8. KAPITEL

„Mit so einem Bein kannst du doch nicht nach Palma fahren“, schimpfte Fernando.

Ruth zuckte zusammen, als Fernando den Verband wechselte. „Du meinst wohl, mit so einem Knöchel“, korrigierte sie ihn. „Du hast wohl keine Ahnung vom Körperbau.“

„Oh doch, ganz besonders von deinem!“, neckte er sie und fuhr mit der Hand über ihr Bein, bis hinauf zu ihrem Oberschenkel.

„Wage es nicht.“ Sie versuchte, ihn von der Liege in den Swimmingpool zu stoßen. Genauso war auch gestern der kleine Unfall passiert. Wie Kinder hatten sie neben dem Swimmingpool gerauft, als Ruth ausgerutscht war und sich den Knöchel verstaucht hatte.

„Vergiss nicht, ich bin jetzt Invalide!“ Es schmerzte, wenn sie den Knöchel bewegte.

Noch immer wusste sie nicht, was er ihr hatte sagen wollen, ehe sie die Paella gegessen hatten. Es hatte etwas mit Maria Luisa zu tun, doch er hatte nicht weitersprechen wollen. Sie würde es schon früh genug herausfinden, hatte er ihr mit ernstem Gesicht erklärt, und mehr war nicht aus ihm herauszuholen gewesen.

„Du könntest mich ja nach Palma fahren“, schlug sie jetzt vor.

Die letzten Tage waren herrlich gewesen, Fernando hatte ihr die ganze Insel gezeigt. Sie waren an Felsen hinunter zu abgelegenen Buchten geklettert, hatten in kristallklarem Wasser gebadet und in schattigen Pinienwäldern Picknick gemacht. Sie hatten Windmühlen betrachtet in Dörfern, in denen die Zeit stillzustehen schien.

Ruth liebte diese Insel, und Fernando war ein wundervoller Führer gewesen. Doch jetzt, mit ihrem verletzten Knöchel, wurde sie unruhig und fühlte sich verletzlich. Sie hatte eine schlaflose Nacht hinter sich, weil Fernando darauf bestanden hatte, dass sie allein schlafen sollte. Außerdem machte sie sich Sorgen um ihre Arbeit. Sie hatten nichts von Steve und Maria Luisa gehört, und auch wenn sie damit nicht an eine bestimmte Zeit gebunden war, so sorgte sie sich doch darum, dass sie bis jetzt noch nicht mit dem Touristikministerium und auch noch nicht mit der Fluggesellschaft in Palma gesprochen hatte.

„Nein, ich kann dich nicht nach Palma bringen“, meinte Fernando jetzt. „Du musst dich ausruhen, und außerdem möchte ich, dass du hier bei mir bleibst. Ich liebe es, wenn du in meiner Nähe bist.“

„Du willst nur nicht, dass ich arbeite, nicht wahr?“ Sie sah ihn verärgert an.

„Fang nicht schon wieder damit an, Ruth, sonst werde ich dir auch noch den anderen Knöchel verstauchen, aber erst, nachdem ich dir den Popo versohlt habe. Zum letzten Mal, ich habe nichts dagegen, wenn Frauen arbeiten. Wenn wir beide verheiratet wären, würde ich von dir auch nicht erwarten, dass du den ganzen Tag ans Haus gefesselt bist. Ich würde mir wünschen, dass du eine Aufgabe hast …“

Wenn sie mit ihm verheiratet wäre! Wie konnte er einen solchen Satz so leichtfertig aussprechen? „Arbeitet Maria Luisa noch bei der Fluggesellschaft?“, unterbrach ihn Ruth und zwang sich, nicht weiter an eine mögliche Ehe zu denken.

Fernando runzelte die Stirn. „Warum willst du das wissen?“

„Wieso stellst du mir diese Frage? Das ist doch wohl offensichtlich, ich möchte es gern wissen. Sie und Steve sind einfach verschwunden. Wenn sie einen Job hat, so wird sie ihn jetzt sicher verlieren.“

„Es könnte ja auch sein, dass sie Urlaub hat“, versuchte er ihr auszuweichen.

So leicht gab sich Ruth damit nicht zufrieden. „Das hat sie bestimmt nicht“, widersprach sie heftig. „Du hast dafür gesorgt, dass sie ihre Arbeit aufgab, als sie zu dir kam, stimmt’s?“ Ruth fühlte sich ziemlich elend. Ihr Knöchel schmerzte, ihr war heiß und sie war es leid, ewig mit ihm zu streiten. Wenn Steve zurückkäme, würde sie auf ihn losgehen. Was hätte sie getan, wenn Fernando nicht gewesen wäre? Sie hätte irgendwo in einem Zimmer im überfüllten Pollença gesessen und hätte Steves Arbeit auch noch erledigen dürfen. „Habe ich recht?“, wandte sie sich an Fernando.

„Du hast recht.“ Fernando stand auf. „Und sie hat es gern getan.“

„Du bist ein Chauvinist“, warf sie ihm vor. „Ich bin mir sicher, du hast ihr die Daumenschrauben angesetzt, und sie hat nachgegeben.“

„Unter diesen Umständen hättest du das auch getan.“ Er wandte sich ab. „Ich lasse dich jetzt in Ruhe. Während ich einige Telefonate erledige, kannst du über Argumente für einen neuen Streit nachdenken.“

„Du solltest lieber Maria Luisa anrufen und herausfinden, wann die beiden zurückkommen, denn ich bin es leid, immer … immer …“

Fernando schnaufte nur und ging ins Haus.

„Fernando!“, rief sie; er wandte sich um und sah sie nur mühsam beherrscht an. „Es tut mir leid“, entschuldigte sie sich. „Ich wollte dich nicht so anfahren. Es ist nur wegen meines Knöchels, und … und ich sollte eigentlich gar nicht hier sein.“

Er kam zu ihr zurück und setzte sich neben ihre Liege. „Ich weiß, dass du dir Sorgen über deine Arbeit machst, aber du kannst so nicht in Palma herumhumpeln. Es ist viel zu heiß, und mit einer Bandage um deinen Fuß würdest du auch nicht unbedingt überzeugend wirken.“

Sie konnte über seinen Humor nicht lachen. „Ist das der einzige Grund, warum du mich nicht hinfahren willst?“, fragte sie.

Er lächelte. „Der einzige Grund, wirklich.“

Ruth nickte. „Ich habe das auch nicht so gemeint, als ich sagte, dass ich eigentlich nicht hier sein sollte. Ich … ich wollte damit nur sagen, dass dies Maria Luisas Zuhause ist.“

„Es ist mein Zuhause, Ruth.“

„Aber sie lebt hier, mit dir zusammen. Und deshalb sollte ich nicht hier sein.“

Er bedachte sie mit einem spöttischen Lächeln. „Findest du nicht auch, dass es für solche Gedanken ein wenig zu spät ist?“

„Doch. Aber du hast gesagt, ich sollte dir vertrauen, und das habe ich getan, ich tue es noch immer. Aber du verschweigst mir so vieles.“

„Weil es nichts mit dir zu tun hat.“

Ruth suchte nach ihrer Sonnenbrille und setzte sie auf, damit er in ihren Augen nicht lesen konnte, wie sehr seine Worte sie verletzt hatten. „Es hat also nichts mit mir zu tun“, brachte sie heraus. „Nun, dann weiß ich wenigstens, wo ich stehe – nämlich nirgendwo!“

Er küsste sie sanft auf die Wange, doch Ruth zuckte bei der Berührung zurück. Spielerisch fuhr er mit der Hand durch ihr Haar, als er aufstand, doch sie blickte nicht zu ihm auf.

„Ruth, mein Liebling, wenn du jetzt noch nicht weißt, was ich für dich fühle, dann wirst du es nie wissen. Aber jetzt ist nicht der richtige Augenblick, um vorschnelle Erklärungen abzugeben, wie wir es in Sevilla getan haben. Jetzt ist alles anders, und bis ich nicht wirklich weiß, was überhaupt los ist, kann ich dir keine weiteren Auskünfte geben.“

Wütend riss sich Ruth die Sonnenbrille vom Gesicht und funkelte ihn an. „Ich weiß, warum du das tust, Fernando. Es ist nur, weil ich wollte, dass du mich nach Palma fährst, damit ich mit meiner Arbeit weitermachen kann … geh jetzt nicht weg, Fernando!“

Doch das tat er, ohne ein Wort ging er ins Haus, und er sah sich auch nicht mehr nach ihr um.

Verdammt! fluchte Ruth. Er sagte immer, er sei kein Chauvinist, doch das war er! Sie stand von der Liege auf, rutschte bis an den Rand des Swimmingpools und ließ ihren verletzten Fuß ins Wasser hängen. Das kühle Wasser tat ihr gut. Vielleicht war es ja wirklich dumm zu glauben, dass ihre Arbeit ein Hindernis zwischen ihnen war. Das wirkliche Hindernis war Maria Luisa. Wartete er darauf, dass sie zurückkam, damit er zwischen ihnen beiden wählen konnte? Himmel, dieser Knöchel machte sie wirklich ganz krank! Fernando liebt mich, nicht Maria Luisa, dachte sie. Ich muss ganz einfach geduldiger sein.

Sie hörte, wie Fernando nach einer Weile zurückkam. „Ich muss weg, kann ich dich ein paar Stunden allein lassen?“

„Ich habe ein ganzes Jahr ohne dich gelebt“, fuhr sie ihn an und bewegte ihren Fuß im Wasser.

Ohne ein Wort ging er davon, und Ruth bedauerte ihre Worte.

Das Wasser wirkte Wunder an ihrem Knöchel, und nach ein paar Minuten versuchte Ruth, den Fuß zu belasten. Es tat zwar immer noch weh, aber bei Weitem nicht mehr so wie zuvor. Morgen könnte sie sicher zurück nach Palma fahren.

Sie seufzte. Fernando würde das nicht gefallen, und sie wollte ihn nicht verärgern. Das war auch einer der Gründe, warum sie noch immer hier war. Sie vertraute Fernando, und er hätte sie nicht hierbehalten, wenn es ihm mit Maria Luisa ernst wäre. Doch es gab etwas, das sie beide verband, und sie hätte wirklich gern gewusst, was geschähe, wenn Maria Luisa zurückkäme.

Sie humpelte ins Haus, in Fernandos Arbeitszimmer. Sie würde in ihrem Apartment in Palma anrufen, vielleicht war Steve ja zurück. Sie nahm den Telefonhörer und drückte auf einen der Knöpfe. Gerade wollte sie den Hörer wieder auflegen, als es klickte und Steve sich meldete. Ruth war so erschrocken, dass sie den Hörer auf die Gabel fallen ließ. Das war doch unmöglich! Ihr Herz schlug heftig. Aus Versehen hatte sie den Knopf für die Wahlwiederholung gedrückt, und der letzte Anruf, der auf diesem Telefon gemacht worden war, war ein Anruf bei Steve gewesen … von Fernando! Ohne nachzudenken nahm sie den Hörer wieder auf und wählte die Nummer in Palma. Das Telefon läutete unaufhörlich. Es konnte nicht sein, dass Steve in der letzten Minute die Wohnung verlassen hatte, Fernando musste ihn also unter einer anderen Nummer erreicht haben. Verärgert legte sie den Hörer wieder auf. Warum hatte sie nicht mit Steve gesprochen und ihn gefragt, wo er sei und was er sich dabei denke, so einfach zu verschwinden?

Drei Stunden später überfiel sie Fernando sofort, als er vor dem Haus vorfuhr.

„Ehe du weggefahren bist, hast du Steve angerufen. Warum hast du mir nicht gesagt, dass du mit ihm gesprochen hast? Wann kommen die beiden zurück? Und was ist überhaupt los?“, wollte sie wissen.

„Hat er hier angerufen?“, fragte Fernando mit gerunzelter Stirn.

„Nein.“ Ruth erklärte ihm, wie es zu dem Anruf gekommen war. „Ich weiß, du glaubst, dass ich das absichtlich getan habe, dass ich dich kontrollieren wollte“, fügte sie noch hinzu. „Aber das stimmt nicht, ich war nur ungeschickt mit dem Telefon, so ist es passiert.“

Fernando holte einige Tüten mit Lebensmitteln aus dem Kofferraum des Wagens. „Ich frage mich, wie viele misstrauische Ehefrauen schon so hinter die Geheimnisse ihrer Männer gekommen sind“, meinte er und schickte sich an, die Tüten ins Haus zu tragen.

„Ich bin nicht deine Ehefrau, und selbst in diesem Fall wäre ich nicht misstrauisch. Na ja, vielleicht doch, wenn du mir einen Grund dafür geben würdest.“ Ruth humpelte hinter ihm her.

„Um Himmels willen, du sollst deinen Knöchel schonen“, ermahnte er sie.

Ohne auf ihren schmerzenden Knöchel zu achten, stürmte sie hinter ihm her. „Du hast mit Steve gesprochen, und ich will wissen, was …“

„Wie kommst du auf den Gedanken, dass ich mit ihm gesprochen habe?“

Ruth wurde blass. „Dann hast du also mit Maria Luisa gesprochen“, brachte sie hervor.

„Jawohl, ich habe mit Maria Luisa gesprochen“, gab er zu. „Und da sie und Steve zusammen sind, ist es wohl nicht ungewöhnlich, dass er den Telefonhörer aufnimmt, wenn das Telefon läutet.“

„Ja … ja, da hast du wohl recht“, flüsterte sie und tat sich selbst leid. Sie hatte alles nur noch schlimmer gemacht. Sie wusste doch, dass Fernando mit Maria Luisa in Verbindung geblieben war; wahrscheinlich machte er sich auch deshalb keine Sorgen, dass sie noch nicht zurückgekommen war. Er wusste, dass es ihr gut ging und dass sie in Sicherheit war.

„Du hättest es mir trotzdem sagen sollen!“, fuhr sie ihn an. „Immerhin ist Steve mein Partner und … oh!“ Ihr Knöchel versagte ihr den Dienst, und sie hielt sich am Kühlschrank fest. Fernando nahm sie auf seine Arme, doch sie hämmerte mit den Fäusten gegen seine Schulter.

„Lass mich runter!“

„Auf keinen Fall!“

„Wohin bringst du mich? Was tust du?“, rief sie wütend.

„Ich bringe dich in dein Bett, ehe ich die Geduld verliere und dich in den Pool werfe. Ich habe genug von deinen Launen, seit du dir gestern den Knöchel verstaucht hast. Du bist eine erwachsene Frau und kein Kind mehr, auch wenn es mir manchmal schwerfällt, das zu glauben.“

Sie klammerte sich an ihn, als er sie die Treppe hinauftrug. In ihrem Zimmer angekommen, ließ er sie ziemlich unsanft auf ihr Bett fallen. Sie war so erschrocken, dass sie kein Wort herausbrachte. Erst als er das Zimmer verließ, fand sie die Sprache wieder.

„Warum sind eigentlich die Zimmer im westlichen Flügel des Hauses alle abgeschlossen?“

Langsam wandte Fernando sich zu ihr um, und einen Augenblick lang glaubte Ruth, sie sei zu weit gegangen. Seine Hand umschloss den Türgriff so fest, dass seine Fingerknöchel weiß hervortraten.

„Du überprüfst meine Telefongespräche, du untersuchst mein Haus …“

„Das ist nicht wahr“, widersprach sie schnell. „Das mit dem Telefon war ein Fehler, das wollte ich nicht. Und während du weg warst, habe ich mich gelangweilt. Ich bin es nicht gewohnt, untätig herumzusitzen. Da wollte ich mir den Rest des Hauses ansehen und … einige Zimmer waren abgeschlossen. Was hast du vor mir zu verbergen, Fernando?“, forderte sie ihn heraus.

Er stritt nichts ab, und das machte alles nur noch schlimmer. Wahrscheinlich gab es einen guten Grund dafür, dass die Zimmer abgeschlossen waren, doch er schien nicht die Absicht zu haben, ihr diesen zu verraten.

Sie stand vom Bett auf und ging durch das Zimmer auf ihn zu, beinah ohne zu humpeln. Sie berührte ihn nicht, doch stand sie so nahe vor ihm, dass er sie kaum anlügen könnte.

„Bitte, Fernando, sag mir, was los ist“, bat sie ihn verzweifelt. „Es ist nicht fair, wenn du etwas vor mir verbirgst. Du bist in Verbindung mit Maria Luisa und Steve, du musst doch wissen, was die beiden vorhaben und wann sie zurückkommen. Wir hatten eine so wundervolle Zeit in den letzten Tagen …“

„Ja, es war wundervoll, Querida“, stimmte er ihr zu. „Und ich möchte, dass es so weitergeht, bis ich in der Lage bin, dir mehr zu bieten.“

Er streckte die Hand nach ihr aus, und sie sank in seine Arme. Sie fühlte den Schlag seines Herzens, doch es schlug so schnell, als stünde er unter einem ungeheuren Druck. Sie blickte zu ihm auf.

„Ich bin doch nur so, weil ich dich liebe, Fernando. Es gibt so vieles in deiner Beziehung zu Maria Luisa, über das du nicht reden willst …“

„Ich kann es nicht, Ruth“, bat er um ihr Verständnis.

„Du … du meinst also, meine Gefühle zählen nicht?“

Verzweifelt wartete sie auf seine Antwort. Es sah so aus, als kämpfe er einen inneren Kampf mit sich selbst. „Im Augenblick braucht sie mich mehr als du“, wich er ihr aus.

Ungläubig schüttelte sie den Kopf. „Aber sie ist bei Steve, Fernando, nicht bei dir.“

„Seit Sevilla ist sie bei mir gewesen, und du kannst dieses letzte Jahr nicht so einfach ungeschehen machen.“ Er strich ihr das Haar aus dem Gesicht. „Du weißt, was ich für dich fühle …“

„Genau das ist es ja“, unterbrach sie ihn. „Ich weiß nicht, was du fühlst, wenigstens nicht genau. Ich … ich warte immer darauf, dass du …“ Sie konnte die Worte nicht aussprechen. Sie wollte ihn nicht drängen, indem sie ihm verriet, dass sie darauf wartete, dass er sie bat, bei ihm zu bleiben, wie er es schon einmal getan hatte. Sie hatten einander verletzt, und deshalb zögerten sie jetzt.

Sie schlang die Arme um seinen Hals, und er beugte sich zu ihr, um sie zu küssen. Er fragte nicht einmal, was sie hatte sagen wollen.

Sein Kuss wurde leidenschaftlicher, und Ruth gab sich ihm ganz hin. Vielleicht gab es für sie ja doch noch eine Zukunft. Doch es war auch möglich, dass Maria Luisa zurückkam und sich entschloss, bei Fernando zu bleiben. Oh nein, das würde sie nicht ertragen können, nicht nach den letzten Tagen, in denen sie einander so leidenschaftlich geliebt hatten!

Fernando hatte seine Hände unter ihre Bluse geschoben und streichelte jetzt ihre nackten Brüste. Sanft hob er sie hoch und trug sie zum Bett, dann zog er sein Hemd aus.

„Mein Knöchel“, jammerte sie, doch dabei lächelte sie verschmitzt.

„Ich habe nicht die Absicht, deinen Knöchel zu lieben“, flüsterte er, als er sich neben sie auf das Bett legte und sie in seine Arme nahm.

„Hmmm.“ Ruth seufzte. „Es scheint, als würdest du meinen Körperbau wirklich kennen.“

„Musst du wirklich heute weg?“, fragte Ruth, als sich Fernando zu ihr beugte und sie dann aus dem Swimmingpool zog. Ihrem Knöchel ging es wieder gut, sie hatte es sich angewöhnt, am Morgen zu schwimmen. Meistens schwamm Fernando mit ihr, doch an diesem Morgen hatte er eine Besprechung. Noch immer nagten die Zweifel an ihr, doch sie hatte sich vorgenommen, besonders lieb und zärtlich zu ihm zu sein, wenn er heute bei ihr bleiben würde.

Fernando schlang ein Handtuch um sie und begann, sie trocken zu reiben. Einen Augenblick lang legte sie ihren Kopf an seine Schulter, doch dann setzte sie sich auf die Liege. „Weißt du, ich werde es aufgeben“, erklärte sie ihm, während sie ihr Haar trocknete. „Ich werde alles aufgeben, meine Partnerschaft mit Steve, meinen Anteil an der Firma, wenn …“

„Wenn was?“, drängte er, als sie den Satz nicht zu Ende sprach. Sie war zu weit gegangen, er war dazu noch nicht bereit.

Ruth legte sich auf die Liege und blickte zum Himmel. Wenn du mich heiratest, hatte sie sagen wollen. Sie würde nicht nach England zurückkehren, diesmal nicht. Sie würde hier bei ihm bleiben, denn hier gehörte sie hin – wenn er sie darum bat.

Doch im letzten Augenblick hatte sie der Mut verlassen. „Wenn du mit mir am Wochenende zu dem Konzert im Kloster von Pollença gehst.“

„Ich werde sehen, ob ich noch Karten bekommen kann“, meinte er, dann gab er ihr einen schnellen Kuss auf den Mund, ehe er im Haus verschwand, um die Papiere für seine Besprechung zusammenzusuchen.

„Ich werde dir heute Abend ein wundervolles Essen kochen“, rief sie ihm nach.

Nachdem er weg war, machte sie sich einen Salat, den sie dann auf der Terrasse aß. Sie fühlte sich elend, das Nichtstun war nichts für sie, und es gab auch nichts, was sie von den Gedanken an Steve und Maria Luisa ablenken konnte. Immer, wenn sie die beiden Fernando gegenüber erwähnte, winkte er nur ab und meinte, dass sie alt genug seien, um auf sich selbst aufzupassen. Er wusste etwas, doch das verriet er ihr nicht.

Nachdem sie gegessen hatte, ging Ruth in ihr Zimmer, um sich ein wenig hinzulegen. Dann fiel ihr die Tennismaschine ein, und sie überlegte, dass sie ein wenig trainieren könnte. Jedes Mal, wenn sie mit Fernando gespielt hatte, hatte er sie geschlagen, ein wenig Training wäre also angebracht.

Sie war gerade dabei, sich einen Schläger aus dem Schrank im Flur auszusuchen, als sie einen Wagen kommen hörte. Es war nicht Fernandos Wagen, das hörte sie sofort.

Sie blickte durch das Fenster im Flur, ihr Herz klopfte so heftig, dass ihr ganz schlecht wurde. Wenn es nun Maria Luisa war? Ein zerbeulter Seat hielt vor der Tür, zwei Frauen stiegen aus. Lachend unterhielten sie sich in Spanisch, und Ruth beruhigte sich ein wenig.

Sicher waren das die Hausangestellten, die von der Fiesta in Palma zurückkamen. Ruth trat aus dem Haus und hoffte, dass ihre Spanischkenntnisse genügen würden, um sich vorzustellen.

Die beiden Frauen lächelte sie an, als sie auf sie zukam. Nachdem sie versucht hatte zu erklären, wer sie sei, sprach die ältere der beiden Frauen mit ihr.

„Sí Señorita, ya sé. Hallo, mein Englisch ist nicht gut. Señor Serra, er anrufen und sagen, Sie hier. Ich bin Rosa.“ Sie deutete auf die andere Frau. „Dolores.“ Sie lächelte freundlich, und Ruth machte sich auf den Weg zum Tennisplatz, während die beiden Körbe mit Wäsche und Pakete aus dem Wagen luden. Also hatte Fernando Bescheid gesagt, dass sie da sei.

Eine halbe Stunde später kam Ruth verschwitzt vom Tennisplatz zurück. Sie duschte und setzte sich dann vor den Spiegel in ihrem Zimmer, um ihr Haar zu trocknen. Es tat gut, fröhliche Stimmen in dem großen Haus zu hören, während die beiden Frauen ihrer Arbeit nachgingen.

Ruth wollte gerade ihren Föhn anstellen, als sie plötzlich erstarrte. Das Gelächter und die Stimmen kamen aus dem Teil des Hauses, der bis jetzt abgeschlossen gewesen war. Ob dort die Zimmer der Hausangestellten lagen? Fernando musste ja wirklich glauben, sie sei ein Dummkopf, weil sie wegen der abgeschlossenen Türen misstrauisch gewesen war.

Sie trat auf den Flur und ging dann zu einer der Türen, die jetzt halb offen stand. Es wäre wohl besser, wenn sie den beiden sagte, dass sie heute Abend für Fernando kochen wollte. Sie klopfte und trat dann in das Zimmer. Es war ein Wohnzimmer, in sanften Pastelltönen eingerichtet, ganz im Gegensatz zum Rest des Hauses. Einige Türen gingen von diesem Zimmer aus, durch eine davon kam gerade Dolores. Ruth lächelte überrascht, als sie entdeckte, dass es ein Kinderzimmer war, aus dem Dolores kam.

Dolores bat sie mit einer Handbewegung, hereinzukommen. Ruth ging bis zur Tür und blieb dann wie angewurzelt stehen. Rosa saß in einem weißen Korbstuhl am Fenster und hielt ein Baby im Arm. Als sie Ruth sah, stand sie auf und zeigte ihr das Kind.

Verwundert starrte Ruth auf das Kind in Rosas Armen. Ein Baby war das Letzte, was sie in diesem Haus erwartet hätte, und Rosa war auch schon viel zu alt, um die Mutter dieses Kindes zu sein. Das Baby, offensichtlich ein Mädchen, trug ein besticktes rosa Kleidchen und war wunderschön. Noch ehe sie wusste, wie ihr geschah, hatte Rosa ihr das Kind in den Arm gelegt.

„Oh, wie bezaubernd!“ Ruth blickte auf das Kind mit den dunklen Haaren und der zarten Haut. Seine Augenwimpern waren unglaublich lang und das Haar für ein so kleines Baby dicht und lang.

„Drei Monate“, erklärte Rosa stolz. „Preciosa, sí?“

„Oh, sí, sí“, stimmte Ruth ihr zu. „Como se llama?“ Sie errötete und hoffte, dass sie die Worte richtig ausgesprochen hatte. „Ihr Name?“

Rosa lachte und sah sie an, als sei sie erstaunt, dass Ruth das nicht wusste. „Maria Luisa, von ihrer Mutter, Maria Luisa.“

Der helle, lichtdurchflutete Raum schien sich um Ruth zu drehen, das Blut rauschte ihr in den Ohren, und ihr wurde schlecht. Das konnte nicht wahr sein! Es konnte nicht Maria Luisas Kind sein! Denn wenn das so war, dann war es auch das Kind von …

Das Baby in ihren Armen bewegte sich und blickte zu ihr auf. Ruth starrte auf das Kind, dann sah sie sich suchend nach Rosa um, die in das andere Zimmer gegangen war. Das Baby gurgelte und lächelte sie an, und Ruth wurde das Herz schwer.

Die Kleine sah ihrer Mutter so ähnlich, mit dunklem Haar und dunklen Augen. Sie war so wunderschön, und Ruth verspürte ein Gefühl des Neides, das ihr körperliche Schmerzen bereitete.

Oh, lieber Gott, sie hielt Maria Luisas Kind in ihren Armen! Durch einen Tränenschleier starrte sie auf das Kind und wurde von einer so tiefen Verzweiflung ergriffen, dass sie das Baby beinah hätte fallen lassen. Langsam ging sie zu der Wiege an der Wand und legte das Kind hinein. Mit beiden Händen umklammerte sie den Rand der Wiege, weiß traten ihre Fingerknöchel hervor.

Tränen liefen ihr jetzt über das Gesicht. Das war Maria Luisas Baby, und nun verstand sie auch alles. Wie ein Puzzle fielen die Teile an ihren Platz, und wie ein Puzzle war auch ihr Herz in tausend Teile zerbrochen.

Schnell lief sie aus dem Raum. In ihrem Zimmer schlug sie die Tür hinter sich zu und schluchzte laut auf.

Maria Luisas Baby, Fernandos Kind! Oh lieber Gott, die beiden hatten ein Kind! Preciosa, sí? Jetzt verstand sie auch, was Fernando gemeint hatte, als er ihr versicherte, Maria Luisa werde zu ihm zurückkommen, weil er etwas Kostbares von ihr besitze, was Steve nicht habe. Ruth wäre am liebsten gestorben!