New York City hat alles, und von allem das Beste – Höhepunkte, Rekorde und Extreme gehören hier zum Alltag
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Das Bild von New York haben die Wolkenkratzerschluchten in Midtown geprägt
»Seit Jahren war ich in Berlin, Paris und London zuhause wie ein Stallhase in seinem Stall. Aber New York war mir so neu, als ob ich ein einfältiger Hinterwäldler wäre, der vorher nie seinen Dachstuhl verlassen hätte.«
Max Dauthendey, Dichter und Maler, 1867–1918
In New York leben 8,2 Mio. Menschen, so viele wie in Los Angeles, Chicago und Philadelphia zusammen – 10.356 Einwohner pro Quadratkilometer. »National Geographic« hat errechnet, dass die gesamte Weltbevölkerung im US-Bundesstaat Texas leben könnte, wenn er so dicht bevölkert wäre wie New York. Doch neben der größtmöglichen Verdichtung urbanen Lebens ist es vor allem eines, das New York einzigartig macht unter allen Großstädten auf dem Globus: 193 Nationen und ebenso viele Kulturen leben hier auf engstem Raum. Mit ihrer Sprache, ihrer Religion und ihrer Weltanschauung, mit ihrer Musik, ihrer Mode und ihrer Landesküche. Nur in New York kann man die Vielfalt der Welt an einem einzigen Ort sehen, hören, fühlen und schmecken.
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Blaue Ballons unter dem Himmel des East Village (links) – Saurierhalle im Naturkundemuseum (rechts)
Diese überbordende, reiche und chaotische Mischung überrumpelt einen jeden Tag aufs Neue, immer auch mit der Chance, alte Denkmuster über den Haufen zu werfen. Da genügt eine Fahrt in der Subway, z.B. über den East River nach Queens, um eine Weltreise im Schnelldurchlauf zu unternehmen. An jeder Station gesellen sich New Yorker aus anderen Kulturkreisen dazu: eine Familie aus Guatemala, eine Gruppe steinalter Vietnamesen, Mexikaner, Perser, Chinesen, Inderinnen im Sari, Araber, Koreaner, ein indonesisches Paar …
Wer mit der Linie B nach Coney Island fährt, landet an der Endstation Brighton Beach in einem Mini-Russland mit kyrillischen Schriftzeichen an den Läden und schwarz gekleideten Mütterchen, die kein Wort Englisch sprechen. Auch mitten in Manhattan wechseln die Kulturen, und ein paar Schritte vom Empire State Building entfernt findet man sich in der 32nd Street mitten in Korea wieder. Wer eben noch Hunger auf einen Burger hatte, lernt jetzt im heißen Steintopf serviertes Dolsot Bibimbap kennen oder entdeckt Gimbap, das koreanische Sushi, das nicht mit rohem Fisch, sondern mit hauchdünnem, mariniertem Fleisch zubereitet wird.
Trotz all dieser Vielfalt trifft das häufig bemühte Bild vom melting pot nicht den Kern. New York lebt nicht vom Verschmelzen der Gegensätze, sondern von ihrem Kontrast, und gleicht vielmehr einer Patchwork-Decke als einem Schmelztiegel.
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Längst nicht nur bei Familien beliebt: Coney Island (oben), Hotdogs (unten links) und Park Slope in Brooklyn mit seinen hübschen Brownstone-Häusern (unten rechts)
Zu all diesen Eindrücken addiert sich für den Besucher eine unüberschaubare Fülle kultureller Hotspots. Etliche davon sind für sich allein genommen schon Anlass genug für eine Reise: Museen wie das Museum of Natural History als größtes Naturkundemuseum der Welt und das Metropolitan Museum of Art als weltweit bedeutendste Kunstsammlung, Bühnen wie die Met als größtes Opernhaus der Welt. Hinzu kommen 40 Musicalbühnen rund um den Times Square und Hunderte Kunstgalerien.
Wer davon so viel wie möglich mitnehmen will, dem wird jeder Tag zu einer Abfolge vertaner Möglichkeiten. Deshalb lieber entspannt auswählen mit dem Wissen, dass sich immer auch das Ungeplante und Unvorhersehbare als Hauptgewinn entpuppen kann. Bei gutem Wetter empfiehlt sich ein Spaziergang über die Brooklyn Bridge, wo 22 km stählerne Seile die Skyline bei jedem Schritt in ein neues Puzzle zerlegen, oder ein Bummel durch das alte Hafenviertel am South Street Seaport, wo die Möwen im Tiefflug durch Kopfsteinpflastergassen segeln. Bei schlechtem Wetter geht es je nach Interesse zu Warhols Marilyn im MoMA, zu den Muppets im Filmmuseum in Queens – oder in eines der 198 anderen Museen.
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Wie eine grüne Ader windet sich die High Line als Park auf Stelzen durch Chelsea
In jedem Fall muss man in New York viele Meilen laufen. Zum einen, weil die Entfernungen immer weiter sind als gedacht. Zum anderen, weil man zu Fuß den Energiestrom, den Rhythmus der Stadt intensiv und ungefiltert erlebt, ihre Magie, ihre Aggressivität, ihre Hysterie und ihre Melancholie. Zu Fuß erkundet man die Neighborhoods und lernt das neue »grüne« New York kennen: den High Line Park, wo man 9 m über dem Erdboden zwischen Wiesenschaumkraut und Weidenröschen durch den Meatpacking District flaniert, oder Manhattans Waterfront Greenways, meilenlange grüne Adern am Hudson und East River, neu erschlossene Reviere für Freizeitsportler und Tagträumer.
Neben all dem Grün, dem Licht und Glanz in den Fassaden Tausender Hochhäuser sind auch die Anzeichen von Verfall unübersehbar. Die Subway ist alt, und manche Stationen ähneln finsteren Löchern, in denen im Hochsommer die schwüle Luft steht wie eine Wand. Manchmal streikt die Müllabfuhr und die Abfallsäcke türmen sich auf den Gehwegen. Manchmal steht man im Regen an einer Ampel und nebenan knallt und raucht es, weil ein schlecht verlegtes Kabel einen Kurzschluss ausgelöst hat. Diese Unvollkommenheiten gehören dazu, denn die Stadt spielt einem nichts vor, sondern ist erbarmungslos ehrlich – und auch dafür kann man sie lieben.
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Der Central Park erinnert die New Yorker daran, dass es Dinge wie Jahreszeiten gibt
Aber Achtung: In New York ist Veränderung die einzige Konstante, sie ist ein Teil seiner DNA. »Wer vor 40 Jahren in New York geboren wurde, findet heute nichts von jener Stadt, die er einst kannte«, klagte das »Harper’s Magazine« – im Jahr 1856. Daran hat sich nichts geändert, nur das Tempo hat sich beschleunigt. New Yorks Blick ist nach vorn gerichtet, die Vergangenheit und alles, was mit ihr verloren geht, höchstens auf den Leserbriefseiten der »New York Times« ein Thema. Und natürlich bei all jenen, die sich selbst für heimliche New Yorker halten, weil sie die Sehnsucht immer wieder an den Hudson lockt.
Für sie gibt es zur Begrüßung zuverlässig einen Kübel kaltes Wasser ins kuschelwarme seelische Nostalgie-Nest: Das liebgewonnene Hotel vom letzten Besuch? Heißt jetzt ganz anders und wurde zur Luxusimmobilie umgebaut. Der Coffeeshop um die Ecke mit dem gut gelaunten Kellner, der einen schon am zweiten Tag mit dem Satz »Dasselbe wie gestern, Honey?« begrüßt hat? Ist verschwunden, ohne eine Nachricht zu hinterlassen. Der rund um die Uhr geöffnete Deli mit dem besten Fingerfood aller Zeiten? Wurde vor sechs Wochen abgerissen.
Man sollte nicht zu Rührseligkeit neigen, wenn man ein richtiger »New York Fanatic« werden will, wie sich John Lennon im Interview gerne bezeichnete. Denn von New York lernen heißt immer: offen sein für Neues, auch wenn es weh tut.