XVII.4 Wirkungsvolle Placebos

Die Kunst des Arztes ist es, den Kranken so lange zu amüsieren, bis die Natur ihn heilt.

VOLTAIRE ZUGESCHRIEBEN (16941778)

Als man erkannte, dass das meistverschriebene Antidepressivum klinisch nicht signifikant wirksamer war als ein Placebo, ein Scheinmedikament, herrschte allgemeine Bestürzung. Merkwürdigerweise bewunderte niemand die Wirksamkeit des Placebos. Als Placeboeffekt bezeichnet man jede Wirkung eines Medikaments, die nicht durch dessen spezifische chemische Eigenschaften hervorgerufen wird. Roten, gelben oder orangefarbenen Medikamenten wird beispielsweise eine stimulierende Wirkung zugeschrieben, während blaue und grüne als beruhigend wahrgenommen werden. Ein Placebo kann auch Nebenwirkungen haben. Es kann einem davon schlecht werden, und man kann Bauchschmerzen bekommen. Man kann sogar süchtig danach werden, so dass nach dem Aussetzen der Placebobehandlung Entzugserscheinungen auftreten. Es gibt also genügend Gründe, sich für die Effekte und die neurobiologischen Wirkmechanismen von Placebos zu interessieren.

Beim Placeboeffekt werden die Krankheitssymptome durch unbewusste Veränderungen der Hirntätigkeit verringert. Diese Veränderungen werden von der Erwartung hervorgerufen, die der Patient mit der Behandlung verknüpft. Außerdem gibt es Lerneffekte. Die Inhaltsstoffe eines Placebos sind zwar pharmakologisch unwirksam, aber die Informationen, die der Patient dazu erhält, und seine Erwartungshaltung können sich in einem Placeboeffekt sehr spezifisch auswirken. Diese Wirkung gilt nicht nur für Medikamente, sondern ebenso für Gesprächstherapien, für chirurgische Eingriffe oder andere Therapieformen. Jahrelang wurde Patienten in der Psychiatrie sehr erfolgreich dazu geraten, Panikanfälle zu verkürzen, indem sie in Plastiktüten hineinatmeten. Dahinter stand die Vorstellung, Panikanfälle würden durch das vermehrte Ausatmen von Kohlendioxid bei einer Hyperventilation hervorgerufen. Später zeigte sich jedoch, dass die Hyperventilation nicht die Ursache, sondern die Folge des Panikanfalls war und dass das zusätzliche Kohlendioxid, das mit Hilfe der Plastiktüte eingeatmet wurde, sogar am besten dazu geeignet wäre, einen Panikanfall auszulösen. Doch weil die Patienten an das Atmen in die Plastiktüte glaubten, funktionierte es.

Bei der Parkinson-Krankheit, die auf einem Mangel des chemischen Botenstoffs Dopamin beruht, bewirkt ein Placebo eine höhere Dopaminausschüttung im Gehirn und führt so zu einer Verringerung der Symptome. Die Parkinson-Symptome können sich auch dadurch verringern, dass man den Nucleus subthalamicus, ein kleines Areal tief im Gehirn, mit einer Elektrode hemmt. Wenn der Arzt dem Patienten sagt, er schalte den Stimulator einer solchen Tiefenelektrode ein oder aus, ohne aber tatsächlich etwas Derartiges zu tun, zeigt sich dennoch eine Verstärkung bzw. Verringerung der ParkinsonSymptome. Parkinson-Patienten, denen man eine solche Tiefenelektrode bei vollem Bewusstsein ins Gehirn einsetzte, injizierte man während der Operation eine unwirksame Substanz mit dem Hinweis, es handele sich um ein neues Medikament gegen Parkinson. Bei rund der Hälfte der Patienten verringerte sich daraufhin die elektrische Aktivität in diesem kleinen Hirnareal, und die Symptome wurden schwächer. Offenbar »weiß« das Gehirn der Patienten, die auf Placebos reagieren, in welchen Gebieten es die Aktivität verändern muss, um die Symptome zu verringern. Und aufgrund der Erwartung des Patienten, dass das sogenannte neue Mittel wirkt, gelingt dies dem Gehirn noch besser.

Depressive Patienten, die mit einem Placebo behandelt worden waren, hatten nach sechs Wochen die gleichen Fortschritte erzielt wie Patienten, die ein echtes Antidepressivum eingenommen hatten. Hirnscan-Untersuchungen zeigten, dass es zwischen beiden Gruppen, nämlich der, die Placebos bekommen, und jener, die echte Antidepressiva erhalten hatte, hinsichtlich der Aktivitätsveränderungen der Hirnareale deutliche Parallelen gab. Das Gehirn vollbringt mit Hilfe eines Placebos also genau die funktionellen Veränderungen, die zu einer Abschwächung der Depressionssymptome führen: Es erhöht die Aktivität im präfrontalen Cortex und hemmt die Aktivität im Hypothalamus.

Wenn ein Patient bei Schmerzen ein Placebo bekommt, »weiß« das Gehirn, dass eine höhere Ausschüttung morphinartiger Substanzen und eine Verschiebung der Aktivität in einigen Regionen des Gehirns und des Rückenmarks notwendig sind, um den Schmerz zu unterdrücken. Ein teures Placebo hilft dabei besser als ein billiges. Alzheimer-Patienten fehlt allerdings die Erwartung, dass ein Schmerzmittel ihnen helfen wird. Dadurch ist die Schmerzbekämpfung bei ihnen weniger wirkungsvoll, und man muss die Schmerzmitteldosierung sehr hoch ansetzen, um bei ihnen denselben Effekt wie bei den anderen Patienten zu erzeugen.

Der Placeboeffekt beruht auf dem unbewussten Selbstheilungsvermögen des Gehirns. Zur Behandlung von Krebs kann dieser Mechanismus zwar wenig bis gar nichts beitragen, aber bei einigen Hirnkrankheiten ist er offenbar recht wirkungsvoll. Forschungen zu den Mechanismen von Placeboeffekten und der Frage, warum manche Menschen auf Placebos stärker reagieren als andere und ob das Ausmaß ihrer Spiritualität dabei eine Rolle spielt, könnten weitreichende klinische Konsequenzen nach sich ziehen. Bis dahin sollten wir die Wirkung eines altmodischen, beeindruckenden und vertrauenerweckenden Arztes als »wandelndes Placebo« sicherlich nicht unterschätzen.