KAPITEL 57

B esser würde das Wetter über dem See zum Fliegen nicht werden.

Die ersten Spuren des morgendlichen Sonnenlichts bohrten sich durch den bewölkten Himmel. Die Unterseite der Gewitterwolken schien noch dunkelgrauer, als die Sonnenstrahlen durchbrachen.

An einem normalen Morgen wären die frühen Angler am Jarvis Lake aufgewacht und hätten ihre Boote und Anhänger für den Weg zur Anlegestelle bereitgemacht. Doch es war keine normale Nacht gewesen. Die Männer von der Feuerwehr waren die einzigen Einsatzleute von Black Rock, die noch am Leben waren, und ich war mir sicher, dass sie mit den Bränden alle Hände voll zu tun hatten. Auf der anderen Seite des Sees loderte noch immer das Eckhart Medical Center. Das Feuer hatte sich auf die naheliegenden Gebäude ausgebreitet. Es war ausgeschlossen, dass die Feuerwehr noch freie Kapazitäten hatte, um irgendwem sonst zu helfen.

Oskar Tega hatte Hank ins Bein geschossen. Der alte Mann hatte einen nervenzerfetzenden Schrei von sich gegeben, der über den See hallte. An einem normalen Morgen hätte es sicher irgendwer auf dem See gehört. Womöglich auch den Schuss. Doch da war niemand auf dem See – heute nicht.

Tega rief: „Wirf die Waffe weg! Sonst töte ich ihn mit dem nächsten Schuss!“

Ich rief: „Okay! Okay!“

Ich warf die Waffe von mir und hob die Hände. Ich war mir nicht sicher, was die nächsten Minuten bringen würden. Doch ich hoffte, dass Tega mich nicht erschießen würde. Noch nicht.

Tega schob Hank beiseite und trat auf den Steg. Er kam näher, wobei er mich die ganze Zeit im Blick hielt. Er näherte sich bis auf drei Meter. Ich war seiner Gnade ausgeliefert, und war mir sicher, dass ich sterben würde, doch Hank rettete mir das Leben.

Tega sah auf seine Five-Seven und zielte. Dann spähte er zurück zu Hank. Es war ein kurzer Blick – nicht so lang, dass ich zu ihm laufen konnte, doch lange genug, um zu bemerken, dass Hank zu der Waffe des Mannes humpelte, den ich vor einem Moment erschossen hatte. Tega feuerte über meinen Kopf hinweg. Hank erstarrte.

Tega hielt die Waffe wieder auf mich gerichtet und rief: „Alter Mann! Ich mache mit dir einen Deal. Du fliegst mein Flugzeug, machst keine weiteren Probleme, und ich lasse ihn mitkommen. Ich lasse euch beide am Leben.“

Hank sah Tega an. Ich merkte, dass er nachdachte. Er nahm sich eine lange Minute.

„Entscheide dich, alter Mann!“

Dann sagte Hank: „Geben Sie mir Ihr Wort?“

Tega verdrehte die Augen. Dann rief er: „Was? Traust du mir etwa nicht, Opa?“ Er wartete kurz und sagte dann: „Ich gebe dir mein Wort.“

Hank sagte: „Dann haben wir einen Deal.“

Tega senkte die Five-Seven und sagte: „Du bist ein glücklicher Mann, Gringo. Komm. Gehen wir! Ich habe einen engen Zeitplan.“

Tega bedeutete mir, zum Flugzeug zu gehen. Er trat zurück, bewahrte einen Abstand von drei Metern zu mir, um außer Reichweite zu bleiben. Er war ein kluger Mann. Ich vermutete, deshalb hatte er so lange überlebt.

Ich blieb stumm und folgte seinen Anweisungen, hielt die Hände hoch erhoben und ging zur offenen Tür des Wasserflugzeugs. Ich blieb bei Hank stehen und half ihm, zum Flugzeug zu humpeln. Er war verletzt, doch er würde es überleben. Wir stiegen ein, und Tega folgte uns.

Das Dröhnen der Motoren war im Innern wesentlich lauter, das nur rudimentär ausgestattet war. Es gab ein Cockpit und zwei Rückbänke aus Metall, keine Sicherheitsgurte oder weitere Ausstattung. Wie ein Militärflugzeug. Hier kauerten die drei jungen Frauen.

Tega rief über das Dröhnen der Motoren hinweg: „Du sitzt vorn im Flugzeug. Ich will dich weit weg von mir und immer im Blick haben.“

Ich folgte seinen Anweisungen und setzte mich.

Tega blieb hinten im Flugzeug stehen. Er schlug die Tür zu und verschloss sie. Das metallische Geräusch hallte trotz des Motorenlärms durch die Innenkabine.

Er hielt die Waffe auf mich gerichtet. Dann rief er: „Wenn du irgendwas versuchst – querido Dios! –, schieß ich dich tot!“

Ich nickte.

Er rief zu Hank, der sich auf den Pilotenplatz gesetzt hatte und sich anschnallte. „Opa, bring uns hoch!“

Hank nickte nach hinten, drückte auf Knöpfe und bewegte Hebel. Dann zog er an einem Griff über ihm. Die Motoren wurden lauter, als würden sie die Gänge wechseln. Das Flugzeug bewegte sich vorwärts. Hank fuhr hinaus aufs Wasser und drehte dann zu dem längsten Stück des Sees. Er beschleunigte.

Er rief nach hinten zu Tega: „Sie setzen sich besser!“

„Mach dir keine Sorgen um mich, Opa. Flieg einfach das Flugzeug.“

Hank lächelte, drückte einen anderen Hebel, und das Flugboot schoss mit kräftigem Antrieb nach vorn. Es raste über das Wasser. Ich spürte die Vibrationen der Motoren durch die Metallbank. Es dröhnte in den Ohren.

Ich blicke zum Fenster hinaus und sah die Bäume am Ufer, während wir daran vorbeirasten. Wasser spritzte auf. Wir hüpften einmal. Zweimal. Und dann waren wir in der Luft und erhoben uns in die niedrigen Wolken. In der Ferne leuchtete ein Blitz und knisterte. Die Unterseite der Wolken erhellte sich.

Wir stiegen immer weiter hoch.