5. KAPITEL

Alejandro hob die Augenbrauen, als er sah, dass Brynne und Miguel sich dem Tisch näherten, an dem er in Begleitung einer jungen Frau saß.

Er hatte nicht damit gerechnet, dass Antonia ihren Vater begleiten würde. Ärgerlicherweise wurde aus dem Treffen auf diese Weise eine weitere gesellschaftliche Verpflichtung, bei dem er nicht ernsthaft über Geschäfte reden konnte. War das Zufall, oder hatte Felipe Roig das absichtlich so eingefädelt?

Es war einfach gewesen, Antonia zu umschmeicheln, die Tochter von Felipe Roig, um an den alten Mann heranzukommen. Doch einiges deutete darauf hin, dass Antonia diese Schmeicheleien zu ernst nahm, und das wiederum könnte Felipe auf den Gedanken bringen, mehr Geld für das Land, das er zu verkaufen hatte, zu verlangen, als Alejandro zu zahlen bereit war.

Zugegeben, Antonia war eine Schönheit. Sie strahlte eine unglaubliche Leidenschaft aus und würde den Auserwählten, der sie eines Tages heiratete, ohne Zweifel mehr als glücklich machen – aber er würde nicht Alejandro Santiago heißen.

Er und Francesca hatten aus den falschen Gründen geheiratet, und ihre Ehe war ebenso unglücklich wie katastrophal gewesen. Er hatte nicht vor, diesen Fehler zu wiederholen.

Nach dem Treffen mit ihrem Vater war Antonia noch etwas länger am Tisch sitzen geblieben, obwohl Alejandro sie nicht darum gebeten hatte. Er hatte auch nicht vor, sie zum Lunch einzuladen. Doch jetzt, nachdem Brynne und Miguel das Restaurant betreten hatte, blieb ihm wohl nichts anderes übrig.

Als die beiden herantraten, stand er auf. Sein Lächeln war weniger herzlich, als er sich gewünscht hätte. „Hattet ihr einen schönen Vormittag?“, fragte er unverbindlich.

„Es war klasse“, antwortete Miguel lebhaft. „Wir sind in ganz vielen Geschäften gewesen, und im Café habe ich Kekse bekommen und Saft, und wir haben draußen gesessen. Und die Menschen haben sich Wasser in große Flaschen gefüllt, und das Wasser kam von einem Wasserfall, direkt aus den Bergen, und …“

„Langsam, Miguel, langsam“, lachte Alejandro und stoppte das aufgeregte Geplapper. Die ganze Zeit über spürte er Brynnes fragenden Blick auf sich. Abwechselnd musterte sie ihn und Antonia. „Miguel, ich möchte dich einer Freundin von mir vorstellen. Das ist Antonia Roig.“ Er legte Miguel eine Hand auf die Schulter und drehte ihn um, sodass er Antonia anschaute. „Antonia, das ist …“

„… dein Sohn“, beendete sie den Satz, während sie lächelnd aufstand. „Natürlich ist er das. Er sieht dir sehr ähnlich, Alejandro.“ Ihr Lächeln wurde warm, als sie zu ihm aufblickte.

Mit wachsender Beklemmung beobachtete Brynne die Szene. Michael begann gerade erst zu verstehen, dass Alejandro sein Vater war. Dieser arrogante Mann würde den Jungen doch sicherlich nicht so früh seiner zukünftigen Stiefmutter vorstellen?

Antonia Roig war wirklich wunderschön, doch wenn sie lächelte, schienen ihre Augen seltsam unbeteiligt zu bleiben. Vermutlich dachte sie gerade daran, dass Internate vorzügliche Einrichtungen waren – für alle Kinder außer ihren eigenen.

Doch bei dem aufregenden Körper bezweifelte Brynne, dass Alejandro ihr jemals in die Augen schaute.

Antonias Blick streifte Brynne, die noch stehen geblieben war. „Wie vernünftig von dir, dass du Miguels Kindermädchen mitgebracht hast.“ Sie bedachte Brynne mit einem herablassenden Lächeln, ehe sie sich wieder abwandte. „Alejandro, warum hast du nicht …“

„Aber Brynne ist nicht mein Kindermädchen“, unterbrach Michael sie kichernd. Die Spannung zwischen den drei Erwachsenen nahm er überhaupt nicht wahr. „Sie ist meine Tante. Tante Bry“, fügte er glücklich hinzu.

Oh ja, diese Augen sind sehr hart, entschied sie bitter, als Antonia sich ihr erneut zuwandte. Kritisch musterte Antonia sie vom roten Haarschopf bis zu den Sohlen ihrer Flipflops, ehe ihr Blick zu dem ungeschminkten sommersprossigen Gesicht zurückkehrte.

„Deine … Tante“, murmelte sie schließlich nachdenklich, ehe sie sich wieder an Alejandro wandte. „Ist das dieselbe Tante, die …“

Offensichtlich hatte Alejandro ihr noch nicht erzählt, dass die Tante, die in den letzten Wochen so viel Ärger gemacht hatte, Michael nach Mallorca begleitete.

„Genau die“, erklärte Brynne und reichte Antonia die Hand zur Begrüßung. „Brynne Sullivan. Leisten Sie uns beim Lunch Gesellschaft, Miss Roig?“, fügte sie hinzu, als die andere Frau ihre Begrüßung mit einer kurzen Berührung der Fingerspitzen erwiderte. Die Nägel waren knallrot lackiert.

Der rote Mund wurde ein bisschen schmaler. „Zu liebenswürdig, aber leider habe ich noch eine Verabredung in Palma“, erwiderte sie spitz. „Du denkst doch daran, dass wir dich zum Dinner erwarten, nicht wahr?“, fügte sie in Alejandros Richtung hinzu.

Nachdenklich nahm Brynne auf dem Stuhl Platz, den Antonia gerade geräumt hatte. Der arme Alejandro sah aus, als müsste er heute Abend einiges erklären.

„Natürlich habe ich es nicht vergessen“, sagte er. Sie fand, dass seine Stimme etwas ungeduldig klang. Zum Abschied küsste er Antonia auf beide Wangen.

„Wie schade, dass Miss Roig nicht bleiben konnte“, bemerkte Brynne trocken, als Antonia schließlich verschwunden war.

Er sah sie finster an, doch sie widmete sich mit äußerster Sorgfalt der Speisekarte. „Stimmt“, sagte er knapp, während er wieder am Tisch Platz nahm. Schließlich erwiderte sie seinen Blick mit unschuldigen großen Augen, und er wusste, dass sie sein leichtes Unbehagen spürte.

Aber was hätte er sonst tun sollen? Wenn er Antonia gedrängt hätte, mit ihnen zu essen, wäre es bei Brynnes Streitlust nur noch unangenehmer geworden. Heute Abend hatte er noch genügend Zeit, um Antonia alles zu erklären und sie zu besänftigen.

„Das sieht alles sehr lecker aus. Was können Sie empfehlen?“, fragte Brynne und klappte die Karte zu. Sie hatte ihre Sonnenbrille abgesetzt, und die blauen Augen schimmerten voller Übermut.

Mit diesem unschuldigen Gesichtsausdruck sah sie nicht sehr viel älter aus als ein junges Mädchen. Sie trug kein Make-up, und die Haare wurden von einem grünen Band zurückgehalten, das gut zu ihrem Top passte.

Doch sie sah einfach zu unschuldig aus.

„Alles“, erklärte er achselzuckend. Dann wandte er seine Aufmerksamkeit Miguel zu, um ihm bei der Auswahl zu helfen.

Überraschenderweise genoss sie den gemütlichen Lunch. Alejandro und sie ignorierten einander die meiste Zeit, Michael entspannte sich in Gegenwart seines Vaters, das Essen war ausgezeichnet, und der Wein, den Alejandro bestellte, rundete die Mahlzeit perfekt ab. Der Ausblick von der schattigen und angenehm kühlen Terrasse war einfach fantastisch. Sie überblickten das ganze Tal bis hinunter zum Meer.

Als sie zur Villa zurückfuhren, war Brynne so gelöst wie noch nie seit ihrer Ankunft auf Mallorca. Es war jetzt heißer als am Morgen, und die ganze Insel schien Siesta zu halten. Auf der Straße war wenig los; selbst die Bergziegen und streunenden Hunde hatten sich ein schattiges Plätzchen gesucht.

Michael kümmerte sich nicht um die Siesta und war glücklich, den Nachmittag wieder am und im Swimmingpool verbringen zu können. Brynne faulenzte genüsslich im Liegestuhl und dachte ausgiebig über die Vorzüge einer ausgedehnten Mittagspause nach. Das gute Essen und der Wein hatten sie schläfrig gemacht.

Doch Alejandro lag auf dem Liegestuhl neben ihr, und in seiner Gegenwart würde sie sich nie genügend entspannen können, um ein bisschen zu dösen.

„Sie werden heute Abend also wieder ausgehen?“, fragte sie im Plauderton, als sie sich aufsetzte und nach der Sonnenmilch griff.

„Wieder …?“, hakte Alejandro leise nach und schaute sie an. Mit den Blicken verfolgte er ihre Bewegungen, als sie sich vorbeugte, um die langen Beine einzucremen.

„Ich habe gesehen, wie Sie gestern Abend weggefahren sind.“ Sie hob die Schultern.

Doch offensichtlich hatte sie nicht gesehen oder gehört, dass er zwei Stunden später wieder zurückgekommen war.

Seine Abfahrt allein genügte ihr anscheinend schon, um ihre Schlüsse zu ziehen. Und das Treffen mit Antonia heute bestärkte sie anscheinend darin.

Aber wie kam diese Frau eigentlich darauf, dass sie irgendein Recht hatte, sein Privatleben zu kommentieren?

Seine Gedanken fuhren Achterbahn, als Brynne ihr Top hochschob und sich den Bauch eincremte. Der Bauch war flach und fest, die Haut schimmerte wie Samt, und die Schwellung ihrer Brüste war gerade eben unter dem Stoff zu erkennen.

Was ist nur in mich gefahren? dachte er. Diese Frau ist Miguels angeheiratete Tante, sie ist die reinste Nervensäge, und ich sollte mich in keiner Weise von ihren Reizen angezogen fühlen.

„Möchten Sie einen Kommentar über meine Abendverabredung abgeben?“, sagte er scharf, doch er wusste, dass er sich mehr über sich selbst als über Brynne ärgerte.

Sie war wie ein festsitzender Stachel im Fleisch, und er konnte es kaum abwarten, sie wieder loszuwerden. Was spielte es also für eine Rolle, wenn sie einen geschmeidigen schönen Körper hatte und ihre Haut wie Seide aussah? Selbst die Sommersprossen, die ihren gesamten Körper bedeckten, wirkten unglaublich verführerisch, und er stellte sich vor, jede einzelne aufzuspüren und zu küssen …

„Ganz und gar nicht.“ Bei seiner Frage schaute Brynne überrascht auf. „Ich wollte mich nur nett unterhalten“, erklärte sie gelassen.

Und das sollte er ihr glauben?

Doch er war nicht mit Antonia zusammen, wie Brynne vielleicht glaubte. Mit Antonia zu flirten war eine Sache, aber niemals vermischte er Geschäftliches mit privatem Vergnügen, so wie jenes, an das er gerade eben noch gedacht hatte. Anscheinend erhofften sich Antonia und ihr Vater jedoch mehr von ihm, nachdem er Interesse an Antonia gezeigt hatte.

Aber er hatte nicht vor, noch einmal zu heiraten. Die Erfahrungen seiner Ehe waren zu schmerzhaft gewesen, und jetzt, wo er mit Miguel einen Erben bekommen hatte, war es auch nicht mehr nötig.

Wenn Felipe Roig ihm nur nicht immer so ausweichen würde!

Unvermittelt stand er auf. „Ich muss noch ein paar Anrufe erledigen.“

„Sie sind ein viel beschäftigter Mann.“ Brynne sah ihn mit dem für sie so typischen spöttischen Lächeln an und legte das Kinn auf die angezogenen Knie.

Sein Blick war kühl, als er zu ihr hinunterschaute. „Ja, ich habe geschäftliche Verpflichtungen“, erwiderte er knapp.

„Wie angenehm für Sie, wenn Ihre Geschäftspartner so attraktiv sind wie Antonia Roig.“

Alejandro verspannte sich. „Nicht, dass es Sie irgendetwas anginge, aber ich mache nicht mit Antonia Geschäfte, sondern mit ihrem Vater Felipe.“

„Wirklich?“, fragte sie spitz. „Den Eindruck hatte ich aber nicht.“

„Das geht Sie nichts an.“

„Aber Sie werden heute Abend zu Miss Roig zum Dinner fahren.“ Brynne ließ nicht locker, denn wenn er vorhatte, Antonia zu heiraten und damit zu Michaels Stiefmutter zu machen, ging es sie sehr wohl etwas an.

„Ich bin einer von mehreren geladenen Gästen bei Antonias Vater“, erklärte er ungeduldig.

„Ach so“, murmelte sie gedehnt und genoss es, diesen Mann, der sich normalerweise vollkommen unter Kontrolle hatte, zur Abwechslung einmal nervös zu sehen.

„Sie sind wirklich die … merkwürdigste Frau, die mir je begegnet ist.“

Lächelnd erwiderte Brynne: „Das fasse ich als Kompliment auf.“

„Das würde ich an Ihrer Stelle nicht tun. Ihre Nähe ist alles andere als erholsam.“

Jetzt lachte sie leise. „Das ist das Netteste, was Sie je zu mir gesagt haben, Alejandro!“

Es war kaum zu glauben. Mit ihrer Offenheit brachte sie ihn jedes Mal auf die Palme. Sie nahm sich viel zu viel heraus. Doch andererseits musste er zugeben, dass er sich in Gegenwart dieser Frau noch keinen Augenblick gelangweilt hatte.

Für einen Mann, der vor Jahren jedes Interesse an der Liebe verloren hatte und sich seitdem nur noch auf kurze Affären einließ, war diese Erkenntnis ziemlich verstörend. Er schüttelte den Kopf. „Ich muss jetzt wirklich telefonieren. Was ist denn jetzt noch?“, fragte er frustriert, als Brynne erneut die Stirn runzelte.

„Ich frage mich nur, ob Sie vorhaben, auch einmal etwas Zeit mit Michael zu verbringen.“

Verständnislos starrte Alejandro sie an. „Aber ich habe doch gerade mit Ihnen und Miguel zu Mittag gegessen.“

„Zusammen zu essen und Zeit miteinander zu verbringen sind zwei völlig unterschiedliche Dinge.“

Er holte tief Luft. Niemand, wirklich niemand, wagte es, so mit ihm zu reden! „Sagen Sie, Brynne, haben Sie schon einmal versucht, einen wilden Hengst zu bändigen?“

Verwirrt schaute sie ihn an. „Äh, nein.“

Er nickte. „Andernfalls hätten Sie gewusst, dass man dazu Geduld braucht. Sie müssen den Hengst erst an Ihre Anwesenheit und an Ihre Stimme gewöhnen. Erst dann können Sie daran denken, ihn zu berühren. Und noch länger dauert es, bis Sie ihm zum ersten Mal das Zaumzeug anlegen können. Wenn Sie es zu schnell versuchen, werden Sie das Tier vielleicht brechen, aber nicht zähmen.“

Ungläubig starrte sie ihn an. „Versuchen Sie mir zu sagen, dass Sie Michael genauso behandeln wollen wie ein wildes Pferd?“

Er hob die breiten Schultern. „Es ist eine oft erprobte und erfolgreiche Methode.“

„Sie … Sie …“ Ihre Wangen waren gerötet, und die Augen blitzten vor Zorn, als sie aufstand und ihm direkt ins Gesicht sah. „Sie sind einfach widerlich, wenn Sie meinen, einen verletzlichen sechsjährigen Jungen behandeln zu können wie ein Tier.“

„Und Sie haben nie versucht zu verstehen, wie schwer die Situation für mich ist.“

„Oh, verzeihen Sie“, sagte sie sarkastisch. „Aber Sie stehen bei mir wahrlich nicht an erster Stelle.“

„Aber Miguel tut es ebenso wenig. Ihnen geht es doch nur darum, das Schlechteste von mir zu denken!“

„Ich würde von jedem Mann schlecht denken, der sich sechs Jahre lang vor der Verantwortung für sein Kind drückt.“

„Sie haben keine Ahnung, was vor sieben Jahren zwischen Joanna und mir vorgefallen ist.“

„Ich weiß genug“, versicherte sie ihm. „Immerhin hat sie Ihnen so wenig vertraut, dass sie Ihnen nichts von dem Kind erzählt hat.“

Seine Brust hob und senkte sich hastig, als er versuchte, seine Gefühle unter Kontrolle zu halten. Er sagte sich, dass sie nur Vermutungen äußerte, da sie die Fakten nicht kannte. Sie verurteilte ihn aufgrund ihrer Einbildung und nicht aufgrund dessen, was vor sieben Jahren wirklich geschah.

Doch es gelang ihm nicht, seine Wut zu bezähmen. „Ich rate Ihnen, nicht über die Dinge zu urteilen, von denen Sie nichts verstehen“, sagte er.

„Ich verstehe Sie nur zu gut“, erklärte Brynne mit blitzenden Augen. „Sie sind kalt. Sie sind zurückhaltend. Und Ihre besserwisserische Arroganz ist einfach unerträglich.“

Unentschlossen sah er sie mehrere Sekunden lang an, während er hin und her schwankte, ob er sich ein weiteres Wortgefecht mit ihr liefern oder sie in seine Arme reißen und sie küssen sollte, bis sie den Verstand verlor.

Der letzte Impuls war stärker.

Er packte sie und zog ihren schmalen Körper an sich. Er spürte die zarte Haut, als er sie umarmte und ihre sinnlichen Lippen küsste.

Der Kuss kam so unerwartet und war so leidenschaftlich, dass Brynne gar nichts anderes übrig blieb, als ihn zu erwidern. Es war, als würde sie sich in Alejandro verlieren. Jeder Teil ihres Körpers schien mit seinem zu verschmelzen …

Doch in diesem Augenblick stieß er sie von sich, drehte sich um und vergewisserte sich, dass Michael nichts gesehen hatte.

„Ich muss gehen“, murmelte er schließlich entschlossen, ehe er auf dem Absatz kehrtmachte und zur Villa ging. Sein Rücken und die Schultern waren unnatürlich starr.

Brynne sah ihm nach. Sie war sich der Tatsache sehr wohl bewusst, dass sie sich nicht gegen den Kuss gesträubt hatte. Stattdessen spürte sie mit jeder Faser ihres Körpers das Bedauern darüber, dass er so schnell zu Ende gegangen war.