KAPITEL 22

ADDY

ZU EINER UNBESTIMMTEN ZEIT,
IN DER SPHÄRE DER TRÄUME

Addy rannte zur Haustür und zerrte vergebens daran. Die Panik wuchs ihr über den Kopf. »Verdammt!«, stieß sie aus und schlug mit beiden Händen gegen die Tür. Es musste doch einen Weg raus aus diesem Albtraum geben.

»Das bringt nichts!«, rief Younes.

»Wir verschwinden durch die Höhle«, schlug sie vor.

»Höhle?«, fragte Younes.

Casimir nickte und deutete zur Treppe. »Wir kamen durch eine Höhle in das Haus. Sie ist im oberen Stockwerk und führt …«

»Zurück zu diesem Lavamonster?«, warf Liam ein.

»Alles ist besser, als hier festzusitzen«, meinte Addy.

Younes schüttelte den Kopf. »Aber da ist keine Höhle. Da ist nichts weiter als ein Dachboden.«

»Jetzt nicht mehr«, widersprach Liam. Ein lautes Scheppern aus einem der Räume ließ sie alle zusammenzucken. »Wir können das jetzt natürlich erst einmal in Ruhe ausdiskutieren.«

Addy lief an ihnen vorbei, den Weg zurück, den sie gekommen waren.

»Wo willst du hin?«, rief Liam ihr nach.

»Die Räume wiederholen sich, schon vergessen?«

Sie lief weiter und die anderen folgten ihr. Doch schon bald war sie sich nicht mehr sicher, auf dem richtigen Weg zu sein. Als sie endlich die Treppe erreichte, blickte sie hinauf, wagte den Schritt auf die erste Stufe aber nicht. Was, wenn sie alle in die Irre geführt hatte?

Casimir trat neben sie und nickte aufbauend. »Wir sind richtig«, versicherte er ihr und warf einen Blick zurück. »Beeilt euch.«

Die anderen schlossen zu ihnen auf und gemeinsam liefen sie nach oben.

»Hey, wir haben es geschafft!«, stieß Liam aus und deutete auf die Kommode.

Das Bild, das er bei ihrer Ankunft betrachtet hatte, lag nicht, sondern stand genau dort, wo er es zurückgelassen hatte.

Erleichtert atmete Addy durch. Sie lief zum nächsten Treppenaufgang und tauchte in die Dunkelheit ein. Mit den Händen tastete sie sich voran, wartete darauf, kalten Stein unter ihren Fingerkuppen zu fühlen, spürte aber nur, wie ihr die Brust bei jeder genommenen Stufe enger wurde. Da war kein Stein, keine Höhle. Nichts dergleichen.

Sie erreichte einen Dachboden. Genau wie es Younes vorausgesagt hatte. Die Höhle war einfach verschwunden. Mit klopfendem Herzen bestieg sie die Dielen, richtete sich auf und sah sich um. An der Decke baumelte eine nackte Glühbirne, der Sturm tobte laut um sie herum und fahles Licht fiel zwischen den klappernden Ziegeln hindurch. Es beschien den Staub, der in der Luft tanzte und auf unzähligen, modrigen Kisten lag.

Auch die anderen betraten einer nach dem anderen den Dachboden. Schweigend sahen sie sich um, bis Liam nach der Schnur an der Glühbirne griff, daran zog und sie dadurch anschaltete. Sie flackerte und surrte leise. »Soll das jetzt heißen, wir sitzen in diesem versifften Drecksloch fest?«

»Dieses Drecksloch ist mein Zuhause!«, fuhr Younes ihn an. Blitze zuckten zwischen seinen Fingern auf.

Liam hob verteidigend die Hände. »Du musst mich nicht gleich grillen.«

»Das hatte ich auch nicht vor«, zischte Younes verbissen.

»Es muss einen Weg hier rausgeben«, meinte Casimir. »Was ist mit dem zerbrochenen Fenster? Oder wir steigen durchs Dach.«

»Es gibt keinen Weg«, beharrte Younes. »Glaubt ihr nicht, ich hätte ihn schon gefunden, wenn es ihn gäbe? Wenn man durch ein Fenster rauswill, wird der Sturm so heftig, dass man nicht gegen ihn ankommt.«

»Wenn nicht durch eine Tür oder ein Fenster, dann geht es auf einem anderen Weg raus«, sagte Addy mit fester Überzeugung. »Das hier ist ein Albtraum. Ein selbst geschaffenes Gebilde aus Ängsten. So wie auch bei mir, Liam und …« Sie sah zu Casimir und brach ab. Sie wollte nicht aussprechen, dass auch er mit seinen größten Ängsten konfrontiert wurde. Mit der Angst, zu einem Menschen zu werden – so wie sie einer war. Und noch hatte er diesen Albtraum nicht überwunden. Ihre Stimme klang brüchig, als sie fortfuhr. »Und wir haben auch einen Weg gefunden.«

»Was, bitte, soll das heißen?«, fragte Younes.

»Diese Welt zeigt dir deine größten Ängste«, erklärte Casimir. »Du musst sie überwinden, um voranzukommen.«

»Soll das heißen, es ist meine Schuld? Ihr sitzt meinetwegen hier fest?«

Liam zuckte mit dem Schultern. »Im Prinzip schon.«

»Ich habe dieses Monster nicht erschaffen!« Younes wandte sich ab, raufte sich das Haar und schrie schließlich vor Wut. »Das ist nicht meine Schuld, verdammt!« Er schlug seine Faust gegen einen Stützbalken, Blitze durchzuckten seinen ganzen Körper, fuhren in die Wände und den Boden, ließen das Licht flackern und die anderen wichen vor ihm zurück.

Er zog seine Hand wieder weg und starrte auf seine gespreizten Finger. »Ich kann es nicht kontrollieren«, sagte er mit erstickter Stimme. »Und ich kann ihn nicht kontrollieren, okay? Es ist nicht meine Schuld.«

Addy trat vorsichtig einen Schritt auf ihn zu. »Hör nicht auf das, was Liam sagt«, bat sie und warf Liam dabei einen scharfen Blick zu.

Plötzlich brach zwischen ihnen der Holzboden auf. Die Dielen zerbarsten, als wären sie aus trockenem Stroh, und Younes stolperte erschrocken zurück. Eine Hand packte ihn am Fußgelenk, brachte ihn zu Fall und versuchte, ihn in die Tiefe zu ziehen.

Addy griff instinktiv nach ihm, bekam jedoch einen Stromschlag, als ihre Hände sich berührten, und ein heftiger Schmerz durchzuckte sie. Sie wurde von ihm geschleudert, schlug gegen die Dachschräge und landete auf dem Boden. Casimir war sofort bei ihr.

Liam packte eine der Kisten, warf sie nach dem Monster und Younes gelang es, sich zu befreien. Auf allen vieren stolperte er weg, erreichte ein paar abgedeckte Möbel und warf sich dahinter. Der Angreifer stieg durch den Boden und setzte ihm nach.

»Wir müssen ihm helfen!«, sagte Addy und versuchte, auf die Beine zu kommen, scheiterte aber. Der Stromschlag hatte ihr stark zugesetzt, ihr ganzer Körper schmerzte und ihre Knie fühlten sich weich an.

»Aber wie?«, fragte Liam.

Das Wesen brüllte und begann, die Möbel auseinanderzunehmen.

»Dir haben wir auch geholfen.« Noch einmal versuchte Addy aufzustehen und diesmal gelang es ihr.

Liam verengte nachdenklich den Blick. »Schlussendlich habe ich mir selbst geholfen, nicht wahr?«

»Was willst du damit sagen?«, fragte Addy.

Liam antwortete nicht. Stattdessen trat er näher an das tobende Monster heran und wandte sich an Younes. »Töte es!«, rief er ihm zu.

Addy und Casimir folgten Liam. Durch den Stromschlag fühlten sich ihre Glieder wie betäubt an und es fiel ihr schwer, auch nur geradeaus zu laufen.

Der Inhalt der Kiste, die Liam geworfen hatte, lag quer über dem Boden verteilt. Es waren Erinnerungsstücke. Bilder einer glücklichen Familie, Stofftiere, Frauenkleider. Erst jetzt erkannte Addy, dass auf den meisten Kisten »Mum« stand. Ein mulmiges Gefühl ergriff sie.

»Töte es, verdammt!«, wiederholte Liam. »Du hast als Einziger die Kraft dazu.«

»Ich kann nicht!«, schrie Younes.

Das Monster packte das Sofa, auf das es eingeschlagen hatte, schleuderte es von sich und bekam Younes am Hals zu greifen. Mühelos zog es ihn auf die Füße, sodass er in der Luft hing, mit den Beinen zuckte und nach Atem rang.

»Verdammt, der lässt sich lieber töten, als sich zu wehren!« Liam schaute sich gehetzt um und griff nach einer Stehlampe.

Er schrie, hob die Lampe an und schlug damit auf den Rücken des Monstrums ein. Er musste mehrmals zuschlagen, bevor die Bestie überhaupt Notiz von ihm nahm.

»Was sollen wir bloß tun?«, fragte Addy.

Casimir schüttelte nur den Kopf. Sie konnte ihm vom Gesicht ablesen, wie machtlos er sich fühlte. Schließlich traf er eine Entscheidung und griff sich einen Hocker.

Gemeinsam mit Liam schlug er auf das Monster ein und endlich ließ es von Younes ab. Kraftlos sackte er zu Boden, hustete und schnappte nach Luft. Die Bestie wirbelte herum, schlug nach Liam und schleuderte ihn von sich, sodass er quer durch den Raum flog und in einem Stapel Kisten landete.

Addy lief zu ihm und half ihm auf, während sich Casimir schützend vor ihnen aufbaute.

Das Monster wirkte nicht sehr beeindruckt von ihm. Es schaute ihn einen Moment an, ließ ihn dann aber stehen und wandte sich wieder Younes zu.

Der rang noch immer nach Luft. Mit weit aufgerissenen Augen blickte er zu dem Monster auf und versuchte, rücklings von ihm wegzurobben.

»Du Idiot!«, rief Liam. »Jetzt töte es schon, verdammt, oder willst du, dass es uns alle umbringt?«

Das Monster stürzte sich auf Younes, er hob die Hand und ein Blitz schoss von ihr direkt durch die Brust der Bestie, durchbohrte sie und in einem markerschütterndem Schrei zerplatzte sie zu schwarzem Schlick, der Dach, Wände und Boden tränkte.

Schwer atmend senkte Younes seine zittrige Hand. Addy war wie erstarrt und brauchte einen Moment, um sich aus ihrer Starre zu befreien. Vorsichtig ging sie auf Younes zu.

»Nein!«, schrie er mit überschlagender Stimme. Er hob seine Hand und richtete sie abwehrend auf Addy. Erschrocken blieb sie stehen. »Ihr versteht das nicht! Es wird schlimmer. Jedes Mal wird es schlimmer und er stärker.«

Hatte er sich deswegen nicht gewehrt? Weil die Kräfte in ihm unkontrollierbarer wurden, je öfter er sie benutzte? Sie trat einen weiteren Schritt auf Younes zu, sah dann aber, wie sich der Schlick langsam wieder zusammenzog und neue Form annahm. Dieses Monster war nicht besiegt. Vielleicht war es gar nicht zu töten.

»Komm da weg!«, forderte sie Younes auf.

Zögerlich folgte er ihrer Aufforderung und lief in einem Bogen um den Schlick. Als er bei Addy angelangt war, wich er auch ihr aus. Die Blitze um seine Hände waren wirklich viel kräftiger geworden, griffen auf die Umgebung über und hinterließen überall Schmauchspuren.

»Und wenn du ihm jetzt noch so einen Schlag verpasst?«, fragte Liam.

»Das habe ich alles schon versucht«, knurrte Younes.

»Wieder nach unten?«, fragte Casimir.

»Es ist egal, er findet uns überall«, meinte Younes.

Sie wollten erst einmal so viel Abstand wie möglich zu dem Monster gewinnen und waren ins Erdgeschoss geflüchtet. Nachdem sie an immer gleichen Zimmern vorbei, durch endlos scheinende Gänge gelaufen waren, hatten sie sich in eine Küche zurückgezogen.

Liam steckte mit dem Kopf im Kühlschrank, während Younes unruhig auf und ab ging.

»Wir haben höchstens ein paar Minuten«, erklärte er. »Vielleicht … vielleicht sollte ich es einfach geschehen lassen.«

»Genau das ist es doch, was Terra will«, widersprach Addy.

»Habe ich denn eine andere Wahl?!«, schrie er sie an. Seine Wut stachelte die Energie in ihm erneut an und er zuckte zusammen, als würde ihm das Schmerzen bereiten. »Ich kann ihn nicht immer und immer wieder töten … Irgendwann werde ich es gar nicht mehr kontrollieren können und euch alle umbringen.«

Liam richtete sich auf. »Habt ihr auch was anderes als Bier im Haus?«

Younes deutete unwirsch auf einen Hängeschrank. »Da ist …«, begann er, doch ein Blitz schoss, ausgelöst durch seine Geste, zum Schrank und riss die Tür aus den Angeln. »… Müsli im Schrank.«

»Er wird uns wirklich alle grillen, wenn das so weitergeht«, meinte Liam.

Casimirs Finger wanderten über die Broschüren und Zeitungen auf dem Tisch. Eine Schlagzeile handelte von Elekreen, die Broschüren waren von verschiedenen Therapie- und Rehazentren. »Du musst es uns erklären«, meinte er nachdenklich. »Wir können nur eine Lösung finden, wenn wir verstehen, was hier vor sich geht. Wer ist dieses Monster und wieso greift es dich an?«

In Younes’ Augen blitzte es gefährlich, als wäre er gänzlich zu einem Meliad geworden, und seine Muskeln spannten sich an. Man konnte sehen, wie die Wut in ihm überhandnahm. Dennoch gelang es ihm, ruhig zu antworten. »Es ist mein Vater.«

Für einen Moment herrschte erdrückende Stille. Addy wusste nicht, was sie darauf sagen sollte. Was musste Schreckliches zwischen ihm und diesem Mann vorgefallen sein, dass er Younes im Leben nach dem Tod diese Hölle bereitete? Sie konnte es sich nicht einmal ausmalen.

»Ungeklärte Differenzen zwischen dir und deinem Vater also«, meinte Liam nachdenklich. Er lehnte an der Küchentheke und griff in die Cornflakespackung, die er sich aus dem Schrank geholt hatte. »So was kenne ich. Mein Dad war auch von einem Belial besessen. Wir brauchen Tageslicht, um ihn davon zu befreien.«

»Und wo, bitte, sollen wir das herholen?«, warf Younes ihm entgegen. »Draußen tobt ein Sturm, der alles verdunkelt, wir können das Haus nicht verlassen, und selbst wenn er nicht mehr von einem Belial besessen wäre …« Er brach ab.

»Was wäre dann?«, hakte Addy nach.

»Dann wäre er immer er.« Younes verschränkte die Arme, lehnte sich ebenfalls an die Küchentheke und warf Liam einen missbilligenden Blick zu. »Schmeckt es?«

»Na ja, ein wenig verkohlt«, meinte Liam schief grinsend.

Younes musste schmunzeln und Addy fiel sofort auf, dass die Energie, die von ihm ausging, abebbte, als sich seine Stimmung aufhellte.

»Bist du dir sicher, dass es dein Vater ist?«, fragte sie. Sie kannte weder Younes’ Vergangenheit noch das Verhältnis zwischen ihm und seinem Dad, aber sie war sich sicher, dass hinter diesem Albtraum mehr steckte. Dieses Monster sah nicht aus wie ein Mann, der von einem Belial besessen war. Und es benahm sich auch nicht so. Und dazu kamen Younes’ Kräfte, die ihn regelrecht von innen heraus aufzuzehren schienen und stärker wurden, je öfter er sie benutzte.

Verwundert sah Younes sie an. »Wie meinst du das?«

Addy ging auf ihn zu, doch Casimir hielt sie davon ab. »Schon gut«, meinte sie und strich seine Hand von ihrem Arm.

Younes wich vor ihr zurück, als sie sich ihm weiter näherte. »Bleib dort stehen. Ich werde dich verletzen, wenn du näher kommst.«

»Willst du das denn?«, fragte sie.

»Nein, natürlich nicht.«

»Addy, was hast du vor?«, fragte Casimir.

»Schon gut«, wiegelte sie ab und wandte sich wieder an Younes. »Wir sind hier in der Welt der Träume. Wenn du mich nicht verletzen willst, wirst du es auch nicht tun.«

Younes schüttelte den Kopf. »So einfach ist das nicht«, widersprach er und wich weiter vor ihr zurück.

Etwas tropfte von der Decke auf seine Schulter. Er schaute nach oben, wo sich ein schwarzer Fleck gebildet hatte, und riss die Augen auf. »Er kommt!«

Der Belial sickerte durch die Deckenverkleidung. Tropfen um Tropfen klatschte auf den Boden und die Anrichte und sickerte über die Wände nach unten.

»Nimm meine Hand«, forderte Addy Younes auf.

»Ich tue dir weh!«, sagte er. »Ich tue allen weh, die mir zu nahe kommen.«

War es das, was ihm Angst machte? Nicht dieses Monster, nicht sein Vater. Hatte er Angst davor, andere zu verletzen? Angst davor, selbst ein Monster zu sein?

»Sie hat recht«, mischte sich Liam ein. »Dieses Ding, das ist nicht wirklich dein Dad, oder? Komm schon, nimm ihre Hand, dann verschwinden wir von hier.«

»Ich kann nicht, verdammt!«, schrie Younes. Blitze zuckten bei diesen Worten von ihm zu allen Seiten weg. Liam und Addy wichen zurück.

Weiterer Schlick tropfte von der Decke und zwang auch Younes zurückzuweichen.

»Ich kann nicht«, wiederholte er, presste seine Hände fest an sich und wich so weit zurück, dass er mit dem Rücken zur Wand stand.

Hilfe suchend sah sich Addy zu den anderen um, doch auch die wussten nicht weiter. Die Decke über ihnen knarzte bedrohlich, brach mit einem Mal auf und der Belial klatschte wie ein Schwall Schlamm zwischen Addy und Younes auf den Küchenboden.

Addy wusste nicht, was sie noch tun konnte. Wenn Younes nicht bereit war, ihre Hand zu ergreifen, wenn er nicht daran glaubte, diese Macht in sich kontrollieren zu können, statt von ihr kontrolliert zu werden, wie sollten sie dann diesem Albtraum entfliehen? Was hatte er erlebt, dass seine Angst, andere zu verletzen, so groß war?

Aus dem Schlick erhob sich eine Gestalt, die nach und nach die Form eines Mannes annahm.

»Das ist doch nicht zu fassen«, schnaubte Liam. Er umrundete das Monster und baute sich zwischen ihm und Younes auf.

»Was hast du vor?«, rief Addy. Hatte er denn vergessen, dass dieses Ding ihnen genauso gefährlich werden konnte? Keiner von ihnen durfte in dieser Welt sterben. Nicht, wenn sie ihre retten wollten.

»Na, was wohl?«, warf Liam zurück und sah das Monster direkt an. »Man kann sich nicht immer selber retten. Manchmal braucht es jemanden, der einem den Rücken freihält.«

Fest entschlossen sah er dem Monster ins Gesicht und tatsächlich blieb es stehen.

Younes, der die Arme schützend gehoben hatte, senkte sie wieder. »Tu das nicht«, bat er. »Verschwinde von hier, bevor es dich angreift.«

»Du kapierst es nicht, oder?«, fragte Liam, ohne den Blick von dem Monster zu nehmen, das ihm schnaubend gegenüberstand. »Dieses Ding, das bist in Wirklichkeit doch du. Du kämpft hier die ganze Zeit gegen dich selbst. Jeder Trottel würde das erkennen. Wenn du also nicht vorhast, mich zu killen, passiert mir nichts und das beweise ich dir gerade. Andererseits …« Er wich unweigerlich einen Schritt zurück. »Du willst mich doch nicht umbringen, oder?«

Younes starrte zu Boden. Seine Gedanken schienen zu rasen. »Nein«, sagte er leise.

Kaum hatte er dieses Wort ausgesprochen, schien sich das Monster zu beruhigen.

»Na, geht doch«, sagte Liam erleichtert. Er wirkte nervös. Ganz so frei von Angst, wie er gerade tat, schien er nicht wirklich zu sein, versuchte sich das aber nicht anmerken zu lassen. »Wie wäre es, wenn wir jetzt verschwinden?«

Addy lief in gebührendem Abstand an dem Monster vorbei und streckte Younes die Hand entgegen. »Komm«, bat sie erneut. »Du wirst mir nicht wehtun.«

Younes griff nicht zu. »Ohne mich kommt ihr hier vielleicht raus. Wenn ihr mich hierlasst …«

»Das werden wir nicht«, widersprach sie.

Er atmete tief durch, die Blitze verschwanden und er ergriff ihre Hand. Sobald sie einander berührten, durchfuhr Addy ein Beben, wie sie es schon einmal gespürt hatte. Es kam ihr vor, als würde Terras gesamte Sphäre von einem Ruck durchfahren werden. Für einen Moment wackelte das Bild vor ihren Augen und sie spürte eine unheimliche Macht, die sie bis ins tiefste Innere erfüllte.

Younes riss erschrocken die Augen auf und in dem Moment löste sich das Monster aus seiner Erstarrung und stürzte voran. Es schlug nach Liam, der wich zur Seite aus und die Faust der Bestie traf die Wand.

Diesmal war das Monster nicht so unverwundbar wie bisher. Als wäre es aus poröser Kohle, zogen sich Risse von seinem Arm über den gesamten Körper und es zerbröselte vor ihren Augen zu Staub.

Fassungslos sahen sie dabei zu. Liam stolperte vor dem aufwirbelnden Dreck zurück und schob sich zwischen Addy und Younes, woraufhin er ihre Hand losließ.

Einen Moment noch starrte Addy auf die Überreste der Bestie, dann wandte sie sich Casimir zu.

»War’s das jetzt?«, fragte Liam.

Younes sah zu seinen Händen. »Ich schätze schon«, meinte er nachdenklich. Er krümmte und spreizte seine Finger, aber nichts geschah. Dann sah er zu Addy. »Was war das, als wir uns berührt haben?«

»Ich weiß nicht«, erwiderte sie.

»Eine Erschütterung durch diese Sphäre«, erklärte Casimir. »Deswegen seid ihr doch hier. Um Terra Maters Welt aus den Angeln zu heben, oder?«

»Stimmt, da war ja was«, meinte Liam lachend.

»Und du bist?«, fragte Younes an Casimir gerichtet. »Tut mir leid, irgendwie war nicht die Gelegenheit, früher zu fragen. Sind wir zu fünft?«

»Das ist Casimir«, erklärte Addy.

»Ein Meliad«, fügte Liam missmutig hinzu.

Erst jetzt dachte Addy daran, dass Younes von einem Meliad besessen gewesen war. Sie wusste nicht, was er davon hielt, in dieser Sphäre auf einen weiteren zu treffen.

»Ein ziemlich unnützer, wie du sicher bemerkt hast«, ergänzte Casimir.

»Und dieses Aussehen?«, fragte Younes. »Ist das der Menschenkörper, den du übernommen hast? Ist er mit dir gestorben, als du hier gelandet bist?«

»Nein, er war vorher schon tot. Ich habe nicht den Körper eines Lebenden übernommen. Das hätte ich niemals getan. Warum fragst du?«

Younes verengte den Blick. Etwas schien ihn zu beschäftigen, aber schließlich schüttelte er nur den Kopf. »Nicht wichtig«, wiegelte er ab.

»Und jetzt?«, fragte Liam und wandte sich Addy zu.

»Jetzt finden wir Ayumi«, sagte sie.