KAPITEL 10

E s war Nachmittag, und ich hatte stundenlang nur beobachtet. Dabei war ich die ganze Zeit im Café geblieben. Derselbe Stuhl. Derselbe Tisch draußen. Ich warf ein paar Münzen Trinkgeld auf den Tisch, da ich ihn fast den ganzen Tag besetzt hatte. Dann trat ich auf den Bürgersteig und ging nach Osten.

Im Ostteil der Stadt hatte ich ein Motel einen Block vom See entfernt gesehen. Ich hielt es für eine gute Idee, mir ein Zimmer zu nehmen. Ich hatte keine Ahnung, wie lange alles dauern würde, und ich würde nicht weggehen, solange ich nicht den Mörder meiner Mutter gefunden hatte.

Ich kam an dem Geschäft vorbei, wo ich das Ladegerät gekauft hatte und überquerte die Straße. Auf der linken Seite stand eine Reihe Stadthäuser mit Zäunen, schwarzen Gittern an den Fenstern, und patriotischen Symbolen im Vorgarten.

Ich ging weiter, bis ich zum Parkplatz eines Super-8-Motels kam. Ich überquerte ihn und betrat die Rezeption des Motels. Über meinem Kopf läutete eine Glocke. Sie war an der Tür befestigt, ein altes, doch erprobtes Alarmsystem.

Ein großer, drahtiger Mann kam mit einer Krücke aus dem Nebenraum gehumpelt. Er sah mich und nickte mir zu. Er trug eine gelbe Truckermütze und ein billiges graues Poloshirt. Er humpelte hinter den Schalter und fragte: „Wie kann ich Ihnen helfen?“

Ich sagte: „Kann ich ein Zimmer für die Nacht bekommen?“

Er betrachtete eingehend ein Klemmbrett, als wäre es eine Patientenakte. Dann sagte er: „Ich habe ganz hinten ein Einzelzimmer. Nummer vierzehn.“

Ich sagte: „Klingt gut.“

Er nickte, drehte sich um und nahm einen Schlüssel von der Wand.

Dann wandte er sich wieder zu mir und sagte: „Siebenundzwanzig fünfzig.“

Ich zog ein Bündel Geldscheine heraus und nahm einen Zwanziger und einen Zehner und reichte ihm die beiden Scheine.

Er sah mich einen Moment an und sagte: „Ich hoffe, Sie erwarten nicht, dass ich Sie bis dahin begleite. Ich habe ein kaputtes Bein.“

Ich schüttelte den Kopf.

Er reichte mir den Schlüssel und fragte: „Noch was?“

Ich sagte: „Wechselgeld?“

„Ich habe kein Wechselgeld“, sagte er und zeigte auf ein Schild an der Wand mit der Aufschrift: „Kein Wechselgeld.“

Ich nickte grinsend und wollte gehen, doch er räusperte sich hörbar.

Ich drehte mich zu ihm. Er hatte das Gästebuch ausgelegt, tippte mit seinem alten, dürren Finger auf das Papier und sagte: „Tragen Sie sich ein. So ist das Gesetz.“

Ich kam wieder an den Schalter, nahm den blauen Kugelschreiber aus seiner Hand und blickte auf das Papier. Ich hielt einen Moment inne und dachte an die Lektion, die mir meine Mutter vor dem NCIS beigebracht hatte. Einmal hatten wir eine Reise nach New Orleans unternommen, um die Saints gegen die Cowboys spielen zu sehen. Wir waren neben der Bourbon Street in einem alten, heruntergekommenen Hotel mit falschen Balkonen und Fensterläden abgestiegen. Das ganze Lokal war rosa angestrichen, doch die Farbe war zu einem orangenen Farbton verblichen.

Ich zuckte mit den Schultern und schrieb den ersten Namen auf, der mir einfiel. Ich mochte es nicht, meinen echten Namen preiszugeben. Ich trug mich ins Register ein: Jeremy Shockey. Der hatte während des Super Bowls 2010 für die New Orleans Saints gespielt, und sie hatten in jenem Jahr gewonnen. Ich nahm an, dass sich der alte Mann womöglich an den Namen erinnern würde, doch ich bezweifelte, dass es eine Rolle spielte. Ich hatte nicht das Gefühl, dass er mir deshalb misstrauen würde.

Ich lächelte und verließ das Büro, um zu Zimmer Nummer vierzehn zu gehen.

Es war das hinterste Zimmer. Eine obere Etage gab es nicht. Also keine Nachbarn über mir. Nur den Nachbarn in Zimmer dreizehn.

Als ich an dem Nachbarzimmer vorbeikam, bemerkte ich, dass die Tür angelehnt war. Ich sah ein Auge, das mich aus der Dunkelheit des Zimmers durch den Türspalt beobachtete. Die Jalousien waren vorgezogen und die Lichter aus. Die Sonne warf das letzte Tageslicht auf das Motel, doch Zimmer Nummer dreizehn blieb dunkel. Wer auch immer es belegt hatte, wollte nicht, dass irgendwer von seiner oder ihrer Anwesenheit wusste.

Als ich einen Fuß vor die Tür setzte, wurde sie sofort zugeschlagen, der Riegel vorgelegt und die Kette befestigt, sodass sie gegen die Tür rasselte. Ich war nicht beleidigt. Vielleicht war es eine alte Frau oder eine ängstliche Person. In einem schäbigen Motel wie diesem war ich nicht gerade der Traumnachbar.

Ich war ein furchteinflößender Mann, doch meine Kleidung war normal. Ich trug ein schlichtes grünes T-Shirt mit einem abstrakten Design, dazu weite Jeans. Typische Freizeitkleidung.

Die Großzügigkeit der Menschen, die ich in den letzten zwei Tagen getroffen hatte, war überraschend. Vor allem Hank und die junge Frau, die mich gestern mitgenommen hatten. Meine bisherigen Mitfahrgelegenheiten waren Menschen, die aufrichtig nett und freundlich wirkten.

Ich schob den Schlüssel ins Türschloss und drehte ihn. Die Tür öffnete sich, und eine dicke Staubwolke wehte heraus. Es war muffig im Zimmer. Es roch nicht schlecht, sondern nur unbenutzt, wie ein Dachboden.

Ich trat ein und schloss die Tür. Flackernd ging das Licht an. Der Raum war ordentlich, die Möbel alt und abgenutzt, das Bett frisch gemacht und der Teppich relativ sauber und frei von Flecken.

Ich steckte mir den Schlüssel in die Tasche. Es war noch früh, kurz vor Sonnenuntergang, doch ich war müde. Ich vermutete, dass ich von dem Tod meiner Mutter emotional erschöpft war, dazu kamen meine Unternehmungen, um diesen Verbrechen näher zu kommen. Und ich dachte noch immer an meinen Job. Noch vor zwei Nächten war ich in Kalifornien gewesen, hatte gerade einen Undercover-Auftrag beendet und steckte jetzt bis zum Hals in der nächsten Mission.

Es war noch zu früh zum Schlafen, deshalb kehrte ich zurück zum Diner. Manchmal war das Warten produktiver als das Suchen.