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CASPAR
Danach
Schiefes Kamerabild. Caspar blickt in die Linse, sein Lächeln ist echt und zufrieden und trotzdem irgendwie traurig.
»Hey, Sam. Wahrscheinlich wunderst du dich, dass du dieses Video bekommst, aber an meine Eltern und meine Freunde habe ich bereits Abschiedsbriefe geschrieben und die einzige Person, von der ich mich noch persönlich verabschieden möchte, bist du.«
Caspar räuspert sich, sein Lächeln hängt jetzt schiefer.
»Wenn du das siehst, bin ich nicht mehr da. Normalerweise bin ich niemand, der sich mit besonders vielen Worten aufhält. Aber ich möchte dir eine Nachricht hinterlassen. Damit du nicht ganz so allein dastehst. Ich hoffe jedenfalls, dass du einen letzten Blick in dein Postfach im Deathwish
-Forum geworfen hast und sie siehst. Ich wusste nämlich nicht, wie ich dir dies sonst noch sagen kann. Nur so viel: Ich bin dankbar für die Stunden, die wir zusammen verbracht haben.
Ich hoffe sehr, dass du einen Abschluss für dich und deine Schwester gefunden hast. Das wünsche ich dir ehrlich. Ich habe meinen
Abschluss gewählt. Wie du sicher merkst, bin ich darüber kein bisschen traurig.
Nichts, was du hättest sagen können, hätte etwas daran geändert.
Hoffentlich kannst du das verstehen. Und ich wünsche mir von ganzem Herzen, dass du dir keine Vorwürfe machst. Ich werde einfach die Hoffnung mitnehmen, dass du dieses Video siehst und weißt, wie ernst ich es meine.«
Caspar fährt sich mit einer Hand durchs Haar, sodass es in alle Himmelsrichtungen absteht.
»Wir haben uns in dieser Nacht versprochen, dass wir ehrlich miteinander sind, und das möchte ich auch jetzt mit dir sein: Du warst der erste Mensch, der mich einfach nur so gesehen hat, wie ich bin, und dafür bin ich dir unheimlich dankbar.
Ich habe mich schon lange vor der Challenge dazu entschieden, diesen Weg zu gehen. Selbst wenn es Ghost und Deathwish
nicht gegeben hätte, so hätte ich mich doch immer für dieses Ende entschieden. Ich hätte einen anderen Weg gefunden. Einen anderen Ausgang.
Ich bin müde. Von meinen Gedanken, den Geräuschen, den Eindrücken, dem Druck. Das ist meine Chance, endlich auszubrechen, und darauf freue ich mich. Die Challenge hat mir seit Monaten Kraft gegeben, mich am Leben gehalten, denn im Grunde war es nie mehr als das: Ich habe mich gequält. Für andere, niemals für mich selbst.
Und wie du schon sagtest: Dies ist nicht eine dieser Geschichten, in der wir gemeinsam noch unsere Bucket List erledigen, trotzdem wünsche ich dir, dass du deinen Träumen nachjagst. Das klingt jetzt wahnsinnig kitschig, aber dein Leben ist definitiv noch nicht vorbei. Ich bin mir sicher, dass du deine Ziele erreichen wirst.
Lebe für dich, für dich allein. Buch dir ein Flugticket nach Norwegen, schau dir die Nordlichter an.
Ich grüße Rachel von dir. Wir werden gemeinsam nach dir schauen. Du weißt schon, als Sternenkinder. Du bist nicht allein. Und du bist stark, das hast du bewiesen.«
Ein scheues Lächeln in die Kamera.
»Danke und das meine ich wirklich so. Ich wünsche dir ein schönes Leben, Sam.«