KAPITEL 49

D as Aussprechen eines letzten Wunsches war fast immer ein gutes Mittel, um Zeit zu schinden. Doch bei neunundneunzig von hundert Fällen waren diese Wünsche unsinnig, und das Ende blieb dasselbe: Ein todgeweihter Mann starb.

Ich würde sterben. Ich war auf die Tricks dieser Frau hereingefallen und in eine Falle gegangen. Was zum Teufel?

Deshalb fragte ich: „Letzter Wunsch?“

„Was?“

„Bekomme ich keinen letzten Wunsch?“

Tega dachte lange nach. Dann senkte er die Waffe. „Machen Sie es schnell“, sagte er.

Ich trat näher an Sheldon.

Tega hob schnell die Pistole und zielte auf mich. Die zwei Männer an seinen Seiten folgten, doch ich bewegte mich langsam, um zu zeigen, dass ich keinen Angriff plante. Und das tat ich auch nicht. Noch nicht.

Ich sagte: „Gib mir etwas. Ein letztes Mal.“

„Was?“, fragte Sheldon.

„Wenn ich schon sterben muss, will ich dich wenigstens noch ein letztes Mal berühren. Ich will dich noch einmal küssen. Wie letzte Nacht. Es hat dir gefallen, ich weiß es.“ Ich blickte zu Tega und sagte: „Was sie dabei für Geräusche gemacht hat. Das hätten Sie hören sollen.“

Wut zuckte auf Tegas Gesicht. Sie kam von tief unten, von extremem Misstrauen geschürt. Auch wenn er beherrscht wirkte, war da doch der Urinstinkt in ihm, zu verteidigen, was ihm gehörte. Das konnte er nicht verbergen. Nicht vor mir. Zuvor war er ein Mann von stoischer Gelassenheit gewesen. Doch Sheldon gehörte ihm. Das wusste er, und sie wusste es auch.

„Du hast mit ihm geschlafen?“

Sheldon sagte: „Nein!“

Ich sagte: „Sie wollte es, doch wir hatten keine Zeit.“

Tega starrte mich an und fragte zornig: „Was hast du vor?“ Er war nicht dumm.

Sheldon sagte: „Ich habe ihn geküsst, doch das habe ich für dich getan. Für uns. Ich habe meine Rolle gespielt. Baby, ich würde dich niemals betrügen.“ Sie sah ihn an und legte die Hände an sein Gesicht. Sie sagte: „Bring ihn um und lass uns gehen.“

Tega sah sie an, löste den Blick für eine Sekunde von mir, doch ich konnte nichts machen. Seine Männer beobachteten mich mit angelegten Waffen.

Der Regen hatte wieder aufgehört, und die Luft war feucht.

Tega wollte mehr, als mich nur erschießen. Ich sah es in seinen Augen. Er wollte mich leiden lassen. Er blickte über meine Schulter, betrachtete die Scheune und grinste. Er sagte: „Du hast soeben die Vorzüge eines schnellen Todes verwirkt. Geh in die Scheune.“

Ich drehte mich um, und Tega und seine Männer folgten mir zur Scheune. Wir gingen durch die Dunkelheit zu den offenen Scheunentoren. Grady und die anderen Leichen hingen an den Balken. Sie schwangen langsam hin und her, wie ein Raum voller unheimlicher Marionetten. Tega trat an mir vorbei in die Scheune. Seine Männer hatten mich die ganze Zeit im Blick, ohne den Fokus zu verlieren. Einer von ihnen kam näher und gab mir zu verstehen, dass ich hinter Tega hergehen sollte. Wir gingen bis in die Mitte, in die Nähe der hängenden Leichen. Was auch immer er vorhatte, sie hatten das Prozedere bereits gesehen. Sie kannten die Abläufe. Ich hoffte, er wollte mich nicht so hängen, wie er es mit den anderen getan hatte.

Tega durchsuchte die Scheune. Er besah sich alle Wände und sagte dann: „Das hier ist der einzige Zugang hinein oder hinaus. Außen an der Tür ist ein Stahlschloss. Weißt du warum?“

Ich schüttelte den Kopf.

Er sagte: „Damit niemand hereinkommt. Weißt du auch, wofür so ein Schloss ebenfalls gut ist?“

Ich schüttelte erneut den Kopf.

Er sagte: „Damit niemand hinauskommt.“

Dann sagte er: „Die Rednecks haben hier ihr Meth gekocht. Weißt du, was passieren kann, wenn sich viel Meth an einem Ort befindet?“ Er wartete nicht auf meine Antwort, sondern sagte: „Es kann explodieren. Es ist hoch entzündlich. Doch das Vorhängeschloss ist es nicht. Die Logik dieser Rednecks ist mir unbegreiflich.“

Ich schwieg.

Dann fragte er: „Dieses Wort ‚entzündlich‘ – kennst du das?“

Ich blieb stumm.

„Ich liebe dieses Wort. Amerikaner machen so viele Dinge, die entzündlich sind, zum Beispiel Produkte, um damit Meth zu kochen. Wie du weißt, verkaufe oder produziere ich keine Drogen. Ich bin nicht im Drogengeschäft, sondern im Sexgeschäft.“ Er nickte zu Sheldon. Er sagte: „Ich könnte dir nicht sagen, welche dieser Chemikalien entzündlich sind, wenn die Etiketten nicht wären.“

Er ging zu einer Reihe von Plastikfässern und betrachtete die Etiketten, dann lächelte er kalt und trat gegen ein Fass. Es fiel um, und der Deckel löste sich. Der flüssige Inhalt ergoss sich über den Boden der Scheune. Tega ging zum nächsten Fass und trat es ebenfalls um, dann zum nächsten und dem nächsten. Die Luft erfüllte sich mit dem stechenden Geruch der Chemikalien.

Eine schreckliche Vermutung kam mir in den Sinn: Ich nahm an, dass darunter Ethanol war.

Er sagte: „Weißt du, was ich mit dir machen werde?“

Ich sagte: „Ich habe keine Ahnung.“

Er sagte: „Du bist so ein Glückspilz. Wirklich. Wenn ich mehr Zeit hätte, dann würde ich bleiben und es ganz langsam machen. Doch ich habe keine Zeit. Ich werde dich hier einsperren und lebendig verbrennen lassen.“

Tega ging aus der Scheune. Er senkte seine Waffe. Dann blickte er zu seinen Männern und sagte: „Hazlo .“

Alle traten aus der Scheune außer mir.

Tega sagte: „Auf Wiedersehen, Mr. Widow.“

Ich wartete in der Scheune, während Tegas Männer das Schloss verriegelten. Zwei Minuten später stand die Scheune in Flammen.