I ch hörte von irgendwo Geräusche, doch das Innere des Hauses schien leer zu sein. Tega hatte mindestens zwei weitere Männer bei sich gehabt, das wusste ich. Zwei hatte ich umgebracht. Es könnten noch mehr sein, doch vermutlich nicht zu viele. Ich hatte ein gutes Gefühl, was meine Überlebenschancen betraf.
Ich überprüfte das Wohnzimmer im Erdgeschoss, die Küche, die Speisekammer, das Badezimmer und die Schränke. Erst als ich zu einem der Schlafzimmer kam, bemerkte ich den Geruch einer Leiche. Ich hoffte, dass es nicht Hank war. Ich hatte den Alten gemocht. Doch er war für Tega entbehrlich.
Ich drückte die Tür auf und blieb stehen. Dort lag ein toter Körper auf dem Boden am Fußende des Bettes, doch es war nicht Hank. Sie hatten Link erschossen, den Border Collie. Ich biss wütend die Zähne zusammen, und die Knochen in meinen Schläfen zogen sich zusammen. Ich mochte Hunde. Es war so sinnlos. Sie würden dafür bezahlen, wie auch für alles andere, was sie getan hatten.
Ich drehte mich und ging zurück durch den Flur in die Küche. Als ich um die Ecke bog, öffnete sich die Hintertür, und ein schmächtiger Mexikaner trat ein. Er hatte seine Pistole vorn in den Gürtel der Jeans gesteckt. Er trug ein graues T-Shirt und weite Jeans mit weißen Sneakern. Und er war jung und unerfahren, hatte aber eine Gangster-Attitude, als wäre er frisch geprägt. Vielleicht war er ein amerikanisches Mitglied von Tegas Gruppe, frisch von der Straße rekrutiert. Ich hatte keine Ahnung. Und es kümmerte mich auch nicht. Ich gönnte ihm jene Sekundenbruchteile des Nachdenkens, doch nicht mehr.
Ich trat schnell in die Küche und ging einfach auf ihn zu, wie ein Killer in einem Horrorfilm. Dann streckte ich eine Hand aus, packte sein Shirt und riss ihn von den Füßen. Er gab ein leises Geräusch von sich, doch es war nicht so laut, dass man es außerhalb der Küche hören konnte. Bevor er einen weiteren Laut von sich geben konnte, hob ich die FN P90 mit einer Hand wie einen Knüppel über den Kopf und schlug ihm damit mitten ins Gesicht.
Es war ein fester und böser Schlag. Seine Nase brach. Er erschlaffte, und ich ließ sein Shirt los. Er packte sich an die Nase und wimmerte. Bevor er noch ein Geräusch machen oder nach seiner Waffe greifen konnte, schoss ich ihm zwei Kugeln in Hals und Schulter. Die Kugel ging durch seinen Hals und traf den Boden – ein schmutziger Durchschuss.
Er presste beide Hände auf das Einschussloch. Er wollte schreien, doch er war nicht zu hören. Während er sich wie eine kopflose Schlange auf dem Boden wälzte, drehte ich mich zur Tür und richtete die Waffe darauf, um bereit dafür zu sein, dass ein weiterer Mann eintreten und nach seinem Freund sehen würde.
Ich wartete eine Minute.
Das Geräusch des sich herumwälzenden Mannes hinter mir war alles, was ich hörte. Dann wurde es still. Ich drehte mich zurück und sah nach ihm. Er war tot. Die Blutlache um ihn herum war so groß, dass man damit einen Eimer füllen könnte.
Ich flüsterte: „Ihr hättet den Hund nicht töten sollen.“
Dann ging ich zur Tür. Ich ließ sie offen und stellte die Waffe auf Vollautomatik. Ich machte die Küchenlichter aus und spähte nach draußen. Niemand bemerkte mich. Ich wusste das, weil niemand auf mich schoss.
Als Erstes sah ich das Flugboot. Es trieb am Ende des Piers im Wasser, schaukelte auf den Wellen, die das Gewitter verursacht hatte. Es wirkte majestätisch, war schwarz angestrichen mit einer roten Nase. Die dunkle Farbe tarnte es perfekt vor dem See dahinter. Die Zahl an der Seite war weiß und stach aus der Dunkelheit hervor.
Ich blieb stehen und blickte zu den Leuten im Hintergrund.
Genau in diesem Augenblick begannen die Zwillingsmotoren zu brummen, erst langsam und dann konstant. Im Ladebereich des Flugzeugs ging ein Licht an. Die Seitentür stand weit offen.
Ich nutzte die Gelegenheit, trat hinaus und versteckte mich hinter einem gemauerten Grill. Dann drehte ich mich mit dem Rücken zum Grill und atmete ein und aus. Niemand hatte mich gesehen. Ich beugte mich vor, um die Umgebung besser erkennen zu können.
Tega war bei der Flugzeugtür. Er schob ein Mädchen hinein. Zwei andere Mädchen warteten, das zweite erkannte ich. Es war Ann Gables, und sie lebte. Ich konnte nicht glauben, dass auch sie noch hier war. Sie bewegte sich langsam, wie ein Zombie. Alle drei taten das. Sie hatten offensichtlich Beruhigungsmittel bekommen. Ann betrat das Flugzeug und wandte sich nach links. Dann packte Tega das letzte Mädchen am Arm und zog es zum Flugzeug. Es drehte sich zurück zum Haus, als wollte es weglaufen, doch es war zu schwach. Es war Faye Matlind. Das musste sie sein. Sie war schwarz, ungefähr in Chris‘ Alter, und sie war umwerfend. Selbst ohne Schminke und mit völlig ungepflegten Haaren waren alle drei Mädchen auf natürliche Weise schön. Deshalb waren sie wohl ausgewählt worden. Tega handelte offenbar mit edelsten Sexsklavinnen.
Faye stieg an Bord des Flugzeugs, und Tega winkte dem einzigen Mann, den er noch hatte.
Tega sagte: „Ve por el piloto. “
Hol den Piloten . Das konnte ich verstehen.
Ich spähte über meine Schulter zurück zur Küchentür. Vermutlich war der Junge oder der Mann in der Auffahrt ihr Pilot gewesen. Ich war mir nicht sicher. Ich wusste allerdings, dass dieser letzte Mann in ungefähr zehn Sekunden in die Küche gehen und seinen toten Kollegen finden würde, und dann wäre ich erledigt.
Ich spähte wieder über den Grill und konnte den Mann gut erkennen. Von hier aus konnte ich ihn erwischen. Das war kein Problem, doch Tega stand in der Tür des Wasserflugzeugs und war zu weit entfernt. Und bei dem Nebel und Regen konnte ich nicht genau genug zielen.
Doch das spielte keine Rolle mehr. Es hieß jetzt oder nie. Also sprang ich auf, zielte und machte mich bereit zu schießen. Doch der Mann sah mich und reagierte schnell. Er griff nach seiner Waffe, die er im Halfter am Gürtel trug. Ich sah den Griff einer Waffe, die in der Dunkelheit wie eine Beretta Px4 aussah. Mit einer solchen war auch Matlind getötet worden.
Ich hatte den Mann in der Küche mit drei Achtundzwanzig-Millimeter-Kugeln durch den Schalldämpfer erwischt. Es war die gleiche Munition wie bei einer Five-Seven-Pistole, doch die Mündungsgeschwindigkeit eines Achtundzwanzig-Millimeter-Geschosses aus der FN P90 betrug etwa zweitausendsiebenhundert Stundenkilometer. Das wurde zwar ein wenig durch den Schalldämpfer verlangsamt, doch ich machte mir keine Sorgen.
Ich wusste, dass der letzte mexikanische Komplize den Kugeln nicht davonlaufen konnte. Ich drückte den Abzug, und die Waffe feuerte schnell. Der Rückschlag war erträglich, ein Vorteil des Bullpup-Designs. Fünf Kugeln trafen den Mann in der Körpermitte, kein Schuss ging daneben.
Eine der zweckmäßigen Eigenschaften der FN P90 bestand darin, dass man damit Hochgeschwindigkeitsgeschosse mit Hohlspitzen abfeuern konnte. Das sollte ein zu starkes Eindringen des Geschosses verhindern. Daher führte die Waffe zu minimalen Kollateralschäden. Nur selten durchschlug eine Kugel ihr Ziel ganz oder prallte ab. Es war die perfekte Maschinenpistole für die Stadt.
Alles lief perfekt, bis ich mich daranmachte, Tega umzubringen. Hank Cochran, der alte Mechaniker, trat gerade aus dem Flugzeug. Er war im Cockpit gewesen und hatte die Maschine gestartet, womöglich die Systeme vor dem Start überprüft.
Tega hatte meine Schüsse nicht gehört, doch er hatte die Explosionen und den roten Nebel gesehen, die aus der Brust seines Mannes kamen. Er reagierte schnell. Schneller als irgendeiner seiner Männer. Er zog eine FN-Five-Seven-Pistole und bewegte sich schnell zur Seite, packte Hank und duckte sich hinter ihn, wobei er ihn als menschlichen Schutzschild benutzte.
Damit hatte ich mein Ziel verloren. Ich konnte keinen sicheren Schuss mehr abgeben. Wenn ich feuern würde, dann würde ich Hank erwischen und töten. Ich löste den Finger vom Abzug, hielt ihn aber bereit.
Tega feuerte mit der Five-Seven in meine Richtung.
Ich duckte mich wieder hinter den Grill, während die Kugeln auf der anderen Seite einschlugen. Ein paar Kugeln pfiffen über meinen Kopf und zerbrachen zwei große Fenster im Haus.
Tega hörte mit dem Schießen auf. Wenn er nachladen würde, dann wäre das meine Gelegenheit, einen anderen Winkel zu finden und das Feuer zu erwidern. Doch das tat er nicht – er machte etwas anderes. Und ich kam erst unmittelbar vorher darauf, was es war.
Er zielte auf die Propangasflasche unter dem Grill.
Ich sprang auf und tauchte nach rechts. Er feuerte die Five-Seven ab und zwei Kugeln durchlöcherten den Tank. Gasgeruch erfüllte die Luft. Er schoss erneut, und der Tank explodierte. Eine kleine Feuerkugel erhob sich in die Luft. Das war die dritte oder vierte Explosion in dieser Nacht. Ich hatte den Überblick verloren.
Ich rollte mich von der Feuerkugel weg, kam wieder auf die Beine, und zielte. Tegas Kopf war in meiner Sicht, doch sein Körper befand sich hinter Hank. Er stand dicht hinter ihm. Und sie waren mehr als sechs Meter entfernt. Ich hatte keine gute Schusslinie.
Ich schrie zu Tega: „Warten Sie!“
Tega richtete die Five-Seven auf mich und rief: „Gringo? Bist du das immer noch?“
Er feuerte nicht, noch nicht. Er wusste, wenn er mich verfehlte, dann würde er nachladen müssen und dann hätte ich ihn. Ich war zu weit von ihm entfernt, um ein gutes Ziel zu sein. Zumindest hoffte ich das. Mit dem Propantank war er allerdings gut zurechtgekommen.
Ich wusste, dass seine Waffe nur noch wenig Munition hatte. Die Five-Seven hielt eine gute Zahl von Patronen – ich konnte mich nicht an die Kapazität eines Standardmagazins erinnern. Doch ich war mir ziemlich sicher, dass er weniger Kugeln hatte als ich; die FN P90 in meiner Hand hatte fünfzig Patronen. In dem Bereich hatte ich einen Vorteil, doch der war mir im Augenblick nur von geringem Nutzen.
Er rief: „Mr. Widow, du bist schwer zu töten.“
Ich antwortete nicht.
Er rief: „Weißt du, wer auch schwer zu töten war?“
Ich blieb stumm.
„Deine madre , Amigo. Ich habe gehört, dass sie langsam gestorben ist. Sie hat im Krankenhaus um ihr Leben gekämpft.“
Ich ignorierte seine quälenden Worte. Ich verstand die Absicht dahinter. Ich rief: „Niemand muss sterben. Lassen Sie ihn gehen.“
Die Zwillingsmotoren des Flugzeugs summten und vibrierten in ihren Gehäusen, bereit zum Start. Plötzlich merkte ich, dass Tega Hank nicht erschießen konnte. Er brauchte ihn. Sein Pilot war tot. Er würde Hank brauchen, um das Flugzeug zu fliegen. Ich war mir nicht sicher, ob er das bereits erkannt hatte, deshalb rief ich: „Ihre Männer sind tot! Ihr Pilot ist tot! Sie gehen nirgendwohin! Nicht ohne diesen Mann – nur er kann Ihr Flugzeug fliegen!“
Tega rief: „Ich werde ihn töten! Es ist mir egal! Ich finde einen anderen Ausweg!“
Er bluffte nicht. Er war reich und hatte Kontakte. Er würde einen anderen Weg finden. Ich hatte nur noch eine Karte übrig, auf die ich setzen konnte. Ich musste pokern.
Ich sagte: „Sie können noch weg, Tega! Lassen Sie sie gehen!“
Tega rief: „Lass die Waffe fallen und ich lasse sie am Leben! Verdammt, ich bin so von dir beeindruckt, Gringo, dass ich dich auch leben lasse!“
Ich wartete schweigend.
Er neigte den Kopf. Dann kam ein verrückter Ausdruck auf sein Gesicht, und er schoss auf Hank, nur um zu beweisen, dass er nicht bluffte.