Eine böse Überraschung
Tom rannte zur Hütte und zog die Handschuhe aus Storms Satteltasche. Als er wieder zu Rokk zurückrennen wollte, kam dieser bereits auf ihn zu. Bei jedem Schritt zermalmte er Häuser, die ihm im Weg standen. Außerdem holte er mit den Fäusten aus und zerstörte alles, was in seiner Reichweite war. Das Biest holte gerade zu einem weiteren Schlag aus, doch Tom duckte sich rechtzeitig. Steine und Staub regneten von dem Biest auf ihn herunter.
Das Biest würde nicht aufgeben. Tom warf sich in den Kampf – er griff an und schrie vor Wut. Er sprang und duckte sich, er rollte sich zur Seite und schlängelte sich hin und her, um nicht von den Steinfäusten zerschmettert zu werden. Er versuchte, auf das Bein des Biests zu springen, aber Rokk war zu stark und schüttelte ihn ab wie eine Fliege. Krachend landete Tom auf dem Boden.
Rokk hob seinen linken Arm und ließ die Faust auf Tom hinabsausen.
„Nein!“, schrie Tom und hechtete aus dem Weg. Mit dem Schwert zielte er auf eine mit Moos gefüllte Spalte im Bein des Biests. Aber Rokk holte mit dem Arm aus und schleuderte Tom mit einem Wutschrei zur Seite.
Tom rappelte sich auf und hielt das Schwert kampfbereit vor sich. Die Klinge zitterte in der Luft. Mit seiner verletzten Hand hatte Tom Mühe, das Schwert ruhig zu halten. Einen Moment erfüllten ihn Zweifel.
„Schaffe ich das?“, fragte er sich. Er brauchte einen neuen Plan, um zu gewinnen.
Er senkte das Schwert und bemerkte einige Moosfäden, die an der Klinge klebten. Es war Moos aus dem Spalt in Rokks Bein. Hielt das Moos Rokks Körper zusammen wie Kleister? Hielt es ihn aufrecht? Wenn er das Moos wegschneiden konnte, würde das Biest dann zusammenbrechen?
„Einen Versuch ist es wert“, murmelte Tom. Doch er brauchte dafür alle Hilfe, die er kriegen konnte.
„Der violette Juwel!“, dachte er. Er erinnerte sich an den Edelstein, den er bekommen hatte, als er Sting, den Skorpionmann, besiegt hatte. Der Juwel verlieh seinem Schwert die Fähigkeit, durch Stein zu schneiden.
Tom packte sein Schwert fester und beachtete den Schmerz in seiner rechten Hand nicht mehr. Er näherte sich dem Biest, aber nur so weit, dass es ihn nicht erwischen konnte. „Komm her!“, rief er. „Versuch, mich zu schnappen!“
Das Biest hob sein linkes Bein und stampfte damit auf den Boden. Tom sprang zur Seite, der Untergrund wackelte, aber jetzt stand Tom genau neben einem moosgefüllten Spalt in Rokks Bein. Er steckte sein Schwert tief hinein und aktivierte die Kraft des violetten Juwels. Er hörte, wie der Fels splitterte und krachte, Moos flog aus dem Spalt. Toms Klinge stieß gegen Stein und Funken regneten ihm ins Gesicht. Rokk brüllte vor Schmerz, bäumte sich auf und boxte in die Luft. Rokks Oberkörper schwankte bedrohlich. Er riss die Arme auseinander.
„Mach weiter!“, befahl Tom sich selbst. „Hör nicht auf.“ Wieder und wieder rammte er sein Schwert in Risse und Spalten, die mit Moos gefüllt waren. Bald lagen Moosbüschel um seine Füße herum. Rokk war zu benommen vom Schmerz, um sich zu wehren. Er wankte und versuchte, das Gleichgewicht zu halten. Tom machte eine Pause, wischte sich den Schweiß von der Stirn und sah zu dem mächtigen Biest hoch. Rokk kippte nach links, das Gewicht seines steinernen Körpers zog ihn nach unten. Mit einem zornigen Brüllen fiel er schließlich wie ein gefällter Baum zu Boden.
Als er auf die Erde krachte, zerbrach Rokks Körper. Felsen und Steine flogen in alle Richtungen. Tom suchte hinter einem der letzten verbliebenen Häuser Deckung.
Danach war alles still.
Verzweiflung machte sich in Tom breit. Er hatte das Biest nicht zerstören wollen. Er hatte Rokk nur schwächen wollen, um zu seinem Kopf hochklettern zu können und ihn von Velmals Fluch zu befreien.
„Es tut mir leid“, murmelte Tom und betrachtete den Steinhaufen.
Er drehte sich um und ging auf die Hütte zu, in der Elenna lag, als …
Krack!
Knirsch!
Kronk!
Tom wirbelte herum. Die Haare in seinem Nacken stellten sich auf. Die Überreste des Biests glitten über den staubigen Boden und fügten sich wieder zusammen. Rokk formte sich neu! Zornig brüllend stemmte er die Fäuste in die Erde und wuchtete sich auf die Beine. Schon stand er hoch aufgerichtet da wie zuvor, alle Gliedmaßen waren heil. Seine Augen zogen sich zu wütenden Schlitzen zusammen.
„Wie soll ich ein Biest besiegen, das sich so schnell selbst heilen kann?“, dachte Tom.
„Mit den Handschuhen!“
Er zog die Handschuhe aus seiner Tasche und streifte das federleichte Gewebe über seine Hände. Zeit zu klettern!
Tom rannte so schnell er konnte auf Rokk zu. Mit ausgestreckten Händen warf er sich nach vorn. Rokk holte mit seinem linken Bein zu einem tödlichen Tritt aus. Toms Hände landeten auf Rokks Schienbein und er kletterte hinauf. Seine Hände klebten so fest auf dem Stein, dass Tom all seine Kraft brauchte, um seinen Griff immer wieder zu lockern. Langsam und vorsichtig kletterte er zu Rokks Bauch hoch. Das Biest versuchte Tom abzuschütteln, aber es war nicht beweglich genug, um ihn zu erwischen. Im Augenblick war Tom in Sicherheit.
„Ich kann nicht glauben, dass ich an einem Biest hochklettere“, dachte Tom. Er stieg weiter zu Rokks Brust hoch. Das war noch viel gefährlicher, als zum Todesfelsen hochzuklettern.
Sein Herz klopfte schneller, als er ein kratzendes Geräusch hörte. Er sah hoch. Rokk hatte beide Arme nach hinten gestreckt und Tom wusste, dass sie ihn gleich zermalmen würden. Er musste genau den richtigen Moment abpassen …
Als die Steinarme mit einem Wusch! auf ihn niedersausten, drückte Tom sich ab. Rokk verpasste Tom. Stattdessen traf er sich selbst so hart, dass sein Körper sich vor Schmerz nach vorn krümmte. Tom streckte die Arme aus und seine Hände landeten auf dem Kopf des Biests.
Jetzt hing er an Rokks Augenhöhle.