1 Smarte Systeme auf Basis Cyberphysikalischer Systeme
Cyberphysikalische Systeme bestehen aus einem Netz interagierender Komponenten, die je nach Aufgabenstellung mit Sensoren zur Beobachtung ihrer physikalischen Umwelt und Aktuatoren zu deren Veränderung ausgestattet sind: „Es entstehen offene, vernetzte Systeme, die mithilfe von Sensoren Daten zu Situationen der physikalischen Welt erfassen, sie interpretieren und für netzbasierte Dienste verfügbar machen sowie mittels Aktoren direkt auf Prozesse in der physikalischen Welt einwirken und damit das Verhalten von Geräten, Dingen und Diensten steuern können“ (Geisenberger und Broy 2012, S. 9). Die vernetzten Komponenten koordinieren sich selbstständig für eine gemeinsame Aufgabe. Sie zeichnen sich durch dezentrale Kontrolle und verteiltes Agieren aus. Die Informationsflüsse und dezentralen Kooperationsmechanismen werden mittels eines virtuellen Netzes, eines Cybernetzes, ermöglicht. Die „Cyberebene“ nimmt also Einfluss auf die physikalische Ebene, daher auch der Name Cyberphysikalische Systeme (CPS).
CPS lassen sich in Alltags- und Arbeitsumgebungen einbetten. Überall dort, wo als Vision ein smartes System steht, ist die mögliche Realisierung ein cyberphysikalisches System: Smart Energy ermöglicht die Berechnung von Strompreisen in Echtzeit abhängig vom aktuellen Verbrauch und den Einspeisungen auch privater Stromerzeuger. Smart Mobility hat die umweltschonende und sichere Mobilität durch intelligente Fahrzeuge und koordinierte Verkehrsführung zum Ziel. Smart Factory möchte Wertschöpfungsprozesse anpassungsfähig gestalten, auch kleine Losgrößen rentabel produzieren und auf Störungen im Produktionsprozess flexibel reagieren. Smart Home will die Senkung der Energiekosten und die Erhöhung der Sicherheit unter Einbeziehung der Vorgaben der Hausbewohner. Smart Health arbeitet an der Digitalisierung des Gesundheitswesens: sowohl Vorsorge, Pflege als auch Betreuung werden durch automatisierte Prozesse erweitert und ersetzt. Der Mensch wird Teil dieses Netzes, Teil einer intelligenten Infrastruktur, die die Freiheitsgrade für das menschliche Handeln vorgibt.
In CPS erfolgt die Überwachung und Steuerung physikalischer Vorgänge mittels der Sensoren und Aktuatoren der Systemkomponenten. Verbunden durch eine digitale Netzinfrastruktur können die Systemelemente miteinander kommunizieren (Broy 2010, S. 17) und gemeinsam Aufgaben erledigen. Diese können stationär oder auch im Fall von Robotern mobil sein. Ein Beispiel für mobile CPS sind Multirobotersysteme, die gemeinsame eine Aufgabe lösen, wie bereits 2008 im Distributed Robots Garden am MIT gezeigt, wo sich Roboter um mit Sensoren versehene Tomatenpflanzen kümmern (Correll et al. 2009).
Die digitale Modellierung wesentlicher Systemzusammenhänge und -prozesse unterstützt das kooperative Arbeiten. Insbesondere zur Effizienzsteigerung in Produktion und Logistik ist die enge Synchronisierung der realen Welt mit ihrer digitalen Beschreibung unabdingbar. Im Rahmen von Industrie 4.0 Projekten, die der Smart Factory gewidmet sind, wird an Produktivitäts- und Flexibilitätssteigerung durch die Vernetzung intelligenter Systeme in der Fabrik gearbeitet. Hier zeigt sich, dass auch für CPS die Mensch-Maschine Schnittstelle wesentlich ist, denn die selbstorganisierte Kapazitätsflexibilität soll unter direkter Beteiligung der ausführenden Mitarbeiter gelebt werden (Bauer und Gerlach 2015). Klassische Anweisungskaskaden »von oben nach unten« werden ersetzt durch horizontale Entscheidungen in und zwischen Arbeitsgruppen, in denen Menschen mit Robotern interagieren. Sowohl die Produktionsmitarbeiter wie aber auch die Roboter können in die Einsatzplanung aktiv eingebunden werden. Das Ziel ist die (sukzessive) Auflösung der klassischen Kontroll- und Steuerungshierarchie und ihr Ersatz durch vernetzte, dezentral organisierte bzw. teilweise selbstorganisierende Dienste. Hierbei kann auf rein lokale Informationen oder auch auf systemweit verfügbare Dienste zurückgegriffen werden. Die Kopplung physikalischer Elemente mit den Möglichkeiten digitaler Netze ermöglicht die Interaktion zwischen der physikalischen und der digitalen Welt.
Cyberphysikalische Systeme sind offene, dynamische komplexe Systeme. Dezentrale Steuerung und kollektive Problemlösungen sind wesentliche Charakteristika. Sie zeichnen sich durch aufgabenbezogene Adaption an die sich verändernde Umwelt aus. Ihr emergentes Verhalten und ihre evolutionäre Selbstorganisation ist dezentral zu kontrollieren und zu stabilisieren. Exemplarisch für ein globales CPS steht hierfür das Internet der Dinge: Im Internet der Dinge können Objekte und Geräte mit intelligenten Softwareschnittstellen und Sensoren ausgestattet werden, um kollektiv Probleme zu lösen. Die dezentral anfallenden Daten werden analysiert, um die Steuerung und Kontrolle zu verbessern. Neue Dienste werden angeboten, um die Systeme besser und effizienter nutzen zu können. Nicht nur das Internet der Dinge, sondern das Internet der Dinge, Daten und Dienste ist im Entstehen. Durch die Vernetzung intelligenter Systemelemente entstehen intelligente Infrastrukturen, die sich durch Adaption und Selbstorganisation auszeichnen und ihren Nutzern die von ihnen benötigten Dienste anbieten. In der Vision der Smart City kommt diese Idee zum Tragen: Eine Smart City ist ein urbaner Raum, dessen Elemente mit Sensoren und Aktuatoren ausgestattet sind, um die Effizienz der Stadtinfrastruktur zu verbessern und bürgernahe Dienstleistungen anzubieten. Schwerpunkte sind das Management des Verkehrs (Smart Mobility), der Energie (Smart Energy), des Gesundheitswesens (Smart Health) und die Digitalisierung der Stadtverwaltung, also Themen, an deren Realisierung bereits in verschiedenen Städten gearbeitet wird.
Die Herausbildung der CPS verdankt sich der Entwicklung der mechatronischen Systeme (Mainzer 2010, S. 207 ff.). Sie kann überdies – unter den Stichworten Ubiquitous Computing, Pervasive Computing oder Augmented Reality – aus der Integration der IT-Systeme in die (alltägliche) Lebenswelt nachvollzogen werden. Handlungsoptionen werden an (semi)autonome Systeme abgegeben. Beim Ko-Design der physikalischen Anwendung und des informationsverarbeitenden Systems wird der Nutzen menschlicher Akteure gegen den Einsatz rein technischer Agenten abgewogen. Bereits in den derzeit in Erprobung befindlichen Anwendungen rückt der Mensch zur Laufzeit immer stärker in die Position eines Interaktionspartners oder Beobachters.
Eine Vielzahl von Konzepten der künstlichen Intelligenz (KI) findet bereits heute ihren Einsatz. So kooperieren Multirobotersysteme nach dem Modell der Schwarmintelligenz, um gemeinsam Aufgaben zu bewältigen. Big Data Analyseverfahren unterstützen die Automatisierung der Entscheidungs- und Aktionsselektion. Mikrodirektiven werden direkt in die dezentralen Steuerungsverfahren eingebaut. Smart Contracts werden im Internet der Dinge Interaktion ohne Intermediäre entlang von Produktions- und Logistikketten über Unternehmensgrenzen hinweg ermöglichen. Die KI-Ansätze werden die Entwicklung der CPS in Richtung intelligente Infrastrukturen und langfristig in Richtung sensorbasierte, proaktive und selbstorganisierte, autonome Netze ermöglichen.
Im Folgenden wird die Bandbreite dezentraler, autonomer Systeme vorgestellt, die von der CPS-Entwicklung profitieren können. Ein kurzer Überblick über den Stand der Technik mit Fokus auf den IT-Themen wird gegeben, um sich dann den wesentlichen heutigen Anwendungsszenarien zu widmen.
2 Cyberphysikalischer Systeme: die Evolution adaptiver, selbstorganisierter Systeme
CPS führen die Entwicklungslinien mechatronischer Systeme (Mainzer 2010, S. 207 ff.) sowie – unter den Stichworten Augmented Reality, Ambient Intelligence, Pervasive Computing oder Ubiquitous Computing – die Entwicklungslinie der Einbettung der IT-Systeme in die (alltägliche) Lebenswelt zusammen.
Heutige mechatronische Systeme sind als integriertes Gesamtsystem, bestehend aus einem mechanischen Systemanteil zur Realisierung der Maschinen resp. Apparate, einem elektronischen System für die Messtechnik und Aktorik sowie einem informationstechnischen System zu verstehen. Das informationstechnische System baut auf den Erkenntnissen der Systemtheorie, der Automatisierungstechnik und der Künstlichen Intelligenz auf (Mainzer 2010, S. 209).
Die Immersionstechniken der virtuellen Realität schaffen seit der Mitte der 1980er-Jahren die Möglichkeit des Eintauchens in die Raumsimulation. So ermöglicht Augmented Reality, die computergestützte Erweiterung der Realitätswahrnehmung, die Einblendung von computergenerierter Zusatzinformation und somit Überlagerung der Wahrnehmung von physikalischen Gegenständen mit computervermittelter Information. Ambient Intelligence, die Erweiterung nahezu aller Gegenstände um Kommunikationsfähigkeit und eine gewisse Intelligenz, hat die unaufdringliche Unterstützung und Vereinfachung des alltäglichen Lebens zum Ziel. Diese – und weitere Forschungsrichtungen, wie das Pervasive Computing – kumulieren im Ubiquitous Computing (Weiser 1991, 1993), der Allgegenwart der rechnergestützten Informationsverarbeitung, und dem Internet der Dinge, der elektronischen Vernetzung von Gegenständen des Alltags (z. B. (Mattern und Langheinrich 2008; Mattern und Floerkemeier 2010). Diese Ansätze stellen Schritte in Richtung der Überlagerung resp. Kopplung der Realität mit virtuellen Umgebungen dar. Sie schaffen – hinterlegt mit themenspezifischer Semantik auf Basis von Ontologien im informationstechnischen Sinn – einen computermedial erzeugten Sinnhorizont, auf den menschliche wie technische Agenten, wie z. B. Serviceroboter, zur Erledigung ihrer Aufgaben zurückgreifen können.
Die Evolution der IT-Systeme in Richtung höherer Eigenständigkeit, größerer Anpassungsfähigkeit in (entwicklungs)offenen und daher nicht vollständig modellhaft erfassbaren Umgebungen, in denen menschliche und technische Agenten „gleichberechtigt“ interagieren, profitiert stark von der Forschung zu IT-Netzen. Die Entwicklung hin zu immer stärkerer Autonomie der Systeme hat ihren Anfang in anwendungsspezifischen Speziallösungen. In ihnen interagieren die einzelnen Elemente bei Bedarf untereinander und mit ihrem Umfeld via Sensoren und Aktuatoren. Seit ungefähr 20 Jahren wird daran gearbeitet, sowohl die Netzkomponenten als auch das Netz als solches „intelligenter“ und autonomer zu machen. Techniken der Eigen- und Umfeldwahrnehmung, der situativen Adaption an Veränderungen sowie erste Schritte zur Selbstorganisation z. B. mittels Multiagentensystemen (Woolridge 2009) erhöhen die Flexibilität und Robustheit. Zukünftige Systeme werden sich, abhängig von ihrem Zweck, in ihrer Selbstbestimmtheit unterscheiden. Nicht nur die individuellen technischen Agenten, sondern die CPS selbst werden eine neue Art technischer Intelligenz darstellen (European Commission Information Society and Media 2009, S. 6). So ist es das Ziel der Pervasive Adaptation an der Entwicklung von Technologien und Designparadigmen zu arbeiten, dank derer sich ein Gesamtsystem durch die Adaption der Einzelkomponenten an veränderte Umstände anpasst. Das Fernziel sind Selbstkonfiguration, Selbstheilung, Selbstoptimierung und Selbstschutz.
Seien diese Systeme nun Cyberphysikalische Systeme, Pervasive Systems oder Collective Adaptive Systems (CAS) (European Commission Information Society and Media 2009) genannt, ganz gleich, ob die Anwendung in der Evolutionären Robotik oder im Internet der Dinge liegt, und egal wie auch immer die menschlichen Agenten eingebunden sind: Die wesentlichen Herausforderungen können zwar schon benannt werden, ihre Bearbeitung wird jedoch vieler kleiner Einzelschritte und konkreter Projekte bedürfen. Dennoch macht es Sinn, sich der fundamentalen Fragen massiv paralleler, dezentral organisierter, (semi)autonomer, evolutionärer technischer Systeme bewusst zu sein – auch, um den jeweiligen Fortschritt einordnen zu können. Zu den grundlegenden Software Engineering Fragen zählen insbesondere die Sicherheit und langfristige Stabilität der Systeme sowie die Echtzeitlagebewertung auf Basis hochkomplexer, heterogener und unsicherer Daten und die für den Menschen nachvollziehbare Mechanismen zu Konfliktresolutionen sowie die Möglichkeiten der evolutionären Weiterentwicklung der Systeme. Eine Vielzahl technischer Herausforderungen wie die Standarisierung der technischen Schnittstellen verschiedener Hersteller wie auch kompatible und dynamisch erweiterbare semantische Schnittstellen müssen für den kommerziellen Erfolg des Konzepts Cyberphysikalischer Systeme gelöst werden. Rechtliche Rahmenbedingungen für den Systembetrieb und die Finanzierung der Infrastruktur im öffentlichen Raum sind zu klären. Die Frage des Datenaustauschs versus Schutz der Privatsphäre ist für jedes dieser smarten Systeme hochrelevant und für gesellschaftliche Akzeptanz wesentlich.
3 Intelligente Infrastrukturen: die Automatisierung der Entscheidungs- und Aktionsselektion
Das Ziel der CPS-Technologie ist es, intelligente Infrastrukturen zu schaffen, in denen Prozesse möglichst effizient ablaufen. Die bereits genannte Einbettung in Alltags- und Arbeitsumgebungen sowie dezentrale Kontrolle u. a. mittels kooperativer intelligenter Agenten sind wesentliche Aspekte. In der Entwicklung in Richtung autonomer Netze findet sich jedoch nicht nur lokale Intelligenz. Das Sammeln, Verdichten und Auswerten der Information inkl. Sensordaten kann nicht nur lokal, sondern auch übergreifend, aufgabenorientiert stattfinden. Die tatsächlichen Operationen der Systemkomponenten in der physikalischen Welt sollen zeitgleich mit der Beobachtung, Überwachung und Steuerung des laufenden Betriebs auf der virtuellen Ebene ablaufen. Das Ziel ist aber nicht eine rein reaktive Steuerung, sondern die Kopplung der vorausschauenden, adaptiven Ablaufplanung mit der Systemkontrolle. Die adaptive Steuerung und Kontrolle von Prozessen ist eines der wesentlichen Charakteristika intelligenter Infrastrukturen. Vermehrt kommen hierbei Big Data basierte Analyseverfahren zum Einsatz. Sie zielen darauf ab, verborgene Muster zu erkennen und nahezu in Echtzeit Handlungsvorschläge zu erzeugen. Wenn diese umgesetzt werden, führt dies zu neuen Daten und der Analyse-Handlungsablauf kann wiederum beginnen. Schon heute werden durch die Datenanalyse gewonnenen Einsichten für operative Ziele, d. h. insbesondere für personalisierte Dienste, Prozessverbesserungen und für die Beeinflussung bei der Entscheidungsfindung oder sogar die Automatisierung von Entscheidungsprozessen verwandt (McKinsey Global Institute 2016). Überdies tragen sie zur Automatisierung von Steuerung und Kontrolle bei, wobei Steuerungsparameter durch die iterative Datenauswertung im laufenden Prozess immer wieder anpassbar sind. Diesen Verfahren ist gemeinsam, dass sie auf durch die Analysen entdeckten statistischen Zusammenhängen basieren. Sorgfältig kuratierte Daten und geschickt ausgewählte Algorithmen sind die Voraussetzung, um aussagefähige Korrelationen zu finden.
Intelligente Infrastrukturen bedürfen darüber hinaus der Möglichkeit der Abstimmung zwischen Teilsystemen, d. h. der möglichst reibungslosen und verlässlichen Kommunikation und Koordination von Teilkomponenten, seien sie Maschinen oder Menschen. Verteilte Problemlösungsstrategien in intelligenten Infrastrukturen können durch Multiagentensysteme (MAS), d. h. lose gekoppeltes Netzen von Softwareagenten, realisiert sein. Diese Arbeitsweisen können ihr Vorbild in der Natur haben oder auch zwischenmenschliche Kooperationsstrategien abbilden. Allgemein gefasst, ist das Ziel des multiagentenorientierten Programmierparadigmas die „adäquate, intuitive und natürliche Modellierung sowie programmiertechnische Umsetzung von komplexen Interaktionen (Kommunikation und Koordination, Kooperation und Konkurrenz) und Beziehungsstrukturen (dynamische Organisation und verteilte Kontrolle)“ (Weiss 2001). Im Echtzeiteinsatz können die Softwareagentensysteme zu hybriden Multiagentensystemen erweitert werden: menschliche Agenten lassen sich zur Klärung nicht formalisierter Konflikte einbinden.
Ein weiteres Ziel ist die Automatisierung von Koordinationsprozessen in Geschäftsumgebungen: hier werden in Zukunft auf der Blockchain-Technologie basierte Smart Contracts zum Einsatz kommen. Smart Contracts sind Computerprotokolle, die Verträge abbilden und die bei bestimmten Ereignissen automatisch, ohne menschliche Intervention in Kraft treten. Selbstausführende Smart Contracts wollen die Vertragserfüllung automatisieren (ohne jedoch klassische Vertragsverhältnisse ersetzen zu können (Fries 2018)).
Für die Blockchain-Technologie wird es noch weitere Einsatzmöglichkeiten in intelligenten Infrastrukturen geben, wie bei der sicheren, nicht korrumpierbaren Speicherung von Daten aller Art inklusive der Aufzeichnung von (Geschäfts)tranksaktionen. Überall dort, wo Interaktionen ohne Intermediäre gewünscht sind, kann diese Technologie ihren Einsatz finden. Das Vertrauen in menschliche Interaktionspartner wird durch das Vertrauen in die Technik, die Software ersetzt: nicht korrumpierbare Aufzeichnungen von Geschäftstransaktionen, wie digitale Grundbücher, statt des Vertrauens in Menschen oder etablierte Institutionen wie Grundbuchämter, die nicht überall auf der Welt existieren.
Auch wenn man sich mit (Bröder 2018) fragen kann, ob nun die Infrastrukturen intelligent werden, oder es nicht weiterhin die Menschen sind, die ihre Intelligenz nutzen, um die Architekturen und Algorithmen zu schaffen, so ist doch ein sich verstärkender Trend zur Automatisierung der Entscheidungs- und Aktionsselektion festzustellen. Die insbesondere seit den 2000er-Jahren stark gestiegene Rechnerleistung ermöglicht es, Heuristiken einzusetzen, die fast in Echtzeit große Mengen an Daten verarbeiten, also eher mit „Gewalt“ (Brute-Force Methoden) als mit schneller Intelligenz vorzugehen.
Es lassen jedoch schon heute grundlegende Charakteristika algorithmischer Wissenskulturen in Zeiten maschineller Analyseverfahren festhalten: Maschinelle Analyseverfahren bieten Entscheidungsunterstützung und Entscheidungsautomatisierung auf Basis von Korrelationen. Wie alle Algorithmen sind sie problem- und lösungsorientiert. Die zugrunde liegenden datenintensiven Wissenschaften sind noch eine junge Erkenntnisweise. Sie bringen Veränderungen der Epistemik (wie in den Agrarwissenschaften) und der Herangehensweise (so in der Medizin) und eine neue Pragmatik bei der Gestaltung (öffentlicher Räume).
4 Smarte Systeme für die heutige Arbeits- und Lebenswelt
Optimierung der Produktion und Einzellosfertigung (Smart Factory)
Logistik und Supply-Chain Management in dezentralen Umgebungen (Smart Logistics)
Energiemanagement (Smart Energy)
Überwachung und Steuerung im privaten Heim (Smart Home)
Betreuung gesundheitlich gefährdeter Personen (Smart Health)
Optimierung von Verkehrsflüssen (Smart Mobility)
Die Smart Systems unterstützen gobal aufgestellte Unternehmen und über Netze lose verbunde Kooperationspartner, ihre Produkte effizient zu erstellen (Smart Factory), und bei Kunden in aller Welt (fern)zuwarten. Diese Systeme sind von ihrem Wesen her dezentral organisiert. Sie benötigen für die Optimierung der Informations- und Logistikprozesse Mechanismen, die auch ausschließlich lokalen und zentral nicht bekannte Vorgaben berücksichtigen. Hier kommt Smart Logistics, das als CPS realisierte Logistik und Supply-Chain Management ins Spiel. Neue dezentrale Geschäftsmodelle werden entwickelt. Ein Beispiel sind intelligente Stromnetze (smart grids), deren Ziel die „ganzheitliche Organisation des Stromnetzes zur Steuerung, Lastverteilung, Speicherung und Erzeugung elektrischer Energie“ (Mainzer 2010, S. 217) unter Einbindung lokaler Kleinstanbieter ist. Neuartige Services werden getestet. Das intelligente Haus (smart home) ermöglicht auf der Basis eines Netzes von Sensoren und Aktuatoren die Fernsteuerung und Regelung von Heizung, Licht, Beschattung usw. Die just-in-time Logistik hat zumindest in der Vision des „sich selbst auffüllenden Kühlschranks“ schon Einzug in das private Heim gefunden. Zuhause können auch vermehrt chronisch Kranke überwacht werden, wobei der Patient selber wichtige Daten über seinen Gesundheitszustand erfasst. Diese werden an ein Telemonitoring-Zentrum weitergeleitet, wo alle notwendigen Maßnahmen koordiniert werden. Aber auch ad hoc sich ergebende Koordinationsnotwendigkeiten zwischen Menschen, aber auch unter Maschinen entstehen, z. B. bei Rettungs- oder Katastropheneinsätzen: bereits 2008 wurden im Projekt ALLADIN (Autonomous Learning Agents for Decentralised Data and Information Networks) (Adams et al. 2008) aus einer Multiagentenperspektive Ansätze der Spieltheorie erweitert, um die Kooperation von Agenten mit unterschiedlichen Eigeninteressen zu modellieren und knappe Ressourcen effizient zu verteilen – eine ganz eigene Variante der Smart Mobility.
Jede dieser Anwendungen, jede dieser Systeme, Logistik-, Koordinations- und Managementprozesse kann als vernetztes selbstorganisiertes System gesehen werden. Diese Modellierung und Realisierung als CPS ermöglicht die Anpassung an veränderte Bedingungen und erhöht sowohl die die Zuverlässigkeit als auch die Automatisierung des Ablaufs.
5 Intelligente Infrastrukturen: Vielfältig im Entstehen begriffen
Oben genannte Smart Systems sind als Prototypen intelligenter Infrastrukturen Teil der Entwicklung des Internet der Dinge, Daten und Dienste. Intelligente Intrastrukturen sind eine Weiterentwicklung Cyberphysikalischer Systeme in Richtung optimaler Kontrolle und Regulierung der physikalischen Welt unter Nutzung von Big Data Analyseverfahren, um evidenzbasierte Handlungsvorschläge und Operationen zu ermöglichen. Mynatt et al. (2017) unterscheiden dabei 4 Entwicklungsstufen: beschreibend (descriptive) – empfehlend (prescriptive) – vorausschauend (predictive) -planend (plan-full), die die Autoren u. a. an der Verkehrsüberwachung und -planung exemplifizieren: Stauinformationen in Echtzeit sind rein deskriptiv, alternative Routenvorschläge auf Basis der aktuellen Verkehrssituation gehören der vorrausschauenden Ebene an, Verkehrsplanung unter Einbeziehung möglicher Wetter und Tageszeit abhängiger Staus sind Beispiele vorausschauender Analyse und die Verkehrssteuerung auf Basis dieser Analyse steht für die Nutzung der Echtzeitinformation in der Verkehrssteuerung.
In Europa werden intelligente Infrastrukturen unter dem Oberbegriff der Smart City vorangetrieben. Bereits 2008 findet sich die Vision der „Smart City“, deren Aufgabe es sein soll „mittels autonomer IT Systeme Ressourcen optimal zu regulieren und zu kontrollieren“ (zitiert nach Greenfield 2017, S. 52). Eine Vision der Zukunftsstadt wird dort entworfen: „several decades from now cities will have countless autonomous, intelligent functioning IT Systems that will have perfect knowledge of user’s habits and energy consumption, and provide optimum service.“ Adam Greenfield weist darauf hin, dass diese Ziele einem logischem Positivismus Ausdruck verleihen: sie setzen eine Welt voraus, die im Prinzip perfekt erkennbar ist und deren Zusammenhänge sinnvoll durch technische Systeme abgebildet werden können, ohne jede Verdrehung der Tatsachen und völlig vorurteilsfrei (Greenfield 2017, S. 52). Überdies geht seines Erachtens diese Vision davon aus, dass es für jedes individuelle und kollektive menschliche Bedürfnis eine Lösung gibt, die algorithmisch berechnet werden kann und unabhängig von politischer Bewertung ist. 2017 ist die Vision zu Geschäftsmodellen konkretisiert worden: „The Business Case for Smart Cities“ (Siemens Digital Cities Series 2017a, b). In stadtspezifischen Berichten z. B. zu den Städten Aberdeen und London wird aufgezeigt, welche CPS-Anwendungen heute schon Geschäftsnutzen haben. Unter Oberthemen wie Transport, Energie, Gebäude, Sicherheit, Hafen und Konnektivität werden eine Vielzahl konkreter Beispiele genannt, die Big Data Analyse Verfahren nutzen (werden), wie die stauabhängige, dynamische City Maut, die effiziente Straßenbeleuchtung, aber auch die vorhersagende Polizeiarbeit (Predictive Policing), die die Berechnung der Wahrscheinlichkeit zukünftiger Straftaten auf Basis existierender Falldaten zur Steuerung des Einsatzes von Polizeikräften zum Ziel hat.
Zukünftig ist eine stärkere Integration der Einzelanwendungen geplant sowie eine Erhöhung der Automatisierung. Smart Contracts werden reibungslose Logistikprozesse auch über Firmengrenzen hinweg unterstützen. Transaktionen und Daten für den Austausch zwischen Unternehmen und auch Behörden werden fälschungssicher automatisch gespeichert werden können – die Blockchain-Technologie wird die Basis für derartige intelligente Infrastrukturen bieten. Steuerungsparameter werden feine Adjustierungen ermöglichen. Big Data Analyseverfahren und Verfahren des maschinellen Lernens können gerade im öffentlichen Raum in der Form von Mikrodirektiven eingesetzt werden, um menschliche und maschinelle Aktivitäten gemäß Regeln und Standards im Detail zu regeln und zu steuern: „Die Vorhersagetechnologien werden vermehrt ex ante Information generieren, die vom Gesetzgeber genutzt werden kann, hochspezifische, komplexe Gesetze zu schreiben. Und die die Individuen werden von diesen komplexen Gesetzen dank der technologischen Fortschritte in den Kommunikationstechnologien in einer ganz einfachen Form erfahren. Dies wird der Tod der Regeln und Standards und der Vormarsch der Mikrodirektiven sein“ (Casey und Niblett 2015, S. 54). Dies könnte weitreichende Auswirkungen auf individuelle Autonomie zur Folge haben: „Smarte Ampeln könnten aufgrund von Produktivitätsniveaus entscheiden, wer zuerst die Straße überqueren darf … Smarte Restaurants könnten diktieren, was ein Bürger zum Frühstück essen darf!“ (Casey und Niblett 2015, S. 52).
Das Ziel der intelligenten Infrastrukturen ist die Automatisierung der Entscheidungs- und Aktionsselektion. Die Freiheitsgrade der menschlichen Nutzer werden durch die Technik vorgegeben. Wenn die intelligenten Infrastrukturen selbst die strategische und operative Kontrolle besitzen, bleibt für den Menschen nur die normative Kontrolle (Gransche et al. 2014, S. 42–50).
6 Fazit
Schon heute sammeln CPS-Anwendungen Informationen, verdichten sie und werten sie aus. Das Ziel ist die Prozessoptimierung. Hierbei wird der Automatisierungsgrad erhöht und der Kontrollfluss verändert. Big Data Analyseverfahren ermöglichen Efffizienzverbesserungen und die Blockchaintechnologie steht für das Versprechen, Interaktionen ohne Intermediäre zu ermöglichen. Die so entstehenden Infrastrukturen können Produktivität und den Nutzen für die beteiligten Menschen in und durch smarte Umgebungen erhöhen, aber auch ihre Freiheitsgrade vielfältig einschränken. Überall dort, wo der Mensch Teil eines cyberphysikalischen Systems ist, sieht er sich der technischen Systemsteuerung und Kontrolle gegenüber. Der Mensch wird Teil dieses Netzes, Teil eines cyberphysikalischen Systems, das die Freiheitsgrade für den Menschen vorgibt und ihn dadurch einschränkt. Hier ist zu diskutieren, in wieweit das gesellschaftlich gewünscht ist.
In heutigen soziotechnischen Systemen kann die Delegation der Mittelwahl, operative Strategieentscheidung, Aushandlung von Zielprioritäten bei der Verwaltung knapper Ressourcen durch technische Systeme autonom erfolgen. Die Zwecksetzung dieser Systeme ist i. A. wirtschaftlich begründet und wird nur zum Teil einer normativen Kontrolle unterworfen. Die Autonomie der Nutzer wird eingeschränkt. Daher ist es unabdingbar, dass ein seiner Verantwortung bewusster Innovationsprozess die Modellierung, die Realisierung und den Einsatz solcher Systeme begleitet.
Seit einigen Jahren rückt vermehrt in das Bewusstsein, dass nicht nur Routinearbeiten in einer Vielzahl von Berufen immer mehr durch Maschinen ersetzt werden können. Nein, der Wissensarbeiter selbst findet sich in einem veränderten Umfeld und sieht sich immer stärker in einem soziotechnischen Umfeld eingebettet. Die Technik ist aber nur in so weit autonom, dass sie zur operativen und strategischen Kontrolle fähig ist. Die normative Kontrolle verbleibt weiterhin allein Domäne des Menschen. Also ist es unsere Aufgabe zu fragen: „Welche Zukunft sollten wir für uns, unsere Mitmenschen und unsere Kinder wollen? Welche Fähigkeiten sehen wir als genuin menschlich und welchen Platz wollen wir ihnen in unserer Lebenswelt einräumen.“