DIE LIEBEN DER GÖTTER
Pater Bonifazio erweist sich als wirkungsvoller Fürsprecher. Als Sander eine Woche später wiederkommt, wird er von dem bulligen Türsteher sogleich in ein separates Zimmer geführt.
»Wartet hier!«, befiehlt der Zerberus und schließt die Tür hinter sich. Sander ist allein. An der Wand hängt ein großes Bildnis des heiligen Sebastian im süßen Todeskampf. Blumen sind auf dem Tisch in der Mitte des Raumes arrangiert, in einer chinesischen Vase mit blauen, sich um die gewölbte Oberfläche schlängelnden, fremdartigen Drachen.
Plötzlich öffnet sich die Tür. Der rote Kardinal persönlich kommt herein, gefolgt von Pater Bonifazio.
»Maestro!«, begrüßt er Sander mit großer Herzlichkeit. »Ich bin so froh, Euch endlich persönlich kennenzulernen. Ich habe viel von Euch gehört, und Pater Bonifazio hier
war so zuvorkommend, mir Eure Entwürfe zu zeigen. Außergewöhnlich! Ganz außergewöhnlich! Ich bin hocherfreut!«
Die warmen, intelligenten Augen des Kardinals leuchten vor Vergnügen. Sander ist sich nicht sicher, ob er dieser herzlichen Begrüßung vertrauen kann.
»Eure Eminenz, ich bin geehrt«, sagt er, und dann: »Ich weiß, es war gewagt von mir, ein völlig anderes Thema vorzuschlagen.«
»Ich bin froh darüber! Der Sieg der Tugend – eine abgeschmackte Idee. Unerträglich langweilig, etwas für Provinzprälaten und aufstrebende Kaufleute. Rom aber baut auf alten Fundamenten, auf einer Größe, einer Gelassenheit, die wir verloren haben! Was kann es Wichtigeres geben in diesen traurigen Zeiten, als die Liebe zu feiern?«
»Ich habe Sorge getragen, dass mein Werk auch vor frommen Augen bestehen kann.«
»Ach?«, fragt der Kardinal belustigt und hebt die Augenbrauen. »Ihr macht mich neugierig!«
»Dionysos, der Gott des Weins, der mit seinen Jüngern durch die Lande zieht, wird oft als Vorahnung auf das Kommen des Erlösers gedeutet, und seine Liebe zu Ampelos, der in eine Rebe verwandelt und dessen Blut zu Wein wird, führt direkt zum wahren Weinstock aus dem Evangelium und dem Blutopfer des Heilands selbst. Ich will Euch nicht zur Last fallen mit weiteren Interpretationen, aber jedes individuelle Bild ist von Weinranken umschlungen und zeigt ein neues Gesicht der göttlichen Liebe zur Schöpfung.«
»Verehrter Maestro, wie ich sehe, habe ich Euch unterschätzt! Das ist hervorragend, ganz hervorragend!«
»Ihr seid zu freundlich.«
»Nein, nein, im Gegenteil! Dies wird ein großes Kunstwerk werden, das fühle ich jetzt schon. Und Ihr seid herzlich eingeladen, einer meiner kleinen Abendunterhaltungen beizuwohnen. Auf diese Weise könnt Ihr selbst sehen, wie die Schönheit atmender Körper mit den schönsten Kunstwerken wetteifert. Haut und Marmor verschmelzen vor dem
liebenden Auge miteinander, und die wahre Erlösung liegt darin, uns durch die Schönheit der göttlichen Schöpfung überwältigen zu lassen, sie zu schaffen und uns an ihr zu erfreuen, wie es der Schöpfer befiehlt. Nun aber genug der Theologie! Ich habe zu tun. Aber es wäre mir ein Vergnügen, Euch und Euren Bruder heute gegen zehn zu einem meiner kleinen Abende willkommen zu heißen. Ein besonderes Vergnügen! Pater Bonifazio wird Euch die Einzelheiten wissen lassen. Und er wird dafür sorgen, dass Ihr mit der Arbeit beginnen könnt. Pater«, fährt er fort, »setzt einen Vertrag auf mit unserem Freund und seid so gut und zahlt dem Maestro zweihundert Scudi aus der Hauskasse, damit er Materialien kaufen und Assistenten suchen kann. Oder ist das nicht genug?«
»Das ist sehr großzügig.« Sander deutet eine Verbeugung an.
»Aber nicht doch! Keinen Dank! Ihr seid der Maestro, es ist an uns, Eurem Genie zur vollen Entfaltung zu verhelfen, damit Ihr Gott durch Seine Werke preisen könnt! Bis heute Abend also, Maestro!«
Ohne ein weiteres Wort verlässt Della Valle den Raum. Bonifazio bleibt zurück, groß, weich und schwitzend.
»Der Ring«, sagt er, als sie alleine sind.
»Das hat noch etwas Zeit.« Sander sieht ihn an. »Erst regeln wir das Geschäftliche, dann können wir uns persön-
lichen Dingen widmen.«
»Wenn Ihr unbedingt heute Abend kommen müsst, dann haltet Euch gefälligst zurück!«
»Wobei?«
»In allem! Dies sind private Anlässe. Nichts für Außenseiter!«
»Wir sehen uns heute Abend!«, sagt Sander lächelnd, nickt dem schwitzenden Priester zu und geht.
Die Abendunterhaltung entpuppt sich als Gesellschaft von etwa dreißig Gästen, die an einem langen Tisch sitzen. Sander erkennt unter den Eingeladenen Michelangelo Merisi da Caravaggio, der ihn keines Blickes würdigt. Als er und Hugo ankommen, ist das Fest schon in vollem Gange. Der Festsaal wird von Kerzen warm beleuchtet, und Diener tragen verschiedene Gänge auf. In sechs Nischen, die symmetrisch in den Längsseiten des Saals angeordnet sind, steht jeweils eine antike Statue, die im Kerzenlicht plastische Schatten wirft. Sander kennt nur zwei dieser Skulpturen, die auch sonst hier stehen. Er sieht zu einer der anderen hinüber und sieht, dass es ein lebender junger Mann in antiker Pose ist, so nackt, wie die griechischen Bildhauer ihre Athleten dargestellt hatten, mit Marmorstaub und Kreide bemalt. Vier Statuen aus atmendem Fleisch, zwei aus Marmor, die sich im Kerzenlicht fast zu bewegen scheinen.
»Maestro!«, ruft Kardinal Della Valle mit ausgestreckten Armen. »Wie gut von Euch, dass Ihr die Zeit gefunden habt! Hier, meine Herren, ist Maestro Sandro della Molina, der diesem Saal mit einem neuen Fresko zu Glorie verhelfen wird!«
Sander deutet eine Verbeugung an. Pater Bonifazio, der hinter dem Kardinal steht, lässt ihn nicht aus den Augen. Della Valle spricht weiter mit Sander.
»Setzt Euch, esst und trinkt! Ihr auch, Maestro Ugo! Ich habe schon so einiges von Euch gehört, beiläufig. Willkommen! Es ist ein zwangloser Kreis. Keine Formalitäten. Freunde der schönen Künste, Dichter, Maler, Sammler von künstlerischer –
und natürlicher – Schönheit. Ihr werdet Euch gut unterhalten! Viele meiner ehrwürdigen Amtskollegen beneiden mich um meinen Koch!«
Das Essen ist tatsächlich ausgezeichnet. Es gibt Pasteten mit Gänseleber und Granatapfel, mit Hase und getrockneten Aprikosen, dann kommt ein ganzes geröstetes Lamm, das von zwei Dienern auf einer Platte herangetragen wird, gefolgt von kleinen Kapaunen. Pater Bonifazio ist völlig auf das zarte Fleisch der Schenkel konzentriert und scheint Sander für einen Moment vergessen zu haben.
Bevor das Dessert aufgetragen wird, spielt ein Lautenist, der berühmte Riccardo Allessandrini, einige elegante Fantasien. Die ganze Tischgesellschaft verfällt in Stille, als der Virtuose ein Band von perlenden Tönen nach dem anderen auswirft und aus Akkorden schwebende Strukturen schafft.
»Vor etwa tausend Jahren feierten kultivierte Männer in dieser Stadt auch schon die Schönheit dieser Welt, an Abenden wie diesem, mit Musik und Poesie, Wein und dionysischen Riten. Natürlich hatten diese armen Menschen noch nicht die Gnade der Erlösung durch unseren Herrn – aber manchmal kann Unwissenheit auch gewisse Vorteile haben.« Er lächelt Sander wissend an. Hugo erhebt sein Glas und sieht zu seinem Gastgeber hinüber.
Nachdem die letzten Lautentöne zu der Decke aufgestiegen sind, die noch ganz weiß und schmucklos über ihren Köpfen gespannt ist, beginnen die Gäste wieder zu reden und zu lachen. Das Dessert wird hereingetragen: eine riesige Platte mit kandierten Früchten und Kompotts, leuchtend gelber Milchreis mit Safran, frischen Trauben, Granatäpfel, weiche Pfirsiche und fast überreife Birnen. In der Mitte dieser Komposition liegt ein schlafender Amor. Das Einzige, was ihn etwas verhüllt, sind Weinblätter, die sich lose um seine Schenkel und Arme winden.
»Ein kleiner Tribut an Euren Entwurf, Maestro«, sagt Della Valle. Die Idee amüsiert ihn offensichtlich. Er klatscht in die Hände, und da steht der kleine Amor auf, streift die Weinblätter ab, nimmt seinen Bogen und einen Köcher Pfeile, die neben ihm liegen, legt einen Pfeil ein, spannt ihn und schießt durch die Halle. Die Gäste raunen. Plötzlich erwachen die vier Statuen zum Leben und versammeln sich an der Stirnseite des Tisches. In verschiedenen Konstellationen stellen sie berühmte Werke der Antike nach: Laokoon und seine Söhne, die von der Schlange erwürgt werden, Achilles be-
weint Patroklos, Dionysos und seine Satyrn. Die Gäste raunen und applaudieren, rufen laut Bravo, und dann lösen sich die Konstellationen schöner Körper auf, und die Jünglinge mischen sich zwanglos unter die Gäste.
Bald danach nehmen Sander und Hugo ihren Abschied. Das Fest wird noch lange dauern, aber Sander ist nicht zum Feiern aufgelegt. Er ist müde. Seine Rippen schmerzen ihn noch immer, gleich morgen will er seine Arbeit beginnen.
Die Brüder verlassen die Witwe Scampanella in Trastevere und ziehen in zwei Zimmer im Palazzo Della Valle, im obersten Stockwerk, beim Personal. Sander will nahe bei seiner Arbeit sein, will zu jeder Stunde in den Saal gehen und das Licht prüfen können, Details ausprobieren, sein Werk vor neugierigen Augen und Rivalen schützen. Er ist argwöhnisch seinem neuen Leben gegenüber. Wenn er versagt, wenn das Fresko seinem neuen Mäzen nicht gefällt, wird er alles verlieren und wieder auf der Straße stehen, tiefer gefallen denn je zuvor.
Der fette Bonifazio, der seinen Ring wieder am Finger trägt, ist ständig im Hintergrund, während Arbeiter das Gerüst im Festsaal aufbauen. Auch er hat viel gewagt. Er hat hart ge-
schluckt, als er Hugo wieder begegnet ist. Trotz der Schminke hat er ihn gleich erkannt. Hugo aber ist scheinbar völlig gleichgültig. Auch für Sander ist es manchmal fast unmöglich zu wissen, was sein Bruder wirklich denkt.
Hugo ist Sanders einziger Assistent für diese große Unternehmung, abgesehen von den Bauarbeitern für das Gerüst und einem Stuckateur für den Verputz, der da, wo Sander malt, immer frisch sein muss. In ganz Rom hat Sander keinen Gesellen gefunden, der willens war, für ihn zu arbeiten. Virgilio Nobili ist immer noch ein einflussreicher Mann. So sind die beiden Brüder wieder auf sich gestellt mit dieser Aufgabe, die Monate in Anspruch nehmen wird.
Seit dem Totentanz damals hat Sander an keinem Fresko gearbeitet. Alles ist anders als bei Ölbildern. Es gibt keinen dunklen Untergrund, kein allmähliches Aufbauen von Farbschichten, um Tiefe zu erreichen, kein langsames Trocknen der Farben, kein Gesamtbild, das er vor sich hat. Er malt Feld für Feld direkt auf den noch frischen Verputz. Änderungen sind nicht möglich, es sei denn, er hackt den Gips wieder ab und beginnt von vorn. Ganz dicht unter der Decke stehend oder liegend, muss er beim Licht einer Öllampe schnell auf die noch frische Schicht malen, eine Oberfläche, die einem Tagwerk entspricht. Es ist heiß und stickig dort oben, die Flamme frisst die Luft auf, und oft glaubt er, das Bewusstsein zu verlieren, und muss abbrechen und sich zu ebener Erde erholen.
Auf diese Weise, das Gesicht fast gegen die Decke gepresst, malt er Figuren und Motive, die später nur aus der Entfernung gesehen werden können, vom Boden aus. Der Kopf des Dionysos ist so groß wie ein Fass, sein Körper wie ein ganzer Baumstamm, aber Sander kann sich nur Feld für Feld vor-
arbeiten, Tag für Tag, Elle für Elle. Bevor das Gerüst wieder abgebaut ist, wird er die ganze Komposition nicht beurteilen können. Dann ist es zu spät, um sich noch anders zu entschließen.
Auch Hugo steht vor der Herausforderung, Farben anzumischen, die ganz anders sind als die, deren geheimes Rezept er zur Vollkommenheit gebracht hat. Pigmente binden sich anders, trocknen unterschiedlich schnell, halten dem Licht mehr oder weniger gut stand, und Sander braucht die Farben frisch und augenblicklich, sodass Hugo ständig mit Tiegeln und Töpfen über das Gerüst klettern muss.
Stunde um Stunde, Tag um Tag verbringen Sander und Hugo auf dem Gerüst. Nach mehreren Stunden angestrengten Starrens auf die Wand direkt vor seiner Nase will Sander nur noch schlafen. Auch wenn Hugo sich abends noch davonstiehlt, denkt Sander gar nicht daran, noch hinauszugehen. Nur manchmal geht er für eine halbe Stunde durch die Dunkelheit, in der Kühle der Nacht, die ihm die Lungen füllt und den Ruß seiner Öllampe vergessen macht. Dann hört er auch, worüber die Leute reden, die Männer in den Tavernen und die Frauen, die sich nachts nicht am Brunnen treffen können, von Fenster zu Fenster.
Ein Name kommt dabei immer wieder in den Unterhaltungen vor, die er auf seinen Gängen aufschnappt.
»… nein, nicht Bruni! Bruno! Fra Giordano Bruno!«
Eine andere Stimme antwortet aus der Dunkelheit über Sanders Kopf.
»Was wirft man ihm vor?«
»Ja, kriegst du denn gar nichts mit, was die Leute sagen? Er ist ein gefährlicher Ketzer, ein Feind des Glaubens!«
»Madonna!«
»Du sagst es, Giovanna! Heilige Jungfrau, steh uns bei!«
»Ich habe gehört, er soll gut aussehen …«
»Also weißt du doch von ihm? Warum lässt du mich dann erklären?«
»Weil ich dich nicht unterbrechen wollte! Und Bruni oder Bruno – wer soll sich das merken?«
Sander kennt diesen Namen nicht, aber auch im Palazzo Della Valle sprechen die Dienstboten aufgeregt über den Fall.
»Fra Giordano Bruno«, erklärt ihm der verhärmte Kopist, der tagein, tagaus die Briefe Seiner Eminenz und andere Do-
kumente abschreibt, »ist ein gefährlicher, brillanter, unbeugsam stolzer Mann, ein abtrünniger Mönch, dessen Ideen am Fundament der Welt rütteln, ein Meister der Gedächtniskunst und verschiedener okkulter Wissenschaften, der flammende Spuren quer durch Europa hinterlassen hat. Nach Jahren der Kerkerhaft wird ihm jetzt endlich der Prozess gemacht. Ihm droht der Tod auf dem Scheiterhaufen. Er ist schon so gut wie tot.«
Für den Palast hat dieses spektakuläre Verfahren eine besondere Bedeutung, denn der Prozess kommt zu ihnen, in Gestalt des Kardinals Don Pedro Maria de los Angeles de Guzmán y Pimentel, Mitglied des hohen Tribunals der päpstlichen Inquisition, Bischof von Toledo, Fürstbischof von Erazuiz, Vorsitzer des Heiligen Tribunals von Neapel und Beichtvater des Vizekönigs der beiden Sizilien, Graf von Vilar und Baixas, einer der einflussreichsten Kardinäle, auf dem Weg von seinem spanischen Bischofssitz zum Antritt seines Amtes im Süden Italiens.
Solange der Prozess dauert, wird Kardinal Guzmán im Palazzo wohnen. Kardinal Della Valle hat ihm seine persön-
lichen Gemächer zur Verfügung gestellt, und drei Tage lang ist der Palazzo in Aufruhr. Möbelstücke, Bücher und Akten werden hin- und hergetragen, Nachttöpfe, kostbare Zeremonialgewänder und blendend rote Soutanen, drei Marmor-
skulpturen jugendlicher griechischer Götter, die der Kardinal als zu freizügig für den strengen Spanier einschätzt, Stapel von Hemden, Dosen mit Dingen des persönlichen Bedarfs und griechische Vasen – alles strömt aus den Prunkräumen Seiner Eminenz heraus und in eine kleinere Zimmerflucht, die ihm sein Privatsekretär Pater Bonifazio überlassen hat.
Während Della Valle in diesen Räumen erfahren muss, wie beengt die Verhältnisse zwischen all den Büchern und Dokumenten und Kunstwerken sein können, die sich auf dem Boden stapeln oder dicht gedrängt auf reich beschnitzten Tischen stehen, zelebriert sein spanischer Gast in den im-
mensen Prunkräumen klösterliche Leere und Einfachheit.
Nur das Nötigste haben seine Diener hineingetragen, kaum mehr als drei Reisetruhen und einige Stapel Dokumente und Bücher über Kirchenrecht und theologische Fragen. Guzmán führt ein Leben, das der Meditation und der Enthaltsamkeit gewidmet ist. Sein Betschemel steht wie ein Eroberer mitten in Della Valles fürstlichem Studierzimmer und direkt davor, auf einer Säule aus schwarzem Marmor, das Reisereliquiar mit der knöchernen linken Hand des heiligen Dominik de Guzmán. Im Stillen ist Don Pedro stolz darauf, aus derselben Familie zu kommen wie der Begründer des großen Dominikanerordens. Der heilige Dominik wacht über ihn und seine geheimen Gebrechen.
Am Tag der Ankunft ist die gesamte Dienerschaft zum Willkommen angetreten: Lakaien mit polierten Schuhen mit silbernen Schnallen, Köchinnen in ihren frisch gewaschenen Sonntagsschürzen, Wächter mit Hellebarden und in bunten Uniformen, drei zerzauste Küchenjungen, die versuchen, mit so großem Abstand vom Küchenchef zu stehen, dass seine Hand sie nicht erreichen kann, die Zugehfrauen und die Zimmermädchen, die Kutscher mit ihren imposanten Hüten, die Gärtner.
Als die Kutsche der Kardinals in den Innenhof fährt, springen die Diener von ihren Plätzen hinter der Kabine auf und reißen den Schlag auf. Dann aber passiert erst einmal nichts. Della Valle, der vor der großen Freitreppe steht, um seinen Gast zu begrüßen, sieht sich einen Moment lang ratlos um und schreitet auf die Kutsche zu. Langsam und mit offensichtlicher Anstrengung kommt endlich Kardinal Guzmán aus dem dunklen Inneren hervor. Della Valle tritt auf ihn zu und gibt ihm den Willkommensgruß.
Don Pedro ignoriert die angetretenen Diener völlig. Er bedankt sich in trockenen Worten bei seinem Gastgeber, dann geht er wortlos an den Versammelten vorbei und steigt mühsam die Stufen zu seinen Räumen hinauf, eine einsame rote Figur auf der immensen Freitreppe.
Die Dienerschaft beäugt diesen neuen Herrn misstrauisch. Von solchen wie ihm sind kaum Trinkgelder zu erwarten, und wo ihr eigener Meister im Tausch für ihre Diskretion ein Auge zudrückt, wenn Wein aus dem Keller und Schinken aus der Küche verschwinden, eilt diesem Inquisitor der Ruf voraus, pedantisch und kompromisslos zu sein. Die Stimmung nach seiner Ankunft ist angespannt. Der Küchenchef gibt seinem jüngsten Lehrling eins hinter die Ohren, damit er begreift, was die Stunde geschlagen hat.
Auch Sander und Hugo müssen eines ihrer beiden Zimmer, die ihnen im obersten Stockwerk des Palastes zugewiesen wurden, für die persönlichen Diener des Gastes aufgeben. Jetzt schlafen sie gemeinsam in einem Zimmer, das kaum groß genug für ihr Bett ist. Durch eine Luke können sie auf die Piazza weit unter ihnen blicken.
Sander ist es gleichgültig, wo er schläft. Es kümmert ihn nicht, was die Diener über einen neuen Herrn sagen. Er denkt an nichts als an seine Arbeit, an Perspektiven und Blickwinkel, Details und Zusammenhänge, an graziöse Schultern und schöne Füße, mächtige Arme und weiche Haut und dramatische Schatten, und durch sie alle hindurch an Diana, die irgendwo gefangen gehalten wird, Diana, die sein Kind trägt und seine Zukunft, für die er alles auf einmal aufs Spiel setzt, deren majestätisch raumgreifende Präsenz und entschlossen-schönes Gesicht mehr als eine der Figuren beseelen, deren dunkle Augen und innere Kraft aus vielen Gesichtern sprechen.
Mehr als ein Porträt von sich und ihr gemeinsam hat Sander in das Gesamtwerk eingeschmuggelt. Sie sind Galatea und Acis, eng umarmt, seine Antwort auf ihr Bild für Mancini. Sie sind zwei der entfesselten Bacchanten im Gefolge des rasenden, alles zerstörenden, ekstatischen Gottes Dionysos; Blättergirlanden und Blüten verdichten sich kaum sichtbar zu ihren Gesichtern; sie sind zwei Waldgeister in der Vignette, in der Sander die Jagdgöttin Diana mit Actaeon dargestellt hat, einem wunderschönen jungen Mann in kurzer Toga, der im Begriff ist, in einen Hirsch verwandelt zu werden, und mit Entsetzen merkt, dass seine Glieder sich verformen und ihm Fell zu wachsen scheint, eine Anspielung an einen Marmor-Zentauren in der Sammlung des Kardinals.
Rechts oben im selben Bild sieht man die Hunde, wie sie den Hirsch anfallen und zerfleischen. Die Liebe ist eine gefährliche Jagd, bei der auch der Jäger zum Gejagten werden kann. Das Gesicht der Göttin und ihre Geste, ihre gesamte Haltung sind Sanders inneres Gebet um Erlösung und Befreiung. Auch hier gibt es keine zweiten Chancen.
Bevor er das Gesicht der Jagdgöttin in Angriff nimmt, übt er, ein Dutzend Mal, auf Teilen der Wand, um jeden Strich schnell und selbstsicher setzen zu können. Über Tage hinweg malt oder zeichnet er jeden Abend eine dieser über-
lebensgroßen Diana-Skizzen, um seiner Hand Sicherheit zu geben. Dann klettert er das Gerüst hinauf, positioniert sich ganz dicht unter der gewölbten Decke und malt das Gesicht, ohne zu zögern. Er wird sie nicht betrachten können, seine Wirkung nicht sehen können, solange das Gerüst noch steht: seine allzu nahe ferne Geliebte.
Don Pedro de Guzmán hat diesen Posten in Rom nicht gewollt. Rom widert ihn an. Seine Diözese in Toledo erlaubte es ihm, ein kontemplatives Leben der Buße und der spiri-
tuellen Übungen zu führen. Jetzt aber verlangen Rang und Familienpflicht, dass er Verantwortung übernimmt und
zeitweise ins aktive Leben zurückkehrt. An sich ist ihm das keine Belastung; an Macht und Verantwortung sind die großen Familien Spaniens gewöhnt. Aber seine Gesundheit ist fragil. Er hat ein chronisches Leiden, Schmerzen und Krämpfe schütteln ihn, unter den roten Falten seines Habits verbergen sich offene Geschwüre, seit Jahren schon. Ein leicht fauliger Geruch umgibt ihn, übertüncht von Weihrauch und Rosenwasser.
Die Reise hat ihn fürchterlich ermüdet. Seine Wangen sind noch tiefer eingefallen als sonst und stechen gelblich bleich ab gegen seinen dunklen Bart. Er ist noch nicht alt, fünfundfünfzig Jahre zählt er. Aber sein Körper ist durch viele Entbehrungen abgezehrt und hager, und er bewegt sich wie jemand, der schon lange krank ist. Sein Geist aber brennt mit Klarheit und politischer Schärfe. Seine Mission ist es, das Haus der Kirche vor Brandstiftern zu schützen, Rebellen auszumerzen, Korruption zu bestrafen, besonders die des Geistes, denn die bedeutet nicht nur den Verlust der eigenen ewigen Seele an ungeahnte Höllenqualen, sondern auch die Infektion zahlloser anderer, eine Seuche, die leicht außer Kontrolle geraten kann.
Ewiges Feuer! Wie lang ist eine Sekunde der Ewigkeit?, hatte sein Lehrer ihn gefragt, als er noch ein Kind war und Fragen stellte über Himmel und Hölle, Strafe und Sühne. Stell dir einen eisernen Ball vor, eine Kugel so groß wie die Sonne. Stell dir vor, dass einmal in einer Million Jahren ein Spatz an diesem Ball vorbeifliegt und mit seinem leichten Flügel an seiner Oberfläche entlangstreift. Wenn die Spatzenfedern den Ball so weit abgenutzt haben, dass er nur noch so groß ist wie eine Erbse, dann ist noch keine Sekunde der Ewigkeit vergangen, während der die verdammten Seelen Höllenqualen erleiden.
Don Pedro ist nicht immer ein Asket gewesen. Früher,
als junger Mann, stand er mitten im Leben und ließ kein Vergnügen und kein Laster aus, und sogar das Kirchenamt übernahm er eigentlich nur, weil es an der Zeit war für
ihn, weil er der Nächste war in der Erbfolge. Aber das fortschreitende Alter und seine Krankheit haben ihn geläutert
und ihm ein neues Verständnis von der Welt vermittelt. Der Herr in seiner Gnade hat ihn erleuchtet. Wie der heilige Augustinus hat er erst spät seine eigentliche Berufung gefunden, und wie dieser versteht er aus eigener, leidvoller Erfahrung, welch tödliche Gefahren dem Fleisch innewohnen und dem Irrtum.