Georg sah auf der anderen Straßenseite seinen Vater den Sportwagen parken. Er und seine Freundin stiegen aus, ihre gelbblonden Haare leuchteten in der Sonne.

»Georg«, rief der Vater, als er ihn entdeckte, lief mit ausgebreiteten Armen auf ihn zu.

Georg erhob sich, versteifte, als der Vater ihn umarmte und ihm auf die Schulter klopfte. Er schüttelte Amanda, seiner Stiefmutter, die Hand. Der Vater bestellte eine Flasche Champagner.

»Wir haben etwas zu feiern!«

Georg freute sich darauf, ihm ins Gesicht zu sagen, dass es nichts werden würde mit dem Verkauf. Denn es war sein Haus, sein Leben, sein Geld, das er nicht hatte, aber das ging niemanden etwas an.

»Blass siehst du aus«, sagte der Vater, so erholt und braun gebrannt, als käme er direkt aus dem Urlaub. Amanda lächelte bei allem, was er sagte. Georg stellte

»Was gibt es denn zu feiern?«

Der Champagner kam, der Moment für den großen Auftritt seines Vaters. Im Stehen ließ der den Korken knallen, der Champagner schäumte, als er ihn in die Gläser goss. Der Vater und Amanda lächelten sich an, sie hatten denselben Bleichton für die Zähne gewählt, ein unnatürliches Weiß.

»Wir bekommen ein Kind und du eine Halbschwester«, sagte der Vater und stieß an Georgs Glas.

»Ich darf eigentlich gar nicht trinken«, sagte Amanda.

Erst jetzt bemerkte Georg ihren Bauch.

»Ach was, so ein Tröpfchen schadet doch nichts«, sagte sein Vater.

Amanda könnte Georgs Schwester sein. Was reizte sie an einem siebzigjährigen Mann?, fragte er sich. Ihm tat sein Geschwisterkind leid, bei der schwachen Mutter, die es nicht vor dem Vater beschützen können würde. Georgs Mutter war nicht zu schwach gewesen, sie hatte sich nur nicht für ihn interessiert. Er dachte daran, wie sie einfach den Raum verlassen hatte, ohne ihn anzuschauen, wenn der Vater sich in den Kopf gesetzt hatte, aus ihm einen Mann zu machen. Wenn er ihn gezwungen hatte, auf dem Wohnzimmerteppich Liegestütze zu machen. Wenn er ihn in die Seite getreten hatte, wenn er nicht mehr hochgekommen war.

»Gratuliere«, sagte Georg.

Der Vater legte seine Hand auf Amandas Bauch.

»Wir sind geschieden, ich muss ihr nichts erzählen. Und der andere Grund zum Feiern«, der Vater klatschte in die Hände, »ist der fabelhafte Deal, den ich für dich eingefädelt habe. Endlich bist du den alten Kasten los.«

Der Vater stieß erneut gegen sein Glas, Georg trank nicht. Das Angebot hatte wochenlang auf seinem Küchentisch gelegen, hatte ihn verführt und abgestoßen. Fünf Seiten Papier, die er schließlich in kleine Fetzen zerrissen hatte. Immer kleiner, bis er den Haufen Papierschnipsel in den Abfalleimer geworfen hatte. In den Restmüll, denn er fand, dass dieses Angebot nicht recycelt werden musste. Und er erinnerte sich, wie frei er sich danach gefühlt hatte und stark.

»Ich verkaufe nicht«, sagte er.

Der Vater stellte das Glas auf den Tisch, und Georg sah, dass er wütend wurde. Die Oberlippe zuckte, er runzelte die Stirn. Als Kind hatte er sich vor diesen Anzeichen gefürchtet, die für ihn fast schlimmer waren als der richtige Wutausbruch, der darauf folgte. Georg hatte alles getan, um seinen Vater nicht zu reizen. Und dann geschah es trotzdem, scheinbar ohne Grund, ohne Ankündigung konnte sich das Gewitter über ihm entladen, und er musste in Sekundenschnelle herausfinden, was er falsch gemacht hatte. Jetzt wartete er einfach ab, welches Schauspiel sich ihm darbieten würde. Der Vater schlug mit der Faust auf den Tisch, Georgs Glas kippte um. Amanda zuckte zusammen.

»Das ist total dumm. Du hast noch nie in deinem

»Mach dir keine Sorgen, ich kriege das schon hin. Es ist mein Haus.«

»Du hast noch nie auf mich gehört, immer deinen eigenen Kopf durchgesetzt, auch wenn es Schwachsinn ist.«

Georgs Handy klingelte, Frau Lemke. Er drückte den Anruf weg.

»Opa hat mir das Haus vererbt, damit es nicht verkauft wird, und daran halte ich mich.«

»Wir gehen.«

Der Vater stand auf, warf einen Hunderteuroschein auf den Tisch und beugte sich ganz nah an Georgs Gesicht.

»Bitte mich nicht um Hilfe, wenn du in Schwierigkeiten steckst.«

Georg roch den Alkohol in seinem Atem.

Sein Handy klingelte erneut, er drückte den Anruf wieder weg.

»Keine Sorge«, sagte Georg.

Der Vater und Amanda drehten ab. Georg schenkte sich noch ein Glas ein und trank es in einem Zug aus. Ihm war bewusst, dass alle Blicke auf ihm lagen, aber das machte ihm nichts aus. Als Kind hatte er es nur schwer ausgehalten, wenn sich solche Szenen in der Öffentlichkeit abgespielt hatten, wenn sich die Eltern

»Habt ein schönes Leben«, sagte Georg.

Er schenkte sich den Rest Champagner ein. Frau Lemke hatte schon wieder angerufen. Es musste etwas Dringenderes sein als die Bitte, ihr etwas aus der Wohnung an die Ostsee mitzubringen. Am Abend zuvor hatte sich Georg mit Frau Lemkes Schlüssel in die Wohnung geschlichen, weil sie ihm Anweisungen gegeben hatte, welche Kleidung sie noch benötigte. Georg hatte bis weit nach Mitternacht gewartet, bis das Haus und die Stadt ruhig wurden, erst dann hatte er sich in die Wohnung gewagt, wie ein Verbrecher mit einer Taschenlampe, hatte gehofft, dass Frau Meyer ihn nicht entdecken würde. Frau Meyer, deren Kinder am Telefon gesagt hatten, sie würden sich kümmern, sie hätten nicht mitbekommen, wie es um ihre Mutter stand. Seitdem war sie noch giftiger zu ihm.

»Georg«, sagte Frau Lemke, als sie ans Telefon ging. »Du musst mich hier rausholen.«

Ihre Stimme klang verzweifelt.

»Ich kann Sie nicht entführen«, sagte er. Der Champagner stieg ihm zu Kopf.

»Ich kann nichts unternehmen, wenn Wolfgang nicht zustimmt.«

Wolfgang war untergetaucht, agierte aus dem Hintergrund, meldete sich ab und zu bei seiner Mutter. Für Georg war er nicht erreichbar.

»Es ist mir egal, hol mich hier ab.«

»Frau Lemke, das geht nicht so einfach.«

»Ich will nach Hause, Georg. Ich meine es ernst.«

Jetzt klang sie nicht mehr verzweifelt, sondern so resolut, wie er Frau Lemke kannte. Er trank sein Glas aus.

»Dann müssen wir die Vormundschaft zurückerstreiten.«

Wenn er sich gegen seinen Vater zur Wehr setzte, konnte er auch den Kampf gegen Wolfgang aufnehmen.

»Wann kannst du kommen?«, fragte sie.

»Morgen wollten wir Sie auf dem Weg nach Rostock doch sowieso besuchen, dann nehmen wir Sie eben mit.«

»Ich fange an zu packen.«