XV.3 Der Weg ins Langzeitgedächtnis

Hirnschäden, die Gedächtnisstörungen nach sich ziehen, sind in allen Kontaktsportarten wie Boxen, Kickboxen, Rugby oder Fußball zu beobachten.

Der Hippocampus scheint im Schlaf wiederholt Erinnerungen zu aktivieren und sie zur Hirnrinde zu senden. Ob das vor allem im Traum-(REM-)Schlaf oder im ruhigen Schlaf geschieht, ist noch offen. Der Weg, den die Information durch unser Gehirn zum Langzeitgedächtnis nimmt, beginnt im entorhinalen Cortex, dann wird sie unter der Regie des präfrontalen Cortex für kurze Zeit im Hippocampus gespeichert. Anschließend wandert sie zur Langzeitspeicherung zum einen Teil in den temporalen Cortex zurück und zum anderen Teil auf einem langen Weg in einem großen Bogen über den im Septum hängenden Fornix in Richtung Hypothalamus, von wo aus die Nervenfasern teilweise zu den Corpora mamillare (Abb. 23) und teilweise zum Hippocampus (Abb. 1) führen.

Diese Verbindungen werden bei Berufsboxern ziemlich oft zerrissen. Diese Sportler werden dann dement, ihr Gang wird schwankend und langsam, und ihr Verhalten ändert sich. Diese Berufskrankheit ist als »punch-drunk« oder Dementia pugilistica bekannt. Oft war bei diesen Ex-Boxern das Septum zerrissen, der Fornix geschrumpft, die Nervenfasern im Fornix enthielten zu wenig isolierendes Myelin, die Corpora mamillaria waren zu klein und völlig vernarbt, und der dritte Ventrikel war durch den Verlust von Hirngewebe vergrößert. Das Gehirn dieser Boxer zeigte außerdem die für die Alzheimer-Krankheit typischen Veränderungen; der zerebrale Cortex war geschrumpft, und es war, vor allem temporal und im Hippocampus, Zellausfall erkennbar (siehe auch Kap. XIX.1). Es gibt also genug Gründe für eine starke Gedächtnisstörung und anderweitige Funktionsstörungen bei Ex-Boxern. Durch Sport verursachte und zu Gedächtnisstörungen führende Hirnschäden beobachtet man übrigens nicht nur beim Boxen, sondern auch bei anderen Kontaktsportarten wie Kickboxen, Rugby und Fußball. Auch Schlaganfälle oder Blutungen können in den oben genannten Arealen und Verbindungen Gedächtnisstörungen oder sogar Demenz auslösen. Bei der Korsakow-Demenz, die durch Alkoholmissbrauch in Kombination mit schlechten Ernährungsgewohnheiten mit Vitamin-B1-Mangel als Folge entsteht, finden sich in den Corpora mamillaria kleine Blutungen und Narben. Korsakow-Patienten zeigen Gedächtnisstörungen, die denen von Patienten mit Schädigungen im Temporallappen gleichen. Sie füllen ihre Gedächtnislücken mit erfundenen Geschichten.

Dass die Corpora mamillaria für unser Gedächtnis wichtig sind, lässt sich nicht nur an den Problemen von Ex-Boxern sowie bei einem Tumor oder nach einer Operation in diesem Areal (siehe Kap. VI.2) erkennen, sondern auch anhand des bizarren Unfalls eines Mannes bei einer Billardpartie. Der Gegner hatte ihm den Queue durch sein Nasenloch nach innen gestoßen, dabei die Hirnbasis durchbohrt und die Corpora mamillare beschädigt. Der arme Mann behielt von diesem Vorfall starke Gedächtnisstörungen zurück.

In den Corpora mamillaria schaltet die Information zum Thalamus um (Abb. 2). Kleine Infarkte im Thalamus können daher starke Gedächtnisstörungen und sogar Demenz nach sich ziehen. Danach wird die Information zu Hirnrindenregionen gesandt, aus denen Erinnerungen bewusst wieder wachgerufen werden können: in das deklarative oder explizite Gedächtnis für Tatsachen und Ereignisse.