VIII.7 Wie könnte das Bewusstsein funktionieren?

Bewusstsein kann als eine neue emergente Eigenschaft aufgefasst werden, die sich durch das Zusammenwirken des riesigen Netzwerks von Nervenzellen entwickelt.

Im Lauf der Geschichte wurden für unser Umgebungsbewusstsein zahlreiche Metaphern verwendet, wie »cartesianisches Theater«, »der Film in unserem Kopf« oder »der Fernsehschirm«. All diese Metaphern gehen jedoch von der dualistischen Vorstellung aus, dass sich in unserem Kopf gewissermaßen ein kleiner Mann befindet, der die Welt betrachtet, wie sie sich ihm zeigt. Eine kuriose Idee, schon allein deshalb, weil sie die Frage aufwirft, was sich dann wiederum im Kopf dieses kleinen Mannes befindet. Ein weiterer kleiner Mann? Keineswegs, denn es gibt nichts anderes als ein riesiges Netzwerk aus Nervenzellen.

John Eccles, der 1963 für die Erforschung der Erregungsübertragung an den Synapsen der Nervenzellen den Nobelpreis erhielt, scheute sich allerdings, dieses Nervenzellennetzwerk für unser Bewusstsein verantwortlich zu machen. Geleitet von seinem philosophischen Interesse, aber ohne jegliche neurobiologische Untermauerung postulierte er das »Psychon« als elementaren Träger unserer psychischen Funktionen. Er war der Auffassung, eine Gruppe von »Psychonen« bringe zusammen in einem integrierten mentalen Prozess unser Bewusstsein hervor. Da niemand weiß, was ein Psychon eigentlich sein soll, ist diese Konzeption nicht überprüfbar und daher als wissenschaftliche Hypothese inakzeptabel. Zudem ist eine solche Konzeption gar nicht nötig. Alle neueren Forschungen deuten darauf hin, dass das Zusammenwirken einer immensen Menge von Neuronen im Austausch mit mehreren Hirnregionen die Grundlage unseres Bewusstseins bilden. Das rein theoretische »Psychon« ist also eine völlig überflüssige Konzeption.

Bewusstsein kann als eine neue emergente Eigenschaft verstanden werden, die aus dem Zusammenwirken mehrerer spezifischer Hirnregionen innerhalb des riesigen Netzwerks von Nervenzellen in unserem Kopf hervorgeht. Unterschiedliche Nervenzellen und unterschiedliche Hirnregionen haben jeweils spezielle Funktionen; da sie aber auch funktionelle Verbindungen eingehen, bilden sie zusammen eine neue »emergente« Funktion. Es gibt zahlreiche Beispiele solcher emergenten Eigenschaften. Wasserstoff und Sauerstoff kennen wir beispielsweise als Gase. Gehen diese Moleküle eine Verbindung ein, entsteht ein Element mit völlig anderen Eigenschaften, nämlich Wasser. Die Frage, was neurobiologisch genau zur Entstehung des Bewusstseins dieser neuen Eigenschaften erforderlich ist, beschäftigt zahlreiche Hirnforscher. Der Amsterdamer Forscher Victor Lamme geht in seiner Argumentation von der Funktion des Neurons aus, um nach einer Erklärung für das Phänomen »Bewusstsein« zu suchen. Seiner Hypothese nach geben Neuronen der präfrontalen und der parietalen Hirnrinde Informationen an die Hirnrinde zurück, unter anderem über den Thalamus. Diese rekurrente Verarbeitung finde sich sowohl in den rein sensorischen wie auch in den motorischen Arealen. Das heißt, die für unser Bewusstsein wesentliche selektive Aufmerksamkeit entstünde dadurch, dass einige Elemente eines Geschehens rekurrent verarbeitet werden. Das führt dazu, dass wir über die Stimuli, denen wir unsere Aufmerksamkeit zuwenden, berichten können, während wir uns der übrigen Reize nicht bewusst sind. Es gibt keinen Grund für die Annahme, dass derart fundamentale Mechanismen wie rekurrente Verarbeitung und Aufmerksamkeit nicht bei allen Tieren vorkommen, wenn auch in unterschiedlichem Maße.

Der Philosoph Daniel Dennett will das Bewusstsein als rein körperliches chemisches Phänomen erklären. Das ist ein interessanter Ansatz. Er vertritt allerdings auch die Auffassung, Menschen besäßen aufgrund der gewaltigen Auswirkungen der menschlichen Sprachentwicklung eine andere Art von Bewusstsein als Tiere. Meiner Meinung nach liegt die Vermutung näher, dass Tiere einen anderen Grad von Bewusstsein haben. Natürlich liegt das Selbstbewusstsein eines Hundes, der den Geruch des eigenen Urins von dem anderer Hunde unterscheiden kann, auf einem anderen Niveau als das Selbstbewusstsein eines Organismus, der den Spiegeltest besteht, aber offensichtlich gibt es auch beim Hund einen gewissen Grad von Selbstbewusstsein. Das Selbstbewusstsein des Menschen ist im Übrigen nicht von der Sprache abhängig. Auch Menschen, deren Sprachregionen nach einem Schlaganfall nicht mehr funktionieren, sind sich ihrer selbst und ihrer Umgebung noch vollkommen bewusst. Durch Kopfschütteln oder Nicken können sie wichtige Entscheidungen, die sie oder ihr Umfeld angehen, wohldurchdacht treffen, auch wenn sie diese Entscheidungen nicht mehr verbal ausdrücken können.

Wie wichtig es ist, sich seiner selbst und seines Umfelds bewusst zu sein, zeigt sich vor allem bei sozialen Interaktionen, in denen wir die eigene Situation wahrnehmen, ständig zu den Situationen anderer in Beziehung setzen und aus unseren Fehlern lernen. Womit wir wieder zu Charles Darwin und Frans de Waal zurückgekehrt sind, die auf die enorme evolutionäre Bedeutung hingewiesen haben, die das gute Funktionieren des Individuums für die komplexen sozialen Interaktionen innerhalb der Gesamtheit der Gruppe hat (siehe Kap. XXI.1).