte sich ab, denn er wollte bei Frau Lemke sein, ihre Hand halten und ihr zeigen, dass sie nicht allein war.
»Bleiben Sie sitzen«, rief der Arzt.
Georg schnallte sich wieder an, nahm Ruthchen auf den Schoß. Frau Lemke hatte Angst unter ihrer Maske, er sah es ihr an. Sie wusste nicht, wo sie war.
»Machen Sie sich keine Sorgen, Frau Lemke. Ich bin bei Ihnen«, sagte Georg.
Er beugte sich vor und legte seine Hand auf ihren Fußknöchel. Wieder steckten sie im Verkehr fest, die Sirene tönte unerträglich laut, der Wagen schwenkte nach links, dann rechts, dann ging es weiter. Es fühlte sich an wie bei einer Fahrt mit einem dieser verrückten Geräte auf dem Jahrmarkt.
»Sie siezen Ihre Mutter?«
Ihm fiel nichts ein, was er darauf antworten sollte.
»Wie auch immer«, sagte der Arzt und reichte ihm das Klemmbrett mit dem Formular, das er ausgefüllt hatte. »Können Sie das bitte unterschreiben?«
Georg unterschrieb in der Zeile, vor der ein Kreuz gezeichnet war. Damit war er offiziell Frau Lemkes Sohn.
Als sie am Krankenhaus ankamen, wurden die Hecktüren aufgerissen, Frau Lemke herausgezogen. Der Arzt übermittelte im Gehen alle wichtigen Informationen, Georg lief auf der anderen Seite, wollte einen Blick von Frau Lemke erhaschen, nur ein Zeichen, dass alles gut würde, aber sie hielt die Augen geschlossen.
Georg durfte nicht mit in die Behandlungsräume, auch nicht auf seinen Protest, dass er der Sohn sei. Er musste Anmeldungen ausfüllen und unterzeichnen, ein weiteres Formular. Dann wurde er in den Warteraum geschickt. Ruthchen in der Einkaufstasche immer bei ihm.
Vorn in seinem Blaumann vibrierte sein Handy. Wolfgang hatte siebenmal angerufen.