Es hatte sie mehr als nur ein paar Tausend Peseten gekostet, es hatte Ruth ihren ganzen Stolz gekostet, so etwas überhaupt tun zu müssen. Nun, hoffentlich würde sich die Ausgabe bezahlt machen.
Sie fuhr einen schmalen unbefestigten Weg hinauf, noch immer aufgebracht über Fernandos Verhalten. Als Ruth ihre Geldbörse geöffnet hatte, hatte der junge Mann ihr bereitwillig Auskunft gegeben. Fernando Serra hatte ihm also aufgetragen, ihr kein Zimmer zu geben! Wie konnte er es bloß wagen!
Casa Pinar war nicht schwer zu finden. Der Privatweg führte sie dorthin. Vor dem großen schmiedeeisernen Gitter sprang Ruth aus dem Wagen. Die hohen Mauern sahen aus wie eine Burg, sie waren von blühenden Bougainvilleen überwachsen. Gerade wollte sie wütend an dem großen Tor rütteln, als es sich plötzlich öffnete.
Schnell sprang Ruth in ihren Wagen und fuhr den Weg zum Haus entlang. Von Sicherheit scheint man hier nicht viel zu halten, dachte sie. Immerhin könnte ich ja auch ein Einbrecher sein!
Vor dem großen, im maurischen Stil erbauten Haus hielt sie an. Das also war Fernandos Zuhause – und natürlich auch das von Maria Luisa. Bis hierher hatte ihre Wut sie geführt, jetzt fühlte sie sich nicht mehr ganz so selbstsicher. Hier lebten die beiden zusammen, diesen Gedanken konnte sie kaum ertragen. Aber wenigstens so lange, bis sie ihm ihren Zorn ins Gesicht geschrien hätte, würde sie es aushalten müssen.
„Wie viel hat es dich gekostet?“
Ruth drehte sich sprachlos um. Fernando schien wie aus dem Nichts aufgetaucht zu sein, er war gar nicht überrascht, sie zu sehen. Er trug weiße Tennisshorts, ein weißes Hemd und hielt einen Tennisschläger in der Hand. Tennis war ein Spiel für zwei, sie hätte vielleicht doch besser nicht kommen sollen. Sie blickte besorgt an ihm vorbei und wartete auf Maria Luisa.
„Sie ist nicht hier“, meinte er mit leisem Spott in der Stimme. „Sie ist für ein paar Tage weggefahren. Also, wie viel hat es dich gekostet?“
„Was?“
„Die Bestechung. Hast du nicht einmal gesagt, du würdest nur zur Bestechung greifen, um ein Menschenleben zu retten? Du hast behauptet, du würdest mein Leben retten, weil es das wert sei.“
„Die Situation hat sich aber geändert, Fernando. Heute würde ich für dein Leben keine Peseta mehr geben.“
Er lachte. „Aber du hast bezahlt, um herauszufinden, wo du mich finden kannst. Ich fühle mich geschmeichelt.“
Sie hätte wissen müssen, dass der junge Mann an der Rezeption Fernando Bescheid sagen würde. Sicher hatte er sofort mit ihm telefoniert, nachdem sie aus dem Hotel gestürmt war. Kein Wunder, dass das große Tor nicht verschlossen gewesen war, kein Wunder, dass er gar nicht überrascht zu sein schien, sie zu sehen. Er hatte sie erwartet.
„Darauf brauchst du dir nichts einzubilden“, fuhr sie ihn an. „Ich wollte dir nämlich nur sagen, was für ein Mensch du bist, was für ein erbärmlicher Kerl! Jetzt geht es mir schon besser.“ Sie hob den Kopf und lächelte ihn übertrieben freundlich an. „Und jetzt werde ich zurückfahren und diesem dummen Jungen sagen, wie naiv er ist, und wenn er mir nicht sofort den Schlüssel zu dem Zimmer gibt, das ich bestellt und bereits angezahlt habe, werde ich so lange Terror machen, bis ich mit seinem Boss sprechen kann. Und sag mir nicht, dass du sein Boss bist, denn er hat mir erzählt, dass sein Boss Enrique Armangual heißt und nicht Fernando Serra!“
Fernando lachte. „Aber er ist mein Cousin“, erklärte er freundlich.
Ruth stockte beinah das Herz vor Wut. „Du … Bastard!“, gab sie außer sich zurück.
Noch immer lachend forderte er sie heraus: „Wie, noch weitere Bemerkungen?“
Ruth schüttelte verzweifelt den Kopf. „Wie weit wirst du denn noch gehen, um meine Geschäfte zu zerstören? Ich frage ja gar nicht, wie viele Telefongespräche du geführt hast, bis du herausgefunden hast, wo ich ein Zimmer bestellt habe …“
„Nur eines“, unterbrach er sie. „Wenn es um Informationen geht, ist die Insel wirklich sehr klein.“
„Nun, du wirst auf keinen Fall gewinnen, denn ich werde ein anderes Zimmer finden. Du und dein Cousin besitzt diese Insel nicht.“
„Das stimmt, aber wir können dir immerhin große Schwierigkeiten bereiten.“
„Und das wirst du wahrscheinlich auch tun. Ich verabscheue dich, Fernando, und das alles nur wegen Maria Luisa. Ich dachte, du seist ein ehrlicher Mann.“ Sie wandte sich ab und wollte wieder in ihren Wagen steigen, doch er versperrte ihr den Weg.
„Ich habe nicht die Absicht, dein Geschäft zu zerstören, du kannst in Frieden weiterarbeiten … wenn ich dich wieder gehen lasse.“ Er wurde plötzlich ganz ernst. „Es war der schwärzeste Tag meines Lebens, Ruth, als ich deinem bezaubernden Charme verfallen bin. Es interessiert mich, ob du diesen Charme noch immer besitzt, denn du wirst ihn in den nächsten Tagen brauchen können.“
Ruth runzelte die Stirn. „Was willst du damit sagen? Du kannst mich doch nicht …“ Sie lachte nervös auf. „Du hast die Absicht, mich hierzubehalten?“ Das konnte doch nicht sein Ernst sein … warum denn auch? Verzweifelt sah sie sich um. Außer dem Haus gab es hier nur Pinien … und diese schrecklich hohe Mauer …
Ruth schob ihn zur Seite und kletterte in den Wagen. Er wollte sie nur necken, er konnte sie doch nicht einfach hier gefangen halten. Sie startete den Motor, während Fernando ihre Reisetasche aus dem offenen Wagen holte.
„Lass die Finger davon!“, fuhr sie ihn an, als er die Tasche auf die Terrasse neben die Tür stellte. Sie legte den ersten Gang ein und wollte gerade losfahren, als er plötzlich neben ihr stand.
„Du wirst nicht durch das Tor kommen, Ruth, es ist abgeschlossen“, warnte er sie. „Vielleicht könntest du über die Mauer klettern, aber was dann?“
„Ich werde laufen!“, schrie sie. „Aber ich glaube, das wird nicht nötig sein. Dieser nette kleine Wagen wird dein Tor schon schaffen.“ Sie ließ den Motor aufheulen.
„Die Autovermietung wird aber sicher nicht begeistert sein, Querida – das heißt, wenn du den Wagen überhaupt noch starten kannst, nachdem du zwei Tonnen Stahl damit gerammt hast.“
„Es wäre mir den Preis eines Neuwagens wert, nur um von dir fortzukommen!“ Sie löste die Handbremse.
„Das ist es sicher nicht wert! Die Kosten eines neuen Wagens würden den Gewinn des Geschäfts übersteigen, das du hier abschließen möchtest.“ Er streckte die Hand in den Wagen und drehte den Zündschlüssel herum, dabei strahlte er übers ganze Gesicht. „Warum kommst du nicht einfach mit mir ins Haus und gestehst deine Niederlage ein, nach einem kühlen Drink und einem erfrischenden Sprung in den Swimmingpool?“
„Niederlage?“, schrie sie wütend. „Du hast mich nicht besiegt!“
„Natürlich habe ich das. Ich habe dich sehr erfolgreich hierhergelockt, und ich werde dich hierbehalten. Und das bedeutet, dass ich der Gewinner bin und du der Verlierer, ganz gleich, in welcher Sprache du es ausdrückst!“
„Du hast mich hierhergelockt?“, rief Ruth ungläubig. „Du meinst … nein, du konntest auf keinen Fall ahnen, dass ich versuchen würde, den Mann zu bestechen.“
„Nein, das war nur ein zusätzlicher Bonus für ihn.“ Noch immer lachte er. „Aber du bekommst dein Geld zurück“, versicherte er ihr. „Die Information hättest du auch umsonst bekommen, wenn du ein wenig mehr gedrängt hättest und etwas geduldiger gewesen wärst. Der Mann war darüber unterrichtet, dir alles zu sagen, nur sollte er dich zunächst ein wenig zappeln lassen.“
„Du … du … du bist doch vollkommen verrückt! Also, du hast es geschafft, mich hierherzubekommen, aber was um alles in der Welt hast du hier mit mir vor?“
Jetzt lächelte er nicht mehr, sein Gesicht war ganz ernst geworden, und seine Augen blickten kalt. „Du sollst dafür bezahlen, Querida“, erklärte er. „Du sollst bezahlen.“
Einen Augenblick lang sah er sie noch eindringlich an, dann wandte er sich ab und ging zur Haustür, ihre Reisetasche nahm er mit.
„Wofür soll ich bezahlen?“, rief sie ihm nach. „Für Steve? Ist es etwa eine Art Rache dafür, dass er der frühere Liebhaber deiner kostbaren Geliebten ist?“ Wie sehr musste Fernando diese Frau lieben, wenn er so weit ging! „Was erwartest du denn, Fernando? Glaubst du, Steve wird hier nach mir suchen und du kannst ihn dann zur Rede stellen, dass er mit ihr geschlafen hat, ehe du es getan hast? Die Beziehung der beiden ist schon lange vorbei. Maria Luisa gehört jetzt dir …“
„Und du hast Steve zurück“, warf er ihr vor. „Da sollten wir doch eigentlich alle zufrieden sein. Aber ich glaube, dein Partner hat sich keinen Augenblick lang Gedanken darüber gemacht, dass er ein gebrochenes Herz in Sevilla zurückließ. Maria Luisa hat ihn geliebt!“
Ihr ganzes Mitgefühl gehörte Steve. Wahrscheinlich hatte sich Maria Luisa in ihrer Verzweiflung an Fernando gewandt, nachdem Steve Sevilla wieder verlassen hatte. Und jetzt war Fernando besessen von ihr und tat verrückte Dinge, wie zum Beispiel, sie gegen ihren Willen hierzubehalten, um sich an Steve zu rächen.
„Steve hat sie angerufen, aber sie hat nie zurückgerufen, wahrscheinlich, weil du dich bereits in ihr Leben gedrängt hattest. Wie kannst du es wagen, Steve einen Vorwurf zu machen, wo doch du …“ Plötzlich füllten sich Ruths Augen mit Tränen, und sie trat einen Schritt zurück. „Lass mich gehen, Fernando“, bat sie leise. „Ich … ich möchte da nicht mit hineingezogen werden. Steve und Maria Luisa …“ Sie schüttelte verzweifelt den Kopf. Alles drehte sich nur um diese beiden, sie und Fernando existierten gar nicht.
„Es tut weh, nicht wahr?“, fragte er leise.
„Ja“, hauchte sie. „Jede Erinnerung an Sevilla tut weh.“ Sie sah ihn an und hoffte, dass er in ihren Augen lesen könnte, dass die Wahrheit nichts mit Steve oder Maria Luisa zu tun hatte. Sie hatte ihn damals geliebt und liebte ihn auch heute noch. Aber das würde er nie begreifen, denn sein Herz war gefangen von der neuen Liebe seines Lebens.
„Ich werde dir einen Drink bringen“, meinte er und wandte sich ab. „Und dann kannst du dich hier einrichten.“ Er öffnete die schwere Haustür und ging ins Haus, Ruth ließ er auf der Terrasse stehen.
Die einladende Kühle des Hauses verlockte Ruth. Sie war durstig, und vielleicht würde sich Fernando bei einem Drink so weit beruhigen, dass er sie nach Palma zurückfahren ließe. Sie würde mit Steve reden und sich dann wahrscheinlich dazu entschließen, den ganzen Plan fallen zu lassen und nach England zurückzukehren. Aber verflixt, sie mussten auch an ihre Kunden denken. Und was geschähe, wenn Steve und Maria Luisa nun wieder zusammenkämen? Wie würde Fernando Serra dann reagieren? Mit trüben Gedanken folgte sie ihm ins Haus.
Ohne ein Wort ging er vor ihr her, erst als sie unten an der großen Treppe angekommen waren, sprach Ruth.
„Fernando“, sagte sie leise. „Das ist doch lächerlich. Ich kann hier nicht bleiben.“
„Du kannst und du wirst“, gab er über seine Schulter zurück. „Du hast gar keine andere Wahl.“
Benommen folgte sie ihm nach oben. Die Räume, die er ihr zeigte, waren kühl und angenehm; vor dem großen Fenster des Schlafzimmers gab es sogar einen kleinen Balkon. Wenn sie sich erfrischt habe, solle sie nach unten kommen und am Pool etwas mit ihm trinken, erklärte er ihr.
Er war so störrisch und altmodisch, doch waren es nicht gerade diese Eigenschaften, die sie zuerst angezogen hatten? Er wusste, was er wollte, und meistens bekam er es auch, sein Hotel-Imperium war Beweis genug dafür. Und nach den Männern, die sie kennengelernt hatte, wirkte seine altmodische Art eben erfrischend. Er war höflich, rücksichtsvoll und behandelte sie, als sei sie etwas ganz Besonderes. Und das war sie auch gewesen, dachte sie, als sie mit zusammengebissenen Zähnen unter der Dusche stand. Er hatte es ihr gesagt, und was war dann passiert? Warum nur hatte er sie so einfach wieder gehen lassen, und warum tat er ihr das jetzt an?
Sie zog die Sachen wieder an, in denen sie gekommen war – schwarze Bermudashorts und ein dünnes schwarzes Oberteil. Ihre leicht gebräunte Haut, ihr glänzendes schwarzes Haar und ihre strahlend blauen Augen hellten die dunkle Kleidung auf.
Fernando hatte ihr in Sevilla immer gesagt, dass sie bewundernswert sexy aussähe in Schwarz …Teufel, warum nur musste sie immer wieder an die Vergangenheit denken?
Ruth ging nach unten und betrat dann den großen Innenhof, der vom Wasser eines Springbrunnens wunderbar gekühlt wurde. Voller Staunen sah sie sich um. Fernandos Zuhause war herrlich, schattig und kühl. Überall standen große Keramiktöpfe mit Farnen und blühenden Geranien, es gab Ecken mit Steinbänken, die von Jasmin überwuchert wurden. Trotz ihres inneren Aufruhrs fühlte sie die Ruhe, die von Fernandos Zuhause ausging.
Der Swimmingpool war dem Haus angepasst. Es war nicht etwa ein Pool von olympischen Ausmaßen, sondern ein geschwungenes Becken aus Natursteinen mit kristallklarem Wasser, an dessen Rand Sonnenschirme und rustikale Holztische standen.
An einem dieser Tische saß Fernando und las die Zeitung, als hätte er keine anderen Sorgen auf dieser Welt. Und wahrscheinlich hat er auch keine, dachte Ruth, abgesehen davon, dass er überlegt, wie er Steve und mich quälen kann.
Sie setzte sich ihm gegenüber, und er sah auf. „Jetzt siehst du schon etwas besser aus“, meinte er, faltete die Zeitung zusammen und legte sie beiseite.
„Das kann ja sein, aber trotzdem fühle ich mich nicht besser, Fernando. Ich verstehe nicht, warum du mich unbedingt hierbehalten willst.“
„Entspanne dich und genieße deinen Aufenthalt hier!“
„Ich bin nicht nach Mallorca gekommen, um mich zu entspannen, ich bin gekommen, um zu arbeiten, und du hältst mich davon ab.“
Er beugte sich vor und goss ihr ein Glas frisch gepressten Orangensaft ein. „Es gibt wichtigere Dinge als die Arbeit, Ruth“, erklärte er ernst. „Ich dachte, das hättest du nach all der Zeit begriffen.“ Er sah sie fragend an. „Aber offensichtlich ist das nicht so“, meinte er nach einer Weile.
Ruth errötete tief und vermied es, ihn anzusehen. Dieser verdammte Egoist, ihre Arbeit bedeutete ihr sehr viel. Er war nicht fair, und schon vor einem Jahr war er nicht fair gewesen. Aber war sie denn fair ihm gegenüber? Warum hatten sie sich nicht damals mit all ihren Problemen auseinandergesetzt? Jetzt war es wohl zu spät.
„Ich will dich ja auch gar nicht von deiner Arbeit abhalten“, meinte er, als habe er ihre Gedanken erraten. „Ich will sie nur ein wenig hinauszögern.“
„Aber warum?“
„Weil ich es so möchte. Und jetzt erzähl mir, was dein Geliebter gesagt hat, als er gestern Abend nach Hause gekommen ist.“
Ruth nahm einen großen Schluck von ihrem Saft. „Du meinst wohl, als er heute Morgen nach Hause gekommen ist“, bemerkte sie herausfordernd. Doch schon als sie diese Worte aussprach, war ihr klar, dass er das wahrscheinlich bereits wusste.
„Ja, der Morgen war beinah angebrochen, nicht wahr? Und was hast du gefühlt, als er um diese Zeit zu dir ins Bett schlüpfte?“
Sie wollte ihm wehtun, wie er ihr wehtat; deshalb lächelte sie ihn nur bezaubernd an und fragte: „Und was hast du gefühlt, Fernando, als Maria Luisa um diese Zeit in dein Bett schlüpfte?“
Er zog die Augenbrauen zusammen. „Das ist nicht komisch.“
„Das finde ich auch“, antwortete sie. „Hollywood würde einen solchen Stoff wahrscheinlich ablehnen, weil er an den Haaren herbeigezogen wirkt. Aber das Leben ist eben noch faszinierender als ein Roman.“
„Mir scheint, du nimmst das Ganze gar nicht so ernst.“
„Wieso sollte ich? Du stellst doch nur dumme Fragen.“ Sie seufzte plötzlich auf und strich sich das Haar aus dem Gesicht. „Ich habe mit Steve noch gar nicht gesprochen. Ich bin abgefahren, als er noch schlief …“
„Ihr habt nicht miteinander gesprochen?“, unterbrach Fernando sie mit gerunzelter Stirn.
„Es ist mir gleich, was Steve und Maria Luisa die ganze Nacht gemacht haben …“
„Mir aber nicht“, unterbrach er sie wieder. „Ich habe dir gesagt, ich möchte nicht, dass sie noch einmal so leidet.“
„Und warum hast du sie dann gestern im Restaurant nicht festgehalten und geduldet, dass Steve ihr nachgelaufen ist? Du hättest ihr folgen sollen!“ Ruth schüttelte den Kopf. „Wenn du wirklich so besorgt um sie wärest, hättest du dich durch mich sicher nicht abhalten lassen. Ich glaube, du wolltest, dass die beiden sich aussprechen, aber … aber wahrscheinlich sollte es nicht die ganze Nacht dauern.“
Mit halb geschlossenen Lidern warf sie ihm einen verstohlenen Blick zu. Vielleicht hatte er geglaubt, Maria Luisa würde so besser Steve vergessen können. Es tat ihr weh, dass Fernando sich so viel aus einer anderen Frau machte. Sie wollte ihm wehtun, aber weshalb wollte sie so etwas tun, wenn sie ihn doch liebte?
„Du hast recht“, meinte er nach einer Weile. „Ich habe keinen Sinn darin gesehen, sie voneinander fernzuhalten, aber ich habe nicht damit gerechnet, dass sie so viel Zeit miteinander verbringen. Für Maria Luisa gab es eine Menge Dinge, mit denen sie erst fertig werden musste.“
„Liebst … liebst du sie sehr?“, fragte sie. Auch wenn es sie schmerzte, sie musste es wissen. Sie liebte diesen Mann, und sie wusste im Augenblick mehr als er. Sie wusste, dass Steve Maria Luisa anbetete und dass die Möglichkeit bestand, dass die beiden wieder zueinanderfinden würden. Wenn das so wäre, dann würde Fernando darunter leiden. Und dieser Gedanke genügte, um den Wunsch, ihm wehzutun, sofort wieder verschwinden zu lassen.
„Ich glaube, ich habe dir diese Frage schon beantwortet“, meinte er. „Aber jetzt möchte ich dir auch eine Frage stellen. Liebst du Steve sehr?“
So konnte das nicht weitergehen. „Fernando“, begann sie leise. „Mir liegt sehr viel an Steve.“
„Und du liebst ihn.“
„Nein, ich liebe ihn nicht, nicht so, wie du meinst.“
„Aber du lebst mit ihm, du schläfst mit ihm …“
„Das ist nicht wahr!“, rief sie. „Das muss aufhören, Fernando. Steve und ich haben eine wundervolle geschäftliche Beziehung zueinander. Wir arbeiten gut zusammen, und wir sind wirklich gute Freunde …“
Fernando zog die Augenbrauen zusammen und sah Ruth ungläubig an. Sie seufzte.
„Ja, ich weiß, das klingt abgedroschen, aber es ist die Wahrheit. Es gibt keine andere Beziehung zwischen uns. Kannst du denn nicht verstehen, dass ein Mann und eine Frau auch eine andere Art Beziehung haben können?“
„Nein“, erklärte er. „Das kann ich nicht. Wenn ich dich vielleicht nicht so gut kennen würde, könnte ich mir das vorstellen. Aber ich kenne deine Sinnlichkeit und deine Wünsche …“
„Wirst du damit aufhören?“, fuhr sie ihn an. „Das klingt ja, als sei ich eine verrückte Nymphomanin. Ich war einmal verlobt, und das war ein Fehler. Ich hatte Glück, dass ich die Verlobung ohne große Schwierigkeiten auflösen konnte. Dann traf ich dich, und das ist schon alles. Ich schlafe nicht mit Steve, ich habe das vor unserem Aufenthalt in Sevilla nicht getan und auch später nicht. Bist du jetzt zufrieden?“
„Ganz und gar nicht“, gab er kalt zurück. „Ich glaube dir einfach nicht. Gestern Abend hast du es nicht abgestritten, warum also jetzt?“
„Gestern Abend wollte ich es nicht abstreiten“, fuhr sie ihn an. Sie hörte die Zikaden in den Olivenbäumen, und ihr Magen verkrampfte sich bei den Erinnerungen, die das melodische Zirpen in ihr hervorrief. „Gestern Abend wollte ich dich eifersüchtig machen“, gab sie zu. „Du hast mir vorgeworfen, dass Steve mein Geliebter sei, und ich habe das nicht abgestritten.“
Er lächelte. „Du hast es nicht abgestritten, weil Maria Luisa bei mir war. Jetzt ist sie nicht hier. Ich frage mich, was du damit beabsichtigst.“
„Sicher will ich nicht deine unsterbliche Liebe und Zuneigung damit gewinnen“, gab Ruth kalt zurück. „Vergiss nicht, ich bin nicht aus freiem Willen hier. Hättest du mich in Ruhe gelassen, wäre ich jetzt nicht hier. Und ich streite jetzt meine sogenannte Affäre mit Steve ab, weil ich deine Vorwürfe leid bin, die sowieso grundlos sind. Dir ist es ja auch ganz gleich, was ich tue, du sorgst dich nur um Maria Luisas Gefühle.“
„Du hast wohl gar nicht daran gedacht, dass ich wirklich eifersüchtig war, als ich euch beide gestern Abend zusammen gesehen habe?“, fragte Fernando jetzt mit sanfter Stimme.
„Nein, sicher nicht. Du wusstest, dass Steve mein Geschäftspartner ist, und damals in Sevilla hast du mir ja auch nicht den Vorwurf gemacht, eine Affäre mit ihm zu haben.“
Er sah ihr tief in die Augen. „Letztes Jahr war ich verrückt nach dir und blind für alles andere“, erklärte er ruhig.
Mehr sagte er nicht, doch Ruth genügte es. Er hatte sie damals geliebt, aber heute liebte er sie nicht mehr. Nun, das wusste sie ja schon, doch es verminderte ihren Schmerz nicht.
„Und jetzt bist du verrückt nach Maria Luisa“, flüsterte Ruth und blickte auf ihre Hände, die sie im Schoß verkrampft hatte. „Ich verstehe dich nicht, Fernando. Wir sitzen hier und reden über die beiden, aber was hat das mit uns zu tun, und warum hältst du mich hier gefangen? Steve wird mich nicht holen kommen.“
„Das habe ich auch nicht erwartet“, wehrte er ab. „Ich möchte ihn gar nicht wiedersehen. Ich hoffe nur, du hast ihm meine Warnung weitergegeben, denn ich habe sie ernst gemeint. Ich werde ihn ruinieren, wenn er ihr wieder wehtut.“
Ruth runzelte die Stirn. „Ich verstehe dich wirklich nicht. Ich dachte, du tust das alles nur, um dich an Steve zu rächen, weil er eine Affäre mit Maria Luisa gehabt hat.“
„Da irrst du dich. Ich habe dir gesagt, ich will dich hierbehalten, damit du bezahlst.“ Er stand auf und nahm seine Zeitung.
„Aber wofür? Ich habe doch nichts getan“, protestierte sie. „Ich schlafe nicht mit meinem Partner, und ich bin auch nicht schuld daran, dass Maria Luisa gelitten hat. Das ist dein Problem.“
„Ja, es ist mein Problem. Und du bist die Lösung dafür, Querida!“
Jetzt stand auch Ruth auf. „Du bist so besessen von Maria Luisa, dass du nicht mehr klar denken kannst. Hör mal, wenn du mich jetzt gehen lässt, werde ich sofort nach Palma zurückfahren. Dann kann ich Steve sagen, dass er sie in Ruhe lassen soll …“
„Das tust du doch nur, weil du Steve allein für dich haben willst.“
„Nein!“ Ruth ballte die Hände zu Fäusten. Oh, warum nur glaubte er ihr nicht? „Ich will Steve gar nicht, ich habe ihn nie gewollt. Du bist es …“ Ihre Stimme brach, sie konnte die Worte nicht aussprechen. „Du bist es, der hier so unvernünftig ist“, stotterte sie stattdessen.
„Ich glaube kaum, dass ich unvernünftig bin. Ich habe auch nicht vor, dich für das zu bestrafen, was Steve Maria Luisa angetan hat.“ Er kam um den Tisch herum. „Du hast recht, es hat mit den beiden nichts zu tun, es ist eine Sache zwischen dir und mir.“ Er nahm ihr Kinn in seine Hand und zwang sie, ihn anzusehen. Seine Augen waren ganz dunkel. „Sieh mich nicht so erschrocken an, ich bin kein gewalttätiger Mann! Ich glaube, du weißt nicht einmal, was du mir angetan hast.“ Sein Daumen strich über ihr Kinn, und er sah ihr tief in die Augen. „Dennoch wirst du bezahlen, Ruth. Wie oft habe ich dir damals in Sevilla gesagt, dass ich dich liebe?“
Ruth schüttelte den Kopf und versuchte, sich aus seinem Griff zu befreien. Sie fürchtete sich, fürchtete um ihr Leben und um ihre Zukunft.
„Oft genug, um überzeugend zu klingen, selbst in meinen Augen“, sprach er weiter. „Aber ich habe dafür bezahlt, Querida, und jetzt wirst auch du bezahlen.“
„Bedrohe mich nicht“, brachte sie mühsam hervor.
„Aber es gefällt mir.“ Sein Daumen strich sanft über ihre Lippen, dann ließ er sie ganz plötzlich los.
Ruth betrachtete ihn mit weit aufgerissenen Augen. „Was um alles in der Welt ist nur mit dir geschehen?“, hauchte sie. „Du bist verändert, du bist bitter und nur noch ein Schatten von dem Fernando, den ich einst kannte.“
Er lächelte. „Und wer war dieser Fernando? Dieser hier vielleicht?“
Er hob eine Hand, und Ruth zuckte zurück, weil sie fürchtete, er würde sie schlagen. Doch er schob ihr T-Shirt über ihre Schulter hinunter, und seine Hand schloss sich über ihrer nackten Haut. Seine Berührung weckte ein sehnsüchtiges Verlangen nach Zärtlichkeit in ihr, das ihr beinah den Atem nahm. Wie Feuer brannte seine Hand auf ihrer Haut, eine Strafe für die Liebe, die sie für ihn fühlte.
„Nicht … tu das nicht!“ Sie biss sich auf die Unterlippe.
„Woran denkst du dabei? An das erste Mal, an den Nachmittag, an dem wir die Hände und die Lippen nicht voneinander lassen konnten? An die Zeit, als wir entdeckten, wie wunderbar die Erotik sein konnte, an die Zeit, als du aufschriest, wenn ich in dich eindrang, als du um mehr batest …“
„Du Schuft!“
„Ja, das sagst du immer wieder. Und wenn du erst wieder von hier weggehst, wirst du es auch glauben.“
„Ich glaube es jetzt schon, Fernando“, brachte sie heraus. „Ich verstehe, was du mir antun willst.“ Sie trat einen Schritt zurück und zog wütend ihr T-Shirt wieder zurecht. „Du glaubst wohl, du kannst mich vor Verlangen verrückt machen, wenn du mich hierbehältst.“ Sie lächelte. „Wahrscheinlich wird dir das gelingen, und wahrscheinlich wird dann auch das Unausweichliche geschehen und … es wird eine Wiederholung von Sevilla sein. Und was dann, Fernando?“
Sie versuchte, die ganze Sache abzutun, als sei es nichts Besonderes, doch dabei hatte sie das Gefühl, als würde ihr ein Messer ins Herz gestoßen.
„So weit werde ich nicht gehen, Ruth. Du scheinst anzunehmen, dass ich mit dir schlafen will.“ Er schüttelte den Kopf. „Auf keinen Fall, Querida. Ich habe noch die Erinnerungen an unsere heißen Nächte in Sevilla, und die werden mich bis in mein Grab begleiten. Ich will deinen Körper nicht und auch nicht deine heftigen Küsse, ich will nicht, dass du mich voller Leidenschaft in dich aufnimmst. All das habe ich schon einmal erlebt. Was ich jetzt will, ist nur Rache für eine gute altmodische Affäre, die nicht geklappt hat. Und ich war doch wirklich altmodisch, nicht wahr? Ich habe geglaubt, dass du mich geliebt hast, und dabei suchtest du die ganze Zeit über nur einen netten Zeitvertreib.“
Dieser Vorwurf traf Ruth bis ins Innerste. Hatte sie nicht das Gleiche von ihm angenommen? Aber sie war viel zu verletzt, um sich jetzt noch mit ihm zu streiten. Sie wollte sich abwenden, doch er hielt sie fest.
„Ich habe dich damals gebeten, bei mir zu bleiben, aber du hast deine Karriere und deinen Partner mir vorgezogen. Du hast mich in Sevilla nur benutzt, und du bist noch nicht einmal ehrlich genug, das zuzugeben.“
Ruth war so entsetzt, dass sie kaum noch reagieren konnte. „Und jetzt willst du mich also dafür bestrafen, Fernando? Dann versuche es doch. Dabei wirst du aber vielleicht nur einige deiner eigenen Schwächen aufdecken, und dann werden wir ja sehen, wer wen bestraft.“
Er ließ sie los und lächelte boshaft. „Die Herausforderung nehme ich an. Aber freu dich nicht zu früh, denn das ist das Einzige, was ich tun werde. Ich werde nie wieder mit dir schlafen, aber ich verspreche dir, ich werde auch so meinen Spaß haben. Ich will dich in die Knie zwingen, du sollst mich anbetteln, dich zu lieben. Das wird die Befriedigung sein, die ich brauche.“
Fernando wandte sich um und ging weg, ließ sie erschrocken und eingeschüchtert stehen. Ruth biss sich auf die Lippen und wusste, dass sie diese Strafe verdient hatte. Vor einem Jahr hatte sie die falsche Entscheidung getroffen, sie hatte Steve und ihre Karriere dem Mann, den sie liebte, vorgezogen. Dabei hatte sie geglaubt, dass er ihr nachlaufen würde, wenn er sie nur genug liebte. Wie um alles in der Welt hatte sie das glauben können! Sie wollte Karriere machen und geliebt werden, und beides zusammen hätte sie haben können. Warum also hatte sie ihn nicht angerufen, ihm nicht geschrieben? Jetzt war es wohl zu spät. Aber verdammt, warum sollte sie eigentlich die Schuld allein auf sich nehmen, das würde sie auf keinen Fall tun.
Langsam zog sie ihr T-Shirt aus und schob dann die Shorts über ihre Schenkel hinunter. Es war niemand in der Nähe, deshalb trat sie nackt an den Swimmingpool und holte tief Luft. Sie hob die Arme über den Kopf und streckte sich. Als der angenehm warme Wind über ihre Brüste strich, fühlte sie Verlangen und Erregung. Sie sehnte sich nach Fernando, nur er könnte die Sehnsucht in ihr stillen. Sie begehrte ihn, doch sie konnte ihn nicht haben, und damit musste sie fertig werden.
Dieser dumme Mann, dachte sie, als sie mit einem Kopfsprung in das kühle Wasser sprang. Der dumme Mann, dachte sie noch einmal, als sie mit langen Stößen zur anderen Seite des Pools schwamm. Er hat mich unterschätzt.