XVIII

WIR SEHEN UNS WIEDER

Don Pedro kann sein privates Martyrium nur als gerechte Strafe für die Sünden seiner Jugend empfinden. Er fühlt sogar so etwas wie grimmige Befriedigung, solange ihn die Krämpfe nicht zu heftig schütteln und er seine Pflichten nicht mehr erfüllen kann.

Immer wieder schickt ihm der Herr zur Erinnerung an seine jugendlichen Laster einen Blitz aus Schmerzen, die in seine Glieder schießen wie das geschmolzene Blei, das einem Königsmörder in die offenen Wunden gegossen wird. Dann erinnert er sich, dass er, Don Pedro Maria de los Angeles de Guzmán y Pimentel, Mitglied des hohen Tribunals der päpstlichen Inquisition, Bischof von Toledo, Fürstbischof von Erazuiz, Vorsitzer des heiligen Tribunals von Neapel und Beichtvater des Vizekönigs der beiden Sizilien, nicht immer ein Asket gewesen ist.

Die Krankheit, an der er immer häufiger und immer intensiver in Schüben leidet, hat er sich schon vor einem Vierteljahrhundert zugezogen, bei einer Hure in Barcelona oder bei irgendeiner Bäuerin, aber wahrscheinlich doch bei einer Hure, denn die Bäuerinnen, in die er manchmal, die Pistole an der Kehle, eingedrungen war, um seine Feinde zu strafen, waren keine liederlichen Frauen, während einige der Mädchen im Hafen von Barcelona wahrscheinlich alle Krankheiten in sich trugen, mit denen der Herr die Sünder straft. Als junger Mann, der sehnig und stolz umherstolzierte, den Degen an der Seite, war er von seiner eigenen Unsterblichkeit überzeugt gewesen.

Solche teuflischen Täuschungen machen Menschen zu armen Toren. Nur wer weiß, dass er sterblich ist, und in Erwartung des Urteils lebt, kann wirklich ein Mensch sein, im ganzen schrecklichen Sinn des Wortes, und nicht ein schwitzendes, grunzendes, stinkendes Tier.

Das ist es, was Guzmán an Sandro della Molina schätzt: Er ist sich seiner Sterblichkeit bewusst. Er überschätzt sich nicht, hält sich nicht für unverwundbar. Er schuldet ihm seine Freiheit. Sein Bruder, ein armer Idiot, wird von ihm versorgt und hindert ihn durch seine Abhängigkeit daran, überstürzt oder parteiisch zu handeln. Auf ihn kann er sich verlassen.

Sogar das heilige Tribunal ist degeneriert in der überreifen Hitze dieser Stadt. Seit Jahren ist hier nichts Wesentliches mehr geschehen. Der Ketzer und Aufrührer Fra Tommaso Campanella, die einzig gefährliche Figur südlich von Rom, verrottet, nachdem ihn die Folter geschwächt und seinen Geist verwirrt hat, langsam im Kerker des Castel dell’Ovo, und sonst hat der Kardinal von niemandem etwas zu fürchten.

Giordano Bruno und andere Bedrohungen des wahren Glaubens mögen zwar aus Neapel und Umgebung kommen, aber die restlichen Bücherschreiber und Schmierfinken hier sind zu feige, zu behutsam, zu sehr dem guten Leben zugetan, um sich mit der Inquisition anzulegen. Auch sonst gibt es kaum etwas zu tun: Einige Kräuterweiber und Hexen, die ihr Unwesen treiben; einige Mönche, die anfangen, an den Evangelien zu zweifeln, dazu junge Männer aus gutem Hause, die sich mit gewagten Gedichten und blasphemischen Spekulationen einen Namen machen wollen – aber bei all diesen reichten ein Monat im Kerker und die bloße Androhung der peinlichen Befragung. Wenn man ihnen einmal die Folter-
instrumente zeigt, werden die meisten von ihnen als besonnenere, schweigsamere Männer wieder entlassen.

Ein Autodafé wie in seiner Kindheit hat es schon seit Jahren nicht mehr gegeben, und er vermisst das erhabene Ritual der Prozession und der Kapuzen, die Tribünen und die Ränge der Kleriker, das bange Gefühl tief im Magen, wenn die Ketzer mit ihren hohen Papierhüten zum Scheiterhaufen gebracht werden, die Gesänge und die Schreie der sündigen Körper, deren Seelen gereinigt und gerettet werden, die bauchigen, dunklen Rauchwolken, die sogar die Sonne verfinstern können.

Prozessionen gibt es hier nur für San Gennaro, den Märtyrer und Bischof von Neapel, und die anderen Heiligen, schmutzige Tumulte, in deren Kielwasser die Betrunkenen bewusstlos in den Straßen liegen. Von der Erhabenheit der Religion, von ihrer schrecklichen Schönheit hat man hier nicht die geringste Ahnung.

Don Pedros Anwesenheit soll abschrecken, aber die meisten justiziablen, kirchenfeindlichen Publikationen fallen unter die säkulare Zensur und Gerichtsbarkeit, oft in Form von einigen entschlossenen Männern mit Stöcken, die Knochen brechen und Druckerpressen zertrümmern und in die Nacht verschwinden.

Guzmán weiß, dass seine eigentliche Mission hier nach innen zielt, ins Herz der Kirche und in alle ihre Gliedmaßen. Sosehr es ihn schmerzt, das zuzugeben von einem Gebiet unter spanischer Kontrolle: Nirgendwo in der Welt sind die Priester so korrupt und die Mönche so verdorben wie in Neapel, wo jedes Viertel seine eigene Art von Verwaltung hat, denn die fremden Herren kommen und gehen, und sie wollen Steuern lieber einstreichen als ausgeben, und es lässt sich immer etwas verdienen mit Schmuggelware vom Hafen, mit billigem Wein, mit Huren und etwas Schutzgeld und ein bisschen nächtlicher Räuberei, aber nie zu viel und alles ins Werk gesetzt unter dem Schutz einer der Familien, ohne deren Segen hier kein Straßenhändler, kein Maultiertreiber, kein Dieb und keine Hure ihrem Handwerk nachgeht. Die Familien verteilen sich die Stadt nach Gemeinden. Die Gemeindepriester sind ihr Sprachrohr und ihre Brieftauben, ihre Beichtväter und Hehler.

Es gibt hier immer noch Priester, die kaum die Messe hersagen können, dafür aber die allerletzten Preise für persisches Opium oder Haschisch aus Marokko, Mädchen aus Ägypten und aus dem tiefsten Afrika, Kinder aller Art, Jungen aus dem armen Hinterland, bereit zu praktisch allem.

Eingefriedet vom Meer, dem Vesuv und den Hügeln im Landesinneren, ist diese Stadt nicht größer als Rom, aber es leben dreimal, viermal, wer weiß wie viel mehr Menschen darin, ganze Familien in lichtlosen Räumen voller Ungeziefer und Gestank und dunkelstem Aberglauben. Nachts ziehen sich die Bewohner in diese Höhlen zurück wie kleine Fische in die Winkel eines Felsenriffs, und die Stadt atmet die Ge-
räusche der Nacht: ohnmächtiges Schnarchen, das rasselnde Husten der Schwindsüchtigen, ungetröstetes Weinen von Kleinkindern und ein allgemeines Seufzen und Stöhnen, das von der Furcht vor dem Letzten Gericht herstammen mag oder aus den Kehlen ineinander verkrallter Liebhaber.

Die Priester hier kennen ihre Leute, denn sie kennen nichts als diese Stadt und ihre schwülen Nächte. Sie tolerieren, dass die Gläubigen seltsame und unerklärliche Rituale vollziehen und auf ihren Straßenaltären allen möglichen Göttern Opfer darbringen, nicht nur den Heiligen der Kirche. Sie verbreiten nicht die Lehre des Herren; viele kennen sie nicht einmal. Sie propagieren jeden noch so törichten Wunderkult in der Hoffnung, dass etwas für sie abfällt dabei.

Diese Kleriker sind exakt das, wogegen die Protestanten im Norden ihre Rebellion begonnen haben, eine schwärende Beule auf dem Leibe des Herrn. Nur die niedrigsten Novizen fahren selbst auf den Schmugglerboten und entladen die Ware am Hafen oder in einer Bucht nahebei, aber die Kirche hat unendlich viele willige Helfer, die um ihrer Seligkeit willen für ein paar Münzen oder frisch gefangene Fische das erledigen, was es zu erledigen gibt, und sei es noch so schmutzig.

Guzmán ahnt, dass er Verbündete brauchen wird, und della Molina wird ihm nützlich sein. Er ist weder Spanier noch Italiener geschweige denn Neapolitaner, seine Heimat ist weit entfernt, und obwohl die Flamen gegen die Herrschaft der spanischen Habsburger kämpfen, werden sie doch auch von italienischen Truppen geplündert und vergewaltigt und erpresst und gedemütigt. Nein, der Maler gehört keiner der Parteien am Königshof an, die ihre langen Fangarme auch bis in den Kardinalspalast hinein ausstrecken, in dem auf Korridoren, in Beichtstühlen, in den Küchen und in den Stiegenhäusern Politik gemacht wird, eine Partei gegen die andere, blindlings loyal oder taktisch abwägend oder offen käuflich. Jeder Gefallen hat seinen Preis.

Don Pedro selbst hasst diese Intrigen und will sich nur heraushalten aus ihnen, will beten und seinen Herrn fragen, warum er ihn auf diese Weise peinigt, nicht nur durch körperliche Leiden, sondern durch den fruchtlosen Kampf gegen eine dümmliche, gierige, gottlose Herde.

Er hat Erkundigungen eingezogen während der letzten Wochen, denn er lässt sich ungern überraschen. Er weiß nicht nur, dass Sandro della Molina aus Flandern stammt, sondern auch dass er mit seinem Bruder und einer Haus-
hälterin und einem Dienstmädchen allein wohnt, über der Werkstatt, in einer Wohnung, deren einziger Komfort der Platz ist, den die großen Zimmer einnehmen, Platz genug für ganze Familien. Er weiß, dass Sandro kein Verhältnis mit der Haushälterin hat, aber nachts manchmal allein in die Stadt zieht, zu den Huren an der Via Toledo. Er weiß, dass der Maler dem Wein sehr zugetan ist, weiß, dass er nur unregelmäßig zur Messe geht und dass niemand ihn je über Dinge des Glaubens hat sprechen hören.

Menschen wie er laufen immer Gefahr, Freidenker zu werden und ihre ewige Seele zu verlieren, aber in ihrer Skepsis liegt eine neue Art von Stärke, die der göttlichen Wahrheit innewohnt. Das ist die Tragödie von Männern wie ihm: Sie kämpfen allein und für eine große Sache, die sie nicht mit Händen greifen können, und ihre Kraft läuft sich tot am Gestade ihrer eigenen Eitelkeiten und Unzulänglichkeiten, bis nichts übrig bleibt von der göttlichen Welle als eine schwappende Kloake oder ein ausgetrocknetes Flussbett. Sie machen so viel Lärm um nichts, denn nur als Teil einer einzigen, größeren Wahrheit kann man bleibende Veränderung schaffen.

Don Pedro blickt auf. Er muss einen Moment eingeschlafen sein. Sandro della Molina steht ihm noch immer gegenüber. Der Maestro sollte ihm seine Ideen für die Neugestaltung der Fresken vom Leben des heiligen Vitalis unterbreiten. Don Pedro aber ist zu müde. Della Molina hat Skizzen in der Hand, er spricht über die Komposition seiner Bilder, über Licht und Architektur, aber seine Worte dringen kaum durch zum Kardinal. Vielleicht ist es der flämische Akzent, der ihn so schwer verständlich macht, vielleicht ist es auch seine Erschöpfung.

Don Pedro ist erleichtert, als der Hauptmann der Stadt-
polizei eintritt und meldet, dass die gefangene Hexe wieder überstellt worden sei und auf eine Audienz warte.

»Bringt sie herein!«, ruft der Kardinal. Die Gefangene kommt, begleitet von zwei Wachleuten.

»Macht sie los!«, befiehlt Don Pedro, und dann heißt er sie wegtreten. Die beiden Wachen sehen einander an. Dann deuten sie einen Gruß an und verlassen den Raum. Don Pedro, Sandro und der Schreiber sind allein mit der Angeklagten.

»Man sagt, dass du eine Hexe bist?«, fragt sie der Kardinal.

»Man sagt viele Dinge über viele Leute. Auch über Euch, Eminenz.« Die Angeklagte hält sich wie eine griechische Göttin und spricht ohne jede Angst.

»Auch über mich?«, fragt Don Pedro.

»Auch über Euch.«

»Was sagt man?«

»Das Übliche. Unwahre Dinge. Üble Nachrede. Wirres Zeug.«

»Was zum Beispiel?«

»Dass Ihr Unzucht mit dem Teufel treibt, dass Ihr die Ministranten verführt, dass Ihr schwarze Messen feiert und reihenweise Nonnen schwängert und dass Ihr selbst mehr gesündigt habt als alle Sünder von Neapel. Und das sind eine Menge Sünden.«

»Und du bist keine Hexe?«

»Ich helfe Menschen, die Hilfe brauchen, gelegentlich, aber ganz ohne die Schwarze Kunst. Ich mache Tees und Salben aus Kräutern, die ich in den Bergen und an der Küste finde oder am Hafen kaufe. Ich bin nicht auf Eure Fakultät gegangen, aber ich habe weniger Menschen unter die Erde gebracht als viele berühmte Ärzte.«

»Und wo hast du deine Kunst gelernt?«

»Überall, wo mich das Schicksal hinverschlagen hat. In Afrika, in Algerien und in Ägypten, in den Bergen Siziliens, überall, wo eine Sklavin etwas lernen konnte.«

»Und du bist keine Sklavin mehr?«

»Mehr als zehn Jahre sind es jetzt, seit ich mich freigekauft habe und Menschen helfe.«

»Und was nimmst du dafür?«

»Was auch immer kommt. Manchmal ist es ein Huhn, manchmal ein Krug Wein und manchmal sogar Geld. Es kommt immer genug.«

»Du hilfst auch schwangeren Mädchen? Auch unverhei-
rateten?«

»Viele Leute kommen zu mir.«

»Und du gibst ihnen Tees und Tinkturen?«

»Unter anderem.«

»Und Frauen, die deine Tinkturen nehmen, verlieren ihr Kind?«

»Manche haben ihre Nierensteine verloren, haben sie mir erzählt.«

Der Kardinal hält inne. Er zeigt auf Sander.

»Mein Freund hier«, sagt er, »hat mich überredet, dass ich in den Quartieri Spagnoli populärer sein werde, wenn ich dich freilasse, als wenn ich noch eine Hexe verbrenne. Er ist bereit, für deinen guten Charakter und für dein Handeln zu bürgen. Wenn du lügst und wieder hierhergebracht wirst, dann hat keiner von euch beiden etwas Gutes zu erwarten, fürchte ich.«

Die Frau zögert einen Moment, sie sieht Sander an.

»Du bist frei«, sagt der Kardinal und setzt seine Unterschrift unter den vorgeschriebenen Befehl. »Du kannst gehen.«

Die Frau wendet sich zur Tür, Sander geht zur Tür und verbeugt sich.

»Wir sehen uns wieder!«, flüstert sie, ohne anzuhalten.