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Iqaluit
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. Juli 2144
Sie würden eng zusammenarbeiten müssen, selbst wenn sie sich weit voneinander entfernt aufhielten. So lautete Eliasz’ Begründung, warum er zwei Tage lang mit Paladin über die Sanddünen kraxelte, während der IPC
-Mann pausenlos süßen Tee mit Milch trank und sich dabei in stummer Frustration durch die Nachrichtenfeeds seiner Brille gestikulierte.
Seite an Seite mit jemandem zu trainieren war eine neue Erfahrung für Paladin. Zwar hatte er meistens in Funkkontakt mit Lee oder einem anderen Botadmin gestanden, doch deren Stimmen hatten den inneren Anweisungen seiner Programmierung geähnelt. Seine Botadmins hatten ihn nie angeblickt und darüber geredet, wie sehr sie das Wetter in Europa vermissten.
»Ich hasse diese Hitze«, knurrte Eliasz, als er sich oben auf einer Düne niederhockte. Er blickte kurz zu Paladin hinüber und setzte sich dann richtig hin. Es war 8
:00
Uhr morgens, und Paladin testete wieder seine Reflexe auf sandigem Untergrund. Er hatte gelernt, den Panzer möglichst weit abzusenken und zugleich mit seinen Sensoren ein weites Spektrum zu erfassen. Diese Haltung auf Ellbogen und Knien nahm er nun ein, hörte Eliasz zu und empfing gleichzeitig das öffentliche Botnetz.
Ihr seid alle. Ich bin Raptor. Hier kommen meine Daten. Um
13
:
00
Uhr breche ich auf eine Mission auf. Es geht
für eine Seuchenintervention in den Kongo. Wünscht mir Glück. Zurück in
48
Stunden.
»Ich mag es lieber feucht und kühl wie in Mitteleuropa«, fuhr Eliasz fort und wischte mit gespreizten Fingern den Schweiß auf seiner Stirn ins Haar. »Die Leute reden immer davon, dass sie Warschau unerträglich finden, weil es dort so kalt ist … ich schätze, man liebt immer das Wetter, mit dem man aufgewachsen ist, selbst wenn man nie zurückwollte. Woher kommst du eigentlich, Paladin?«
Ihr seid alle. Ich bin Cldr. Hier kommen meine Daten. Ich brauche drei Bots, die mir beim Ausladen einer Waffenlieferung helfen. Die Position füge ich an.
Paladin hielt in seinen Bewegungen inne; sein Kopf berührte inzwischen beinahe Eliasz’ Bein, das vor ihm im roten Sand lag. Er war sich unsicher, wie die angemessene Antwort auf diese Frage lautete – er war noch gar nicht lange genug auf der Welt, um von einem bestimmten Ort zu stammen.
»Von Kagu Robotics in Kapstadt«, sagte er laut.
»Nein, das meine ich nicht.« Eliasz schüttelte heftig den Kopf und klopfte dann mit den Fingerknöcheln gegen Paladins unteren Rücken. »Woher kommst du ursprünglich? Woher stammt dein Gehirn?«
Unter den verschiedenen Schichten seines Bauchschilds schwamm Paladins Biohirn, in einer zähflüssigen Mixtur aus Schockgel und Rückenmarksflüssigkeit. Es war über eine Schnittstelle mit dem physikalischen Substrat seines Verstands verbunden. Das Gehirn übernahm bei ihm die Gesichtserkennung, wies jedem Menschen, mit dem er zu tun hatte, entsprechend den Kanten und Schatten seines Mienenspiels eine eigene Kennung zu, doch sein Dateisystem war mit Paladins eigenem weitgehend inkompatibel. In erster Linie benutzte er das Gehirn als eine Art Graphikprozessor. Auf jeden Fall hatte er
keine Ahnung, woher es stammte. Er wusste nur, dass ein toter Mensch, ein Angehöriger der Föderationsarmee, es gespendet hatte.
Eliasz sprach weiter. »Ist es für dich nicht wichtig zu wissen, wer du wirklich bist? Woher deine Gefühle kommen?«
Das ergab wenig Sinn. Keines von Paladins Gefühlen oder ethischen Prinzipien wurde in seinem menschlichen Gehirn erzeugt. Doch in den dunklen Augen des Menschen lag gespannte Aufmerksamkeit. Eliasz blickte direkt in die Sensoren, die auf Paladins Gesicht montiert waren. Plötzlich wollte Paladin nicht länger über die Architektur seiner Dateiablage sprechen.
»Ich weiß nicht, woher mein Gehirn stammt«, erwiderte er nur. »Ich habe keinen Zugang zu seinen Erinnerungen.«
Er spürte, wie sich Spannung in Eliasz’ Körpers aufbaute, sah die Elektrizität, die über seine Hautoberfläche sprang. Eliasz wechselte häufig zwischen solchen intensiven emotionalen Unterhaltungen und völligem Schweigen, das war Paladin in den Tausenden von Sekunden, die sie inzwischen miteinander verbracht hatten, bereits aufgefallen.
»Sie sollten zulassen, dass du dich erinnerst«, grollte er. »Das sollten sie wirklich.«
Ein Wunsch, der kaum in Erfüllung gehen würde. Doch in diesem Moment erhielt Eliasz zumindest etwas anderes, auf das er ungeduldig gewartet hatte. Es kam in Form einer Nachricht an Paladin, als Teil einer gesicherten und verschlüsselten Session.
Du bist Paladin. Ich bin Fang. Erinnerst du dich an die abgesicherte Session, die wir eingerichtet haben? Lass sie uns noch einmal benutzen. Hier kommen meine Daten. Die abschließende Besprechung der Mission beginnt um
9
:
00
Uhr. Bring Eliasz mit
.
Einverstanden. Ich bin Paladin. Wohin wird man uns schicken?
In die klimatisch gemäßigte Arktis, wie es aussieht. Ihr werdet dort ein paar von Jacks Kontakten treffen und versuchen, ihr Drogenversteck zu finden.
Eliasz und ich werden in
30
Minuten zurück in der Basis sein. Das ist das Ende meiner Daten.
Es folgten die Koordinaten für das Meeting – es handelt sich um denselben Raum, den sie während der vergangenen zwei Tage für die Einsatzbesprechung benutzt hatten.
»Gute Nachrichten«, sagte Paladin laut zu Eliasz, der ihn immer noch anblickte. »Wir brechen bald zur nördlichen Freihandelszone auf, wo viel niedrigere Temperaturen herrschen.« Eliasz sagte nichts, doch sein Herzschlag verlangsamte sich. Die beiden machten sich auf den Weg über die Dünen, um einen Eingang in die unterirdische Einrichtung zu finden und ihre Befehle entgegenzunehmen.
Auch wenn es sich bei ihrer Mission nur um einen Routineauftrag handelte, hatte er für Paladin eine besondere Bedeutung – schließlich war es sein erster Einsatz. Der heutige Tag markierte den Beginn seines Kontrakts mit der Afrikanischen Föderation und den Abschluss seiner Entwicklungszeit. Nach internationalem Recht durfte seine Zeit als Kontraktarbeiter von nun an nicht mehr als zehn Jahre dauern – diese Zeitspanne galt als ausreichend, damit es sich für die Föderation lohnte, eine neue Lebensform zu erschaffen.
Auch wenn er erst am Beginn seines Kontrakts stand, hatte Paladin in der Fabrik schon genug gehört, um zu wissen, dass die Föderation das Gesetz ziemlich großzügig auslegte. Gut möglich, dass er zwanzig Jahre würde warten müssen, bis er seinen Autonomieschlüssel erhielt. Sehr wahrscheinlich würde er davor sterben. Doch er hatte eine Chance und wollte über
leben – das war Teil seiner Programmierung und zugleich der Grund, warum er den Menschen gleichgestellt war und die Autonomie überhaupt verdiente. Er hatte gar keine andere Wahl, als um sein Leben zu kämpfen. Für Paladin fühlte sich das allerdings nicht wie Determinismus an, sondern wie Hoffnung.