XVI.9 Reaktionen auf meine Sichtweise der Religion

Vergebt mir die kleinen Scherze, die ich über Euch, o Herr, gemacht habe, und ich werde Euch den gewaltigen Scherz vergeben, den Ihr mit mir getrieben habt.

ROBERT FROST (18741963)

Alles fing freundlich an. Am 30. 9. 2000 erschien anlässlich meines Vortrags über Gehirn und Religion ein seitengroßer Artikel in der Zeitung Trouw unter der Überschrift »Wir sind unser Gehirn«, dem Titel meines Vortrags. Kurz darauf schrieb Mgr. Dr. Everard de Jong, Hilfsbischof von Roermond, einen schönen, langen Brief an diese Zeitung mit seiner Kritik, die im Kern darauf hinauslief, dass wir mehr seien als unser Körper, und in einer Frage kulminierte: »Prof. Swaabs Frau wird doch nicht bloß – oder in erster Linie – sein vergängliches Gehirn lieben?« Einige Zeit darauf kam er bei einem anderen Diskussionstreffen in der Pause zu mir und stellte sich als der Verfasser des Leserbriefs vor.

»Das passt gut«, sagte ich, »ich glaube, ich kann Ihnen eine Antwort geben. Meine Frau sagte, dass sie keinerlei Einwände hätte, wenn mein Gehirn in den Körper von Steve McQueen transplantiert werden würde.« Ganz gegen meine Erwartung zuckte er mit keiner Wimper und starrte mich glasig an. Er wusste einfach nicht, wer Steve McQueen war. Nachdem Cees Dekker dem Minister Plasterk sein Buch Omhoog kijken in platland (»Emporschauen in einem flachen Land«) überreicht hatte, war ich 2007 zu einer Diskussion mit Dekker eingeladen – zusammen mit Mgr. Dr. Everard de Jong. Ich fragte ihn sofort, ob er inzwischen wisse, wer Steve McQueen sei. Er musste bekennen, dass er es noch immer nicht wusste! Der Hilfsbischof versuchte danach auf eine sehr nette Weise, mich wieder auf den rechten Weg zu bringen, indem er mir das Buch The Spiritual Brain – A Neuroscientist’s Case for The Existence of The Soul von Beauregard und O’Leary schickte. Das Buch konnte meinen Unglauben allerdings nicht ins Wanken bringen.

2005 kamen zwei Programmgestalter auf mich zu mit der Frage, ob ich an einer Fernsehsendung über Gehirn und Glauben mitwirken wollte. Es waren Rob Muntz und Paul Jan van de Wint. Ihre Namen sagten mir nichts, aber ich verstand mich ausgezeichnet mit ihnen. Von ihrem wüsten Ruf wusste ich ebenfalls nichts. Das ging offenbar nur mir so, denn meine Mitarbeiter erkannten sie sofort. Van de Wint plante, fünf Gläubige in ihrer Wohnung und fünf Atheisten in der Kirche zu interviewen, und zwischendurch sollte Muntz Menschen auf der Straße nach ihrer Meinung dazu befragen. Das Programm sollte von dem Bildungssender RVU landesweit ausgestrahlt werden. Das hörte sich gut an. Wir hatten ein angenehmes Gespräch, und ich sagte meine Mitarbeit zu. Später schnitten sie die Interviews mit den Gläubigen heraus, weil sie zu langweilig waren.

Das Interview mit mir war das erste in der Reihe und fand in der St. Nicolaaskerk in Amsterdam statt. Ich erzählte über die Grenzerfahrungen der Jeanne d’Arc, des Apostels Paulus und Mohammeds, von manischen Patienten, die glauben, dass sie Gott seien, und von schizophrenen Patienten, die mitunter Aufträge von Gott erhielten. Weiter erläuterte ich, wie man mit Hilfe elektrischer Stimulation der Gehirnrinde das Gefühl hervorrufen kann, aus seinem Körper herauszutreten, wie es auch bei Nahtoderfahrungen geschildert wird. Außerdem sprachen wir darüber, dass Elemente wie das Aggressionsverhalten bereits in der Frühphase der Entwicklung festgelegt werden, und darüber, welche Bedeutung dieser Festlegung hinsichtlich der moralischen Verantwortung für das eigene Handeln zukommt. Und schließlich kamen meine persönlichen Auffassungen über Glauben, Himmel und ein Leben nach dem Tod zur Sprache.

In einer Voraufführung in dem winzig kleinen Parool Theater kurz vor der Ausstrahlung der Serie, die – wie sich herausstellte – den Titel »Es gibt keinen Gott« trug, sah ich mit Schrecken zum ersten Mal die absurden Einspielungen, die in das Interview montiert waren, und ich dachte: Das gibt Ärger. Aber es war zu spät, um noch etwas zu ändern. Nach der Vorführung wurde ich aufs Podium gebeten, um einen Kommentar abzugeben. Wie ich die Sendung fände? Ich hielt mich tapfer und sagte: »Ziemlich gutes Programm, nur schade, dass zwischen den Filmen immer dieses blöde Geschwätz kommen muss.« Es wurde ein anregender Abend, aber meine Familie sah der Ausstrahlung des Interviews mit mir am 7. Juni 2005 alles andere als zuversichtlich entgegen – und das zu Recht.

Am 4. Juni beantragte die St. Nicolaaskerk im Eilverfahren, die Ausstrahlung zu verbieten. Aber der Fernsehsender RVU hatte sich an die Vereinbarungen mit der Kirche gehalten, und die Raummiete von 50 Euro pro Stunde war bezahlt. Das Angebot des RVU, sowohl vor wie nach der Ausstrahlung einen Text einzublenden, in dem sich die Kirche von der Sendung distanzierte, wurde vom Richter akzeptiert, der Forderung nach einem Verbot aber nicht stattgegeben. Inzwischen begannen Tausende von Christen Hassmails an Muntz und van de Wint zu schicken. Vor der Sendung protestierten die römisch-katholischen und die protestantischen Kirchen der Niederlande Seite an Seite, aber zu einem Verbot der Sendung kam es nicht. Immerhin wurde die Ausstrahlung am 7. Juni auf einen Zeitpunkt verschoben, zu dem kaum noch Zuschauer sie sehen würden (wenige Minuten vor Mitternacht), und die Wiederholung am Sonntag wurde gestrichen. In meinem Umfeld reagierte man positiv auf das Interview, aber die Einspielungen zwischendurch gingen ziemlich vielen Leuten zu weit. Am 9. Juni verlangten die christlichen SGP- und CU-Fraktionen der Zweiten Kammer, »die rundheraus blasphemische Sendung vom Sender zu nehmen«. Ihre schriftlichen Anträge gingen an Ministerpräsident Balkenende, an Justizminister Donner und an den Staatssekretär für Kultur und Medien van der Laan. Der niederländischen Nachrichtenagentur ANP zufolge fanden die Fraktionen, dass in der Sendung »wissentlich in äußerst schädlicher Weise Spott mit Gott und dem christlichen Glauben getrieben wurde«. Von den offiziellen Klagen habe ich nie wieder etwas gehört. Das Gleiche gilt für die Anzeige, die der Bond tegen het Vloeken, der Bund gegen das Fluchen, am 23. Juni 2005 gegen die RVU-Sendung erhob, die sich angeblich »der Gotteslästerung und Beleidigung schuldig gemacht« hatte. So weit die Reaktionen aus den toleranten Niederlanden.