XX.2 Dr. Deijman und der Schwarze Jan

Diejenigen, die in ihrem Leben als Missetäter Schaden anrichteten, werden nach ihrem Tod nun von Nutzen sein.

Hirnforschung wurde in Amsterdam bereits im 17. Jahrhundert durchgeführt, wenn auch in einem ganz anderen Kontext als heutzutage. Zum Tode verurteilte Missetäter wurden zunächst in Amsterdam-Nord oder auf dem Dam erhängt. Nach der Hinrichtung stellte man ihre Körper dann der Chirurgengilde für öffentliche Sektionen zur Verfügung. Die Stadtverwaltung gestattete diese einmal im Jahr, und zwar im Winter, denn die Untersuchung zog sich über drei bis fünf Tage hin, und der Gestank wäre im Sommer nicht auszuhalten gewesen. Die Obduktionen wurden anfangs im St.-Margaretha-Kloster an dem Nes, dort, wo sich heute das Flämische Kulturzentrum De Brakke Grond befindet, durchgeführt. Von 1578 bis 1619 und von 1639 bis 1691 lagen dort der Gildensaal und der Sezierraum ein Stockwerk über der Fleischerhalle. Zwischen 1619 und 1639 befand sich der Sezierraum der Chirurgen im früheren Stadttor St. Antoniespoort, der späteren Stadtwaage am Nieuwmarkt (über dem heutigen Restaurant De Waag). Hier hat Rembrandt sehr wahrscheinlich Inspirationen für seine Anatomie des Dr. Nicolaes Tulp gesammelt. Dieses Gemälde aus dem Jahre 1632 ist heute im Mauritshuis in Den Haag zu sehen. Bei öffentlichen Sektionen bestand das Publikum aus einigen hundert Zuschauern, die für 20 Cent der Leichenöffnung beiwohnen durften. Herz, Leber und Nieren wurden im Publikum herumgereicht. Die Rechtfertigung für die Verwendung des Körpers zur chirurgischen Ausbildung ist auch heute noch in der ehemaligen Stadtwaage auf den noch erhaltenen Innenwänden des inzwischen verlorenen Theatrum Anatomicum zu lesen. »Diejenigen, die in ihrem Leben als Missetäter Schaden anrichteten, werden nach ihrem Tod nun von Nutzen sein.«

Rembrandt hat 1656 in seiner Anatomie des Dr. Deijman einen entscheidenden Moment einer solchen Obduktion festgehalten. Der praelector und doctor medicinae Deijman steht hinter dem Kopf des sezierten flämischen Schneiders und Diebes Joris Fonteijn, auch bekannt als der Schwarze Jan, der am 27. Januar 1656 zum Tode durch den Strang verurteilt worden war. Joris Fonteijn war im Januar 1656 hingerichtet worden, wahrscheinlich auf einem provisorisch eingerichteten Schafott auf dem Platz »de Dam« vor dem alten Rathaus. Die Obduktion von Fonteijn wurde im Schneidesaal der Chirurgengilde in der ehemaligen Kapelle des St.-Margaretha-Klosters ausgeführt. Auf Rembrandts Gemälde wartet der »Collegemeester« der Chirurgengilde, Gijsbert Calcoen, als guter Assistent geduldig mit der Schädeldecke in der Hand darauf, dass das Gehirn dort deponiert wird. Inzwischen zieht Dr. Deijman mit einer Pinzette die Haut zwischen der linken und der rechten Hirnhälfte, die Falx cerebri, in die Höhe. Dadurch tritt die Epiphyse (Abb. 2), die Zirbeldrüse, oberhalb der Hirnrinde hervor. Das verlangte das Protokoll, denn die Epiphyse wurde damals, unter Berufung auf Descartes, als Sitz der Seele betrachtet. Die Seele sollte als besondere Strafe am Ende der Sektion sehen, dass der Körper zerschnitten worden war. Descartes lebte etwa neunzehn Jahre lang in den Niederlanden. In Amsterdam wohnte er unter anderem in der Kalverstraat. Dort gab es einen Viehmarkt, auf dem er Gerippe für seine Studien kaufte. Offenbar hat sein Werk im Amsterdam des Rembrandt van Rijn eine deutliche Spur hinterlassen.

Die Anatomie des Dr. Deijman, die heute im Historischen Museum in Amsterdam (AHM) ausgestellt ist, ist nur der Mittelteil des ursprünglichen Gemäldes, das mit einer Größe von 2,5 auf 3 Meter in der Stadtwaage hing und dort 1723 bei einem Brand weitgehend zerstört wurde. Eine Skizze von Rembrandt zeigt, dass um den Mittelteil sieben berühmte Chirurgen gruppiert waren. Da ihre Namen bekannt und sie auch auf anderen Gemälden abgebildet sind, war eine elektronische Rekonstruktion möglich. Sehen Sie es sich doch einmal an, und malen Sie sich aus, welche Perspektiven sich durch die Wiedereinführung der Todesstrafe in den Niederlanden, für die einige populistische Politiker plädieren, eröffnen würden! Sollten wir nicht doch lieber stolz auf das Gemälde sein als stolz auf eine Populistenpartei?